Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 II 319



81 II 319

53. Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Juli 1955 i. S. Bertschinger
gegen Bertschinger. Regeste

    Nichtigkeitsbeschwerde gegen einen Entscheid über die örtliche
Zuständigkeit für die Testamentseröffnung (Art. 68 lit. b OG).
Zulässigkeit dieses Rechtsmittels; Beschwerdelegitimation (Erw. 1).

    Schweizerisch-badischer Staatsvertrag von 1856 betr. die gegenseitigen
Bedingungen über Freizügigkeit und weitere nachbarliche Verhältnisse.

    1.  Gültigkeit. Prüfungsbefugnis der Gerichte (Erw. 4).  Steht der
Staatsvertrag von 1856, obwohl Baden nicht mehr ein eigener Staat ist,
noch in Kraft a) als innerstaatliches Recht? b) als Vertrag regionalen
Charakters? c) infolge ausdrücklicher oder stillschweigender Erneuerung
zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reich, der Bundesrepublik
Deutschland oder dem Lande Baden-Württemberg? Räumlicher Geltungsbereich
auf deutscher Seite. Badisches Bürgerrecht (Erw. 5-9).

    2.  Tragweite von Art. 5, 6. Internationale Zuständigkeit im
Erbfalle eines Schweizers mit Grundbesitz in Baden. Gegenüberstellung
der aus dem Staatsvertrag und der aus dem NAG sich ergebenden Regelung
(Erw. 2). Lage des Nachlasses im Sinne von Art. 6 des Staatsvertrags;
Bedeutung des letzten Wohnsitzes des Erblassers (Erw. 2 Abs. 1). Art. 6
des Staatsvertrags gilt (unter Vorbehalt von Art. 5, der die Sicherung der
zum Nachlass gehörenden Vermögenswerte betrifft) auch für die freiwillige
Gerichtsbarkeit in Erbsachen (Erw. 10).

    Wohnsitz im Sinne von Art. 23 ZGB und der Praxis zu Art.  6 des
Staatsvertrags bei einer Person, die sich abwechslungsweise an zwei
verschiedenen Orten aufzuhalten pflegt. Fall eines Dozenten an staatlichen
Lehranstalten in der Schweiz, der hier auch das Stimmrecht ausübte und
Steuern zahlte, das Wochenende aber regelmässig bei seiner Familie in
Deutschland verbrachte (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 29. September 1954 starb in Singen am Hohentwiel (Deutschland)
Prof. Dr. ing. Robert Bertschinger, geb. 16. November 1887, Bürger von
Zürich und Zumikon (Kt. Zürich), der in Öhningen (Landkreis Konstanz)
ein Haus und in Zürich eine Wohnung besessen hatte und an beiden Orten
polizeilich angemeldet gewesen war. Gemäss Auszug aus dem Familienregister
der Stadt Zürich vom 30. November 1954 hinterliess er einen Sohn aus
seiner durch Scheidung gelösten ersten Ehe, Robert Walter, geb. 1914,
seine vierte Ehefrau Anna Augusta geb. Hess, die er am 10. Februar
1951 in Öhningen geheiratet hatte, und einen Sohn aus dieser vierten
Ehe. Mit eigenhändigem Testament, datiert Öhningen 21. August 1954,
hatte er seine Ehefrau Anna Augusta Bertschinger geb. Hess zu seiner
Alleinerbin emgesetzt.

    B.- Bei der amtlichen Inventarisierung der Fahrhabe, die sich in
der Wohnung des Erblassers in Zürich befand, legte dessen Ehefrau das
erwähnte Testament vor. Das Steueramt der Stadt Zürich übermittelte es
am 6. Oktober 1954 dem Einzelrichter für nichtstreitige Rechtssachen
beim Bezirksgericht Zürich zur Eröffnung. Mit Eingabe vom 11. Oktober
1954 machte die Ehefrau geltend, das zürcherische Gericht sei für diese
Amtshandlung nicht zuständig. Der Einzelrichter eröffnete das Testament
am 28. Oktober 1954 und wies die Unzuständigkeitseinrede der Ehefrau mit
Verfügung vom 1. November 1954 ab.

    Das Obergericht des Kantons Zürich (II. Zivilkammer), an das
die Ehefrau rekurrierte, hat am 13. Januar 1955 im gleichen Sinne
entschieden. Dieser Entscheid beruht im wesentlichen auf folgenden
Erwägungen: Hätte der Erblasser seinen letzten Wohnsitz in Zürich gehabt,
so wäre die Zuständigkeit des zürcherischen Richters gemäss Art. 538 ZGB
und § 5 der zürcherischen ZPO unmittelbar gegeben. Der letzte Wohnsitz
des Erblassers habe sich aber in Öhningen befunden. Gemäss Art. 25 des
deutschen EG zum BGB werde ein Ausländer, der zur Zeit seines Todes
seinen Wohnsitz im Inlande (Deutschland) hatte, nach den Gesetzen
des Staates beerbt, dem er zur Zeit seines Todes angehörte. Gemäss
Art. 28 des Bundesgesetzes betr. die zivilrechtlichen Verhältnisse der
Niedergelassenen und Aufenthalter vom 25. Juni 1891 (NAG) seien Schweizer
mit Wohnsitz im Ausland, die nach Massgabe der ausländischen Gesetzgebung
dem ausländischen Rechte nicht unterworfen seien, hinsichtlich der
erbrechtlichen Verhältnisse dem Recht und Gerichtsstand des Heimatkantons
unterstellt, soweit nicht Staatsverträge besondere Bestimmungen enthalten.
Der Staatsvertrag zwischen der Schweiz und dem Grossherzogtum Baden vom 6.
Dezember 1856 betr. die gegenseitigen Bedingungen über Freizügigkeit und
weitere nachbarliche Verhältnisse (BS 11 S. 611) bestimme in Art. 6:

    "Sollte unter denjenigen, welche auf die gleiche Verlassenschaft
Anspruch machen, über die Erbberechtigung Streit entstehen, so wird nach
den Gesetzen und durch die Gerichte desjenigen Landes entschieden werden,
in welchem das Eigentum sich befindet.

