Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 II 117



81 II 117

21. Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. März 1955 i.S. Schweizerischer
Tabakverband gegen Schwarzer. Regeste

    Art. 2 und 28 Z GB, Art. 41 OR.

    Unzulässiger Vernichtungsboykott. Grundsätzliches über Begriff,
Zulässigkeitsvoraussetzungen und Beweispflicht, nach Massgabe der geltenden
Rechtsprechung.

Sachverhalt

    A.- Der im Jahre 1932 gegründete Schweizerische Tabakverband ist ein
Verein gemäss Art. 60 ff. ZGB. Er bezweckt laut Art. 2 seiner Statuten
(Ausgabe 12. Juli 1939)

    "in erster Linie die Sanierung der Preis- und Rabattverhältnisse
und der damit in Zusammenhang stehenden Missbräuche (Prämiensysteme und
Zugabewesen) beim Verkauf von Tabakwaren an die Konsumenten und ebenso
die Wahrung der allgemeinen lebenswichtigen Interessen der schweizerischen
Tabakbranche."

    Sodann bestimmt Art. 3 der Satzung:

    "Mitglieder des Verbandes können werden:

    a.  Handelsorganisationen der schweizerischen Tabakbranche;

    b.  Einzelfirmen der Tabakindustrie und des Tabakhandels, soweit
letztere nicht in schweizerischen Brancheverbänden organisiert sind,
die dem Schweizerischen Tabakverbande angehören. Die Aufnahme in den
Verband erfolgt durch den Vorstand."

    Zwischen den Verbandsmitgliedern besteht eine Kartellordnung,
die sogenannte Tabakkonvention, deren jetzt gültige Fassung vom
14. September 1950 am 1. Januar 1951 in Kraft trat und die frühere vom
12. Juli 1939 ersetzte. Darin sind zur Verwirklichung der Verbandsziele
eine Reihe von Einzelvorschriften aufgestellt. Verletzungen ziehen
einschneidende wirtschaftliche Massnahmen und Strafen nach sich, wie
Bussen, Kürzung der Rabatte auf Warenlieferungen, Preiserhöhungen und
Sanktionsaufschläge, Konventionalstrafen, zeitweilige oder dauernde
Warensperre (vgl. Art. 5 ff.). Die Verpflichtungen aus dem Abkommen sind
nicht nur den Unterzeichnern auferlegt, sondern der Verbandsvorstand ist
beauftragt, dafür zu sorgen, dass sie "- soweit nötig - ... auch von den
übrigen Brancheangehörigen (Handel) durch Unterzeichnen eines ... von
Fall zu Fall ausgearbeiteten Verpflichtungsscheines übernommen werden"
(Art. 2). Untersagt und strafbar ist nach Art. 1 lit. k der Konvention
u.a.: "jede Art Lieferung von Tabakfabrikaten (auch mit Mengenrabatten) an
bestehende Geschäfte, neu zu gründende Firmen und Verkaufsorganisationen,
die zur Unterzeichnung des Verpflichtungsscheines verpflichtet sind
(Art. 2) und die bisher nicht im Tabakhandel tätig waren, in Städten, deren
Nachbarschaft, Ortschaften mit städtischem Charakter, Saison- und Kurorten
oder andern Ortschaften, wo Spezialgeschäfte des Tabakhandels bestehen,
ohne sich vor der Lieferung beim S.T.V. Gewissheit zu verschaffen, dass
der Verpflichtungsschein eingereicht und genehmigt worden ist".

    Dem ist unter dem Titel "Ausnahmen" beigefügt:

    "Diese Bestimmungen finden keine Anwendung auf Hotels, Restaurants,
Bars und Tearooms, Automaten bei bestehenden und in der Branche
zugelassenen Tabakspezialgeschäften und auf Mitglieder der von der
Industrie anerkannten Einkaufsgenossenschaften."

    Weiter heisst es über das "Bewilligungsverfahren":

    "Gesuche um Bewilligung zur Belieferung im Sinne von Al. 1, Lit. k,
werden auf Grund der Bedürfnisfrage, des Fähigkeitsausweises, bisheriger
Tätigkeit und finanzieller Lage des Gesuchstellers vom Vorstand des S.T.V.
entschieden.

