Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 II 234



81 II 234

41. Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Mai 1955 i. S. Grossen gegen
Schwarz & Co. Regeste

    Art. 14, 13, 3 Abs. 2 und 9 Abs. 2 HRAG.

    Ansprüche des Reisenden bei Verwendung eines Motorfahrzeugs ohne
Weisung des Dienstherrn. Folgen der Nichtausscheidung von Entgelt und
Auslagenersatz (Änderung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Seit dem 1. März 1946 stand Hans Grossen im Dienste des
Textilgeschäftes J. Schwarz & Co. als Reisevertreter zum Besuche der
Privatkundschaft in fünf Kantonen. Nach den ursprünglichen Abmachungen
erhielt er eine Provision von 20% auf allen "solventen Bestellungen" und
zudem eine Vergütung von 5% auf dem Fr. 2000.-- übersteigenden Umsatze
jedes Untervertreters. Für die Ausübung seiner Tätigkeit benützte er bis
zum 7. Juli 1947 ein eigenes Automobil.

    Am 7. Juli 1947 schlossen die Parteien einen Zusatzvertrag, soweit
wesentlich des nachstehenden Inhaltes: Die Firma Schwarz & Co. stellte
Grossen einen neuen Wagen Marke Morris zur Verfügung. Sie versprach "statt
20% wie bisher, nur noch 17% Provision auf sämtliche Bestellungen, die zur
Ablieferung gelangen, oder die, welche mindestens 10% Anzahlung leisten",
bei provisorischer Gutschrift der restlichen Aufträge. Demgegenüber
verpflichtete sich Grossen u.a., "mit dem Wagen ausschliesslich für die
Firma Schwarz zu arbeiten"; während der Verwendungsdauer "alle notwendigen
Auslagen" zu tragen, "worunter... Reparaturen, Versicherungen, Steuern,
Benzin, Garage, etc."; den Wagen weder zu verkaufen noch zu vertauschen
noch zu verpfänden und ihn, bei Aufgabe der Stelle, "sofort der Firma
abzuliefern, ohne Rücksicht auf die endgültige Abrechnung".

    Durch Vereinbarung vom 3. Mai 1949 erfuhr das Anstellungsverhältnis
eine nochmalige Änderung. Die Firma überliess Grossen anstelle des Morris
einen Wagen Marke Opel, bei Überbindung ungefähr gleicher Unterhalts- und
Rückgabeobliegenheiten und mit der Auflage, dass "Reparaturen, die durch
sein alleiniges oder teilweises Verschulden entstehen, auf seine Rechnung"
gehen. Die Provisionsabrede wurde aufrecht erhalten, aber ergänzt
durch die Garantie eines Existenzminimums von Fr. 500.--. Abschliessend
wurde bestimmt: "Im Hinblick auf die hohe Provision und die Garantie des
Existenzminimums verzichtet Herr Grossen, wie bis anhin, ausdrücklich
auf die Vergütung der Spesen".

    Wenig später, am 30. Juni 1949, wurde die Vertragsbeziehung zwischen
den Parteien gelöst.

    B.- Nachträglich verlangte Grossen von der ehemaligen Arbeitgeberin
den Ersatz der aus der Verwendung des Automobils erwachsenen Auslagen. Da
keine Einigung eintrat, belangte er im Juni 1953 die Firma Schwarz &
Co. auf Bezahlung von Fr. 19'186.70 nebst 5% Zins ab 1. April 1950.
Die Gerichte von Graubünden, das Kantonsgericht durch Urteil vom 20. Juli
1954, wiesen die Klage ab.