    Liegt der Nachlass in beiden Staaten, so sind die Behörden desjenigen
Staates kompetent, dem der Erblasser bürgerrechtlich angehört, oder in
welchem er zur Zeit des Todes wohnte, wenn er nicht Bürger eines der
kontrahierenden Staaten war."

    Diese Vorschrift beziehe sich nicht nur auf Streitigkeiten,
sondern auch auf die freiwillige Gerichtsbarkeit in Erbsachen. Rechte an
beweglichen Sachen und Forderungen seien bei Anwendung dieser Vorschrift
als am letzten Wohnsitz des Erblassers gelegen zu betrachten. Da der
Erblasser seinen letzten Wohnsitz in der badischen Ortschaft Öhningen
gehabt und in der Schweiz keine Liegenschaften besessen habe, wären also
im vorliegenden Falle, wenn der erwähnte Staatsvertrag noch gälte, nach
dessen Art. 6 Abs. 1 die badischen Gerichte zuständig und das deutsche
Recht anwendbar. Dieser Staatsvertrag sei jedoch dahingefallen, weil
das Land Baden infolge des deutschen Gesetzes über den Neuaufbau des
Reiches vom 30. Januar 1934 als Subjekt des Völkerrechts zu bestehen
aufgehört habe und nicht angenommen werden könne, dass die vertraglichen
Pflichten infolge Universalsukzession oder kraft ausdrücklicher oder
stillschweigender Übernahme auf einen Nachfolgestaat (das Deutsche Reich,
die Bundesrepublik Deutschland oder das Bundesland Baden-Württemberg)
übergegangen seien. Deshalb sei nach dem Gesagten das Heimatrecht des
Erblassers (d.h. das schweizerische ZGB) anwendbar und der zürcherische
Richter zuständig.

    C.- Gegen diesen Entscheid hat Frau Bertschinger Nichtigkeitsbeschwerde
an das Bundesgericht eingelegt mit dem Antrag, er sei aufzuheben und ihre
Unzuständigkeitseinrede sei zu schützen, weil der Staatsvertrag von 1856
noch gültig sei. Robert Walter Bertschinger macht in seiner Vernehmlassung
geltend, der Erblasser habe seinen letzten Wohnsitz in Zürich gehabt. Im
übrigen habe die Vorinstanz mit Recht angenommen, dass der Staatsvertrag
nicht mehr gelte.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der angefochtene Entscheid ist ein letztinstanzlicher kantonaler
Entscheid in einer Zivilsache, die als Angelegenheit der freiwilligen
Gerichtsbarkeit nicht der Berufung unterliegt (vgl. BGE 77 II 280). Gegen
solche Entscheide ist nach Art. 68 lit. b OG wegen Verletzung von
Vorschriften des eidgenössischen Rechts mit Einschluss von Staatsverträgen
des Bundes über die sachliche oder örtliche Zuständigkeit der Behörden
die Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht zulässig.

    Die Beschwerdeführerin, die im kantonalen Verfahren Partei war, ist
zur Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert, wenn sie durch den angefochtenen
Entscheid beschwert wird. Man könnte versucht sein, dies mit der Begründung
zu verneinen, das Testament sei in Gegenwart der Beteiligten bzw. ihrer
Vertreter eröffnet worden; den Beteiligten sei auch eine Abschrift davon
zugestellt worden; ob dies durch den zuständigen Richter geschehen sei, sei
belanglos; eine nochmalige Eröffnung durch das von der Beschwerdeführerin
als zuständig erachtete Notariat Radolfzell sei daher überflüssig; die im
angefochtenen Entscheid angestellten Erwägungen über die internationale
Zuständigkeit seien für einen allfälligen Zivilprozess über die
Erbberechtigung nicht massgebend. Die Bedeutung der Testamentseröffnung und
der damit verbundenen Mitteilung des Testamentsinhalts an die Beteiligten
(Art. 557 /58 ZGB, §§ 2260 /62 BGB) erschöpft sich jedoch nicht darin,
dass diese dadurch Kenntnis vom Testament erhalten. Vielmehr knüpfen sich
an die Testamentseröffnung rechtliche Folgen. Insbesondere ist sie eine
Voraussetzung für die Ausstellung einer Erbbescheinigung (Erteilung eines
Erbscheins) an die eingesetzten Erben (Art. 559 ZGB; STAUDINGER, 9. Aufl.,
Bd. V S. 1046, Ziff. IV 1 der Bem. zu §§ 2354-2356 BGB; vgl. auch ebenda S.
799 Mitte). Ferner ist sie für den Beginn der Ausschlagungsfrist von
Bedeutung (Art. 567 ZGB; § 1944 BGB). Es besteht keine Gewähr dafür,
dass eine durch ein unzuständiges schweizerisches Gericht erfolgte
Testamentseröffnung in Deutschland die im deutschen Recht vorgesehenen
Wirkungen auszulösen vermag. Die Beschwerdeführerin, die der Ansicht ist,
dass die deutschen Behörden sich in Anwendung deutschen Rechts mit dem
Nachlass des Erblassers zu befassen haben, hat daher ein rechtliches
Interesse daran, dass abgeklärt wird, ob der zürcherische Richter zur
Eröffnung des streitigen Testaments zuständig war oder nicht.