    Die Gesuche sind vom Gesuchsteller oder dem interessierten Lieferanten
des S.T.V. schriftlich, begründet und mit einem unterzeichneten
Verpflichtungsschein einzureichen."

    Die so angestrebte Regelung der Bedürfnisfrage liegt ausserhalb des
Bereiches der durch Art. 93 der VO betreffend die fiskalische Belastung
des Tabaks vom 30. Dezember 1947 der Oberzolldirektion übertragenen
Aufsichtsbefugnisse über den Handel mit Tabakfabrikaten und der in
Art. 94 des nämlichen Erlasses enthaltenen Preisschutz bestimmungen
(vgl. BS 6 S. 228).

    B.- Arthur Schwarzer, geboren 1919, erlitt in früher Kindheit
einen Unfall mit Rückgratsverletzung, welche eine teilweise Lähmung
der Beine verursachte. Er ist kaufmännisch ausgebildet, vermochte aber
der gesundheitlichen Behinderung wegen keine befriedigende berufliche
Stellung zu finden. Das brachte ihn auf den Gedanken, einen Kiosk zu
eröffnen. Als Standort wählte er die nächst der Sihlbrücke gelegene Ecke
des promenadenartig gestalteten freien Raumes zwischen Sihlstrasse,
Gessnerallee und Schanzengraben in Zürich. Der Stadtrat bewilligte am
20. Oktober 1950 die Errichtung des Kioskes und den Verkauf üblicher Waren,
darunter Tabakwaren.

    Da Schwarzer eigener Mittel entbehrte, verbürgte seine Heimatgemeinde
einen Kredit von Fr. 3500.--, was ermöglichte, den Kiosk zu bauen und
Ende Mai 1951 in Betrieb zu nehmen.

    Zuvor liess Schwarzer durch einen Zürcher Rechtsanwalt beim
Schweizerischen Tabakverbande das vom unterschriebenen Verpflichtungsschein
begleitete Gesuch um Erlaubnis zum Bezuge und Verkaufe von Tabakwaren
unterbreiten. Der Verband lehnte mit Brief vom 13. Januar 1951 ab,
weil das Bedürfnis nach einer neuen Verkaufsstelle in der Gegend um die
Sihlbrücke verneint werden müsse. Wiedererwägungsgesuche vom 27. Januar
und 13. Februar 1951 blieben erfolglos.

    C.- Im Mai 1952 reichte Schwarzer gegen den Schwei zerischen
Tabakverband Klage ein mit den Begehren:

    "1.  Der Beklagte sei zu verurteilen, dem Kläger die ausdrückliche
Bewilligung zu erteilen, sämtliche für seinen Kiosk an der
Gessnerallee-Sihlstrasse, Zürich, benötigten Tabakwaren von den dem
Schweiz. Tabakverband angeschlossenen Firmen, Fabrikanten, Grossisten
usw. zu den in der Konvention des Schweiz. Tabakverbandes enthaltenen
Bedingungen zu beziehen, unter Androhung der gesetzlichen Folgen im Falle
der Nichterfüllung.

    2.  Der Beklagte sei ferner zu verurteilen - ebenfalls unter Androhung
der gesetzlichen Folgen im Unterlassungsfalle - den ihm angeschlossenen
Firmen und Verbänden durch eingeschriebenen Brief, eventuell in der in
den Statuten vorgesehenen Weise mitzuteilen, dass sie berechtigt seien,
dem Kläger für seinen Kiosk in Zürich Tabakwaren irgendwelcher Art zu
den üblichen Verbandspreisen zu liefern.

    3.  Der Beklagte sei schliesslich zu verurteilen, dem Kläger eine
richterlich zu bestimmende Summe als Schadenersatz zu bezahlen."

