Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 II 65



81 II 65

10. Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. Februar 1955
i.S. Schweiz. Verbandstoff- und Wattefabriken A.-G. gegen Internationale
Verbandstoff-Fabrik Schaffhausen und Mitbeteiligte. Regeste

    Unlauterer Wettbewerb, begangen durch unrichtige und irreführende
Angaben über die eigene Ware (Verbandwatte); Art. 1 Abs. 2 lit. b UWG
(Erw. 1-3).

    Klagelegitimation bei gegenseitigen unlauteren Wettbewerbshandlungen
(Erw. 4).

    Urteilspublikation, Art. 6 UWG, Voraussetzungen (Erw.  5).

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gegenstand des Streites der Parteien ist im Berufungsverfahren
lediglich noch die Frage, ob die Beklagte dadurch unlauteren Wettbewerb
gegenüber den Klägerinnen begangen habe und noch begehe, dass sie Watte,
die aus einer Mischung von Baumwolle mit 10-30% Kunstfasern besteht, unter
der Bezeichnung "Verbandwatte", "Coton hydrophile", "Cotone idrofilo"
vertreibt.

Erwägung 2

    2.- Bei der Beurteilung dieser Frage ist davon auszugehen,
dass das Bundesrecht über die Herstellung und den Vertrieb von
Watte als Arzneimittel bestimmte Vorschriften aufstellt. Die
Schweiz. Landespharmakopöe, V. Ausgabe, deren Bestimmungen gemäss BRB
vom 19. Mai 1933 (BS 4 S. 418) für die Definition, Zubereitung und
Beschaffenheit von Arzneimitteln massgebend sind, umschreibt in Ziffer
416 den Begriff der Watte in folgender Weise:

    "Gossypium depuratum, Watte, Verbandwatte, Coton hydrophile, Cotone
idrofilo: Die von anhaftenden Verunreinigungen befreiten, entfetteten
und gebleichten Haare der Samenschale von Gossypiumarten (Malvaceae)."

    Gossypium ist die wissenschaftliche Bezeichnung des Baumwollstrauches.

    Nach dieser Regelung gilt somit Watte, die medizinischen Zwecken dient,
als Arzneimittel. Herstellung und Vertrieb von Watte mit der genannten
Zweckbestimmung sind deshalb nur zulässig, wenn sie die in der Pharmakopöe
festgelegten Voraussetzungen erfüllt. In diesem Umfange wird die Handels-
und Gewerbefreiheit in Bezug auf Herstellung und Vertrieb von Watte durch
das öffentliche Recht eingeschränkt. Die erwähnte Ordnung will nicht
bloss die Beziehungen zwischen den Wattefabrikanten und ihren Kunden
regeln. Sie ist vielmehr zum Schutze der Allgemeinheit getroffen worden,
in erster Linie im Interesse der Kranken und Verletzten, bei deren Pflege
Watte zur Anwendung gelangt.

    Die Regelung ist daher zwingend und kann nicht durch Vereinbarung
der Beteiligten abgeändert werden. Das gilt auch für das von der
Beklagten angerufene sog. Standard-Abkommen, d.h. die Vereinbarung
der Wattefabrikanten und der Wiederverkäuferverbände vom 19. Mai 1925
/1. März 1952 über die Schaffung einer Standard-Vignette für Watte
erster Qualität. Dieses Abkommen ist nur im Rahmen der Landes-Pharmakopöe
rechtsbeständig und kann für die Auslegung der letzteren in keiner Weise
massgebend sein.

    Ebenso kann entgegen der Meinung der Beklagten nichts darauf ankommen,
ob die von den Klägerinnen vertretene und von der Vorinstanz gutgeheissene
Auffassung, dass unter Verbandwatte begrifflich nur eine den Vorschriften
der Pharmakopöe entsprechende Watte zu verstehen sei, von den beteiligten
Fachkreisen geteilt wird oder nicht. Die Vorinstanz hat deshalb mit
Grund dem Antrag der Beklagten auf Durchführung einer Expertise über
diese Frage nicht stattgegeben. Gemäss Art. 2 des BRB vom 19. Mai 1933
ist der Begriff der Verbandwatte durch die einschlägigen Bestimmungen
der Pharmakopöe rechtsverbindlich und abschliessend festgelegt.

