Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 II 391



81 II 391

60. Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Oktober 1955 i. S. Guaranty AG
gegen "Astra", Gesellschaft für internationalen Handel und Vertretungen.
Regeste

    Internationales Privatrecht. Rück- und Weiterverweisungen der
Rechtsordnung, auf die die Parteien sich geeinigt haben oder mit der ihr
Rechtsverhältnis räumlich am engsten zusammenhängt, sind nicht zu beachten.

Sachverhalt

    A.- Die "Astra", Gesellschaft für internationalen Handel und
Vertretungen, Zagreb, kam im Juni 1953 mit der Guaranty AG, Zürich,
überein, an einen von dieser zu bezeichnenden Dritten aus dem
italienisch-jugoslawischen Verrechnungsverkehr Lit. 60'000,000 zu bezahlen.

    Die Guaranty AG versprach der Astra als Gegenleistung, in Zürich
freie Dollars 88'888 zu entrichten und eine entsprechende Bankgarantie
sowie eine sogenannte formelle Warenlieferungsgarantie zu beschaffen. Die
Guaranty AG liess beide Garantien durch eine Bank leisten, erhielt jedoch
von der Astra die Mitteilung, die jugoslawische Nationalbank verweigere
die Annahme der Warenlieferungsgarantie. Nach Ansetzung einer Frist zur
Auszahlung der Lire erklärte die Guaranty AG am 10. August 1953, auf
diese Leistung zu verzichten und Schadenersatz wegen Nichterfüllung zu
verlangen. Sie klagte solchen in der Folge in der Höhe von Fr. 31'343.08
nebst Zins in Zürich als dem Gerichtsstand des Arrestes ein.

    B.- Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies am 20.  Juni 1955 die
Klage ab. Es wandte mit folgender Begründung schweizerisches Recht an:
Das Rechtsverhältnis sei ein Kaufvertrag, und typische Leistung bilde
die von der Beklagten versprochene Auszahlung von Lit. 60'000,000. Da
diese in italienischer Währung und gemäss Weisung der Klägerin in
Mailand zu erfolgen gehabt habe, bestehe die verhältnismässig engste
räumliche Beziehung des Rechtsverhältnisses zu Italien und es wäre somit
italienisches Recht anzuwenden. Dieses verweise aber durch Art. 25 der
einleitenden Bestimmungen des italienischen Zivilgesetzbuches auf den
Abschlussort (hier Zürich).

    C.- Die Guaranty AG legte Nichtigkeitsbeschwerde an das
Kassationsgericht des Kantons Zürich und Berufung an das Bundesgericht ein.

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wurde am 6. September 1955 abgewiesen,
soweit das Kassationsgericht auf sie eintrat.

    Mit der Berufung wird beantragt, die Klage sei gutzuheissen, eventuell
seien die Akten zu neuer Entscheidung an das Handelsgericht zurückzuweisen.

    D.- Die Astra beantragt, die Berufung sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Da nach Art. 43 Abs. 1 OG das Bundesgericht über die materiellen
Rechtsfolgen des streitigen Verhältnisses nur zu urteilen hat, wenn dieses
dem schweizerischen Recht untersteht, ist von Amtes wegen zu prüfen,
welches Recht anwendbar ist (BGE 78 II 77).

Erwägung 2

    2.- Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts unterstellt das
internationale Schuldrecht der Schweiz den Vertrag hinsichtlich seiner
Wirkungen dem Rechte, das die Parteien anlässlich des Abschlusses
ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart haben, und mangels einer
Vereinbarung dem Rechte jenes Staates, mit dem der Vertrag räumlich am
engsten zusammenhängt (BGE 78 II 77 f.).

    Die Guaranty AG und die Astra haben sich weder ausdrücklich noch
stillschweigend auf ein bestimmtes Recht geeinigt. Unter dem Gesichtspunkt
der räumlichen Beziehungen des Rechtsverhältnisses aber ist italienisches
Recht anzuwenden. Für dieses sprechen die Leistung, welche die Beklagte
der Klägerin versprochen hat, und der Ort, an dem sie zu erbringen war:
Die Klägerin hatte Anspruch darauf, dass italienische Währung aus einem
im jugoslawisch-italienischen Verrechnungsverkehr entstandenen Guthaben
an einen von ihr in Italien bezeichneten Dritten gelange. Insofern hält
die Auffassung der Vorinstanz vor dem eidgenössischen Rechte stand.

