Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 I 74



80 I 74

14. Urteil vom 26. Februar 1954 i.S. Riegel gegen Regierungsrat des
Kantons Schaffhausen. Regeste

    Schweizerbürgerrecht:

    1.  Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts richten sich nach
dem bei Eintritt des massgebenden Tatbestandes geltenden Recht.

    2.  Gültigkeit einer 1877 in Grönland vor einem Missionar der
Herrnhuter Brüdergemeinde abgeschlossenen Ehe zwischen einem deutschen
Staatsangehörigen und einer gebürtigen Schweizerin.

    3.  Bürgerrecht eines 1878 in Grönland geborenen Kindes aus dieser Ehe.

Sachverhalt

    A.- Der Vater des Beschwerdeführers, Johann Gottlieb Adolf
Riegel, geboren am 2. Februar 1845 in Stettin, war preusischer
Staatsangehöriger. Er wanderte im Jahre 1873 nach Grönland aus, um dort
als Missionar der Herrnhuter Brüdergemeinde zu wirken. Die Mutter des
Beschwerdeführers, Katharina Stamm, geboren am 27. November 1844 in
Thayngen, war vor ihrer Verheiratung Schweizerin. Sie liessen sich
am 17. Juni 1877 in Neu-Herrnhut bei Gotthaab in Grönland von einem
Missionar der Herrnhuter Brüdergemeinde kirchlich trauen. Eine bürgerliche
Eheschliessung hat unbestrittenermassen nicht stattgefunden. Dieser Ehe
entspross der heutige Beschwerdeführer, der am 6. September 1878 in Umanak
(Grönland) geboren wurde. Er verehelichte sich am 11. März 1919 mit Käthe
Hermine Amalie Margarete Schrader. Aus dieser Ehe gingen 2 Kinder hervor:
die am 28. Juli 1921 geborene Tochter Eva Renate und der am 18. August
1923 geborene Sohn Fritz Adolf.

    B.- Der Beschwerdeführer macht geltend:

    a) dass die von seinen Eltern eingegangene Ehe ungültig sei. Aus
diesem Grunde habe er als aussereheliches Kind seiner Mutter zu gelten. Da
seine Mutter infolge Ungültigkeit der Ehe Schweizerin geblieben sei,
sei er gemäss Art. 1 lit. b des Bürgerrechtsgesetzes mit der Geburt
Schweizerbürger geworden;

    b) dass sein Vater im Zeitpunkt der Eingehung der Ehe staatenlos
gewesen sei. Er habe daher weiterhin auch gemäss Art. 5 Abs. 1 des
Bürgerrechtsgesetzes das Schweizerbürgerrecht seiner Mutter mit der
Geburt erworben.

    C.- Der Regierungsrat des Kantons Schaffhausen hat mit Entscheid
vom 15. Mai 1953 festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht
Bürger der Gemeinde Thayngen, des Kantons Schaffhausen und der
schweizerischen Eidgenossenschaft sei. Die Voraussetzungen, unter denen
der Beschwerdeführer das Schweizerbürgerrecht erworben haben will, träfen
nicht zu.

    D.- Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende rechtzeitig
und formrichtig eingereichte Beschwerde mit dem Antrag:

    Es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und es sei von Amtes wegen
festzustellen, dass der Gesuchsteller und Beschwerdeführer Schweizerbürger
sei. Zur Begründung macht der Beschwerdeführer wie in der Vorinstanz
geltend, dass die Ehe seiner Eltern ungültig sei und dass sein Vater im
Zeitpunkt der Eheschliessung staatenlos gewesen sei. Auf Einzelheiten wird,
soweit nötig, in den Erwägungen zurückgekommen.

    Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen

Auszug aus den Erwägungen:

                          in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Mit der Beschwerde wird geltend gemacht, der angefochtene Entscheid
des Regierungsrates von Schaffhausen verstosse gegen Art. 4 BV und verletze
Art. 1, litt. b, ev. Art. 5, Abs. 1 des BG. vom 29. September 1952 über
Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts (BRG).

    Beschwerden gegen Entscheide über den Bestand oder Nichtbestand des
Schweizerbürgerrechts sind vom Bundesgericht auf Grund freier Überprüfung
zu beurteilen, nicht nur unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte
von Willkür und Verletzung klaren Rechtes. Der Berufung auf Art. 4 BV
kommt daher in diesem Verfahren keine Bedeutung zu.

