Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 II 339



81 II 339

54. Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Juni 1955 i.S. Lüthi gegen
Schweizerische Spar- und Kreditbank und Trepp. Regeste

    Pfandbestellung an Inhaberpapieren (Auslegung von Art. 901 Abs. 1 ZGB),
insbesondere Nachverpfändung (Art. 903 ZGB). (Erw. 1 und 2.)

    Unter welchen Voraussetzungen kommt dem nachgehenden Pfandgläubiger
der Schutz eines gutgläubigen Besitzerwerbers nach Art. 933 ff. ZGB
zu? (Erw. 3 und 4).

    Sind die Inhaberpapiere dem vorgehenden Pfandgläubiger von einer
juristischen Person verpfändet worden, so ist deren Organ (der einzige
Verwaltungsrat und allfällig einzige Aktionär) nicht auch persönlich ein
mittelbarer Besitzer und daher nicht in der Lage, diese Papiere in eigenem
Namen für seine eigenen Verbindlichkeiten nachzuverpfänden (Erw. 5 und 6).

Sachverhalt

    A.- Frau Dr. Trepp übergab zwei ihr gehörende Inhaberschuldbriefe
der Stahlrohr-, Bau- und Gerüstungs A. G. (hiernach STABAG genannt) zur
Verwaltung. Am 8. Oktober 1949 verpfändete die STABAG, vertreten durch
ihren einzigen Verwaltungsrat C. E. Dunz, diese beiden Titel für ihre
jeweiligen Verpflichtungen der Schweizerischen Spar- und Kreditbank,
die seither den unmittelbaren Besitz an den Pfändern hat.

    B.- Im Jahre 1950 nahm Dunz persönlich bei Lüthi ein Darlehen von
Fr. 25'000.-- auf, das er in vier Teilbeträgen ausbezahlt erhielt. Laut
einer am 6. /8. Juli 1950 mit Lüthi getroffenen schriftlichen Vereinbarung
verpfändete ihm Dunz diese bei der erwähnten Bank liegenden Titel "im
Nachpfand". Eine Anzeige an die Bank erfolgte erst am 25. September 1950
durch Lüthi. Die Bank erwiderte darauf, sie könne das Nachpfandrecht nicht
anerkennen, da Dunz bei ihr keine Titel in eigenem Namen verpfändet habe.

    C.- Hierauf erhob Lüthi gegen die Schweizerische Spar- und Kreditbank
und gegen Frau Dr. Trepp Klage auf Feststellung, dass ihm an den beiden
Schuldbriefen das Nachpfandrecht zustehe. Das Bezirksgericht Zürich hiess
die Klage gut, das Obergericht wies sie mit Urteil vom 25. Januar 1955 ab.

