Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 II 570



81 II 570

86. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. September 1955
i.S. Möri gegen Möri. Regeste

    Bäuerlicher Grundbesitz. Art. 12 Abs. 1 EGG.  Vorkaufsrecht mit
Preisvergünstigung der Blutsverwandten in gerader Linie, sofern sie die
Liegenschaft zur Selbstbewirtschaftung beanspruchen. Diese muss ernstlich
gewollt und praktisch möglich sein.

Sachverhalt

    A.- Das umstrittene landwirtschaftliche Heimwesen in Epsach gehörte
von 1914 bis 1950 dem im Jahre 1885 geborenen Kläger, Vater Fritz
Möri-Struchen. Dieser verkaufte es am 28. Januar 1950 dem Beklagten, seinem
Sohne Fritz Möri-Lemp, zum Preise von Fr. 42'620.--. Am 17. April 1953
verkaufte der Beklagte es einem mit den Parteien nicht verwandten Hans Möri
für Fr. 110'000.-- weiter. Nun will der Kläger es zurückerwerben, indem
er ein Vorkaufsrecht nach dem Gesetz über die Erhaltung des bäuerlichen
Grundbesitzes (EGG) vom 12. Juni 1951, in Kraft seit dem 1. Januar 1953,
geltend macht.

    Der Kläger hatte dieses Heimwesen von 1914 bis 1933 mit Frau und Knecht
bewirtschaftet. Schon 1923 und dann nochmals 1933 (diesmal auf zwei Jahre)
wurde er in die Arbeitsanstalt St. Johannsen versetzt, weil er laut dem
Entscheid des Regierungsrates vom 27. Juli 1933 "sich fortgesetzt dem
Müssiggange und dem Trunke ergibt, wodurch er sich und seine Angehörigen
ökonomisch und sittlich gefährdet". Im Jahre 1935 entmündigte ihn das
Amtsgericht Nidau in Anwendung von Art. 370 ZGB, was der Appellationshof
des Kantons Bern am 15. März 1935 bestätigte mit Hinweis auf verschiedene
der Trunksucht zuzuschreibende Vorkommnisse, woraus sich eine Gefährdung
anderer Personen ergebe, während eine Verarmungsgefahr nicht direkt
dargetan sei. Das Heimwesen war 1933 verpachtet worden. Seither
bewirtschaftete der Kläger nur noch seinen Allmendanteil.

    Auf Drängen des Beklagten, der sich 1947 verheiratete, kam es am 28.
Januar 1950 zum Verkauf des Heimwesens an ihn, dem die vormundschaftlichen
Behörden zustimmten. Gegenstand des Verkaufes waren 518,16 Aren; drei
Jucharten behielt der Kläger für sich und bewirtschaftet sie noch heute mit
Hilfe anderer Landwirte. Im übrigen beschäftigte er sich mit Taglohnarbeit.
Er ist immer noch dem Trunk ergeben, wenn auch nicht im gleichen Masse
wie früher. Seine Frau hat ihn verlassen. Sein Hauswesen bot nach den
Aufnahmen des Erkennungsdienstes des Kantons Bern vom 14. Mai 1954 ein
Bild krasser Unordnung und Vernachlässigung. Die Vormundschaft besteht
weiter und kann nach Aussage des Präsidenten der Vormundschaftsbehörde
nicht aufgehoben werden.

    Der Beklagte liess sich nach dem Kauf der Liegenschaft in Epsach
nieder, um sie zu bewirtschaften. Indessen entschloss er sich dann zum
erwähnten Weiterverkauf, worauf mehrere seiner Verwandten Vorkaufsrechte
geltend machten, jedoch nur der Vater des Verkäufers Klage einreichte. Der
Kläger beansprucht das Heimwesen unter Anrufung von Art. 12 Abs. 1 EGG
zum Schätzungswert im Sinne des Bundesgesetzes vom 12. Dezember 1940 über
die Entschuldung landwirtschaftlicher Heimwesen (Entschuldungsgesetz),
da er es selber bewirtschaften wolle.