    Art. 1 und 5 BRG können durch den Entscheid des Regierungsrates nicht
verletzt sein, weil dem BRG keine rückwirkende Kraft zukommt. Erwerb und
Verlust des Schweizerbürgerrechts richten sich nach dem bei Eintritt des
massgebenden Tatbestandes geltenden Recht (Art. 57, Abs. 2 BRG). Hier
handelt es sich um Tatbestände, die auf die Jahre 1873, 1877 und 1878
zurückgehen. Die Beschwerde ist daher als Rüge der Verletzung des für
diese Tatbestände geltenden Bundesrechtes entgegenzunehmen.

Erwägung 2

    2.- Sachlich stimmen allerdings die in Art. 1, lit. b und Art. 5,
Abs. 1 ausgesprochenen Grundsätze mit der früheren, ursprünglich auf
Gewohnheitsrecht beruhenden Ordnung des Bürgerrechts der Kinder einer
gebürtigen Schweizerin überein. Die Entscheidung hängt daher davon
ab, ob die Ehe der Eltern des Beschwerdeführers tatsächlich - wie
in der Beschwerde behauptet wird - ungültig war und ob der Vater des
Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Eheschliessung (1877) tatsächlich
staatenlos war.

Erwägung 3

    3.- Für die Form der Eheschliessung gilt heute im internationalen
Privatrecht und galt auch schon zur Zeit der Eheschliessung der Eltern
des Beschwerdeführers (1877) der Grundsatz locus regit actum, d.h. die
Eheschliessung wird auch im Heimatstaat als gültig anerkannt, wenn
sie nach den Formen des Landes des tatsächlichen Eheabschlusses gültig
vollzogen wurde. (Für das damalige preussische Recht: BAR: Internationales
Privatrecht S. 324/25; für die Schweiz: Art. 25 Abs. 3 des BG betreffend
Feststellung und Beurkundung des Zivilstandes und die Ehe, vom 24. Dezember
1874).

    Die Ehe der Eltern des Beschwerdeführers wird daher von den deutschen
und den schweizerischen Behörden als gültig anerkannt, wenn sie nach dem
zur Zeit der Eheschliessung in Grönland geltenden Recht abgeschlossen
worden ist. Unbestritten ist, dass die Eheschliessung in einem Gebiete
Grönlands stattfand, das damals der dänischen Gebietshoheit unterstand. Die
Ehe muss daher als gültig abgeschlossen angesehen werden, wenn sie den
s. Zt. in Grönland geltenden Formen entsprach.

    a) Der Regierungsrat hat im wesentlichen auf Auskünfte abgestellt,
die beim dänischen Justizministerium eingezogen worden waren und aus
denen unzweideutig hervorgeht, dass die in Grönland durch Geistliche der
Herrnhuter Mission geschlossenen Ehen zwischen Angehörigen der Mission -
um solche handelt es sich hier - zulässig und anerkannt waren und über
diese Ehen besondere Register geführt wurden.

    Die Feststellung findet ihre Bestätigung in der Literatur, aus
der entnommen werden kann, dass nach skandinavischem Zivilrecht seit
Jahrhunderten die Ehe im allgemeinen vor dem Pfarrer der Kirchgemeinde
geschlossen wurde und die zivilrechtliche Gültigkeit der Ehe im
wesentlichen von der Beachtung gewisser Formen abhing (LEHR: Elément de
droit civil scandinave, Danemark, Norvège, Suède, Ausg. 1901, S. 293
f.; vgl. auch GLASSON, Mariage civil, II. Aufl. 1880, S. 433). Für
Grönland speziell wird in BERGMANN: Intern. Ehe- und Kindschaftsrecht,
II. Aufl. 1938, S. 83, festgestellt, dass auch nach Erlass des dänischen
Gesetzes vom 30. Juni 1922 über die Eingehung und Auflösung der Ehe
kein kodifiziertes Eherecht bestand; "in der Praxis werden die für die
evangelischlutherische Kirche geltenden Vorschriften beachtet". Für die
Zeit vor Erlass dieses Gesetzes ergibt sich sodann aus LESKE und LÖWENFELD:
Rechtsverfolgung im internationalen Verkehr, Bd. IV, Eherecht, S. 441,
ausserdem, dass Ausnahmen von den kirchlichen Formen (Aufgebot, Trauung
in der Kirche) auf Grund königlicher Bewilligungen sehr leicht gemacht
wurden, "sodass die Trauung ohne Aufgebot, zu Hause und durch einen
beliebigen Pfarrer vorgenommen werden kann". Die kirchliche Trauung war
die Regel. Die bürgerliche Ehe wurde nur als Nothilfe anerkannt in Fällen,
in denen kein Pfarrer verpflichtet war, die Brautleute zu trauen, was
etwa bei Verschiedenheit der Konfession vorkommen konnte (LESKE-LÖWENFELD,
aaO S. 440), hier aber gerade nicht zutraf.