    Der Verband erhob zunächst die Unzuständigkeitseinrede, da
sich Schwarzer durch Unterzeichnung des Verpflichtungsscheines der
in der Konvention vorgesehenen Schiedsgerichtsbarkeit unterzogen
habe. Diese Auffassung wurde vom kantonalen Richter anerkannt, jedoch
auf staatsrechtliche Beschwerde Schwarzers hin vom Bundesgericht insoweit
verworfen, als die geltend gemachten Ansprüche nicht auf die Konvention
oder den Verpflichtungsschein gestützt, sondern aus allgemeinen
Rechtsgrundsätzen hergeleitet würden (Urteil der staatsrechtlichen
Abteilung vom 27. März 1953). Darauf trafen die Parteien in der
Hauptverhandlung vom 25. September 1953 die nachstehende Abrede:

    "1.  Die Schiedsgerichtsvereinbarung wird in diesem Falle aufgehoben,
sodass das befasste Gericht zuständig sein soll, sowohl die Vertragsklage
auf Bewilligung des Kioskes infolge vorhandenen Bedürfnisses als auch
die Boykottklage zu beurteilen.

    2.  Hinsichtlich der Boykottfrage anerkennt der Kläger, dass sowohl
Zwecke als auch Mittel der Beklagten nicht angefochten werden, dagegen
die bisher vorgenommene Interessenabwägung zwischen Verbandszweck und
Berechtigung des Klägers auf Führung des Kiosks."

    Durch seinen Sachentscheid vom 26. Mai 1954 hiess der Appellationshof
des Kantons Bern die Klage gut, indem er den Beklagten unter Androhung
strafrechtlicher Ahndung im Widerhandlungsfalle verurteilte, "den
ihm angeschlossenen Firmen und Verbänden verbindlich mitzuteilen,
dass sie berechtigt seien, dem Kläger für seinen Kiosk an der
Gessnerallee/Sihlstrasse in Zürich Tabakwaren irgendwelcher Art zu den
üblichen Verbandspreisen zu liefern", und verpflichtete, "dem Kläger an
Schadenersatz zu bezahlen:

    für die Zeit bis zum 31. Mai 1954 Fr. 9500.--, mit Zins zu 5% seit
dem 1. Januar 1953;

    vom 1. Juni 1954 hinweg bis zur Aufhebung der Sperre Fr. 300.--
im Monat."

    D.- Der Beklagte legte Berufung an das Bundesgericht ein. Er beantragt
vollumfängliche Abweisung der Klage. Der Kläger schliesst auf Bestätigung
des kantonalen Erkenntnisses.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Ausgehend davon, dass mit der oben wiedergegebenen gemeinsamen
Parteierklärung "der noch streitige Prozessstoff umschrieben" sei, hat der
Appellationshof den Belieferungsanspruch des Klägers zuerst aus Vertrag
und dann auch wegen Vorliegens eines unzulässigen Boykottes bejaht. Ob
eine vertragliche Bindung des Beklagten eingetreten sei, erscheint als
zweifelhaft, sofern man die grundlegenden Ausführungen im kantonalen
Urteil nicht als Feststellung eines prozessualen Zugeständnisses versteht,
kann aber offen bleiben, wenn die Boykottklage zu schützen ist.

Erwägung 2

    2.- Die Rechtsprechung sieht "das Wesen des Boykottes in der
organisierten Meidung eines Gewerbetreibenden, mit dem Zwecke, ihn zu einem
bestimmten aktiven oder passiven Verhalten zu veranlassen oder ihn für ein
solches zu massregeln" (BGE 76 II 285). Die Weigerung des Beklagten, den
vom Kläger vorgelegten Verpflichtungsschein zu genehmigen, ist als solche,
ihrem Sinne und Ziele nach, darauf gerichtet, den Gesuchsteller von der
Belieferung durch die an der Verbandskonvention direkt oder indirekt
Beteiligten auszuschliessen und ihm so den Handel mit Tabakwaren zu
verwehren. In ihrer Wirkung läuft die Massnahme auf eine vollständige
Sperre hinaus, da sie laut Angabe der Vorinstanz "praktisch alle
Lieferanten" erfasst. Zu ihrer Durchsetzung endlich dienen die erwähnten
strengen Sanktionen gemäss Art. 5 ff. der Konvention, welche umso schwerer
wiegen, als es im Tabakgewerbe zahlreiche kleine Existenzen gibt. Das
Ganze ist organisierter, unter Anwendung von Zwangsmitteln geführter
Wirtschaftskampf mit den unverkennbaren Merkmalen des Boykottbegriffes.