Erwägung 2

    2.- Nimmt man an, dass der schweizerisch-badische Staatsvertrag
von 1856 noch in Kraft stehe und in Art. 6 neben der Zuständigkeit
für die Beurteilung von Erbstreitigkeiten auch die Zuständigkeit für
die freiwillige Gerichtsbarkeit in Erbsachen, insbesondere für die
Testamentseröffnung regle, so sind die schweizerischen Behörden für
die Eröffnung des streitigen Testaments zuständig, wenn der Erblasser
seinen letzten Wohnsitz in Zürich hatte. Nach der Rechtsprechung zur
erwähnten Bestimmung und dem mit ihrem ersten Absatz im wesentlichen
übereinstimmenden Art. VI des schweizerisch-amerikanischen Staatsvertrags
von 1850 (BS 11 S. 773) gelten nämlich Immobiliarrechte als am Orte ihres
Gegenstands, Rechte an beweglichen Sachen und Forderungen dagegen als
am letzten Wohnsitz des Erblassers gelegen (BGE 41 I 338 und dort zit.
Entscheide; vgl. auch den Bericht des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements
an das badische Justizministerium vom 14. August 1925 in BURCKHARDT,
Schweiz. Bundesrecht, Bd. IV Nr. 1602 II). An dieser Praxis, die allein
zu einer praktikablen Lösung führt, ist trotz der Kritik von NUSSBAUM
(Deutsches IPR, 1932, S. 375 Anm. 1) und FRANKENSTEIN (IPR, 1935, IV
S. 296 Anm. 55) in Übereinstimmung mit LEWALD (Das deutsche IPR, 1931,
S. 288), H. MÜLLER (Internationales Erbrecht nach dem Badisch-Schweizer
Vertrag von 1856, in Festschrift für Raape, 1948, S. 229 ff., insbes. 232
/33) und FERID FIRSCHING (Internat. Erbrecht, 1955, Abschnitt Schweiz,
Randziffer 18 S. 16) festzuhalten. Hatte der Erblasser seinen Wohnsitz
zuletzt in Zürich, so ist also anzunehmen, dass der eine Liegenschaft in
Öhningen, Fahrnis und wohl auch Forderungen umfassende Nachlass im Sinne
von Art. 6 des Staatsvertrags von 1856 "in beiden Staaten" (d.h. teils in
Baden, teils in der Schweiz) liege. Liegt der Nachlass in beiden Staaten
und gehört der Erblasser einem dieser Staaten an, so sind nach Art. 6
Abs. 2 die Behörden des Heimatstaates des Erblassers zuständig. Das sind
hier die schweizerischen Behörden.

    Wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz in Zürich hatte, ist sein
Testament aber auch unter der Voraussetzung, dass der Staatsvertrag von
1856 dahingefallen oder für die Testamentseröffnung nicht massgebend
sei, in der Schweiz zu eröffnen. Nach dem autonomen schweizerischen
Kollisionsrecht, das unter dieser Voraussetzung anzuwenden ist,
sind nämlich für die Eröffnung des Testaments eines Schweizers, der
Liegenschaften oder anderes Vermögen im Ausland besass, seinen letzten
Wohnsitz aber in der Schweiz hatte, die Behörden des letzten Wohnsitzes
zuständig. Eine Vorschrift, die dies ausdrücklich sagen würde, besteht
zwar nicht. Der für das interkantonale Verhältnis aufgestellte und auf
Ausländer in der Schweiz gemäss Art. 32 NAG entsprechend anwendbare
Art. 23 NAG bestimmt jedoch, die "Eröffnung der Erbschaft", worunter die
gesamte formelle Nachlassbehandlung, d.h. die Gesamtheit der Massnahmen zu
verstehen ist, die die Sicherung der Verlassenschaft und des Erbgangs und
auch den Vollzug der Erbfolge zum Zwecke haben (BGE 32 I 497 /98, 33 I 125,
und STAUFFER N. 2 zu Art. 23 NAG), erfolge stets für die Gesamtheit des
Vermögens am letzten Wohnsitze des Erblassers. Gilt dies für Ausländer
in der Schweiz, so muss es erst recht auch für Schweizer mit Vermögen im
Ausland gelten, die ihren letzten Wohnsitz in der Schweiz hatten.

    Ob der Staatsvertrag von 1856 gültig und auf die Testamentseröffnung
anwendbar sei, kann also dahingestellt bleiben, wenn der Erblasser
seinen letzten Wohnsitz in Zürich hatte. Anders ist es dagegen, wenn sich
sein letzter Wohnsitz in Öhningen befand. Wie die Vorinstanz zutreffend
ausgeführt hat, sind in diesem Falle je nachdem, ob der Staatsvertrag
(Art. 6 Abs. 1) oder das autonome schweizerische Kollisionsrecht
(Art. 28 NAG in Verbindung mit Art. 25 des deutschen EG zum BGB) zur
Anwendung kommt, die badischen oder die schweizerischen Behörden für die
Testamentseröffnung zuständig.

