Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 II 558



81 II 558

85. Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. Oktober 1955
i.S. Schweiz. Bundesbahnen gegen Brinkmann. Regeste

    Elektrizitätshaftpflicht.

    Unfall durch Berührung mit einer Stromübertragungs-Freileitung der SBB:

    Die Haftpflicht der Eisenbahnunternehmung als Betriebsinhaber der
Hochspannungsleitung beurteilt sich nach dem Elektrizitätsgesetz (vom
24. Juni 1902), nicht nach dem Eisenbahnhaftpfiichtgesetz (Erw. 1).

    Dritt- bzw. Selbstverschulden? (Erw.  3).

    Ermässigung des Schadenersatzes wegen nicht primär kausalen
Selbstverschuldens gemäss Art. 44 Abs. 1 OR in Verbindung mit Art.
36 Abs. 1 und 38 EIG? (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Im Herbst 1948 hatte das Malergeschäft des Johann Brinkmann
(Sohn) in Basel im Auftrag des Elektrizitätswerkes Basel die
Eisenmasten der Strassenbeleuchtung an der Brüglingerstrasse in
Basel neu anzustreichen. Diese Arbeit besorgten am 2. November
1948 als Angestellte des Geschäftes der damals 64-jährige Vater des
Geschäftsinhabers, Malermeister Karl Brinkmann, und der 27-jährige
Arbeiter Alfred Troesch. Sie benutzten dazu eine fahrbare mechanische
Leiter, die ausgezogen und hochgestellt 12 m Höhe erreicht. Wo die
Brüglingerstrasse, eine leichte Kurve beschreibend, auf einer Überführung
ein Gütergeleise der SBB schräg traversiert, wird sie ihrerseits in
8,64 m Höhe (unterster Draht) von einer jenem Geleise folgenden, vom
Unterwerk Muttenz nach dem Ruchfeld führenden Hochspannungsleitung der SBB
überquert, bestehend aus drei Kabeln mit 15'000 und zweien mit 33'000 Volt
Spannung. Die anzustreichenden Eisenmasten der Strassenbeleuchtung stehen
abwechslungsweise auf der rechten und der linken Strassenseite und sind
10,2 m hoch. Beim Manipulieren der beiden Maler mit der ausgezogenen Leiter
geriet diese in Berührung mit dem untersten Draht der Hochspannungsleitung
von 15'000 Volt, wodurch die beiden unter Strom gesetzt wurden. Troesch
wurde sofort getötet, Brinkmann schwer verletzt; es mussten ihm beide Füsse
und der rechte Arm amputiert werden und die linke Hand ist verstümmelt. Er
ist gänzlich arbeitsunfähig und erhält von der SUVA eine Invaliditäts-
und Hilflosenrente von 100% gemäss Art. 77 KUVG.

    B.- Auf eine Teilklage Brinkmanns wurden die beklagten SBB mit Urteil
des Zivilgerichtes des Kantons Basel-Stadt vom 21. Juni 1952 zur Zahlung
von Fr. 5'000.-- nebst Zins verurteilt. Eine von ihnen eingereichte
Appellation fiel wegen eines Formfehlers dahin.

    C.- Mit einer zweiten Klage (vom 14. Juli 1953) verlangte Brinkmann
Zahlung weiterer Fr. 13'723.55, wovon Fr. 10'000.-- als Genugtuungssumme,
nebst Zins sowie einer monatlichen vorauszahlbaren Rente von Fr. 200.--
ab 1. Juli 1953 bis zu seinem Ableben.

    Das Zivilgericht hiess in seinem (zweiten) Urteil vom 7. April 1954 die
Klage im Sinne der Zusprechung eines Kapitalbetrages von Fr. 2'283.55 nebst
Zins und einer monatlichen Rente von Fr. 80.- ab 1. April 1954 gut und wies
die weitergehenden Begehren - namentlich die Genugtuungsforderung - ab.

    Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt hat mit Urteil vom 10.
Juni 1955 in Abweisung der Appellation der Beklagten den erstinstanzlichen
Entscheid bestätigt.

    D.- Mit der vorliegenden Berufung beantragen die SBB Aufhebung dieses
Urteils und vollumfängliche Abweisung der (zweiten) Klage.