    Daraus folgt, dass Watte als zur medizinischen Verwendung geeignet,
d.h. als Verbandwatte nur angeboten und in den Handel gebracht werden
darf, wenn sie den in der Pharmakopöe festgelegten Anforderungen Genüge
leistet. Vor allem muss sie aus reiner Baumwolle bestehen und darf keine
Beimischungen von Kunstfasern enthalten. Das wird, wie die Vorinstanz
zutreffend bemerkt, übrigens auch dadurch erhärtet, dass in der Zeit
der Rohstoffknappheit während des letzten Weltkrieges die Pharmakopöe
vom Bundesrat ausdrücklich abgeändert werden musste, um vorübergehend
die Beimischung von Ersatzstoffen, wie Zellwolle und Kunstseide, bei der
Herstellung von Verbandwatte zu gestatten.

    Indem die Beklagte Watteerzeugnisse als arzneitauglich auf den
Markt bringt, denen diese Eigenschaft nach dem geltenden Recht nicht
zukommt, hat sie somit unzweifelhaft gegen die zwingenden Vorschriften
der Pharmakopöe verstossen. Die darin liegende Widerrechtlichkeit wird
nicht dadurch aufgehoben, dass angeblich andere Wattefabrikanten und
insbesondere die Klägerin Nr. 1 die fraglichen Vorschriften in gleicher
oder ähnlicher Weise verletzen oder verletzt haben.

Erwägung 3

    3.- Unter dem im vorliegenden Prozess in Frage stehenden Gesichtspunkt
des Wettbewerbsrechts betrachtet hat die Beklagte durch die Bezeichnung
von Watte, die zum Teil aus Kunstfasern hergestellt ist, als Verbandwatte
über ihre eigene Ware unrichtige und irreführende Angaben gemacht. Solches
Vorgehen im Wettbewerb verstösst gegen Treu und Glauben und wird denn auch
in Art. 1 Abs. 2 lit. b UWG als Beispiel unlauterer Wettbewerbshandlung
ausdrücklich erwähnt. Die Grundsätze von Treu und Glauben sind aber
insbesondere dort streng einzuhalten, wo - wie gerade hier - nicht
bloss wirtschaftliche Interessen von Konkurrenzunternehmungen, sondern
gesundheitliche Interessen der Allgmeinheit auf dem Spiele stehen.

    Entgegen der Meinung der Beklagten ist es unerheblich, dass sie
ihre Mischwatte nicht als "pharmakopöe-konform", "nach Vorschrift des
Arzneibuches" oder dergl. bezeichnet. Ausschlaggebend ist, dass sie
die Mischwatte als Verbandwatte, d.h. als für den medizinischen Gebrauch
geeignetes Erzeugnis anpreist, obwohl es den gesetzlichen Anforderungen an
eine medizinische Watte in Wirklichkeit nicht entspricht. Abgesehen hievon
weist übrigens die Bezeichnung "Verbandwatte" auch nach dem allgemeinen
Sprachgebrauch unmissverständlich darauf hin, dass das Erzeugnis für
die medizinische Verwendung tauglich sei. Dieser Eindruck wird von der
Beklagten zudem noch dadurch verstärkt, dass sie auf der Verpackung der
als Verbandwatte verkauften Mischwatte "Qualität A Prima" vier Bilder
über die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten anbringt, auf deren einem
unter dem Titel "Flawa-Watte für die Wundpflege", "Ouate Flawa pour le
pansement des blessures" gerade die Pflege einer Wunde gezeigt wird.