Erwägung 3

    3.- Der Wohnsitz einer Person befindet sich gemäss Art. 23 Abs. 1
ZGB am Orte, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält.
Hält sich eine Person abwechslungsweise und nicht bloss vorübergehend an
zwei verschiedenen Orten auf, so gilt als Wohnsitz derjenige der beiden
Orte, zu dem sie die stärkeren Beziehungen hat (vgl. z.B. BGE 68 I 139,
77 I 119, 78 I 315 /16). Bei unselbständig erwerbenden Personen, die
am einen Orte arbeiten, am andern ihre Familie haben, ist dies in der
Regel der Familienort, sofern sie ihre arbeitsfreie Zeit regelmässig hier
verbringen (BGE 68 I 139). So war es nach den tatsächlichen Feststellungen
der Vorinstanz beim Erblasser. Er hielt sich darnach seit seiner letzten
Heirat bei seiner Familie in Öhningen auf, so oft seine Tätigkeit als
Dozent an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich und am
Technikum Winterthur es ihm erlaubte, was nach der Art dieser Tätigkeit
auf jeden Fall am Wochenende zutraf. Seine Wohnung in Zürich diente
ihm nur während der Zeit, da ihn sein Beruf in der Schweiz festhielt,
also höchstens während der Arbeitswoche, als Aufenthalt. Unter diesen
Umständen ist anzunehmen, dass seit seiner letzten Heirat seine Beziehungen
zu Öhningen stärker waren als diejenigen zu Zürich. Die Tatsache, dass er
nicht nur in Öhningen, sondern auch in Zürich polizeilich angemeldet war
und dass er, wie der Beschwerdegegner behauptet, in Zürich Steuern zahlte
und sein Stimmrecht ausübte, kann hieran nichts ändern. Richtig ist zwar,
dass das für die Ausübung des Stimmrechts erforderliche politische Domizil
sich in der Regel mit dem zivilrechtlichen Wohnsitz im Sinne von Art. 23
ZGB deckt (GIACOMETTI, Das Staatsrecht der schweiz. Kantone, S. 213, und
FLEINER /GIACOMETTI, Schweiz. Bundesstaatsrecht, S. 438). Wenn jedoch
der Erblasser, der mit seiner dritten Ehefrau in Zürich gelebt hatte,
nach der Gründung einer neuen Familie in Öhningen fortfuhr, in Zürich
das Stimmrecht auszuüben, so folgt daraus keineswegs zwingend, dass
er seinen Wohnsitz in Zürich beibehalten habe, sondern dieser Umstand
beweist höchstens, dass die zürcherischen Behörden, denen offenbar die
Verhältnisse des Erblassers nicht näher bekannt waren, nach wie vor
annahmen, er habe in Zürich Wohnsitz. Der Umstand, dass er in Zürich
(wohl für seine Besoldung) Steuern zahlte, lässt einen Rückschluss auf
seinen Wohnsitz um so weniger zu, als Einkünfte aus öffentlichem Dienst
gemäss Art. 5 des nach der Praxis (vgl. z.B. BGE 78 I 131 /132, 80 I 205
ff.) noch gültigen schweizerisch-deutschen Doppelbesteuerungsabkommens vom
15. Juli 1931 (BS 12 S. 601), von den hier nicht zutreffenden Ausnahmen
gemäss Schlussprotokoll abgesehen, nur im Schuldnerstaat besteuert
werden, sodass der Erblasser seine Einkünfte aus seiner Lehrtätigkeit
an der Eidgenössischen Technischen Hochschule und am (kantonalen)
Technikum Winterthur auch dann, wenn er in Öhningen Wohnsitz hatte, in
der Schweiz versteuern musste. Auch die Tatsache, dass er in Zürich ein
Postcheckkonto unterhielt, ist kein schlüssiges Indiz für einen Wohnsitz
in Zürich. Art. 24 Abs. 1 ZGB, den der Beschwerdegegner im kantonalen
Verfahren angerufen hat, kommt nicht zur Anwendung, weil eben auf Grund
der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz angenommen werden muss,
dass der Erblasser bei seiner vierten Heirat in Öhningen einen neuen
Wohnsitz erworben habe, obwohl er die während der dritten Ehe benützte
Wohnung in Zürich beibehielt. Mutmassungen darüber anzustellen, welchen
Ort der Erblasser als seinen Wohnsitz bezeichnen würde, wenn er noch am
Leben wäre, ist müssig.

    Mit der Feststellung, dass der Erblasser seinen letzten Wohnsitz
gemäss Art. 23 ZGB in Öhningen gehabt habe, ist es nun freilich nicht ohne
weiteres getan. Für die Anwendung von Art. 28 NAG ist zwar der Wohnsitz im
Sinne des schweizerischen ZGB (Art. 23-26) massgebend (vgl. BGE 56 II 337
/38, 61 II 16). Bei Prüfung der Frage, ob das deutsche Kollisionsrecht den
Erblasser im Sinne von Art. 28 NAG dem ausländischen (deutschen) Recht
unterwerfe, braucht nicht untersucht zu werden, wo der Erblasser nach
deutschem Recht Wohnsitz gehabt habe, weil das deutsche Kollisionsrecht
nach herrschender Meinung für die Beerbung von Ausländern ohne Rücksicht
auf den Wohnsitz des Erblassers dessen Heimatrecht massgebend sein
lässt und damit für solche Erbfälle dem Grundsatze nach zugleich die
internationale Zuständigkeit der deutschen Behörden verneint (FERID
/FIRSCHING, aaO, Abschnitt Deutschland, Randziffern 39 und 61). Dagegen
ist fraglich, ob bei der Anwendung des Staatsvertrags von 1856, soweit
es darnach für die Entscheidung über die Belegenheit des Nachlasses auf
den letzten Wohnsitz des Erblassers ankommt, einfach von der heutigen
schweizerischen Regelung des Wohnsitzes ausgegangen werden darf (vgl.
GULDENER, Das internationale u. interkantonale Zivilprozessrecht der
Schweiz, S. 120 Ziff. 3). Diese Frage braucht jedoch im vorliegenden Falle
nicht näher erörtert zu werden. Auch wenn man nämlich die Ansicht vertreten
will, im Bereiche des Staatsvertrags gelte grundsätzlich ein besonderer
Wohnsitzbegriff, muss doch angenommen werden, dass eine bestimmte Person
im Sinne des Staatsvertrags wie im Sinne des schweizerischen ZGB nur an
einem Orte Wohnsitz haben kann, weil es eben nach dem Staatsvertrag auf
den letzten Wohnsitz ankommt, und ist bei der Bestimmung des Wohnsitzes
von Personen, die abwechslungsweise an zwei verschiedenen Orten zu
verweilen pflegen, nach dem Staatsvertrag wie nach dem schweizerischen
ZGB zu untersuchen, zu welchem dieser Orte die Beziehungen stärker sind,
wo sich der sog. Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse
befindet (vgl. H. MÜLLER, aaO S. 233 /34 unter c; siehe auch Art. 8 Abs. 2
des schweizerisch-deutschen Doppelbesteuerungsabkommens von 1931). Der
Wohnsitz im Sinne des Staatsvertrags von 1856 kann daher im vorliegenden
Falle kein anderer sein als derjenige im Sinne von Art. 23 ZGB.