    Der Kläger trägt auf Bestätigung des Urteils an.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Unfall ist durch Berührung mit einer Starkstromleitung
entstanden, deren Eigentümer und Betriebsinhaber eine
Eisenbahnunternehmung ist. Die sich daher stellende Frage, ob er unter
das Eisenbahnhaftpflichtgesetz (EHG) oder unter das Elektrizitätsgesetz
(EIG) fällt, ist von der Vorinstanz zu Gunsten des EHG beanwortet worden,
und zwar - im Gegensatz zu OFTINGER, Haftpflichtrecht II 685 f., 758-60 -
unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 66 II 200
Erw. 1; 75 II 71 Erw. 1) und darauf, dass beide Parteien sich auf das
EHG beriefen, sowie mit dem Bemerken, dass es praktisch keine grosse
Rolle spiele, ob das eine oder das andere Gesetz angewendet werde,
da die Haftung des Betriebsinhabers in beiden im wesentlichen nach den
gleichen Gesichtspunkten geregelt sei. Die Berufungsklägerinnen fechten
dies nicht an, sondern erklären gegenteils, der Fall sei richtigerweise
nach dem EHG beurteilt worden.

    Gleichwohl hat das Bundesgericht die Frage des anwendbaren Rechtes
von Amtes wegen zu prüfen; es ist an die von den Parteien vorgebrachte
rechtliche Begründung nicht gebunden und in Bezug auf die rechtliche
Würdigung der Tatsachen frei (Art. 63 Abs. 1 und 3 OG).

    Im Gegensatz zur Vorinstanz ist im vorliegenden Falle der Auffassung
Oftingers der Vorzug zu geben. Der Hinweis auf die beiden zitierten
Bundesgerichtsentscheide ist nicht schlüssig. Im Falle der Eisenbahn
Freiburg-Murten-Ins (66 II 197) war der Verunfallte mit einer wenig
über dem Boden neben dem Geleise herlaufenden Stromzuführungsschiene
(Kontaktschiene), und im Falle Pavid c. CFF (75 II 68) mit dem Draht der
elektrischen Fahrleitung in Berührung gekommen. In beiden Fällen wurde
erklärt, eine dem Betrieb einer Eisenbahn innewohnende Gefahr im Sinne von
Art. 1 EHG sei nicht nur die aus der raschen Fortbewegung verhältnismässig
schwerer Massen mittelst geeigneter Kräfte, sondern auch die aus der für
die Traktion benützten Kraft direkt resultierende Gefahr; die zur Traktion
dienende elektrische Kraft bilde einen integrierenden Bestandteil des
Eisenbahnbetriebes, und die durch sie gegebene Gefahr bestehe auch in
den Intervallen zwischen den Durchfahrten der Züge (75 II 71).

    An dieser Auffassung vom Verhältnis des Stromes zum Bahnbetrieb bei
elektrischen Bahnen ist festzuhalten, aber wohlverstanden unter Beachtung
der in den beurteilten Tatbeständen liegenden Schranken. Sowohl die
Kontaktschiene als der Fahrdraht sind Anlagen, die den Strom unmittelbar an
die Triebfahrzeuge abzugeben haben, daher dem Geleise daneben bzw. darüber
in konstantem Abstand folgen, in ihrem ganzen Verlauf von einem Organ des
Triebfahrzeugs berührt werden und somit zum Bahnkörper, sei es zum Ober-
oder Unterbau, gehören.

