Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 III 67



81 III 67

20. Entscheid vom 1. Juni 1955 i.S. Meier. Regeste

    Rückerstattung der Gebühren für ungültige Verfügungen (Art. 17
GebT). Sind zurückzuerstatten a) die Kosten eines entgegen Art. 72
SchKG durch gewöhnlichen Chargébrief zugestellten Zahlungsbefehls? b)
die Kosten einer entgegen Art. 91 VZG vor Zustellung des Zahlungsbefehls
an den Schuldner erfolgten Anzeige der Mietzinssperre an die Mieter? c)
die Kosten einervom Gesetz nicht vorgesehenen Mitteilung an die nicht
betreibenden Grundpfandgläubiger über die Anordnung der Mietzinssperre?

    Beschwerde zwecks Vorbereitung einer Schadenersatzklage gegen den
Betreibungsbeamten? (Art. 21 SchKG).

    Rekurs gegen einen Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde, der
die Anordnung von Disziplinarmassnahmen (Art. 14 SchKG) ablehnt?

Sachverhalt

    Am 7. Februar 1955 fertigte das Betreibungsamt Gansingen für eine
Forderung der City-Umbau A. G. in Zürich gegen Frl. Meier in Zürich
im Betrage von Fr. 340.-- (rückständige Schuldbriefzinsen) nebst Zins
und Kosten einen Zahlungsbefehl für die Betreibung auf Verwertung eines
Grundpfandes (der Liegenschaft Nr. 25 in Gansingen) aus. Die Zustellung
an die Schuldnerin erfolgte durch gewöhnlichen eingeschriebenen Brief,
den die Schuldnerin, weil ihre Adresse im Betreibungsbegehren unrichtig
angegeben worden war, erst am 11. Februar 1955 erhielt.

    Am 7. Februar richtete das Betreibungsamt an die Allgemeine Aargauische
Ersparniskasse in Aarau, die ihm vom Grundbuchamt als Grundpfandgläubigerin
im 1. Rang angegeben worden war, die Mitteilung, der Gläubiger im 3. Rang
habe Grundpfandbetreibung eingeleitet und die Zinssperre nach Art. 91 VZG
verlangt, wovon die beiden Mieter in Kenntnis gesetzt worden seien. Da
die Ersparniskasse antwortete, ihr Schuldbrief sei an Emil M. in Adliswil
übertragen worden und werde vermutlich von der Schweiz. Bankgesellschaft
in Wohlen verwahrt und verwaltet, gab das Betreibungsamt am 9. Februar
dieser Bank von der Mietzinssperre Kenntnis.

    Am 17. Februar 1955 führte die Schuldnerin gegen das Betreibungsamt
Beschwerde. Sie beantragte "Annullierung des am 7. Februar 1955
ausgefertigten Zahlungsbefehls und dessen Neuerstellung unter Kostenfolge
für das Betreibungsamt Gansingen", weil die Zustellung in ungesetzlicher
Weise erfolgt sei. Ausserdem beantragte sie, dem Betreibungsamt sei eine
Rüge zu erteilen, weil es der Ersparniskasse und der Bankgesellschaft zu
Unrecht die Mietzinssperre angezeigt und damit ihren Kredit geschädigt
habe. Die untere Aufsichtsbehörde schrieb das Beschwerdeverfahren am
21. Februar 1955 als durch Rückzug der Betreibung erledigt ab.

    Hiegegen rekurrierte die Schuldnerin an die kantonale Aufsichtsbehörde
mit den Anträgen, "dass

    1.  die Kosten von Fr. 17.50 vom Betreibungsamt Gansingen dem
Beschwerdeführer (Schuldner) zurückzuerstatten seien;

    2.  das Vorliegen einer unangemessenen Verfügung seitens
des Betreibungsamtes Gansingen im Hinblick auf einen eventuellen
Kreditschädigungsprozess festgestellt und dem fehlbaren Beamten zumindest
eine Rüge erteilt werde."

    Am 30. April 1955 hat die kantonale Aufsichtsbehörde erkannt, der
Rekurs werde abgewiesen, soweit darauf einzutreten sei.>

    Diesen Entscheid hat die Schuldnerin unter Erneuerung der vor der
kantonalen Aufsichtsbehörde gestellten Anträge an das Bundesgericht
weitergezogen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Aus einem Schreiben der Genossenschaftlichen Zentralbank
(Vertreterin der Gläubigerin) an die Rekurrentin vom 28. Februar 1955,
das diese im kantonalen Verfahren eingereicht hat, ergibt sich, dass
der Kostenbetrag von Fr. 17.50, dessen Rückerstattung verlangt wird,
sich wie folgt zusammensetzt:

    Fr. 4.10 : Zahlungsbefehl

    1.20 : "einfordern d. Gl. Grundbuchamt"

    2.60 : Anzeige an die zwei Mieter

    1.40 : Aufforderung an die Schuldnerin

    2.80 : Anzeige Grundpfandgläubiger

    1.40 : Rechtsvorschlag Zürich

    2.60 : Anzeige an die Mieter: Löschung

    1.40 : Anzeige an die Schuldnerin z. H. der Gläubiger.

    Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist anzunehmen, dass schon
die Beschwerde an die untere Aufsichtsbehörde auf Rückerstattung
dieser Gebühren zielte. Die Rekurrentin verlangte damals Annullierung
und Neuerstellung des Zahlungsbefehls "unter Kostenfolge für das
Betreibungsamt". Diese Wendung darf dahin ausgelegt werden, dass
die Rekurrentin mit ihrer Beschwerde den Erlass aller mit dem ersten
Zahlungsbefehl zusammenhängenden Kosten (die ihr erst später im einzelnen
bekannt wurden) erreichen wollte.

Erwägung 2

    2.- Art. 17 GebT, der nach dem Randtitel von der "Anwendung des Tarifs
bei Aufhebung einer Verfügung" handelt, schreibt vor: "Für ungültige
Verfügungen ist keine Gebühr (Entschädigung) zu entrichten, sofern den
Beamten ein Verschulden trifft; hierüber sowie über die Rückerstattung
entscheidet die Aufsichtsbehörde." a) Die postalische Zustellung des
Zahlungsbefehls entsprach den gesetzlichen Vorschriften nicht, weil
sie nicht in der "nach der Postordnung für Bestellung gerichtlicher
Akten zu befolgenden Weise" (Art. 72 SchKG), sondern durch gewöhnlichen
eingeschriebenen Brief erfolgte. Wegen vorschriftswidriger Zustellungsweise
ist jedoch ein Zahlungsbefehl nach der Rechtsprechung nicht aufzuheben,
wenn feststeht, dass der Schuldner ihn trotz dem bei der Zustellung
begangenen Fehler persönlich erhalten hat (BGE 54 III 250). So verhält
es sich unstreitig im vorliegenden Falle. Der Zahlungsbefehl vom 7.
Februar 1955 ist also nicht ungültig. Die Kosten dieses Zahlungsbefehls
sind daher nicht zurückzuerstatten.

    b) Die Anzeige der Mietzinssperre an die Mieter scheint entgegen
Art. 91 VZG schon vor der Zustellung des Zahlungsbefehls an die
Rekurrentin erfolgt zu sein. Sie deswegen als ungültig zu bezeichnen
und die Rückerstattung der dafür erhobenen Kosten anzuordnen, kommt aber
nicht in Frage, weil sie wenige Tage später doch hätte erfolgen müssen.

    c) Dass das Betreibungsamt von der Einleitung einer
Grundpfandbetreibung mit Mietzinssperre den übrigen Grundpfandgläubigern
sogleich Kenntnis zu geben habe, ist nirgends vorgeschrieben. Die übrigen
Grundpfandgläubiger sind erst zu verständigen, wenn es zur Steigerung kommt
(Art. 156 SchKG und Art. 102 VZG in Verbindung mit Art. 139 SchKG und
Art. 30 VZG). Die Anzeigen an die Ersparniskasse und die Bankgesellschaft
hätten daher auf Begehren der Rekurrentin aufgehoben werden müssen, wenn
nicht die Betreibung infolge Rückzugs wegen der am 18. Februar 1955 an
die Gläubigerin geleisteten Zahlung ohnehin erloschen wäre, und verdienen
daher, im Sinne von Art. 17 GebT als ungültige Verfügungen betrachtet
zu werden. Der Erlass dieser unnötigen, vom Gesetz nicht vorgesehenen
Verfügungen muss dem Betreibungsbeamten zum Verschulden angerechnet werden,
wenn er auch ohne Zweifel im Glauben war, richtig zu handeln. Die Kosten
dieser Anzeige (Fr. 2.80) sind deshalb zurückzuerstatten.

    d) Darüber, wieso die übrigen in der Kostenaufstellung erwähnten
Amtshandlungen ungültig seien, hat die Rekurrentin keine Ausführungen
gemacht. Soweit mit dem Rekurs die Rückerstattung der Kosten dieser
Verfügungen verlangt wird, ist also darauf nicht einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Das Begehren, im Hinblick auf einen allfälligen
Schadenersatzprozess gegen den Betreibungsbeamten das "Vorliegen
einer unangemessenen Verfügung" festzustellen, ist schon deswegen
unzulässig, weil eine Beschwerde nach Art. 21 SchKG nur die Aufhebung
oder Berichtigung einer bestimmten Verfügung oder die Vollziehung von
Handlungen, deren Vornahme der Beamte unbegründetermassen verweigert oder
verzögert hat, zum Ziel haben kann.

    Auf den Antrag, dem Betreibungsbeamten sei eine Rüge zu erteilen,
ist nicht einzutreten, weil das Bundesgericht über die Betreibungs- und
Konkursbeamten, die kantonale Beamte sind, keine Disziplinargewalt besitzt
(BGE 43 III 93, 59 III 66).

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass das
Betreibungsamt Gansingen angewiesen wird, der Rekurrentin den Betrag
von Fr. 2.80 zurückzuerstatten. Im übrigen wird der Rekurs abgewiesen,
soweit darauf einzutreten ist.