    4 - Die Aufnahme des Staatsvertrags von 1856 in die Bereinigte
Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen 1848-1947 (BS) hat nicht
etwa die Bedeutung einer gemäss Art. 113 Abs. 3 BV für das Bundesgericht
verbindlichen Feststellung des Bundesgesetzgebers, dass dieser Vertrag
an dem für die Aufnahme eines Erlasses in diese Sammlung massgebenden
Stichtag (1. Januar 1948) noch gültig gewesen sei. Gemäss Art. 1 des
Bundesgesetzes vom 12. März 1948 über die Rechtskraft der BS und über die
neue Reihe der Sammlung (AS 1949 S. 1523) besteht die Rechtswirkung der
bereinigten Sammlung nur darin, dass die nicht aufgenommenenBundesgesetze,
Bundesbeschlüsse, Bundesratsbeschlüsse, Verordnungen und Verfügungen
aufgehoben sind. Hinsichtlich der Staatsverträge der Eidgenossenschaft
hat die BS, wie in Art. 4 des Bundesratsbeschlusses vom 10. Dezember 1951
(AS 1951 S. 1151) ausgesprochen, nicht einmal diese negative, geschweige
denn eine positive Wirkung.

    Der Vorinstanz ist auch darin beizustimmen, dass der Richter bei
der Entscheidung über die Gültigkeit eines Staatsvertrags nicht an die
Auffassung der politischen Behörden gebunden ist, die ihn abgeschlossen
haben. Diese sind zwar allein zuständig, den Vertrag zu kündigen und
allenfalls zum Zwecke der Retorsion anzuordnen, dass er einstweilen
nicht zu vollziehen sei. Solche Massnahmen der politischen Behörden
sind daher von den Gerichten zu beachten. Im übrigen aber haben die
Gerichte in den ihrer Beurteilung unterliegenden Rechtsfällen über die
Anwendbarkeit staatsvertraglicher Abmachungen selbständig zu entscheiden,
auch wenn der Streit nicht bloss darum geht, ob der konkrete Tatbestand
unter einen bestimmten Staatsvertrag falle und wie dieser auszulegen sei,
sondern wenn in erster Linie streitig ist, ob dieser Vertrag noch gelte
(vgl. BGE 78 I 130 Erw. 3).

    Dies bedeutet indes nicht, dass die Gerichte sich, wie die Vorinstanz
angenommen hat, um die Auffassung der politischen Behörden überhaupt
nicht zu kümmern haben. Vielmehr ist für sie als Faktor der eigenen
Meinungsbildung neben der Lehre und der Gerichts- und Verwaltungspraxis
ohne Zweifel nicht zuletzt auch die Stellungnahme dieser Behörden von
wesentlichem Interesse. Der bundesgerichtliche Instruktionsrichter
hat daher von Amtes wegen das Eidgenössische Politische Departement und
das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement um Mitteilung ihrer
Auffassung über die Geltung des Vertrags von 1856 ersucht. Die Einholung
einer solchen Meinungsäusserung, die nicht der Ermittlung von Tatsachen,
sondern der Dokumentation über eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art dient,
ist prozessual (unter dem Gesichtpunkte von Art. 63, 64 und 74 OG) so
gut zulässig wie etwa der Beizug neuer Literatur. Die übereinstimmende
Auffassung der beiden angefragten Departemente ist in einem Berichte vom 2.
Juli 1955 niedergelegt, den das Politische Departement im Einvernehmen
mit dem Justiz- und Polizeidepartement ausgearbeitet hat.