Erwägung 3

    3.- Nicht beizupflichten ist dem Handelsgerichte dagegen darin,
dass schweizerisches Recht angewendet werden müsse, weil Art. 25 der
einleitenden Bestimmungen des italienischen Zivilgesetzbuches das am Orte
des Vertragsschlusses geltende Recht angewendet wissen wolle, wenn die
Parteien nicht einem gemeinsamen Heimatrecht unterstehen.

    Dass diese Verweisung nicht zu beachten wäre, wenn die Parteien
ausdrücklich oder stillschweigend die Anwendung des italienischen Rechts
vereinbart hätten, ist klar. Mit einer dahin gehenden Vereinbarung hätten
sie nicht den Willen bekundet, dass die italienische Kollisionsnorm,
sondern dass das italienische materielle Recht angewendet werde. Denn
wer schon daran denkt, die Frage des anwendbaren Rechts im Vertrage zu
ordnen, bleibt nicht auf halbem Wege stehen, indem er lediglich auf eine
Kollisionsnorm hinweist. Will er überhaupt den Umweg über eine solche
einschlagen, so hat er allen Anlass, ihren Inhalt wiederzugeben und
mit ihrer Hilfe gerade auch die Sachnorm zu ermitteln, die den Vertrag
beherrschen soll.

    Es kann aber auch nicht Sinn des schweizerischen internationalen
Schuldrechts sein, an den engsten räumlichen Zusammenhang des
Rechtsverhältnisses mit einem bestimmten Staate lediglich die Folge zu
knüpfen, dass die Kollisionsnorm dieses Staates anzuwenden wäre. Auf den
engsten räumlichen Zusammenhang wird nicht abgestellt, damit die Frage
des anwendbaren materiellen Rechts überhaupt irgendwie entschieden
werden könne, sondern weil der schweizerische Richter dafür hält,
mangels abweichender Parteivereinbarung sei die materielle Rechtsordnung
des Staates, mit dessen Gebiet das Rechtsverhältnis am engsten verbunden
ist, die objektiv richtige, sich aufdrängende. Früher wurde denn auch die
Anwendung des Rechts des engsten räumlichen Zusammenhangs damit begründet,
die Parteien hätten sich vernünftigerweise für dieses Recht entschieden,
wenn sie beim Vertragsschluss an die Regelung der Frage gedacht hätten
(BGE 60 II 300 f.; 63 II 43 f., 307; 64 II 92; 65 II 80 f., 169; 68 II
207; 75 II 62; 76 II 48). Dass diese Begründung die Beachtung von Rück-
oder Weiterverweisungen ausschloss, liegt auf der Hand; denn sowenig
wie von einem beim Vertragsschluss geäusserten, kann von einem bloss
hypothetischen Parteiwillen gesagt werden, er sei vernünftigerweise
nur auf Bestimmung einer Kollisionsnorm, nicht der Sachnorm selbst
gerichtet. Dass seit BGE 78 II 74 ff. die Rechtsprechung das anwendbare
Recht nicht mehr auf dem Umweg über einen hypothetischen Parteiwillen,
sondern unmittelbar anhand der engsten räumlichen Beziehungen bestimmt,
führt zu keiner anderen Lösung; denn damit ist lediglich die Begründung,
nicht das Ergebnis berichtigt worden. Was vom Standpunkt der Parteien aus
unzweckmässig wäre, nämlich im engsten räumlichen Zusammenhang lediglich
einen Anknüpfungsbegriff zur Ermittlung einer anwendbaren Kollisionsnorm,
nicht der Sachnorm selbst zu sehen, kann auch nicht Inhalt des objektiven
internationalen Schuldrechts der Schweiz sein. Wenn davon ausgegangen
wird, der schweizerische Richter habe das Recht jenes Staates anzuwenden,
mit dem das Rechtsverhältnis am engsten verbunden ist, so geschieht das,
weil nach schweizerischer Auffassung materiell diese Rechtsordnung die
geeignetste ist. Sie dann doch nicht anzuwenden, weil im betreffenden
Staate eine Kollisionsnorm gilt, die auf schweizerisches Recht zurück-
oder auf das Recht eines dritten Staates weiterverweist, hiesse die
sachlich richtige Lösung zugunsten einer nach schweizerischer Auffassung
unzweckmässigen aufgeben.

Erwägung 4

    4.- Der vorliegende Fall ist somit nach italienischem Recht zu
beurteilen. Da das Handelsgericht schweizerisches Recht angewendet hat,
muss das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung
zurückgewiesen werden (Art. 60 Abs. 1 lit. c OG).

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 20. Juni
1955 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung unter Anwendung
italienischen Rechts an die Vorinstanz zurückgewiesen.