    D.- Mit vorliegender Berufung hält Lüthi am Klagebegehren fest.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Pfandrecht an Forderungen steht unter den Bestimmungen
über das Faustpfand, soweit sich nicht aus besondern Vorschriften etwas
Abweichendes ergibt (Art. 899 Abs. 2 ZGB). Im Rahmen der Vorschriften über
die Form der Verpfändung von Forderungen bestimmt Art. 901 Abs. 1 ZGB,
bei Inhaberpapieren genüge zur Verpfändung die Übertragung der Urkunde
an den Pfandgläubiger. Das will nicht etwa heissen, es sei in allen
Fällen eine körperliche Übergabe nötig. Vielmehr ist Art. 901 Abs. 1 ZGB
entsprechend der für Sachen aufgestellten Norm des Art. 884 Abs. 1 ZGB
dahin zu verstehen, dass "der Besitz" an der Pfandsache (bezw. der Urkunde,
d.h. dem Inhaberpapier) dem Pfandgläubiger zu übertragen sei. Damit sind
grundsätzlich alle Arten der Besitzübertragung nach Art. 922-925 ZGB als
zulässig erklärt, freilich mit der sich aus Art. 884 Abs. 3 und Art. 717
ZGB ergebenden Einschränkung. Es gilt somit für die Verpfändung von
Inhaberpapieren dasselbe wie für die Verpfändung von Sachen, indem Art. 901
Abs. 1 im Gegensatz zu den für Forderungen anderer Art aufgestellten
Vorschriften von Art. 900 einer- und 901 Abs. 2 anderseits nichts
als eben dies hervorheben will. Diese Auslegung entspricht namentlich
auch der gesetzlichen Ordnung der Eigentumsübertragung. Diese wird bei
Inhaberpapieren nach Art. 967 Abs. 1 OR ausdrücklich an die Übertragung des
"Besitzes" an der Urkunde geknüpft. Es handelt sich bei Art. 901 Abs. 1
ZGB nur um eine kürzer gefasste, gleich zu verstehende Wendung, ähnlich
übrigens wie bei Art. 884 Abs. 2 ZGB, der vom gutgläubigen "Empfänger
der Pfandsache" spricht, aber jeden Besitzempfänger (entsprechend
Abs. 1 daselbst) meint, soweit die Erfordernisse des Abs. 3 gewahrt
sind. Es besteht denn auch kein sachlicher Grund, die Verpfändung von
Inhaberpapieren nicht in gleicher Form zuzulassen, wie sie für Sachen gilt.
Dies um so weniger, als die besitzesrechtlichen Grundsätze der Art. 933 ff.
ZGB für Inhaberpapiere wie Sachen einfach an den Besitz anknüpfen, handle
es sich nun um das Eigentum oder um ein beschränktes dingliches Recht;
ja, der gutgläubige Besitzer eines Inhaberpapieres (oder von Geld) ist in
einer Hinsicht noch stärker geschützt als der Besitzer gewöhnlicher Sachen
(Art. 935 ZGB).

    Die Ausführungen von BGE 41 II 47, die anscheinend einen Schutz
des gutgläubigen Erwerbers beim "Pfandrecht an Forderungen" allgemein
verneinen, beziehen sich, wie sich aus dem Zusammenhang jener Erwägungen
ergibt, in Wirklichkeit nur auf Forderungen im Sinne von Art. 900 ZGB,
"für die keine Urkunde oder nur ein Schuldschein besteht." Auch die dort
zitierte Kommentarstelle (WIELAND, N. 7 zu Art. 899 ZGB) hat nur diese
Tragweite (wie denn derselbe Autor in N. 2 zu Art. 901 Inhaberpapiere
als dem Schutz des gutgläubigen Erwerbers unterstehend betrachtet). Die
Rechtsprechung steht bereits auf diesem Boden (vgl. BGE 70 II 106 Erw. 2).

Erwägung 2

    2.- Bei der Nachverpfändung ist eine körperliche Übergabe der Sache
oder Urkunde von vornherein nicht möglich, weil sie sich beim vorgehenden
Pfandgläubiger befindet und dieser zur Herausgabe erst nach vollständiger
Befriedigung verpflichtet ist (Art. 889 Abs. 1 ZGB). Der Vorschrift
von Art. 903 ZGB (die auch bei Inhaberpapieren gilt, BGE 66 II 18, 72 II
353 /4) hat der Kläger mit der Anzeige an die Bank genügt. Es bedurfte (im
Unterschied zu der für Sachen geltenden Vorschrift des Art. 886 ZGB) keiner
ausdrücklichen Anweisung im Sinne des soeben erwähnten Art. 889 Abs. 1 ZGB
(der aber natürlich vom vorgehenden Pfandgläubiger auch bei Inhaberpapieren
zu beobachten ist; denn der "Berechtigte", an den er das Pfand nach seiner
Befriedigung herauszugeben hat, ist eben der nachgehende Pfandgläubiger).