Erwägung 5

    5.- Es steht ausser Zweifel, dass der Vertrag von 1856 in seinen
erbrechtlichen Bestimmungen (Art. 3-6) unter den Verfassungen des
Deutschen Reiches von 1871 und 1919 noch in Kraft stand. Dagegen ist in
der Lehre umstritten, ob er erloschen sei, weil das deutsche Gesetz vom
30. Januar 1934 über den Neuaufbau des Reiches den deutschen Ländern
ihre Eigenstaatlichkeit entzog und sie zu blossen Verwaltungsbezirken
des Reiches machte und demzufolge die Verordnung über die deutsche
Staatsangehörigkeit vom 5. Februar 1934 auch die Staatsangehörigkeit
in den deutschen Ländern als hinfällig erklärte, oder ob der Vertrag
trotz diesen Vorgängen gültig geblieben sei. Die Weitergeltung verneinen
SCHNORR VON CAROLSFELD (Zeitschrift für Ausländisches und Internationales
Privatrecht, 12. Jahrgang 1938 /39, S. 285 ff.) und SCHNITZER (Handbuch
des IPR, 3. Aufl. 1950, Bd. II S. 502). Zweifel an der Wirksamkeit
des erwähnten Vertrages äussern auch FERID u. FIRSCHING (aaO, Abschnitt
Schweiz, Randziffer 18). PALANDT (Bürgerliches Gesetzbuch, 14. Aufl. 1955)
erklärt in N. 1 zu Art. 56 EG (S. 2012) in allgemeiner Weise, dass die
alten Verträge der deutschen Länder nicht mehr rechtsverbindlich seien. Auf
der andern Seite hat sich H. MÜLLER in der bereits zitierten Abhandlung
(Festschrift für Raape, 1948, S. 229 /31) für die Weitergeltung von Art.
3-6 des streitigen Vertrages ausgesprochen. Zur gleichen Ansicht bekennen
sich WENGLER (Neue Juristische Wochenschrift 1951 S. 301) und BOSCHAN
(Europäisches Familienrecht, 2. Aufl. 1954, S. 287), ohne ihre Auffassung
näher zu begründen. GULDENER führt den Vertrag von 1856 im bereits
angeführten, 1951 erschienenen Werk unter den geltenden Staatsverträgen
des Bundes über Gerichtsstandsrecht auf (S. 122), und WOLFF (Das IPR
Deutschlands, 3. Aufl. 1954, S. 225) erwähnt ihn unter den Quellen des
internationalen Erbrechts.

    Was die Gerichts- und Verwaltungspraxis und die Stellungnahme der
politischen Behörden anbelangt, so hat das deutsche Reichsgericht in einem
Entscheide vom 13. August 1936 festgestellt, dass die Auslieferungsverträge
Frankreichs mit den deutschen Ländern seit dem Gesetz vom 30. Januar
1934 hinfällig geworden seien (Jur. Wochenschrift 1936 III S. 3198
Nr. 20 = Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen 70 S. 286
ff.). Ein seit 1934 ergangener Gerichtsentscheid über die Gültigkeit
des heute in Frage stehenden Vertrages ist dem Bundesgericht, vom
angefochtenen Entscheide abgesehen, nicht bekannt. Dagegen hat die
Justizabteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements
in ihrem Bescheid vom 13. Januar 1948 Art. 6 dieses Vertrags als noch
gültig betrachtet (Schweiz. Jahrbuch für internationales Recht 1949
S. 252 Nr. 27). Eine Anmerkung des Referenten E. ALEXANDER besagt, dass
die Praxis diese Bestimmung "auch in andern Fällen aus jüngster Zeit"
als noch immer in Kraft stehend erachtet habe. Das Justizministerium
Baden-Württemberg hat sodann in seinem Erlass vom 25. Mai 1954 über
den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in Zivilsachen festgestellt: "Im
Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe sind für die Nachlassbehandlung die
Art. 5, 6 des badisch-schweizerischen Staatsvertrages vom 6. Dezember 1856
(Bad. Regierungsblatt 1857 S. 431) massgebend" (Die Justiz, Amtsblatt
des Justizministeriums Baden-Württemberg, 3. Jahrgang S. 208; vgl. auch
FERID /FIRSCHING, aaO Abschnitt Deutschland S. 32 unten). Auf Grund
einer einlässlichen Untersuchung sind auch die vom Instruktionsrichter
angefragten Eidgenössichen Departemente zum Schlusse gelangt, dass die
erbrechtlichen Bestimmungen des Vertrages von 1856 "noch heute zwischen
der Schweiz und dem Lande Baden-Württemberg, und zwar beim letzteren wohl
im Gebiete des Landes Baden in seiner Gestalt vor 1934, weitergelten."

Erwägung 6

    6.- H. MÜLLER nimmt an, die internationalprivatrechtlichen
Bestimmungen des Vertrags von 1856, der in Baden und in der Schweiz in
der vorgeschriebenen Form veröffentlicht wurde, seien nach 1934 in beiden
Ländern auf jeden Fall als innerstaatliches Recht in Kraft geblieben,
weil ein diese Bestimmungen aufhebendes oder inhaltlich davon abweichendes
Gesetz in keinem der beiden Länder ergangen sei und diese Bestimmungen
auch nicht gegenstandslos oder undurchführbar geworden seien (aaO S. 229
/30). Ob diese von der Vorinstanz abgelehnte Auffassung stichhaltig
sei oder nicht, kann dahingestellt bleiben, wenn sich ergibt, dass die
erwähnten Bestimmungen als staatsvertragliche Vorschriften in Kraft
geblieben sind.

Erwägung 7

    7.- Die Beschwerdeführerin macht vor Bundesgericht mit Recht nicht
mehr geltend, das Gesetz vom 30. Januar 1934 könne die Gültigkeit des
Staatsvertrags von 1856 schon deswegen nicht in Frage stellen, weil es
nichtig sei. Sie vermochte eine deutsche Rechtspraxis, die dieses Gesetz
als nichtig betrachten würde, nicht nachzuweisen.

    Die Weitergeltung des Vertrags von 1856 über das Jahr 1934 hinaus
lässt sich auch nicht aus dem völkerrechtlichen Grundsatze herleiten, dass
Verträge regionalen Charakters (d.h. solche, die sich auf ein bestimmtes,
begrenztes Gebiet beziehen) im Falle der Staatensukzession ohne weiteres
den Folgestaat berechtigen und verpflichten (vgl. GUGGENHEIM, Lehrbuch
des Völkerrechts, 1948, Bd. I, S. 426 /27). Im Unterschied etwa zu den
schweizerisch-badischen Verträgen über Eisenbahnlinien im Grenzgebiet, die
Schiffahrt auf Untersee und Rhein, die Vogeljagd auf diesen Grenzgewässern
usw. hat der streitige Vertrag, der internationalprivatrechtliche
Vorschriften mit Wirkung für das ganze Gebiet der Vertragsstaaten
aufstellt, nicht regionalen Charakter.