    Die Berufung verficht die Auffassung, dass kein Vernichtungsboykott
gegeben sei, vielmehr die Vorinstanz nur von einem Verdrängungsboykott
spreche, jedoch, am Ergebnis der Verbandsvorkehren gemessen, auch
ein solcher ausscheide. Dem ist fürs erste entgegen zu halten, dass
die Grenzen zwischen Verdrängung und Vernichtung fliessend sind. Die
Verdrängung aus einer geschäftlichen Stellung und schon die blosse
Verhinderung an gewollter geschäftlicher Betätigung enden häufig mit der
Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Betroffenen. So hat auch das
Bundesgericht, wo es angebracht war, den nämlichen Tatbestand zugleich
als Verdrängung und als Vernichtung bezeichnet (vgl. BGE 76 II 286 in
Verbindung mit 287 Ziff. 3 und 290 Abs. 3). Der Beklagte muss zugeben,
dass die Vorinstanz Verdrängungsboykott sage und Vernichtungsboykott
meine. In der Tat stellt sie den vernichtenden Charakter der angeordneten
Meidung des Klägers fest, und zwar entgegen der Ansicht des Beklagten
nicht nur anhand der Erfahrung, sondern im Wege der Beweiswürdigung
(Art. 63 Abs. 2 OG). Daran ändert nichts, dass es sich beim Kioske des
Klägers um eine Neueröffnung handelt (BGE 76 II 286; vgl. DESCHENAUx,
Licéité et limites du boycott, ZSR 70 S. 137). Es ist auch ohne Belang,
dass sich der Kläger bisher trotz allem eine gewisse Menge von Tabakwaren
zu verschaffen vermochte. Schon die Vorinstanz hat hervorgehoben, dass
nichtsdestoweniger die Sperre in ihrer Art vernichtend ist und, soweit
das am Verbande liegt, auch vernichtend gestaltet wird. Die verfügbaren
Machtmittel sind dazu geeignet. Dass der Verband danach trachtet, sie
durchschlagend zum Einsatze zu bringen, erhellt unmissverständlich aus der
Parteierklärung seines Präsidenten und ist belegt durch einen bei den Akten
liegenden Brief vom 9. Januar 1952 an einen Grossisten. Umgekehrt bieten
die verdeckten Bezugsmöglichkeiten dem Kläger keinen ausreichenden Ersatz
für das, was ihm durch das Lieferverbot des Verbandes entgeht. Einmal
sind die Bedingungen meist schlechter und lassen eine erheblich geringere
Verdienstspanne. Weiter besteht keinerlei Gewähr für eine regelmässige und
den Bedürfnissen angepasste Bedienung. Es mangelten denn auch zeitweilig
gerade die gängigsten Rauchwaren, u.a. gewisse Zigarettensorten. Bedenkt
man, dass für Kioske der Handel mit Zigaretten die Existenzgrundlage
bildet, so ist unschwer zu ersehen, dass auf die Dauer - und zumal bei
steigendem Erfolg der Kontrollbemühungen des Verbandes - der Kläger dem
aufihn ausgeübten Druck kaum zu begegnen imstande wäre. Unbehelflich ist
schliesslich der Berufungseinwand, die Vorinstanz habe die Beweislast
unrichtig verteilt. Darauf kommt ohnehin nur etwas an, wo der Beweis
nicht erbracht ist, während hier keine Ungewissheit darüber bleibt, dass
der Beklagte den Kläger mit vernichtender Wirkung boykottiert (vgl. das
unveröffentlichte Urteil vom 22. September 1953 i.S. Morger c. Wiederkehr
Erw. 1b und BGE 57 II 274). Die Rüge, es sei die Vorinstanz im Urteil
von ihrer ursprünglichen Beweisverfügung abgewichen, ist nicht zu hören,
weil sie nicht Bundesrecht, sondern kantonales Prozessrecht beschlägt.