Erwägung 3

    3.- Ist das nachgehende Pfandrecht gültig bestellt, so geniesst
der nachgehende ebenso wie der vorgehende Pfandgläubiger den Schutz des
gutgläubigen Erwerbers nach Art. 933 ff., namentlich auch 935 ZGB. Entgegen
LEEMANN (N. 1-3 zu Art. 886 ZGB), wonach ein nachgehender Pfandgläubiger
nicht Besitzer wäre, man es vielmehr mit einer Mobiliarhypothek zu
tun hätte, ist die Benachrichtigung des vorgehenden Pfandgläubigers
von der Nachverpfändung als Besitzanweisung im Sinne von Art. 924 ZGB
aufzufassen (OFTINGER, N. 43 des Systematischen Teils und N. 3 zu Art. 886
ZGB). Danach erhält der nachgehende Pfandgläubiger einen vom mittelbaren
Besitz des Verpfänders abgeleiteten, gleichfalls mittelbaren Besitz
(mit entsprechendem Rechtsschutz gemäss Art. 933 ff. ZGB), während der
unmittelbare Besitz einstweilen beim vorgehenden Pfandgläubiger bleibt.

Erwägung 4

    4.- Voraussetzung einer gültigen Einräumung solchen Besitzes an den
nachgehenden Pfandgläubiger ist nun aber, dass der Verpfänder selbst
wirklich (mittelbarer) Besitzer sei. Denn Besitz übertragen kann nur,
wer solchen hat. Fehlt es daran, so hilft dem andern auch guter Glaube
nicht. Er ist in diesem Falle gar nicht Empfänger, d.h. Besitzerwerber, und
kann sich daher auch nicht auf "gutgläubigen" Besitzerwerb berufen. Guter
Glaube vermag niemals den fehlenden Besitz, d.h. die fehlende tatsächliche
Verfügungsgewalt des Veräusserers oder Verpfänders, sondern nur das
allfällig fehlende Verfügungsrecht eines besitzenden Veräusserers
oder Verpfänders zu ersetzen, bei tatsächlicher Besitzübertragung
(vgl. HAAB-SIMONIUS, N. 56 zu Art. 714 ZGB). Die kantonalen Gerichte
haben denn auch den vorliegenden Fall deshalb verschieden beurteilt,
weil das Bezirksgericht den die Nachverpfändung vornehmenden C. E. Dunz
als (mittelbaren) Besitzer der beiden Inhaberschuldbriefe betrachtete,
während das Obergericht ihm die Stellung eines Besitzers abspricht und ihn
einem blossen Besitzdiener gleichachtet, der gar nicht in der Lage war,
dem Kläger in eigenem Namen (mittelbaren) Pfandbesitz einzuräumen.