    Die Beklagte wendet ein, von einer Täuschung und Irreführung ihrer
Kundschaft, d.h. der Grossabnehmerverbände und deren Mitglieder,
könne nicht die Rede sein, da diese bei der Schaffung des bereits
erwähnten Standard-Abkommens beteiligt gewesen seien und als Fachleute
wüssten, dass die billigere Verbandwatte nicht Pharmakopöe-Qualität
aufweise. Dieser Einwand scheitert aber schon an der verbindlichen
Feststellung der Vorinstanz, dass diese Abnehmer tatsächlich getäuscht
worden sind. Zudem erhellt aus den eigenen Ausführungen der Beklagten,
dass ihre gegenteilige Behauptung offenbar unrichtig ist. Sie hat
nach ihren Vorbringen in der Duplik des kantonalen Verfahrens für eine
ihrer Mischwatten, nämlich die sog. Haushaltwatte (Qualität B) sich
auf speziellen Wunsch der Apotheker und Drogisten bereit erklärt, die
Bezeichnung "Verbandwatte" wegzulassen. Dieses Begehren eines Teils der
Kundschaft zeigt unmissverständlich, dass sie nnter Verbandwatte ein für
medizinische Zwecke geeignetes Produkt versteht und diese Bezeichnung für
eine den Anforderungen der Pharmakopöe nicht genügende Haushaltwatte als
ungehörig erachtete. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb für die übrigen,
der Pharmakopöe ebenfalls nicht entsprechenden Mischwatten der Beklagten
etwas anderes gelten sollte. Denn bei diesen handelt es sich, gleich wie
bei der Haushaltwatte, um Mischungen von Baumwolle und Kunstfasern. Die
Beklagte schweigt sich denn auch darüber aus, inwiefern es gerechtfertigt
sein soll, einen Teil ihrer Mischwatte als Verbandwatte, den andern dagegen
ohne diese Bezeichnung in Verkehr zu bringen. Der Verzicht der Beklagten
auf die Bezeichnung der Haushaltwatte als Verbandwatte enthält im Grunde
das Zugeständnis, dass die bisherige Benennung sämtlicher Mischwatten
nicht in Ordnung war und keineswegs einer einhelligen und gefestigten
Auffassung der in Betracht fallenden Verkehrskreise über den Begriff der
Verbandwatte entsprach, wie die Beklagte behauptet.

Erwägung 4

    4.- Durch die unlautere Wettbewerbshandlung, welche die Beklagte durch
den Vertrieb von Mischwatte unter der Bezeichnung Verbandwatte begeht, sind
die Klägerinnen als Konkurrenten der Beklagten in ihren wirtschaftlichen
Interessen zweifellos gefährdet. Denn es liegt auf der Hand, dass sich
die Beklagte durch diese Umgehung der auf den Vorschriften der Pharmakopöe
beruhenden Ordnung der Wattefabrikation einen ungerechtsfertigten Vorsprung
verschafft hat, zumal nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz
die Watte der Beklagten infolge der Beimischung von Zellwolle schöner
aussieht und einen höheren Glanz aufweist, so dass sie den Eindruck
eines besonders guten Erzeugnisses erweckt. Auf Grund der so gegebenen
Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Interessen sind die Klägerinnen gemäss
Art. 2 Abs. 1 UWG zum Vorgehen gegen die Beklagte legitimiert. Was die
Beklagte zur Bestreitung dieser Legitimation vorbringt, ist schon durch
die Vorinstanz mit zutreffenden Ausführungen widerlegt worden.

    Für die von der Beklagten gegenüber der Klägerin Nr. 1 erhobene
Einrede des Rechtsmissbrauches im Sinne von Art. 2 ZGB ist kein Raum. Da
die Beklagte festgestelltermassen unlauteren Wettbewerb zum Nachteil
der Klägerin Nr. 1 gegangen hat, ist diese befugt, die ihr deswegen
vom Gesetz eingeräumten Rechtsansprüche zu verfolgen. Darin, dass sie
von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, läge auch dann kein offenbarer
Rechtsmissbrauch, wenn sie gemäss der Behauptung der Beklagten ihrerseits
ebenfalls unlautere Wettbewerbshandlungen begangen haben sollte. Die
gegenteilige Ansicht der Beklagten würde dazu führen, dass das UWG keine
Anwendung fände, wenn sich zwei oder mehrere Konkurrenten gegenseitig mit
unlauteren Wettbewerbshandlungen bekämpfen. Es würden also ausgerechnet
diejenigen Fälle nicht erfasst, in denen der Wettbewerb in ganz besonderem
Masse ausgeartet und das Eingreifen des Richters somit am dringendsten
geboten ist. Das kann nicht der Wille des Gesetzgebers sein. Dieser
geht vielmehr dahin, dass im Interesse einer wirksamen Bekämpfung des
Wettbewerbsmissbrauchs in Fällen solcher Art jedem davon Betroffenen die
Möglichkeit offen steht, die ihm gemäss Gesetz zukommenden Ansprüche auf
dem Rechtsweg geltend zu machen (vgl. hiezu auch REIMER, Wettbewerbs-
und Warenzeichenrecht, 3. Aufl. 112. Kapitel S. 867). Es steht daher
der Beklagten frei, ihrerseits Klage aus unlauterem Wettbewerb gegen
die Klägerin Nr. 1 zu erheben, wenn diese tatsächlich in gleicher oder
ähnlicher Weise gegen die Vorschriften der Pharmakopöe verstossen haben
sollte, wie die Beklagte behauptet.