    Dass der Vertrag von 1856 seine völkerrechtliche Gültigkeit über das
Jahr 1934 hinaus bewahrt habe und heute noch gelte, kann unter diesen
Umständen nur angenommen werden, wenn er im Verhältnis zwischen der
Schweiz einerseits, dem Deutschen Reich und später der Bundesrepublik
Deutschland oder dem Lande Baden-Württemberg anderseits ausdrücklich oder
stillschweigend (durch schlüssiges Verhalten) erneuert worden ist. Die
Weitergeltung des streitigen Vertrags bis zum heutigen Tag hat eine solche
Übernahme durch die Bundesrepublik oder das Land Baden-Württemberg auch
dann zur Voraussetzung, wenn man annimmt, das Land Baden, das nach dem
Zusammenbruch der staatlichen Ordnung des Deutschen Reiches und vor
der Schaffung der Bundesrepublik auf dem südlichen, zur französischen
Besetzungszone gehörenden Teil des frühern badischen Staatsgebiets
entstanden ist, sei ohne weiteres in die Rechte und Pflichten aus den
Staatsverträgen des frühern Landes Baden eingetreten. Denn das neue Land
Baden hat infolge der Vereinigung der Länder Baden, Württemberg-Baden
und Württemberg-Hohenzollern zum Lande Baden-Württemberg im Jahre 1953
aufgehört, als eigener Staat zu bestehen.

Erwägung 8

    8.- Eine ausdrückliche Erneuerung des Vertrages von 1856,
d.h. ein Austausch dahingehender Erklärungen zwischen den zum
Abschluss von Staatsverträgen zuständigen staatlichen Organen auf
deutscher und schweizerischer Seite, hat nach dem 30. Januar 1934 nicht
stattgefunden. (Die in der Beschwerdeschrift enthaltenen Ausführungen
über ein Verzeichnis der nach schweizerischer Auffassung noch geltenden
Verträge, das die Gesandtschaft der Bundesrepublik Deutschland im
Einvernehmen mit dem Eidgenössischen Politischen Departement erstellt
habe, sind als neue Vorbringen gemäss Art. 55 lit. c OG unbeachtlich
und würden im übrigen nicht genügen, um eine ausdrückliche Erneuerung
des streitigen Vertrages darzutun.) Es kann sich daher nur noch fragen,
ob der Vertrag stillschweigend erneuert worden sei.

Erwägung 9

    9.- Die erbrechtlichen Bestimmungen des Staatsvertrags von
1856 haben, wie H. MÜLLER (aaO S. 231) ausführt, ihren Grund in
den besondern wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen, die
zwischen Baden, insbesondere seinem südlichen Teil, und der Schweiz
seit alters bestehen. Die Anwendung von Art. 6, der im vorliegenden
Falle im Vordergrund steht, bietet gegenüber der Anwendung der
Kollisionsvorschriften des autonomen deutschen und schweizerischen Rechts
den Vorteil, dass sie Gerichtsstandskonflikte verhindert und dass sich
dabei die Frage, welche Sachnormen massgebend seien, beidseits der Grenze
immer gleich beantwortet, während die Lösungen, die sich aus dem autonomen
deutschen und schweizerischen Kollisionsrecht ergeben, in gewissen Fällen
voneinander abweichen. (Deutsche in der Schweiz werden gemäss Art. 32 und
22 NAG grundsätzlich nach dem Rechte des letzten Wohnsitzes, also nach
schweizerischem Recht, gemäss Art. 24 Abs. 1 des deutschen EGBGB dagegen
nach den deutschen Gesetzen beerbt.) Der von SCHNORR VON CAROLSFELD
hervorgehobene Nachteil, dass beim Entscheid über die Verlassenschaft
eines in Baden wohnhaft gewesenen Schweizers (ohne Grundbesitz in der
Schweiz) die badischen Gerichte auf Grund des Staatsvertrags deutsches,
andere deutsche Gerichte dagegen gemäss Art. 25 EG schweizerisches Recht
anzuwenden haben, fällt demgegenüber praktisch weniger ins Gewicht. Ein
Interesse an der Weitergeltung der in Frage stehenden staatsvertraglichen
Bestimmungen lässt sich daher nicht leugnen. Hiezu kommt, dass bei
der Umwandlung eines Bundesstaats in einen Einheitsstaat und bei der
Vereinigung mehrerer Gliedstaaten eines Bundesstaats die Änderung der
staatlichen Zuständigkeit im Gebiet der bisherigen Gliedstaaten nicht so
radikal ist wie die Änderung, die bei der Einverleibung eines Gebiets
durch einen fremden Staat eintritt, sodass die Absicht, die in einem
bestimmten Gebiet bisher geltenden Staatsverträge weitergelten zu lassen,
unter sonst gleichen Umständen im ersten Falle eher vermutet werden darf
als im zweiten. Hätte das Deutsche Reich oder die Schweiz den streitigen
Vertrag nach dem Aufhören der Eigenstaatlichkeit des Landes Baden im Jahre
1934 nicht mehr gelten lassen wollen, so hätte also der betreffende Staat
Anlass gehabt, diesen Willen ausdrücklich kundzugeben. Eine solche Kundgabe
ist nicht erfolgt. Auch nach der Bildung des Landes Baden-Württemberg,
in welchem das nach dem deutschen Zusammenbruch neu erstandene Land
Baden aufging, ist dies nicht geschehen. Vielmehr betrachten das
Eidgenössische Politische Departement und das Eidgenössische Justiz-
und Polizeidepartement den Vertrag in seinem erbrechtlichen Teil als
noch gültig, wie dies die Praxis der Justizabteilung auch schon 1948
getan hatte (oben Erw. 5). Das Justizministerium Baden-Württemberg
hat sich im angeführten Erlass über den Rechtshilfeverkehr mit dem
Ausland zur gleichen Auffassung bekannt. Der in diesem Erlass erwähnte
Oberlandesgerichtsbezirk Karlsruhe deckt sich mit dem Lande Baden in seiner
Gestalt vor 1934, für welchen Bereich die schweizerischen Behörden den
Vertrag als weitergeltend erachten. Es ist nichts davon bekannt, dass etwa
die deutsche Bundesregierung der vom Justizministerium Baden-Württemberg
geäusserten Auffassung entgegengetreten wäre. Unter diesen Umständen
darf unbedenklich angenommen werden, dass die Art. 5 und 6 des Vertrags
von 1856 in der Schweiz und im Lande Baden in seiner Gestalt vor 1934,
zu dem Öhningen gehört, infolge stillschweigender Erneuerung des Vertrags
heute noch anwendbar sind. Ob man auf deutscher Seite die Bundesrepublik
Deutschland oder das Land Baden-Württemberg als Vertragspartner ansieht,
ist nur von theoretischem Interesse.

