Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 II 495



81 II 495

77. Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Oktober 1955 i. S. Dobler
gegen Dobler und Konsorten. Regeste

    1.  Ort der Erbschaftseröffnung. Art. 5 des Gerichtsstandsvertrages
vom 15. Juni 1869 zwischen der Schweiz und Frankreich. Art. 538 ZGB und
Art. 23 NAG.

    a)  Die erwähnte staatsvertragliche Norm ist nicht anwendbar,
wenn der Erblasser im massgebenden Zeitpunkt seines Todes
schweizerisch-französischer Doppelbürger war.

    b)  Der Ort der Erbschaftseröffnung und der daran anknüpfende
Gerichtsstand der Erbschaft ist der Verfügung des Erblassers entzogen.

    c)  Die Unterstellung der Erbfolge unter das Heimatrecht gemäss
Art. 22 Abs. 2 NAG hat auf die örtliche Zuständigkeit keinen Einfluss.

    2.  Schweizer mit Wohnsitz im Ausland. Zuständigkeit der Behörden
des Wohnsitzstaates gemäss Art. 28 NAG.

Sachverhalt

    A.- Frau Alice Stéphanie Dobler-Sengel, geboren 1861, verlor durch ihre
Heirat mit dem Schweizerbürger Louis Ferdinand Dobler im Jahre 1885 ihre
französische Nationalität und wurde Basler Bürgerin. Durch einen in Paris
am 4. Juli 1885 vor der Heirat abgeschlossenen Ehevertrag vereinbarten die
Brautleute die Gütergemeinschaft des Basler Rechtes. Das Ehepaar hatte
seinen Wohnsitz ständig in Paris. Am 22. November 1934 errichtete Frau
Dobler-Sengel ein Testament, in dem sie den Notar Dr. Samuel Burckhardt
in Basel als Willensvollstrecker bezeichnete und die Erbfolge in ihren
Nachlass den Gesetzen des Kantons Basel-Stadt unterstellte. Im folgenden
Jahre suchte sie bei den französischen Behörden die Wiederaufnahme in
das französische Bürgerrecht nach, die ihr 1937 gewährt wurde. Fortan war
sie, da sie das durch die Heirat erworbene Schweizerbürgerrecht daneben
behielt, Doppelbürgerin.

    B.- Im Alter von 90 Jahren am 16. November 1951 an ihrem Wohnort Paris
gestorben, hinterliess Frau Dobler-Sengel als Erben ihren Ehemann, den
Sohn Jean und die Tochter Alice. Unter den Erben erhob sich Streit darüber,
wer für die Behandlung des Nachlasses zuständig sei. Das im Dezember 1951
mit der Angelegenheit befasste Erbschaftsamt von Basel-Stadt eröffnete das
Testament, erklärte sich dann aber mit Rücksicht auf die der Erblasserin
neben der schweizerischen zugekommene französische Nationalität als
unzuständig, die vom Sohn der Erblasserin, Jean Dobler, am 24. April 1954
verlangten Massnahmen zur Sicherung des Erbganges zu treffen und namentlich
ein Inventar aufzunehmen. Die von Jean Dobler bei der Aufsichtsbehörde
über das Erbschaftsamt erhobene Beschwerde wurde am 5. November 1954
abgewiesen, und am gleichen Tage wurde auf eine zweite Beschwerde des
Jean Dobler über eine vom Willensvollstrecker getroffene Anordnung über
die schweizerischen Werte des Nachlasses nicht eingetreten. Gegen beide
Entscheide rekurrierte Jean Dobler an den Appellationsgerichtsausschuss,
der aber mit Entscheid vom 11. Januar 1955 die örtliche Zuständigkeit
des Basler Erbschaftsamtes zu den in Frage stehenden Massnahmen
gleichfalls verneinte; er wies die Aufsichtsbehörde bloss an, die gegen
den Willensvollstrecker geführte Beschwerde materiell zu beurteilen,
soweit sie dingliche Rechte an schweizerischen Liegenschaften betrifft.