Erwägung 5

    5.- Da die Beklagte nach den vorstehenden Ausführungen durch die
Benennung ihrer Mischwatte-Produkte als Verbandwatte gegenüber den
Klägerinnen unlauteren oder doch zum mindesten unzulässigen Wettbewerb
begangen hat, ist in Übereinstimmung mit der Vorinstanz das auf Art. 2
Abs. 1 lit. a UWG gestützte Feststellungsbegehren zu schützen.

    Ebenso hat die Vorinstanz zu Recht der Beklagten die weitere
Verwendung der Bezeichnung "Verbandwatte" für Watteerzeugnisse mit
Kunstfasern-Beimischungen untersagt. Diese Entscheidung gilt auch für
die französische und italienische Bezeichnung "Coton hydrophile", bzw.
"Cotone idrofilo", die nach den zutreffenden Darlegungen der Vorinstanz
ebenfalls auf die medizinische Verwendbarkeit des Erzeugnisses hinweisen.

    Die Vorinstanz hat schliesslich auch die Publikation des
Urteilsdispositivs in verschiedenen Zeitungen angeordnet. Die Beklagte
beantragt, es sei selbst im Falle der Gutheissung der Feststellungs-
und Verbotsklage von einer Publikation abzusehen.

    Die Erwägungen, von denen sich die Vorinstanz bei ihrer Entscheidung
über die Urteilspublikation hat leiten lassen, stehen jedoch im
Einklang mit dem Zweckgedanken des Art. 6 UWG und der Rechtsprechung des
Bundesgerichts dazu (vgl. BGE 79 II 329). Die Beklagte hat während geraumer
Zeit unter Entfaltung einer umfangreichen Reklame Mischwatte im Widerspruch
zu den Vorschriften der Pharmakopöe als Verbandwatte vertrieben. Dies
musste notwendigerweise eine Unsicherheit über die Tragweite der
einschlägigen Vorschriften und über den Begriff "Verbandwatte" nach
sich ziehen. Da diese Unsicherheit den Bereich der Gesundheitspflege
betrifft, muss sie nicht nur im Interesse der benachteiligten Konkurrenten,
sondern auch im Interesse der Allgemeinheit möglichst umfassend behoben
werden. Hiezu genügt entgegen der Meinung der Beklagten die Mitteilung des
Urteils an die Pharmakopöe-Kommission nicht. Es ist vielmehr erforderlich,
dass die beteiligten Verkehrskreise unmittelbar aufgeklärt werden, was
am besten durch die Urteilsveröffentlichung in der von der Vorinstanz
verfügten Weise erreicht wird.

    Gegenüber dem dargelegten weitreichenden Interesse an der Beseitigung
jeder Unsicherheit ist von untergeordneter Bedeutung, ob und inwieweit
die Publikation des Urteilsdispositivs sich für die Beklagte nachteilig
auswirkt. Ihr Schaden wird übrigens nach der Erfahrung des Lebens entgegen
ihrer jeglicher Substanzierung entbehrenden Behauptung keinesfalls ein
Ausmass annehmen, das ihre Existenz in Frage zu stellen vermöchte.

    Unerheblich ist schliesslich, ob die Beklagte die unzulässigen
Wettbewerbshandlungen schuldhaft oder gutgläubig begangen hat. Wie in
BGE 79 II 329 mit einlässlicher Begründung dargelegt wurde, setzt die
Urteilspublikation nach Art. 6 UWG kein Verschulden des Urhebers der
unzulässigen Wettbewerbshandlung voraus, sondern es genügt für sie das
Bedürfnis nach der Beseitigung der durch jene hervorgerufenen Unsicherheit
auf dem betreffenden Wirtschaftsgebiet.