    C.- Der Kläger legte Berufung an das Bundesgericht ein.  Er begehrt die
Gutheissung der Klage. Von der Beklagten wird Bestätigung des kantonalen
Entscheides beantragt.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Im kantonsgerichtlichen Urteil ist dargelegt, dass die eingeklagte
Forderung von Fr. 29'186.70 lediglich Entschädigungsansprüche aus der
Verwendung eines Automobils betreffe, und dass sie zudem anlässlich
der erstinstanzlichen Hauptverhandlung auf Fr. 14'400.-- herabgesetzt
worden sei. Diese Angaben sind prozessualer Natur und deshalb mittels
Berufung nicht anfechtbar (Art. 43 OG). Der Versuch des Klägers, unter dem
Titel des "unberechtigten Provisionsabzuges" die Kosten für den Unterhalt
ausserhalb der Wohnstätte einzubeziehen, ist unbehelflich. Derartige
Auslagen wurden mit Fr. 10'000.-- zusätzlich, jedoch laut Feststellung
der kantonalen Gerichte verspätet geltend gemacht. Das Bundesgericht kann
darauf nicht mehr zurückkommen. 2. - Die Vergütung der Auslagen für ein
Motorfahrzeug wird in Art. 14 HRAG besonders geregelt, aber nur unter der
Voraussetzung, dass es der Reisende auf Weisung des Dienstherrn benützt,
welch letztere sowohl ausdrücklich als auch konkludent ergehen kann (BGE
79 II 207 f., 209). Wenn ein unveröffentlichter BGE vom 16. Oktober 1951
i.S. Friebel c. Banholzer die Überlassung eines dem Dienstherrn gehörenden
Automobils an den Reisenden als Weisung gemäss der genannten Vorschrift
betrachtete, so ist das als Folgerung aus den Begleitumständen und nicht
als grundsätzliche Gesetzeserläuterung aufzufassen. Ob der Dienstherr die
Weisung zur Verwendung eines Motorfahrzeuges erteilt habe oder nicht, ist
Tatfrage, wobei der Ausdruck "Weisung" im sprachgebräuchlichen Sinne,
als bewusste und gewollte Anordnung und nicht als blosse Duldung,
verstanden werden muss. Die kantonalen Gerichte haben nun gefunden,
dass der Kläger die behauptete Weisung der Beklagten nicht hinreichend zu
belegen vermochte. Und zwar gelangten sie zu diesem Schlusse nicht allein
durch eine von der Lebenserfahrung getragene Vertragsauslegung, sondern
im Wege einlässlicher Indizienabwägung und antizipierter Würdigung der
angebotenen Parteiaussage. Dass vorhandene Zweifel zugunsten der Beklagten
gewertet wurden, bedeutet keinen Verstoss gegen Bundesrecht, namentlich
keine Verletzung des Art. 8 ZGB, der einzig die Beweislast beschlägt. Was
die Berufung einwendet, ist unstatthafte Kritik am verbindlich ermittelten
Sachverhalt (Art. 55 Abs. 1 lit. c und 63 Abs. 2 OG; BGE 69 II 322/3,
70 II 43, 78 II 97 und unveröffentlicht vom 11. Januar 1954 i.S.
Affeltranger c. Wettstein).

