Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 II 544



81 II 544

82. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 3. November 1955
i.S. Ostroumov gegen Bryner und Konsorten. Regeste

    Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Art. 814 OR).  Gesetzlich ist es
zulässig, die einem Gesellschafter der GmbH. durch Gesellschaftsbeschluss
übertragene Geschäftsführung und Vertretung ohne wichtigen Grund zu
entziehen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Zu entscheiden ist einzig die Frage, ob der Beklagte als
Geschäftsführer und Vertreter der Bryner & Co. GmbH. durch blossen
Mehrheitsbeschluss der Gesellschafter abberufen werden konnte oder ob
der Entzug seiner Geschäftsführungsbefugnis nur aus wichtigen Gründen
möglich war.

    Die zwiespältige Natur der GmbH. als Mischform zwischen Personen-
und Kapitalgesellschaft zeigt sich auch in der gesetzlichen Regelung
der Geschäftsführung und Vertretung. Sie steht grundsätzlich allen
Gesellschaftern gemeinsam zu (Art. 811 Abs. 1 OR) und kann wie bei
der Kollektivgesellschaft nur aus wichtigen Gründen entzogen werden
(Art. 814 Abs. 2 OR). Sie kann aber durch die Statuten oder durch
Gesellschaftsbeschluss einem oder mehreren Gesellschaftern (Art. 811
Abs. 2) oder, in Abweichung vom Recht der Personengesellschaft, an Dritte,
die Nichtgesellschafter sind (Art. 812 Abs. 1), übertragen werden. Für
den Fall der Übertragung der Geschäftsführung an Dritte bestimmt Art. 814
Abs. 3 OR, dass sie durch Gesellschaftsbeschluss jederzeit entzogen werden
kann; dagegen ist die Abberufung des durch Gesellschaftsbeschluss zur
Geschäftsführung berufenen Gesellschafters gesetzlich nicht ausdrücklich
geregelt.

    In den Beratungen der Expertenkommission war eine vollständigere
Fassung des Gesetzestextes vorgeschlagen und grundsätzlich beschlossen
worden. Darnach sollte die Geschäftsführung und Vertretung den
statutarisch dazu berechtigten Gesellschaftern nur aus wichtigen
Gründen entzogen werden dürfen, während den vertraglich beauftragten
Gesellschaftern und Dritten gegenüber der Entzug jederzeit möglich sein
sollte. Diese Auffassung fand dann aber im Gesetz keinen ausdrücklichen
Niederschlag, und zwar offenbar deshalb, weil der Referent, dem die
Formulierung überlassen wurde, die Meinung vertrat, es sei den Statuten
vorzubehalten, ob die Geschäftsführungsbefugnis der Gesellschafter frei
widerruflich sein solle (Protokoll 1924 /25 S. 502 ff.).

    Aus dem geltenden Gesetzestext und seiner Entstehungsgeschichte
folgt entgegen der Ansicht des Beklagten nicht zwingend, dass Art. 814
Abs. 2 OR für den Entzug der Geschäftsführung und Vertretung eines
Gesellschafters schlechthin gelte. Schon aus der in dieser Bestimmung
gebrauchten Wendung, "unter den Gesellschaftern" seien die Vorschriften der
Kollektivgesellschaft anwendbar, ist zu schliessen, dass das Gesetz hier
nur den Fall der gemeinsamen Geschäftsführung durch alle Gesellschafter im
Sinne des Art. 811 Abs. 1 OR im Auge hatte. Wo aber eine davon abweichende
Regelung getroffen wird, ist die Art der Begründung der Geschäftsführung
für die Frage ihres Entzuges von Bedeutung. Die einem Gesellschafter
durch das Gesetz oder die Statuten übertragene Geschäftsführung ist eine
gesellschaftsrechtliche und bleibt deshalb grundsätzlich unwiderruflich,
es sei denn, dass wichtige Gründe vorliegen (Art. 539 OR). Anders
verhält es sich, wenn einem Gesellschafter die Geschäftsführung bloss
durch Gesellschaftsbeschluss eingeräumt wird. Durch ihn wird nicht
ein gesellschaftsrechtliches, nur aus wichtigen Gründen entziehbares
Recht zur Geschäftsführung begründet, sondern bloss ein vertraglicher
und folglich widerruflicher Anspruch, wie ihn der zur Geschäftsführung
berufene Nichtgesellschafter besitzt. Gesetzlich besteht daher kein
Hinderungsgrund, die einem Gesellschafter durch Gesellschaftsbeschluss
übertragene Geschäftsführung ohne wichtigen Grund zu entziehen.

    Die Statuten der Bryner & Co. GmbH. bestimmen, dass die
Geschäftsführung einer oder mehreren Personen übertragen werde, die nicht
notwendig Gesellschafter zu sein brauchen (Art. 14). Sie schliessen
also einen gesellschaftsrechtlichen, durch Gesetz oder Statuten
begründeten Anspruch der Gesellschafter auf die Geschäftsführung
aus und sehen einzig deren Übertragung durch Vertrag (Beschluss)
vor. Überdies zeigt ihr Wortlaut, dass die geschäftsführenden
Gesellschafter den als Geschäftsführer ernannten Dritten grundsätzlich
gleichgestellt werden wollten. Es war somit zulässig, dem Beklagten die
Geschäftsführung und Vertretung ohne Nachweis eines wichtigen Grundes
durch Gesellschaftsbeschluss zu entziehen. Dass dazu ein Mehrheitsbeschluss
genügte und gültig zustande gekommen ist, ist unbestritten, ebenso, dass
der Beschluss, durch den der Beklagte zum Geschäftsführer ernannt worden
war, dessen Abberufung keinen Einschränkungen unterwarf.