    B.- Das Amtsgericht von Nidau sprach die Klage zu und bestimmte
den Übernahmepreis auf Fr. 37'620.--. Der Appellationshof des Kantons
Bern, an den der Beklagte die Sache weiterzog, wies die Klage dagegen
mit Urteil vom 31. März 1955 ab, im wesentlichen aus folgenden
Gründen: Die blosse Erklärung eines Ansprechers, das Heimwesen zur
Selbstbewirtschaftung übernehmen zu wollen, genügt nicht zur wirksamen
Ausübung eines Vorkaufsrechtes gemäss Art. 12 EGG. Der Erklärung muss ein
tatsächlicher Wille zugrunde liegen, und ausserdem muss die beabsichtigte
Betriebsführung möglich sein. Nun hat das Beweisverfahren zwar keine
zwingenden Anhaltspunke dafür ergeben, dass der Kläger nicht beabsichtigte,
das Heimwesen selber zu bewirtschaften. Dagegen ist der heute 70-jährige
Kläger dazu ausserstande. Es geht ihm nicht nur die Fähigkeit zu eigener
selbständiger Bewirtschaftung eines solchen Heimwesens ab, sondern es
fehlen bei ihm auch die Voraussetzungen zur persönlichen Betriebsleitung
und damit zur Wirtschaftsführung mit Hilfskräften. Unter der Leitung
dieses seit 20 Jahren wegen Trunksucht, Misswirtschaft und Gefährdung der
Sicherheit anderer bevormundeten Mannes würde das Gewerbe wahrscheinlich
bald derart herabgewirtschaftet, dass es unter den Hammer käme. Gerade
das will das Bundesgesetz vom 12. Juni 1951 verhindern. Ob die Tochter
zum Kläger ziehen würde, ist fraglich. Übrigens kann der vorliegende
Landwirtschaftsbetrieb nach Ansicht eines sachverständigen Zeugen namens
Weber, der amtlicher Schätzer ist, mit einem Meisterknecht und mit der
Tochter nicht rentieren.

    C.- Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung an das Bundesgericht
eingelegt. Er erneuert die Begehren um Zuerkennung des Vorkaufsrechtes,
Bejahung des Vorkaufsfalles hinsichtlich der näher bezeichneten
Grundstücke, Schutz der dem Grundbuchverwalter abgegebenen Erklärung,
das Vorkaufsrecht zum Schätzungswert im Sinne des Entschuldungsgesetzes
auszuüben, und Feststellung des demgemäss zustande gekommenen
Eigentumserwerbes.

    D.- Der Beklagte beantragt Abweisung der Berufung und Bestätigung
des angefochtenen Urteils.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Ein gewöhnliches Vorkaufsrecht, d.h. das Recht, die Liegenschaft
zu den vom Beklagten mit dem Käufer vereinbarten Bedingungen zu erwerben,
wäre dem Kläger zweifellos zuzugestehen. Er könnte sich dafür auf Art. 6
EGG berufen. Denn ein landwirtschaftliches Gewerbe im Sinne dieses
Gesetzes liegt vor, auch gehört der Kläger zu den nach Art. 6 Abs. 1
EGG vorkaufsberechtigten Personen, und es stünde der Geltendmachung
dieses Rechtes keine der in Abs. 3 daselbst vorgesehenen Ausnahmen
entgegen. Endlich hat keiner der andern Verwandten des Käufers, die
anfänglich gleichfalls ein Vorkaufsrecht anmeldeten, gegenüber dessen
Bestreitung durch den Beklagten den Richter angerufen. Mit dem Kläger ist
also kein anderer Berechtigter, dessen Recht allenfalls dem seinigen nach
Art. 11 EGG vorginge, in Konkurrenz getreten.