    Liegt ein Boykott vor, so sind seine Zulässigkeit zu prüfen und
gegebenenfalls seine Grenzen abzustecken. Dabei geht es keineswegs um eine
Entscheidung über die vom Beklagten in den Vordergrund der Betrachtung
gerückten verfassungsmässigen Freiheitsrechte an sich. Vielmehr hat
die Beurteilung danach zu fragen, ob die beanspruchte Boykottbefugnis
einen Ausfluss jener Freiheitsrechte darstelle und ob die verhängten
Boykottmassnahmen sich innerhalb der für die Rechtsausübung gesetzten
Schranken halten bzw. mit Drittrechten vertragen. Es wäre gänzlich abwegig,
aus dem Bestehen der Handels- und Gewerbefreiheit, der Vertragsfreiheit
und der Vereinsfreiheit die grundsätzliche Schutzlosigkeit Dritter
gegenüber Verbandsbeschlüssen und deren Auswirkungen zu folgern, wie
es der Beklagte anscheinend will, indem er unterstellt, dass lediglich
"kein krasser Missbrauch geübt werden darf". Art. 2 ZGB verpönt jeglichen
Rechtsmissbrauch, sobald er offenbar ist, während Art. 41 Abs. 2 OR für
den Verstoss gegen die guten Sitten und Art. 28 ZGB für die Verletzung in
den persönlichen Verhältnissen nicht einmal jene Offenkundigkeit verlangen.

Erwägung 3

    3.- Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist der Boykott
an und für sich ein statthaftes Kampfmittel im Wirtschaftsleben, aber
unzulässig dann, "wenn der mit ihm verfolgte Zweck oder die angewandten
Mittel rechtswidrig sind oder gegen die guten Sitten verstossen oder wenn
zwischen dem erstrebten Vorteil und dem Schaden, den der von der Massnahme
Betroffene erleidet, ein offenbares Missverhältnis besteht" (BGE 73 II 76,
69 II 82; vgl. BGE 62 II 105, 57 II 270, 56 II 435 und OSER/SCHÖNENBERGER,
zu Art. 41 OR N. 44 ff.). Der eigentliche Vernichtungsboykott insbesondere
ist nur erlaubt, "wenn schutzwürdige Interessen des Urhebers der Sperre die
Fernhaltung des Boykottierten von dem in Frage stehenden Wirtschaftsgebiet
rechtfertigen und erheischen" (BGE 76 II 287).

    Der Begriff des Verstosses gegen die guten Sitten ist umfassender als
derjenige der Beeinträchtigung des subjektiven Rechtes "auf Achtung und
Geltung der wirtschaftlichen Persönlichkeit", auf dem die ältere Praxis
fusste (BGE 56 II 435). Allein der auf Vernichtung der wirtschaftlichen
Existenz zielende Boykott schliesst normalerweise einen Eingriff in die
wirtschaftliche Persönlichkeit des Boykottierten ein. Die Sittenwidrigkeit
im Sinne des Art. 41 Abs. 2 OR wird alsdann in der Regel mit einer
Verletzung der persönlichen Verhältnisse gemäss Art. 28 ZGB verbunden
sein. Die neuere Rechtsprechung hat daher mit Grund den Gesichtspunkt des
wirtschaftlichen Persönlichkeitsrechtes wieder einbezogen (BGE 76 II 288).