    Eine Schwierigkeit ergibt sich freilich daraus, dass Art. 6
des Staatsvertrags für den Fall der Belegenheit des Nachlasses in
beiden Staaten auf das Bürgerrecht abstellt und dass eine badische
Staatsangehörigkeit heute nicht mehr besteht. Diese Schwierigkeit
lässt sich jedoch überwinden. Die Verordnung über die deutsche
Staatsangehörigkeit vom 5. Februar 1934, welche die Staatsangehörigkeit
in den deutschen Ländern als hinfällig erklärte, bestimmte in § 4:

    "Soweit es nach geltenden Gesetzen rechtserheblich ist, welche deutsche
Landesangehörigkeit ein Reichsangehöriger besitzt, ist fortan massgebend,
in welchem Lande der Reichsangehörige seine Niederlassung hat.

    Fehlt dieses Merkmal, so treten an seine Stelle der Reihe nach:

    1. die bisherige Landesangehörigkeit;

    2. die letzte Niederlassung im Inlande;

    3. die bisherige Landesangehörigkeit der Vorfahren;

    4. die letzte Niederlassung der Vorfahren im Inlande.

    Im Zweifel entscheidet der Reichskommissär des Innern."

    Auf Grund dieser Vorschrift liess sich nach 1934 bestimmen,
ob ein Deutscher im Sinne von Art. 6 Abs. 2 des Staatsvertrags die
badische Staatsangehörigkeit besass. Will man aber annehmen, dort, wo
der Staatsvertrag auf das Bürgerrecht abstellt, dürfe die Niederlassung
(oder die letzte Niederlassung) in Deutschland keine Rolle spielen, so
blieb immer noch die Möglichkeit, an die bisherige Landesangehörigkeit
des Erblassers oder seiner Vorfahren anzuknüpfen. In entsprechender
Weise lässt sich die Frage, ob ein Deutscher im Sinne von Art. 6 Abs. 2
des Staatsvertrags das badische Bürgerrecht besitze, auch heute noch
beantworten. Diese Bestimmung ist daher nicht etwa undurchführbar geworden.

Erwägung 10

    10.- Art. 6 des Staatsvertrags von 1856 regelt seinem Wortlaut nach
nur die Rechtsanwendung und die Zuständigkeit im Falle, dass "über die
Erbberechtigung Streit entsteht". Es rechtfertigt sich jedoch, dieser
Bestimmung in Übereinstimmung mit der Auffassung des Eidgenössischen
Justiz- und Polizeidepartements (Bericht vom 23. März 1923 in BURCKHARDT,
aaO Nr. 1602 I) und H. MüLLERS (aaO S. 242) auch die freiwillige
Gerichtsbarkeit in Nachlasssachen zu unterstellen. Diese analoge Anwendung
gebietet sich vor allem mit Rücksicht auf die Bedeutung, welche den Akten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei der Beurteilung von Erbstreitigkeiten
zukommen kann. Art. 5 des Staatsvertrags steht ihr nicht im Wege. Diese
Bestimmung schafft nur eine Ausnahme mit Bezug auf die "Obsorge" für die
Erbgüter, d.h. mit Bezug auf die Massnahmen zur Sicherung der zum Nachlass
gehörenden Vermögenswerte. Solche Massnahmen soll nach Art. 5 die Behörde
am Ort der gelegenen Sache treffen können (vgl. MÜLLER aaO S. 243; das
ZGB sieht in Art. 551 Abs. 3 eine ähnliche Ausnahme von der nach diesem
Gesetz sonst geltenden Zuständigkeit der Behörden am letzten Wohnsitze des
Erblassers vor). Die Testamentseröffnung gehört nicht zu diesen Massnahmen.

    Der zürcherische Richter ist demnach zur Eröffnung des streitigen
Testaments nicht zuständig. Er wird es dem für Öhningen zuständigen
Nachlassgericht zu übermitteln haben. Nach den vorliegenden Akten ist
dies das Notariat Radolfzell.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    In Gutheissung der Beschwerde wird der Beschluss des Obergerichtes des
Kantons Zürich vom 13. Januar 1955 aufgehoben und festgestellt, dass die
zürcherischen Behörden zur Eröffnung des Testaments von Prof. Dr. Robert
Bertschinger nicht zuständig sind.