Erwägung 2

    2.- Nun begnügt sich aber der Kläger nicht mit dem gewöhnlichen
Vorkaufsrecht, sondern nimmt die Preisvergünstigung in Anspruch, wie sie
Art. 12 EGG den Blutsverwandten des Verkäufers in gerader Linie gewährt,
sofern sie "die Liegenschaft zur Selbstbewirtschaftung beanspruchen". Den
Willen zur Selbstbewirtschaftung hat der Kläger bei der Anmeldung des
Vorkaufsrechtes kundgetan und im Prozesse bekräftigt. Dass dieser Wille
ernstlich vorhanden sei, nimmt wie das Amtsgericht auch der Appellationshof
an. Dieser verlangt jedoch ausser der Absicht der Selbstbewirtschaftung
die konkrete Möglichkeit, diese Absicht zu verwirklichen. Und er verneint
diese Anspruchsvoraussetzung, da dem 70-jährigen, seit 20 Jahren nach
Art. 370 ZGB bevormundeten Kläger jede Fähigkeit zur Leitung eines solchen
Betriebes fehle; eine Selbstbewirtschaftung durch ihn (mit Hilfskräften)
wäre von vornherein zum Misserfolg verurteilt. Dieser Betrachtungsweise
hält die Klägerschaft den Wortlaut von Art. 12 EGG entgegen. Danach sei im
Unterschied zu andern Bestimmungen desselben Gesetzes das Erfordernis der
Eignung nicht aufgestellt. Somit stünden die Fähigkeiten des Klägers gar
nicht zur Erörterung. Es genüge der ernstliche Wille, das Heimwesen zum
Selbstbetriebe zu übernehmen. Die Klägerschaft weist auf Kommentarstellen
hin, in denen dieselbe Ansicht zum Ausdruck komme (JOST, Handkommentar zum
EGG, N. 4 zu Art. 9: "Wo das Gesetz verlangt, dass der Vorkaufsberechtigte
die Liegenschaft zum Selbstbetrieb zu übernehmen hat, genügt wohl die
Absicht"; ähnlich ESCHER, 2. Aufl., N. 8 zu Art. 621 ZGB). Jene Stelle
ist aber in erster Linie auf die Art. 7 und 8 EGG zu beziehen; in den
betreffenden Fällen ist die Eignung des Anwärters ausdrücklich verlangt.
Tritt dazu der ernstliche Wille, so mag der Anspruch geschützt werden
und auch bleiben, selbst wenn der Selbstbetrieb sich dann nicht als
erfolgreich erweist. Auch die Alleinübernahme eines landwirtschaftlichen
Gewerbes nach bäuerlichem Erbrecht setzt in erster Linie die Eignung
des Ansprechers voraus (Art. 620 ZGB im ursprünglichen wie auch in
dem durch das Entschuldigungsgesetz abgeänderten Wortlaut). Die beiden
Kommentarstellen besagen somit nicht, dass es für den Selbstbetrieb nur auf
den Willen und nicht auf die Fähigkeit ankomme. JOST (aaO) fasst im übrigen
vor allem den Fall der Vortäuschung oder der dolosen Nichtverwirklichung
des Selbstbewirtschaftungswillens ins Auge, was hier nicht in Frage steht.
Richtigerweise ist Selbstbewirtschaftung, d.h. mindestens massgebende
Betriebsleitung (vgl. BGE 69 II 385 und 391), ohne gewisse persönliche
Fähigkeiten undenkbar. Wenn Art. 12 EGG bei Blutsverwandten in gerader
Linie auch nicht als besonderes Erfordernis die Eignung bezeichnet,
so hat das Gesetz doch zweifellos eine Selbstbewirtschaftung durch den
betreffenden Anwärter im Auge, die möglich und in sicherer Aussicht
stehen muss, sofern er es ernstlich will. Man kann sich deshalb fragen,
ob Art. 12 Abs. 1 EGG eine Lücke enthalte, die gemäss den Art. 7 und 8 EGG
dahin auszufüllen sei, dass auch hier Eignung des Ansprechers dargetan
werden müsse (so FRANZ EUGEN JENNY, Das bäuerliche Vorkaufsrecht,
Diss. 1955, S. 127). Aber auch wenn man dies nicht annimmt, ist die
Wendung "zur Selbstbewirtschaftung beanspruchen" nicht rein subjektiv
zu verstehen. Sie enthält das objektive Element des Selbstbetriebes, den
das Gesetz erleichtern und fördern will, und das subjektive Element einer
darauf gerichteten Absicht des Anwärters. Diese soll keineswegs mit einer
Preisvergünstigung belohnt werden, wenn sie auf Illusion beruht; sie bedarf
vielmehr der realen Grundlage. Nur wenn diese zusammen mit dem darauf
gerichteten Willen vorliegt, ist der Tatbestand gegeben, an den das Gesetz
die Preisvergünstigung für Blutsverwandte in gerader Linie knüpft. Nur
dann lässt sich der Zweck erreichen, um dessen willen das Preisprivileg
für solche Anwärter vorgesehen ist: ein voraussichtlich lebensfähiger
Selbstbetrieb. Auch wenn man davon ausgeht, der Anwärter brauche vorerst
seine Eignung nicht nachzuweisen noch auch nur glaubhaft zu machen, ist
er somit abzuweisen, falls sich ergibt, dass er wegen körperlichen oder
geistigen Ungenügens offensichtlich zur Selbstbewirtschaftung, d.h. zur
selbständigen Leitung des in Frage stehenden Betriebes, ausserstande ist.

    Die Klägerschaft gibt dies grundsätzlich selber zu, indem sie auf
Seite 4 der Berufungsschrift ausführt:

    "Selbstverständlich kann ein Anspruch auf Selbstbewirtschaftung
dann nicht gehört werden, wenn beim Ansprecher eine totale objektive
Unmöglichkeit zur Selbstbewirtschaftung vorliegt, wie z.B. Idiotie,
schwere körperliche Mängel, eine langjährige Freiheitsstrafe usw."

    Mit dieser Stellungnahme möchte die Klägerschaft freilich nur eine
völlige Unmöglichkeit als Grund zur Verweigerung des Preisprivilegs gelten
lassen. Die Unzulänglichkeit des Klägers, wie der Appellationshof sie
feststellt, gehe lange nicht so weit. Das Ergebnis der Beweiswürdigung,
wonach ein gedeihlicher Selbstbetrieb durch den Kläger ausgeschlossen
ist, macht aber den von ihm erhobenen Anspruch unbegründet, weil die
Selbstbewirtschaftung aller Voraussicht nach misslingen müsste und daher
zwar nicht "total", jedoch praktisch unmöglich ist.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes
des Kantons Bern, II. Zivilkammer, vom 31. März 1955 bestätigt.