    Dafür, dass die umschriebenen Voraussetzungen eines zulässigen
Vernichtungsboykottes erfüllt seien, ist der Boykottierende "nach den
allgemeinen Grundsätzen der Behauptungs- und Beweislast beweispflichtig"
(BGE 76 II 290). Das heisst, dass der Vernichtungsboykott im Einzelfalle
einer hinreichenden Rechtfertigung bedarf, welche aus der Gegenüberstellung
der geltend gemachten Verbandsinteressen mit den Interessen des
Boykottierten herzuleiten ist. Eine derartige Interessenabwägung hat die
Vorinstanz vorgenommen. Auf die vom Beklagten auch in diesem Zusammenhange
wiederholte Bemängelung der Beweiserhebung braucht nicht näher eingetreten
zu werden, da die Richtigkeit der Beweislastverteilung wenigstens in
Hinsicht auf die - zwar bestrittene, aber nach dem Vorstehenden zutreffende
- Annahme eines Vernichtungsboykottes zugestanden ist (vgl. immerhin
BEKKER'zu Art. 41 OR N. 81 und 85, neben der in der Berufung erwähnten
N. 98, und BOLLA, Il boicottagio nel diritto civile svizzero, ZSR 46
S. 230).

Erwägung 4

    4.- Die in BGE 76 II 292 aufgeworfene und dort nicht abschliessend
beantwortete Frage, ob mit Rücksicht auf die in Art. 31 bis BV dem Staate
verliehenen Befugnisse die Einführung einer Bedürfnisklausel von der Art,
wie sie der beklagte Verband zur Anwendung bringt, durch privatrechtliche
Organisation überhaupt angängig sei, muss auch hier nicht entschieden
werden, sofern sich der Urteilsspruch ohnedies ergibt. Die Handels-
und Gewerbefreiheit gewährt wohl die Möglichkeit zu rechtsgeschäftlicher
Vereinigung. Doch ist die darin enthaltene Abschlussfreiheit ihrerseits
begrenzt durch die Schranken eben der Rechtsordnung, deren Bestandteil
sie bildet. Deshalb hat sich der Beklagte vorweg einer Nachprüfung
seiner Stellungnahme durch den Richter zu unterziehen und das in der
Prozessabrede mit dem Kläger auch hingenommen. Dabei müssen (unter der
Annahme, sie seien an sich mit den guten Sitten vereinbar) jene Richtlinien
wegleitend sein, auf die der Beklagte selber festgelegt ist, was bereits
die Vorinstanz in ihren Überlegungen zur Vertragsklage dargetan hat. Eine
andere Betrachtungsweise käme der wettbewerbsmässigen Hintansetzung des
Klägers gleich. Auch der Gedanke, dass "für einen Wirtschaftsverband,
der die Vereinsform gewählt hat statt der sachlich richtigeren
Genossenschaftsform und der eine wirtschaftliche Monopolstellung einnimmt",
möglicherweise eine Pflicht zur Aufnahme von Mitgliedern bestehen könnte
(BGE 76 II 294/95), legt nahe, dass der Kläger zumindest nicht strenger
als seine Konkurrenten behandelt werden darf.