Erwägung 3

    3.- Daraus ergibt sich indessen entgegen der Ansicht der Vorinstanz
noch nicht die Abweisung der Klage. Wie in BGE 79 II 208 des näheren
ausgeführt, greift vielmehr auch dort, wo der Reisende ein Fahrzeug ohne
Weisung des Dienstherrn verwendet, die zwingende Bestimmung in Art. 13 HRAG
Platz, nach welcher alle durch die Reisetätigkeit notwendig entstehenden
Auslagen vergütet werden müssen. Hinsichtlich der Wirkungen ihrer
Missachtung wäre gemäss BGE 74 II 62 zu unterscheiden: ob die versprochene
Gehalts- oder Provisionsentschädigung als reines Entgelt gedacht war,
unter welcher Annahme dem Reisenden eine Nachforderung für Aufwendungen
zukäme, oder ob das vereinbarte Entgelt zugleich den Auslagenersatz
umfassen sollte, was die Übereinkunft hinfällig machen würde. An solcher
Abgrenzung kann bei erneuter Prüfung nicht festgehalten werden. Obwohl
ihr der Wortlaut des Art. 13 HRAG eine gewisse Stütze bietet, schafft
sie eine dem Zweck der gesetzlichen Ordnung zuwiderlaufende Ungleichheit
der Behandlung zweier in Wirklichkeit gleicher Tatbestände. Ohne die
Vertragsfreiheit für die Festsetzung des eigentlichen Arbeitslohnes
aufzuheben, will das HRAG verhindern, dass der Reisende die Spesen seiner
Tätigkeit aus eigenen Mitteln bestreiten muss. Darum auferlegt es in
Art. 13, Abs. 1 dem Dienstherrn die unabdingbare Pflicht zur Leistung
vollen Auslagenersatzes, und das Einrechnungsverbot in Abs. 2 ist
nichts anderes als eine Anwendung des allgemeinen Leitsatzes (BGE 75 II
243). Die unzulässige Abweichung liegt also in der Nichtgewährung einer
ziffermässig ausgeschiedenen, die notwendigen Auslagen des Reisenden
vollständig deckenden Aufwandvergütung. Sie ist nicht nur gegeben, wenn
der Spesenersatz zum Bestandteil des Entgeltes gemacht, sondern ebenso,
wenn er überhaupt verweigert wird. Dann muss auch die Folge in beiden
Fällen dieselbe sein, nämlich die Nichtigkeit des Abkommens, sofern es
den Reisenden in seinen berechtigten Interessen verkürzt (Art. 19 HRAG
und BGE 80 II 151).

Erwägung 4

    4.- Vorliegend kennen die Parteivereinbarungen ausschliesslich
Provisionsbezüge des Reisenden mit wechselnden Ansätzen und zuletzt
in garantierter Mindesthöhe. Es ist nach Massgabe von BGE 80 II 151
vorweg zu untersuchen, ob wegen daheriger Benachteiligung des Klägers
die Nichtigkeit jener Abreden eintritt. Wird das bejaht, so ist die
Rechtslage gleich, wie wenn eine Abmachung unterblieben wäre. Ausgehend
von Art. 3 Abs. 2, 9 Abs. 2 und 13 Abs. 1 HRAG sind einerseits das der
Dienstleistung des Klägers angemessene Entgelt, anderseits die ihm
geschuldete Auslagenvergütung zu bestimmen. Diese hat sich nach dem
eingangs Gesagten auf die Transportaufwendungen zu beschränken. Dass
sie als Autospesen substanziert wurden, schadet nicht. Nachdem der
Kläger ein Motorfahrzeug ohne Weisung der Beklagten benützte, gebührt
ihm einfach die Erstattung der zur richtigen Erfüllung seiner Aufgabe
objektiv notwendigen Auslagen, deren Art und Mass anhand der Richtlinien
in BGE 79 II 208 zu erheben sind. Eine Gegenüberstellung der Summe aus den
richterlich festgelegten Ansprüchen und des Gesamtbetrages der empfangenen
Provisionszahlungen wird zeigen, ob und in welchem Umfange der Kläger
noch Forderungen an die Beklagte zu stellen hat.

    Da es für die Beurteilung nach den erörterten Richtungen hin
ergänzender Tatsachenfeststellungen bedarf, ist der Prozess an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Unklarheit besteht auch darüber, für welche
Periode der Auslagenersatz noch streitig ist. Das Kantonsgericht bemerkt,
die Entschädigung werde nur für die Zeit nach dem 7. Juli 1947 verlangt,
während es vorgängig als Gegenstand der reduzierten Forderung von
Fr. 14'400.-- die "Autokosten für Benzin, Oel, Garagemiete und Reparaturen
für 72'000 Fahrkilometer" bezeichnet und aus den Akten ersichtlich ist,
dass sich diese 72'000 Fahrkilometer über die ganze Vertragsdauer vom
1. März 1946 bis Ende Juni 1949 verteilen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und
die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückge wiesen.