    b) Nach einer bei den Akten liegenden Bescheinigung der Brüder-Unität
in Herrnhut, vom 22. Juni 1946, sind die Eheleute Riegel-Stamm am 17. Juni
1877 durch den Missionar der Brüder-Unität Carl Julius Spindler in dessen
Wohnstube in Gegenwart mehrerer Zeugen kirchlich getraut worden. Die
Trauung ist im Trauregister der Evangelischen Brüderkirche in Neu-Herrnhut
(Grönland) (Missionskirchenbuch B. S. 21 Nr. 19) eingetragen. Der Eintrag
ist durch einen von der Herrnhuter Missions- Direktion ausgefertigten
Auszug aus dem Trauregister nachgewiesen.

    Es besteht kein ersichtlicher Grund, der die Annahme rechtfertigen
würde, ein dergestalt verurkundeter Eheschluss unter Angehörigen der
nämlichen Konfession leide an einer Ordnungswidrigkeit, die den Eintritt
der staatsrechtlichen Folgen verhindert hätte, die einer in Grönland unter
dänischer Gebietshoheit stattfindenden kirchlichen Trauung regelmässig
zukommen.

    Die hievon abweichenden Äusserungen, auf die der Beschwerdeführer sein
Begehren stützt, beruhen z.T. auf ungenügender Kenntnis der massgebenden
Rechtsordnung, z.T. auch auf reinen Vermutungen. Dies gilt sowohl von
den Erklärungen des Missionars i. R. Friedrich Gärtner, wie auch von den
gutachtlichen Äusserungen von Oberregierungsrat Dr. Franz Massfeller. Sie
wären übrigens auch kaum vereinbar mit der Haltung der dänischen Behörden,
die gegen die Eheschliessungen vor den Geistlichen der Herrnhuter
Mission nicht eingeschritten sind. Ob nicht auch die Missionsleitung
der Brüdergemeinde gezwungen gewesen wäre, gegen Eheschliessungen
einzuschreiten, die - wie jetzt behauptet wird - mit der staatlichen
Ordnung unvereinbar gewesen sein sollen, mag dahingestellt bleiben.

    c) Die nach dänischem Recht gültig abgeschlossene Ehe ist nach Art. 25,
Abs. 3 des BG vom 24. Dezember 1874 betr. den Zivilstand und die Ehe
in der Schweiz als Ehe anzuerkennen. Der Einwand, die am 17. Juni 1877
geschlossene Ehe der Eltern des Beschwerdeführers sei nach schweizerischem
Rechte unwirksam, ist daher unbegründet.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, seine Mutter habe trotz
der Heirat das schweizerische Bürgerrecht beibehalten und dasselbe sei
auch auf ihn übergegangen, weil sein Vater im Zeitpunkt der Eheschliessung
staatenlos gewesen sei. Dieser habe vor seiner Ausreise nach Grönland im
Jahre 1873 in verbindlicher Weise auf das deutsche Bürgerrecht verzichtet.

    a) Nach § 13, Ziff. 1 und 3 des deutschen Gesetzes vom 1.  Juni 1870
über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit (die
anderen Gründe kommen hier nicht in Betracht) geht die Staatsangehörigkeit
nur verloren:

    "1.) durch Entlassung auf Antrag (§§ 14 ff.);

    ..........

    3.) durch zehnjährigen Aufenthalt im Auslande (§ 21);

    .........."

    Die Entlassung wird durch eine von der höhern Verwaltungsbehörde
des Heimatstaates ausgefertigte Entlassungsurkunde erteilt (§ 14). Die
Entlassungsurkunde bewirkt mit dem Zeitpunkte der Aushändigung den Verlust
der Staatsangehörigkeit (§ 18, Abs. 1). Nach § 15 muss die Entlassung
gewährt werden, wenn der Gesuchsteller nachweist, dass er in einem andern
deutschen Bundesstaat die Staatsangehörigkeit erworben hat. Trifft diese
Voraussetzung nicht zu (z.B. bei Verlassen des Reichsgebietes), so wird
die Entlassung von dem Vorliegen bestimmter Voraussetzungen hinsichtlich
der Wehrpflicht abhängig gemacht (§ 15, Abs. 2). In der Wehrpflicht
liegende Gründe, die hier einer Entlassung entgegengestanden hätten,
sind nicht nachgewiesen.