    Dabei stimmte der Appellationsgerichtsausschuss der Entscheidung
des Tribunal civil de la Seine vom 17. Dezember 1954 zu, das sich zur
Beurteilung einer am 12. April 1954 vom Witwer Louis Ferdinand Dobler
und von der Tochter Alice Dobler gegen Jean Dobler eingereichten Klage
"aux fins de compte, liquidation et partage, tant de la communauté ayant
existé entre Alice SENGEL et son époux survivant que de la succession
d'Alice SENGEL" als zuständig erklärte und die von Jean Dobler erhobenen
Einreden der Unzuständigkeit der französischen Gerichte und der in Basel
gültig begründeten Rechtshängigkeit verwarf.

    C.- Gegen das Urteil des Appellationsgerichtsausschusses hat Jean
Dobler Nichtigkeitsbeschwerde gemäss Art. 68 OG eingereicht mit dem Antrag,

    "es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und das Erbschaftsamt
Basel-Stadt zur Behandlung des Nachlasses der am 16. November 1951 in
Paris verstorbenen Frau Alice Dobler-Sengel, insbesondere zur Anordnung
sichernder Massnahmen (ZGB Art. 551) und zur Aufnahme des Inventars
(E inf.G. zum ZGB § 136) über den gesamten Nachlass der Verstorbenen
zuständig zu erklären; unter Kosten- und Entschädigungsfolge." D. -
Die Beschwerdegegner Louis Ferdinand Dobler und Alice Dobler tragen auf
Abweisung der Beschwerde an. Der Willensvollstrecker enthält sich eines
Antrages.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer will als für die Zuständigkeit zur Behandlung
des gesamten Nachlasses seiner Mutter massgebend deren schweizerischen
Bürgerort Basel betrachtet wissen. Denn für die schweizerischen Behörden
falle in erster Linie die schweizerische Nationalität dieser Doppelbürgerin
in Betracht. Der Heimatort Basel habe nach Art. 5 Abs. 1 des zwischen
der Schweiz und Frankreich abgeschlossenen Gerichtsstandsvertrages vom
15. Juni 1869 als Ort der Erbschaftseröffnung und damit als Gerichtsstand
für erbrechtliche Klagen zu gelten. Diese Bestimmung lautet:

    "Jede Klage betreffend Liquidation oder Teilung einer Erbschaft, sei
es in Folge von Testament oder von Intestaterbrecht, und betreffend die
Abrechnung zwischen Erben und Legataren, ist vor dem Gerichte des Ortes
geltend zu machen, wo die Erbschaft eröffnet worden ist, und zwar, wenn es
sich um die Verlassenschaft eines Franzosen handelt, der in der Schweiz
verstorben ist, vor dem Gerichte seines letzten Wohnortes in Frankreich,
und wenn es sich um die Verlassenschaft eines Schweizers handelt, der in
Frankreich verstorben ist, vor dem Gerichte seines Heimatortes. Immerhin
müssen für die Teilung und für die Veräusserung von Immobilien die Gesetze
des Landes, wo dieselben liegen, beobachtet werden."

    "Toute action relative à la liquidation et au partage d'une succession
testamentaire ou ab intestat et aux comptes à faire entre les héritiers ou
légataires sera portée devant le tribunal de l'ouverture de la succession,
c'est-à-dire, s'il s'agit d'un Français mort en Suisse, devant le tribunal
de son dernier domicile en France, et s'il s'agit d'un Suisse décédé en
France, devant le tribunal de son lieu d'origine en Suisse. Toutefois
on devra, pour le partage, la licitation ou la vente des immeubles,
se conformer aux lois du pays de leur situation."