    Anders war der Sachverhalt im vorliegenden Falle. Ursache
des Unfalls war nicht eine Fahrleitung der Bahn, sondern eine
Stromübertragungs-Freileitung, die Strom von 15 000 bzw. 33
000 Volt Spannung vom Unterwerk der SBB in Muttenz nach dem
Ruchfeld transportiert. Bei elektrisch betriebenen Bahnen wird die
Stromführungsanlage (Fahrleitung [Fahrdraht, Kontaktschiene]) aus einem
Kraftwerk (Produktionsstätte) über eine oder mehrere Übertragungsleitungen
und eine Anzahl daran angeschlossener, längs der Bahnstrecke in einem
bestimmten Abstand voneinander verteilter Unterwerke mit elektrischer
Energie in für den Betrieb passender Form (Stromart, Frequenz)
versorgt. Eine solche Übertragung- oder Speiseleitung kann oberirdisch als
Freileitung oder unterirdisch verkabelt geführt werden. Um eine derartige
Übertragungs-Freileitung handelt es sich bei der die Brüglingerstrasse
überquerenden Hochspannungsleitung. Eine solche ist etwas für sich und
bildet keinen integrierenden Teil des "équipement", der Betriebsanlage
der Eisenbahn im Sinne des Präjudizes 75 II 71. Die Gefahr, die durch
eine solche Hochspannungs-Freileitung gesetzt wird und die hier zum
Unfall geführt hat, ist genau die gleiche, ob nun der überführte Strom
am Ziel des Transportes, nach allfälliger Transformierung, schliesslich
einer Bahn für die Traktion, einer Giesserei für den Schmelzofen oder dem
Haushalt für den Kochherd dienen wird. Es ist nicht einzusehen, wieso ein
Unfall im erstern Falle dem EHG, in den letztern Fällen dem EIG unterstehen
sollte. Ansonst müssten konsequenterweise alle Hochspannungsfreileitungen
der SBB, z.B. die von ihrem Kraftwerk Vernayaz (VS) zum Unterwerk
Rupperswil (AG) führende, in die Eisenbahnhaftpflicht einbezogen werden,
ja schliesslich überhaupt alle Hochspannungsleitungen in der Schweiz;
denn durch sie fliesst nicht nur "eigener" Strom der Leitungseigentümer,
sondern diese stellen sie auch andern Stromproduzenten oder -Käufern,
worunter namentlich den SBB, zum Stromtransport zur Verfügung. Dies ist nun
zweifellos nicht mehr im gesetzlichen Ausdruck "Betrieb einer Eisenbahn"
(Art. 1 EHG) eingeschlossen. Einer Kraftübertragungsleitung ist auf den
grössten Strecken ihres Verlaufs gar nicht anzusehen, ob sie einer Bahn
gehört oder nicht, namentlich fehlen auch alle örtlich auffallenden,
auf das Vorhandensein einer Bahnanlage hinweisenden und warnenden
Merkmale wie Geleise und das Vorbeifahren von Zügen. Soweit der blossen
Übertragungsleitung an sich, fernab von jedem Bahnverkehr oder Bahnbau,
spezifische Betriebsgefahren innewohnen, sind es die gleichen wie für
andere Leitungseigentümer bzw. Strombezüger. Für alle diese Gefahren
sind eben die Haftpflichtbestimmungen des EIG da und daher diejenigen des
EHG unanwendbar. Die gegenteilige Auffassung liesse in Art. 27 ff. EIG
einen Vorbehalt zu Gunsten des EHG erwarten. Hat man es aber in casu
mit einer solchen Übertragungsleitung zu tun, so kann es wiederum keinen
Unterschied ausmachen, dass sie in jener Gegend zufällig einem Gütergeleise
der SBB folgt, vermutlich einfach weil diese so Entschädigungen für
Durchleitungsrechte auf fremdem Boden einsparen konnten; technisch hat
die Leitung mit dem Geleise, neben dem sie herläuft, nicht mehr zu tun
als mit irgend einem andern der SBB, sie gehört nicht zum Oberbau des
Bahnkörpers wie die Fahrleitung. Übrigens ist gerade an der Unfallstelle,
wo das Gütergeleise mit seinem Fahrdraht unter der Strasse durchgeführt
ist, auch jener bloss äusserliche Zusammenhang der Übertragungsleitung mit
dem Bahnkörper unterbrochen. Es sind mithin die Haftpflichtbestimmungen
des EIG anzuwenden.