    Nun pflegt der Tabakverband über Vorhandensein oder Nichtvorhandensein
des Bedürfnisses für eine geschäftliche Neugründung in Ansehung der
gegebenen tatsächlichen Verhältnisse zu befinden. Die Vorinstanz hat auf
Grund der Akten, mit Hilfe von Augenschein, Zeugen- und Parteiaussagen,
also beweiswürdigend und daher für das Bundesgericht bindend ermittelt,
dass ein Bedürfnis nach dem vom Kläger betriebenen Kiosk nicht verneint
werden durfte. Damit erledigt sich ohne weiteres die Berufungskritik
zu diesem Punkte. Es steht fest, dass weder die Existenz des beklagten
Verbandes oder einzelner seiner Mitglieder bedroht, noch das eingesessene
Tabakgeschäft erheblich gefährdet ist. Zu beachten ist ferner, dass
der Kiosk in ein ausgesprochenes Geschäftsviertel verlegt wurde,
"an eine grosse Durchgangsstrasse, wo der Verkehr in den Stosszeiten
wegen der Bevölkerungszunahme in den dortigen Aussenquartieren ganz
wesentlich zugenommen hat", und dass deshalb bezüglich des Bedürfnisses
der blosse Hinweis auf die Zahl bestehender Geschäfte, der vielleicht
für Wohnquartiere genügen mag, keinen tauglichen Massstab bietet.
Anderseits greift der Boykott nach den Feststellungen des Sachrichters an
die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Klägers und schafft dergestalt
eine Benachteiligung, die in keiner vernünftigen Beziehung zu den Vorteilen
steht, welche der Verband für sich und den von ihm vertretenen Berufszweig
zu erreichen glaubt; das sogar ganz unabhängig von der schwierigen
persönlichen Lage, in die sich der Kläger seines körperlichen Gebrechens
wegen überdies versetzt sieht. Schon angesichts dieser Gegebenheiten
schlägt die Abwägung der gegenseitigen Interessen eindeutig zugunsten des
Klägers aus. Hinzu kommen Umstände, welche die Einstellung des Beklagten
vollends unhaltbar machen. Der Verband schweizerischer Konsumvereine,
der Verband ostschweizerischer landwirtschaftlicher Genossenschaften und
mehrere andere Einkaufsgenossenschaften haben sich der Bedürfnisregelung
des Tabakverbandes nicht unterworfen. Darum wird die Belieferung der
zahlreichen alten oder neuen Verkaufsstellen, die einer der genannten
Organisationen zugehören, vom Beklagten gestattet oder geduldet. Gleich
verhält es sich mit Gasthöfen, Wirtschaften und anderen Gaststätten. Auf
solche Weise sind, seit der Kläger seinen Kiosk eröffnete, in der Nähe
nicht weniger als sieben Verkaufsstellen entstanden. Der Einwand des
Beklagten, erstrebt sei der Schutz der Spezialgeschäfte "des eigentlichen
Tabakhandels", geht fehl, solange dieser von grossen und verzweigten
Wirtschaftsunternehmen frei konkurrenziert werden kann. Ausserdem ist
der Kiosk des Klägers auch kein Spezialgeschäft für Tabakwaren, wie denn
ohnehin von den schätzungsweise 63'000 Tabakvertriebsstellen der Schweiz
nur rund 2000 Spezialgeschäft sind.

    Die zusammenfassende Wertung führt zum Schlusse, dass der Boykott
des Beklagten offenbar missbräuchlich ist, gegen die guten Sitten
verstösst und eine untragbare Verletzung des Rechtes der wirtschaftlichen
Persönlichkeit des Klägers zeitigt. Folgt damit die Gutheissung der Klage
aus der geltenden einschlägigen Gerichtspraxis, so erübrigt sich hier
eine Auseinandersetzung mit der an dieser geübten Kritik.

Erwägung 5

    5.- Der von der Vorinstanz zugesprochene Schadenersatz ist - jedenfalls
mit einer der Vorschrift in Art. 55 Abs. 1 lit. c OG genügenden Begründung
- ziffernmässig nicht bestritten. Der Beklagte lehnt, entsprechend seinem
grundsätzlichen Prozessstandpunkt, jede Schadenersatzpflicht ab. Wollte man
annehmen, darin sei als Geringeres eventuell auch ein Herabsetzungsbegehren
inbegriffen, so wäre dieses zu verwerfen. Die Vorinstanz hat die vom
Experten errechnete Ersatzforderung ermessensweise bereits gekürzt. Weiter
zu gehen besteht kein Anlass. Einem Verbande, der ein wirtschaftliches
Monopol oder doch eine monopolähnliche Stellung in Anspruch nimmt und sich
für seine Zwecke des Systems der Bedürfnisklausel bedient, erwächst bei
ihrer Handhabung gegenüber dem Einzelnen die Obliegenheit zu einlässlicher
und objektiver Abklärung der Verhältnisse, bevor durch Machtmittel in den
Rechtsbereich des Dritten eingegriffen wird. Ihr hat der Beklagte weder
durch die unzulänglichen Erkundigungen seines Vertrauensmannes noch sonst
in der Beurteilung der Sachlage genügt. Sein Verhalten war schuldhaft,
und die nochmalige Ermässigung der Ersatzleistung für den verursachten
Schaden wäre unbillig.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes
des Kantons Bern, II. Zivilkammer, vom 26. Mai 1954, wird bestätigt.