    Diese Vorschrift wäre zweifellos in dem vom Beschwerdeführer
vertretenen Sinn anwendbar, wenn die in Paris wohnhaft gewesene Erblasserin
nur die durch ihre Heirat erworbene schweizerische und nicht seit 1937
ausserdem die französische Nationalität gehabt hätte. Auf die Erbschaft
eines Doppelbürgers aber, der sowohl Schweizer wie auch Franzose war,
kann nach der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden grundsätzlichen
Entscheidung (BGE 43 I 90 ff.) Art. 5 des Gerichtsstandsvertrages nicht
angewendet werden, so wenig wie dessen Art. 1 ff. sich auf persönliche
Klagen zwischen zwei Parteien beziehen lassen, deren eine zugleich die
schweizerische wie auch die französische Nationalität hat (BGE 76 I 34
ff. mit zahlreichen Literaturangaben). Daran ist festzuhalten, speziell was
Art. 5 des Staatsvertrages betrifft. Denn, wie im ersterwähnten Präjudiz
dargetan ist, hat die in Frage stehende Vorschrift nur zwei Fälle im Auge:
Klagen betreffend die Erbschaft eines in der Schweiz verstorbenen Franzosen
(sie sind an dessen letztem Wohnort in Frankreich anzubringen) und Klagen
betreffend die Erbschaft eines in Frankreich verstorbenen Schweizers
(wofür die Gerichte an dessen schweizerischem Heimatort zuständig
sind). Sie lässt sich vernünftigerweise nicht auf die Erbschaft eines
Doppelbürgers beziehen, der das schweizerische wie auch das französische
Bürgerrecht besitzt. Wollte man ihr eine solche Erbschaft unterstellen, so
ergäben sich zwei miteinander konkurrierende Gerichtsstände. Die einen
Streitigkeiten über dieselbe Erbschaft könnten in der Schweiz, die
andern in Frankreich ausgetragen werden. Ja es liesse sich die nämliche
Streitfrage mit vertauschten Parteirollen zugleich vor den schweizerischen
und den französischen Richter bringen, wobei sich der eine wie der andere
Richter, weil er den Erblasser als Bürger seines Staates zu betrachten
hätte, als ausschliesslich zuständig erklären und die Hängigkeit des
Streites im andern Staate als unbeachtlich bezeichnen würde. Eine solche
doppelte Zuständigkeit zu begründen, ist zweifellos nicht der Wille von
Art. 5 des Gerichtsstandsvertrages. Diese Vorschrift will den Ort der
Erbschaftseröffnung eindeutig in das Gebiet des einen oder des andern
Vertragsstaates weisen, je nachdem ob der Erblasser Franzose oder aber
Schweizer war. Mit Doppelbürgern, die den beiden Staaten angehörten,
befasst sich diese Vorschrift nicht. Sie ist somit auf solche Fälle nicht
anzuwenden. Vielmehr haben die Behörden eines jeden der beiden Staaten
auf die Erbschaft eines Doppelbürgers ihre eigenen Kollisionsnormen
anzuwenden, wie sie sich aus der Landesgesetzgebung ergeben oder durch
Ausfüllung von Lücken dieser Gesetzgebung festzusetzen sind.