Erwägung 2

    2.- Was die rein tatsächliche Frage des Hergangs des Unfalls betrifft,
hat sich das Bundesgericht nach Art. 63 Abs. 2 OG an die Feststellung der
Vorinstanz zu halten, wonach die Auszugleiter, nachdem die beiden Maler
sie ohne Störung unter der Hochspannungsleitung durchgeschoben hatten
und nun vom Mast 6 zum Mast 7 zu bringen suchten, bei Mast 6 infolge des
Quergefälles der Strasse sich in Bewegung setzte, trotz den Bemühungen
der Maler "ausriss" und beim Abrollen über die Strasse mit der Leitung in
Berührung kam. Der Standpunkt der Berufungsklägerinnen, die Annahme der
Vorinstanz beruhe auf offensichtlichem Versehen, ist nicht haltbar; auch
wenn am Mast 6 im Gegensatz zu den Masten südlich der Strassenüberführung
(Mast 5 und noch weiter südlich stehende) nicht angestrichen worden wäre,
was nach Feststellung des Zivilgerichts in seinem ersten Urteil den Akten
nicht zu entnehmen ist, so spräche dies noch nicht zwingend gegen die
Annahme, die Verunfallten hätten, aus irgend einem Grunde, die Leiter von
Mast 6 zu Mast 7 bringen wollen. Den Hergang zu rekonstruieren war Sache
der Beweiswürdigung, die der Vorinstanz zustand. Bei deren Feststellung
muss es daher sein Bewenden haben.

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 27 Abs. 1 EIG haftet der Betriebsinhaber für den
entstandenen Schaden, wenn er nicht beweist, dass der Unfall durch
höhere Gewalt oder durch Verschulden oder Versehen Dritter oder durch
grobes Verschulden des Verunfallten verursacht wurde. Die Bestimmung
entspricht nach Struktur und Inhalt derjenigen des Art. 1 Abs. 1 EHG; es
kann daher die zur letzteren Bestimmung ergangene, reichhaltigere Judikatur
herangezogen werden. Unterschiede liegen darin, dass als Ausschlussgrund
schon blosses Versehen Dritter, dagegen nur grobes Selbstverschulden des
Verunfallten genügt.

    a) Als Verschulden Dritter machen die Berufungsklägerinnen geltend
"die Leichtfertigkeit, mit welcher das Elektrizitätswerk Basel die
Malerarbeiten vergeben habe, ohne sich über die damit verbundenen Gefahren
Rechenschaft zu geben". Die verantwortlichen Stellen der SBB händigten
bei ähnlichen Arbeiten eine schriftliche Warnung aus und gestatteten in
der Regel nicht einmal ihrem eigenen, routinierten Personal, in einem
Bereiche von weniger als 3 m von der Leitung zu arbeiten; eine Warnung,
eine Fühlungnahme mit den SBB, eine kurze Stromausschaltung in den unteren
Drähten oder der Beizug eines Aufsehers - alles zumutbare Massnahmen -
hätten den Unfall vermeiden lassen.

    Die Vorinstanz hat diese Frage nicht behandelt. Dagegen hat
das Zivilgericht in seinem ersten Urteil (1952) eine Haftung des
streitberufenen Kantons als Eigentümers des Elektrizitätswerkes
abgelehnt, weil zwischen dem Mast 6 und der Hochspannungsleitung
genügend Zwischenraum bestehe, sodass eine Berührung der Leiter beim
Anstreichen des Mastes ausgeschlossen sei; eine Unterbrechung des Stromes
der SBB-Hochspannungsleitung wegen der Malerarbeit an jenem Mast wäre
eine überflüssige Massnahme gewesen. Erstere Feststellung ist, da vom
zweiten zivilgerichtlichen Urteil durch Verweisung und mit diesem vom
Appellationsgericht übernommen, für das Bundesgericht verbindlich. Der
von der Vorinstanz daran geknüpften Folgerung darf bei dieser
Sachlage beigepflichtet werden. Wenn im übrigen das Elektrizitätswerk
das Anstreichen der Lampenmasten, die ja selber keine strombedingten
Gefahrenquellen bildeten, einem in dieser Tätigkeit erfahrenen Malermeister
übergab, so brauchte es ihm nicht noch spezielle Warnungen mitzugeben. Dass
man eine hohe Leiter nicht im Luftraum herumbewegt, ohne sich genau
nach allfälligen Hindernissen umzusehen, darf bei einem Handwerker als
selbstverständlich vorausgesetzt werden. Jedenfalls kann keine Rede davon
sein, dass in einem allfälligen bezüglichen Verschulden oder Versehen des
Elektrizitätswerkes eine Unterbrechung des Kausalzusammenhanges zwischen
Betriebsgefahr der SBB-Leitung und Unfall erblickt werden könnte, sodass
jene nicht mehr als adäquate Ursache erschiene (vgl. OFTINGER I 89, II 775;
BGE 63 II 119 und die von der Vorinstanz in Erw. 3 zum EHG zit. Judikatur).