Erwägung 5

    5.- Dieser letzteren Ansicht ist im wesentlichen
beizustimmen. Besitzerin war die STABAG, der die beiden Inhaberschuldbriefe
von der Eigentümerin anvertraut worden waren, und die sie der Bank zu
Faustpfand übergeben hatte. Denn als Ausfluss ihrer Rechtsfähigkeit
(Art. 53 ZGB) kommt den juristischen Personen auch Besitz zu. Das Organ
aber und dessen allfällige Mitglieder sind nicht auch persönlich Besitzer;
sie üben "analog dem Besitzdiener" den Besitz nicht für sich selbst,
sondern für die juristische Person aus (HOMBERGER, N. 14, und OSTERTAG,
N. 17 ff. zu Art. 919 ZGB). Gewiss ist ein Dienstchef, ein Prokurist oder
gar der einzige Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft kein gewöhnlicher
Besitzdiener. Er befindet sich nicht in so abhängiger Stellung, dass er,
ohne selbst in der Unternehmung etwas verfügen zu können, lediglich die
Weisungen eines Vorgesetzten oder Geschäftsleiters zu befolgen hätte (vgl.
WIELAND, N. 2 zu Art. 919 ZGB; STAUDINGER, N. 26 zu § 854 des deutschen
BGB, der den Organen einer juristischen Person eine Mittelstellung
zwischen einem Besitzer und einem Besitzdiener zuweist). Allein wenn
man auch nicht von einem Besitzdiener im engern Sinne sprechen will, hat
das Organ der juristischen Person in deren Herrschaftsbereich doch nur
insoweit selbständige Verfügungsgewalt, als es im Namen der juristischen
Person handelt. Es übt dabei den Besitz nicht für sich selbst, auch nicht
als unselbständigen, sondern nur für die juristische Person aus. Mitunter
kann die Tätigkeit eines Organs gleichwie eines in leitender Stellung
befindlichen Beamten oder Angestellten es allerdings mit sich bringen,
dass nach aussen privater Besitz der betreffenden natürlichen Person
vorzuliegen scheint. In solchen Fällen erhebt sich die Frage, ob ihr
persönlich ein (zumeist unmittelbarer) Besitz anvertraut sei, kraft
dessen eine von ihr wenn auch unbefugterweise im eigenen Namen getroffene
Verfügung für einen gutgläubigen Empfänger der Sache nach Art. 933 ZGB
gültig wäre. Und abgesehen hievon ist der gutgläubige Empfänger eines
Inhaberpapiers nach Art. 935 ZGB auch dann geschützt, wenn sich der
Verfügende eigenmächtig in den persönlichen Besitz gesetzt hatte. Ein
solcher Besitz des hier verfügenden C. E. Dunz lag aber nicht vor. Beim
Abschluss des Nachverpfändungsvertrages waren die (der Bank von der STABAG
als Faustpfand übergebenen) Inhaberpapiere nicht zur Stelle. Der Kläger
konnte sich damals nicht auf tatsächlich von ihm festgestellten Besitz
des Nachverpfänders, sondern nur auf dessen Erklärungen stützen. Wie
es sich mit den Besitzverhältnissen verhielt, erfuhr er erst nach der
Anzeige an die Bank. Hätte sich dabei ergeben, dass die als Gegenstand
der Nachverpfändung bezeichneten Inhaberpapiere sich gar nicht dort
befanden, ja allenfalls, dass sie überhaupt nicht existierten, so
wäre die Nachverpfändung zweifellos nicht zustande gekommen. Nun waren
sie zwar in der Tat als Faustpfand im unmittelbaren Besitze der Bank;
allein es war offenkundig, dass es sich um Besitz der STABAG, nicht
des C. E. Dunz persönlich handelte, da dieser sie seinerzeit der Bank
namens der STABAG für deren Verpflichtungen verpfändet hatte, was die
Bank dem Kläger sogleich zu wissen tat. War aber dergestalt durch die Art
der Erstverpfändung, wie sie die Bank dem Kläger offenbarte, das Fehlen
eines persönlichen Besitzes des Nachverpfänders Dunz klargestellt, so
konnte auch der Kläger keinen mittelbaren Nachpfandbesitz erwerben. Hat
er somit die Pfandgegenstände gar nicht im Sinne der Art. 933 ff. ZGB
(und des einen Anwendungsfall davon betreffenden Art. 884 Abs. 2 ZGB)
"empfangen", so kommt ihm kein besitzesrechtlicher Schutz zu.

Erwägung 6

    6.- Da Dunz eindeutig in eigenem Namen (und in eigenem Interesse,
zur Sicherstellung persönlicher Darlehensschulden) handelte, ist nicht zu
prüfen, ob eine statt dessen im Namen der STABAG erfolgte Nachverpfändung
der in Frage stehenden Inhaberpapiere gültig gewesen wäre oder aber an
einer dem Kläger erkennbaren Überschreitung oder missbräuchlichen Ausübung
der Befugnisse des Dunz als Verwaltungsrat der erwähnten Gesellschaft,
somit an bösem Glauben des Empfängers hätte scheitern müssen. Zu Unrecht
will der Kläger Dunz und die STABAG als identisch betrachtet wissen,
da es sich um eine Einmanngesellschaft gehandelt habe. Selbst wenn
Dunz nicht nur einziger Verwaltungsrat (was festgestellt ist), sondern
ausserdem einziger Aktionär der STABAG gewesen sein sollte, müssten er
und die Gesellschaft als verschiedene Rechtssubjekte in ihren Beziehungen
zu den Gläubigern des einen und des andern klar unterschieden werden. Mit
vollem Recht, und keineswegs in rechtsmissbräuchlicher, nach Art. 2 Abs. 2
ZGB verpönter Weise haben sich daher die Beklagten auf das Fehlen eines
persönlichen Besitzes des Dunz berufen, weshalb der Kläger seinerseits
nicht Pfandbesitzer geworden ist.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Standes Zürich, II. Zivilkammer, vom 25. Januar 1955 bestätigt.