    Der Beschwerdeführer hält dafür, das französische Bürgerrecht seiner
Mutter falle ausser Betracht, weil es erst im Verlauf der Ehe zu dem durch
die Heirat erworbenen schweizerischen Bürgerrecht hinzugekommen sei. Allein
es sind die beim Tod eines Erblassers bestehenden Verhältnisse massgebend.
Daher ist auf das Doppelbürgerrecht der Frau Dobler-Sengel Rücksicht zu
nehmen, gleichwie wenn sie ihr angestammtes französisches Bürgerrecht beim
Eheabschluss nicht verloren hätte und während des ganzen Bestandes der
Ehe Doppelbürgerin gewesen wäre. Das entspricht auch dem Standpunkt der
französischen Gerichte. Sie haben - und zwar auch die von Jean Dobler
gegenüber dem Urteil des Tribunal civil de la Seine angerufene Cour
d'Appel de Paris mit Entscheidung vom 21. Juni 1955 - die Erblasserin
als Französin betrachtet und daher der Nichtanwendung von Art. 5 des
Gerichtsstandsvertrages durch die Basler Behörden zugestimmt. Eine
Frage für sich ist, ob eine in Frankreich erfolgte Zwangseinbürgerung
eines Schweizers allenfalls von den schweizerischen Behörden nicht
zu berücksichtigen wäre. Hier handelt es sich aber nicht um eine der
Erblasserin aufgezwungene, sondern um eine von ihr (durch eine "supplique
rédigée en termes élevés", wie das Urteil des Tribunal civil de la Seine
ausführt) nachgesuchte Wiederaufnahme in das angestammte, seinerzeit
durch die Heirat mit einem Schweizer verlorene Bürgerrecht. Übrigens
erschiene selbst dann, wenn die Erblasserin von ihrem Wohnsitzstaat ohne
oder sogar gegen ihren Willen eingebürgert worden wäre, als fraglich,
ob es den schweizerischen Behörden zustünde, einen schweizerischen Ort
der Erbschaftseröffnung gestützt auf Art. 5 des Gerichtsstandsvertrages
in Anspruch zu nehmen und damit einen positiven Kompetenzkonflikt mit
den französischen Behörden zu schaffen. Das mag jedoch unerörtert bleiben.

    Auch der vom Beschwerdeführer hervorgehobene Umstand, dass in erster
Linie der von den Eheleuten Dobler-Sengel angenommene baselstädtische
Güterstand zu liquidieren sein werde, und dass die Erblasserin die Erbfolge
in ihren Nachlass testamentarisch dem Rechte des Kantons Basel-Stadt
unterstellt habe, rechtfertigt es nicht, diese Doppelbürgerin nur als
Schweizerin zu betrachten und Art. 5 des Gerichtsstandsvertrages auf ihre
Erbschaft anzuwenden. Für den Ort der Erbschaftseröffnung ist der eheliche
Güterstand ohne Belang, und die Unterstellung der Erbfolge unter das
Heimatrecht im Sinne von Art. 22 Abs. 2 NAG (vgl. auch STAUFFER, N. 1 und 2
zu Art. 5 NAG) kann sich nur auf das anzuwendende Recht beziehen. Der Ort
der Erbschaftseröffnung und die an diesen Ort anknüpfenden Gerichtsstände
sind der Verfügung des Erblassers entzogen, wie denn weder Art. 5 des
Gerichtsstandsvertrages noch die Art. 23 NAG und Art. 538 ZGB derartige
Verfügungen vorbehalten (vgl. auch TUOR, N. 3 zu Art. 538 ZGB).

Erwägung 2

    2.- Der mangels einer auf die Erbschaft eines Doppelbürgers anwendbaren
staatsvertraglichen Norm massgebende Art. 28 NAG (vgl. BGE 43 I 90 ff.,
besonders 98) anerkennt die am letzten Wohnsitz des "Schweizers im
Ausland" geltende Zuständigkeit der dortigen Behörden (ausser für die
in der Schweiz gelegenen Grundstücke, worauf der angefochtene Entscheid
gleichfalls Bedacht nimmt). Aus den die nämlichen Parteien betreffenden
Urteilen der französischen Gerichte geht hervor, dass die Zuständigkeit
am letzten Wohnsitz der Erblasserin, in Paris, nach der französischen
Gesetzgebung in der Tat begründet ist (was denn auch nach Art. 110 des
Code civil in Verbindung mit Art. 59 al. 6 des Code de procédure civile
ausser Zweifel steht). Somit ist der vom Beschwerdeführer beanspruchte
schweizerische Heimatgerichtsstand nach Art. 28 Ziff. 2 NAG nicht gegeben.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen und der Entscheid des
Appellationsgerichtsausschusses des Kantons Basel-Stadt vom 11. Januar
1955 bestätigt.