    Wenn ferner die Beklagten sich auf "ein allfälliges Mitverschulden"
des mitverunfallten Arbeiters Troesch als "eindeutiges Drittverschulden
im Sinne von Art. 1 Abs. 1 EHG" berufen, so gebricht es diesem Standpunkt
an jeder tatbeständlichen Substanzierung.

    b) Unter dem Gesichtspunkt des Selbstverschuldens käme die
Behauptung der Beklagten, dass der Hochspannungsleitung als solcher
und ihrer Beschaffenheit für den Unfall überhaupt keine ursächliche
Bedeutung zukomme, indem "die ihr innewohnende Gefahr als Ursache
gegenüber der Intensität des groben Selbstverschuldens der Verunfallten
gänzlich zurücktrete", allenfalls dann in Frage, wenn die beiden Maler
beim Passieren der Strasse mit der hochgestellten Leiter oben an die
Hochspannungsleitung angestossen wären. Diese Version aber ist von den
Vorinstanzen auf Grund ihrer Beweiswürdigung eben abgelehnt worden. Nach
deren tatsächlicher und damit für das Bundesgericht verbindlichen
Feststellung kam es zum Kontakt, weil die Leiter, nachdem ihre Verschiebung
über die Strasse anstandslos bewerkstelligt war, sich unerwartet zufolge
der Schwerkraft wieder in Bewegung setzte und den Männern über die Strasse
davonrollte. Der Vorinstanz ist daran beizupflichten, dass die Entfernung
der Radschuhe an sich kein Verschulden der Arbeiter darstellen konnte,
da die Leiter mit angelegten Radschuhen nicht hätte von der Stelle
bewegt werden können. Ebensowenig kann ein Verschulden darin erblickt
werden, dass es den Männern trotz allen Anstrengungen nicht gelang,
die ins Rollen geratene Leiter aufzuhalten, noch darin, dass sie in
dieser überraschenden Situation nicht daran dachten, sie loszulassen,
bevor sie die Hochspannungsleitung erreichte. Ein Fehler war es, die
Leiter nicht einzuziehen, bevor und solange die Radschuhe entfernt
sein mussten. Aber wiederum mit Recht weist die Vorinstanz darauf hin,
dass die gefährliche Stelle (unter der Leitung) bereits passiert war;
und wenn, wie das Zivilgericht im ersten Urteil annimmt, die beiden
Maler im Begriffe waren, "die Leiter bei Mast 6 aufzustellen und hierbei
die günstigste Lage auszuprobieren", so mussten sie dabei offenbar mit
der ausgezogenen Leiter den Standort noch verändern können. Jedenfalls
trifft zu, dass das gegen den Willen und die Anstrengungen der Männer
erfolgte Abfahren der Leiter von entscheidender kausaler Bedeutung für
den Unfall war und so das Zufallsmoment neben der durch den Betrieb (der
Starkstromanlage) der Beklagten geschaffenen Gefährdung eine wesentliche
Rolle spielte. Mit der Vorinstanz ist daher zu verneinen, dass die
einzige oder ausschliessliche Ursache des Unfalls in einem schuldhaften
Verhalten des Klägers liege. Dies aber müsste der Fall sein, damit das
Selbstverschulden sich als Befreiungsgrund auswirkte (OFTINGER I 89, II
776; BGE 42 II 393, 63 II 119; zum EHG: 66 II 200, 68 II 259, 69 II 262).

    Dazu kommt, wie bemerkt, dass nach Art. 27 Abs. 1 EIG nur grobes
Verschulden des Verunfallten als Befreiungsgrund wirkt. Die Rechtsprechung
war in dieser Hinsicht stets zurückhaltend (vgl. die Kasuistik bei
OFTINGER II 776, insbesondere BGE 42 II 393, wo die Entlastung abgelehnt
wurde trotz einer im Übereifer erfolgten Übertretung des Verbotes des
Vorgesetzten, sich beim Streichen eines Leitungsmastes den Drähten auf
weniger als 1 m Abstand zu nähern). Bei ihrem Versuche, das Verhalten des
Klägers als grob fahrlässig zu qualifizieren, unterschätzen die Beklagten
die Rolle des von der Vorinstanz mit Recht hervorgehobenen Zufallsmomentes,
dass die Leiter den Arbeitern "ausriss" in einem Zeitpunkt, da die
erkennbare Gefahrsituation bereits hinter ihnen lag, und dass dies nicht
geschehen wäre, wenn nicht die Strasse wegen der Kurve stark überhöht wäre.