    Der Verlust der Staatsangehörigkeit durch Aufenthalt im Auslande
tritt ein, wenn Deutsche das Reichsgebiet verlassen und sich 10 Jahre lang
ununterbrochen im Auslande aufhalten. Die Frist wird vom Zeitpunkte des
Austrittes aus dem Bundesgebiet oder, wenn der Austretende sich im Besitz
eines Reisepapieres oder Heimatscheines befindet, von dem Zeitpunkte des
Ablaufs dieser Papiere an gerechnet. Sie wird unterbrochen durch die
Eintragung in die Matrikel eines Bundeskonsulates (§ 21, Abs. 1). Der
Verlust der Staatsangehörigkeit erstreckt sich zugleich auf die Ehefrau
und auf die unter väterlicher Gewalt stehenden minderjährigen Kinder,
soweit sie sich beim Ehemann, beziehungsweise Vater befinden (§ 21,
Abs. 2). Deutsche, welche ihre Staatsangehörigkeit durch zehnjährigen
Aufenthalt im Auslande verloren haben und in das Reichsgebiet zurückkehren,
erwerben die Staatsangehörigkeit in demjenigen Bundesstaate, in welchem sie
sich niedergelassen haben, durch eine von der höheren Verwaltungsbehörde
ausgefertigte Aufnahmeurkunde, welche auf Nachsuchen erteilt werden muss
(§ 21, Abs. 5).

    b) Eine Entlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit ist nicht
nachgewiesen. Der Beschwerdeführer behauptet, sein Vater habe bei Verlassen
des Landes auf seine deutsche Staatsangehörigkeit verzichtet, und er
beruft sich dafür auf verschiedene Zeugnisse, besonders auf dasjenige des
Missionars i. R. Gärtner, der von dem Verzicht gesprächsweise Kenntnis
erhalten habe. Ein Verzicht auf die Staatsangehörigkeit war aber nach
der massgebenden Gesetzgebung wirkunglos, solange die Entlassung aus
dem Staatsverbande nicht verfügt und dem Gesuchsteller eröffnet worden
war. Nur die Aushändigung der Entlassungsurkunde bewirkt den Verlust der
Staatsangehörigkeit (§ 18, Abs. 1). Es liegen aber weder Anhaltspunkte
dafür vor, dass der Vater des Beschwerdeführers je im Besitze einer
Entlassungsurkunde gewesen wäre, noch führten von amteswegen vorgenommene
Erhebungen zu Feststellungen, die die Annahme zu rechtfertigen vermöchten,
der Vater des Beschwerdeführers sei bei seiner Ausreise nach Grönland
aus seiner angestammten Staatsangehörigkeit entlassen worden.

    Dass er bei seiner Rückkehr nach Deutschland um die Jahrhundertwende
von den deutschen Behörden nicht als deutscher Staatsangehörige anerkannt
wurde, lässt lediglich darauf schliessen, dass er in jenem Zeitpunkt
nicht mehr Deutscher war. Es besagt aber nichts über den Zeitpunkt des
Verlustes des angestammten Bürgerrechts; vor allem nicht, dass der Verlust
der Staatsangehörigkeit schon bei der Ausreise nach Grönland eingetreten
war. Der Verlust kann eine Folge zehnjähriger Landesabwesenheit (§ 21,
Abs. 1) gewesen sein.

    Die Aufnahme in die deutsche Staatsangehörigkeit fand in Sachsen
statt, wo er sich damals niederliess, also so, wie es eine ausdrückliche
Anordnung des Gesetzes (§ 21, Abs. 5) vorsieht für den Fall, dass die
deutsche Staatsangehörigkeit durch Landesabwesenheit verloren ging.

    Der Umstand, dass der Beschwerdeführer selbst von den deutschen
Behörden um die Jahrhundertwende als Nichtdeutscher behandelt wurde,
bedeutet nicht, dass er von Geburt Nichtdeutscher war. Denn wenn sein
Vater - wie nach der heutigen Aktenlage anzunehmen ist - die angestammte
Staatsangehörigkeit durch zehnjährige Landesabwesenheit, also im Jahre 1883
verlor, so erstreckte sich der Verlust auch auf den in jenem Zeitpunkte
minderjährigen Sohn (§ 21, Abs. 2).

    Da ein Nachweis dafür fehlt, dass der Vater des Beschwerdeführers
bei seiner Ausreise nach Grönland die Entlassung aus der deutschen
Staatsangehörigkeit erwirkt hat und daher schon im Jahre 1878 nicht mehr
Deutscher war, kann nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer
ohne Annahme des angestammten Bürgerrechtes seiner Mutter von Geburt
staatenlos gewesen wäre und deswegen von Geburt Schweizerbürger ist.