    Endlich ist auch nicht bekannt, was während der wenigen Sekunden
des Unfallvorgangs einerseits der Kläger, anderseits Troesch getan bzw.
unterlassen hat.

    Mangels solcher Kenntnis könnten allfällige unzweckmässige Handlungen
oder Unterlassungen nicht einfach dem Kläger als dem Meister zur Last
gelegt werden, denn bei der Schnelligkeit des Hergangs kam es für die
Verteilung der Pflichten weniger auf das Dienstverhältnis als darauf an,
wo im gegebenen Augenblick jeder gerade stand.

    Es kann mithin darin, dass die Vorinstanz ein die einzige Unfallursache
bildendes, grobes Verschulden des Klägers als nicht nachgewiesen erachtet
hat, keine Verletzung von Bundesrecht erblickt werden.

Erwägung 4

    4.- Die Vorinstanz hat ferner die Frage einer Reduktion des
Schadenersatzes "wegen eines zwar beachtlichen, aber nicht primär
kausalen schuldhaften Verhaltens gemäss Art. 5 EHG" geprüft und verneint.
Eine entsprechende Bestimmung enthält das EIG nicht; doch verweist dessen
Art. 36 Abs. 1 "für die Bemessung der Entschädigungen" auf die Bestimmungen
des Obligationenrechts. Unter diese ist (mit OFTINGER I 200) auch Art. 44
Abs. 1 OR zu rechnen, wonach der Richter, wenn Umstände, für die der
Geschädigte einstehen muss, auf die Entstehung des Schadens eingewirkt
haben, die Ersatzpflicht ermässigen kann. Dabei hat er gemäss Art. 38 EIG
"über die Höhe des Schadenersatzes nach freier Würdigung des gesamten
Inhalts der Verhandlungen zu entscheiden". Wie bei der Anwendung von
Art. 6 EHG ist auch bezüglich Art. 44 Abs. 1 OR und 38 EIG Zurückhaltung
am Platze; es kommt nur ein erhebliches Selbstverschulden in Frage. Ein
solches ist jedoch mit der Vorinstanz zu verneinen. Beizupflichten ist ihr
auch in der Annahme, ein allfälliges leichtes Mitverschulden des Klägers
würde jedenfalls dadurch aufgehoben, dass die Beklagte keine geeigneten
Sicherungsmassnahmen gegen Berührung mit der Hochspannungsleitung über der
Strasse, z.B. ein Sicherungsnetz, anbrachte. Gewiss wurde der vorliegende
Unfall nicht durch das Herabfallen von Drähten verursacht; aber das
Vorhandensein eines solchen Auffangnetzes hätte wahrscheinlich auch die
Berührung zwischen Drähten und Leiter verhindert. Dieser Erwägung steht
nicht entgegen, dass die Anbringung solcher Sicherungsnetze nirgends
vorgeschrieben ist; wer eine Gefahrenquelle setzt, ist auch ohne spezielle
Vorschrift einer bestimmten Schutzmassnahme verpflichtet, das zur Abwendung
oder Eindämmung der Gefahr Geeignete vorzukehren. Es liegt mithin auch
kein Anlass zur Herabsetzung des Schadensbetrages vor.

    Übrigens genügen die (nicht im formellen Berufungsantrag, sondern nur
in der Begründung, lit. D und F in fine) angebrachten Eventualbegehren
auf "ganz erhebliche Herabsetzung der Entschädigung" bzw. "gebührende
Kürzung der Schadensberechnung" nicht dem Erfordernis genauer Angabe der
Abänderungsanträge (Art. 55 Abs. 1 lit. b. OG), wozu bei Geldforderungen
ziffernmässige Nennung eines Betrages gehört (BGE 75 II 334, 80 II 323).

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationsgerichtes
des Kantons Basel-Stadt vom 10. Juni 1955 bestätigt.