Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 I 6



80 I 6

2. Auszug aus dem Urteil vom 3. Februar 1954 i.S. Bichsel gegen Bern
Staat und Verwaltungsgericht. Regeste

    Besteuerung des Einkommens (Bern):

    1.  Verbot interkantonaler Doppelbesteuerung und kantonale
Gesetzgebung.

    2.  Bemessung des steuerbaren Einkommens einer aus einem andern Kanton
in den Kanton Bern zuziehenden erwerbstätigen Person.

Sachverhalt

    A.- Fritz Bichsel arbeitete von 1940 bis Frühling 1945 als
kaufmännischer Angestellter in Burgdorf. Von da bis zum Sommer 1950
studierte er in Bern und war nur noch während der Ferien berufstätig. Nach
dem Abschluss seiner Studien bekleidete er vom 15.10.50-30.6.51 eine
Stelle als Versicherungsmathematiker in Zürich mit einem Monatsgehalt
von Fr. 900.--. Am 1.7.51 trat er eine ähnliche Stelle in Bern an,
mit einem Anfangsgehalt von Fr. 1000.-- im Monat.

    In seiner Steuererklärung für 1951 und 1952 im Kanton Bern deklarierte
Bichsel auf Grund des in den Vorjahren 1949 und 1950 erzielten Einkommens
ein steuerpflichtiges Einkommen von Fr. 1381.65. Die Veranlagungsbehörde
schätzte ihn statt dessen auf Grund des seit dem Zuzug in den Kanton
Bern erzielten und auf ein ganzes Jahr umgerechneten Einkommens
mit Fr. 10'300.-- ein. Seine hiegegen gerichtete Einsprache wurde
abgewiesen, ebenso ein Rekurs an die kantonale Rekurskommission und eine
Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern. Der Entscheid des
Verwaltungsgerichts vom 27.7.53 ist wie folgt begründet:

    Wäre Bichsel stets im Kanton Bern geblieben, so hätte er nach Art. 30
und 41 StG für die Veranlagungsperiode 1951/52 auf Grund des in den
Vorjahren 1949/50 erzielten Einkommens eingeschätzt werden müssen. Da er
aber Mitte Oktober 1950 seinen Wohnsitz ausser Kanton verlegt und bis
Ende Juni 1951 der Steuerhoheit des Kantons Zürich unterstanden habe,
sei er nach seiner Rückkehr in den Kanton Bern daselbst als Zuzüger zu
veranlagen. Hiefür gelte nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung der
Grundsatz, dass auf ein ausserkantonales Einkommen als Bemessungsgrundlage
dann nicht zurückgegriffen werden dürfe, wenn die Steuerquelle sich
verändert habe, d.h. wenn seine Einkommensverhältnisse sich grundlegend
verändert hätten und das frühere Einkommen sich daher nicht mehr
als Massstab für das am neuen Wohnort erzielte eigne. Mit dieser
Praxis, wonach das ausserkantonale Einkommen nur bei offensichtlich
gleichbleibenden Einkommensverhältnissen zur Bemessung herangezogen
werden dürfe, stehe die angefochtene Veranlagung im Einklang. Wohl sei
die Stellung Bichsels in Bern gleich wie vorher in Zürich; hier wie dort
sei er als Versicherungsmathematiker tätig. Allein sein Einkommen sei
nach seiner eigenen Angabe um 23% höher. Dass die Erhöhung zur Hälfte
aus Teuerungszulagen bestehe, sei unerheblich; entscheidend sei das
Gesamteinkommen. Ebenso sei unerheblich, dass Bichsel nur kurze Zeit in
Zürich gewesen sei; er habe immerhin achteinhalb Monate dort Wohnsitz
gehabt und daher nach seiner Rückkehr in den Kanton Bern als Zuzüger
behandelt werden müssen.

    B.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde beantragt Bichsel, die
Entscheide der Rekurskommission vom 19.5.53 und des Verwaltungsgerichts
vom 27.7.53 aufzuheben und festzustellen, dass er für die Steuerjahre
1951/52 nach Massgabe seines tatsächlichen Einkommens in den Jahren
1949/50 zu besteuern sei.

    Das Bundesgericht schützt die Beschwerde

Auszug aus den Erwägungen:

                          in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer erblickt eine Willkür darin, dass er zwar
für die Steuerjahre 1945/46 nach dem (höheren) Einkommen der Vorjahre
1943/44 veranlagt wurde, nicht aber für die Steuerjahre 1951/52 nach dem
(niedrigeren) Einkommen der Vorjahre 1949/50.

    Das bernische Steuerrecht beruht auf dem Prinzip der
Postnumerandobemessung des Einkommens: Grundlage der Bemessung bildet in
der Regel der Jahresdurchschnitt des Einkommens in der Bemessungsperiode,
d.h. in den zwei der Veranlagungsperiode vorausgegangenen
Kalenderjahren (Art. 30 und 41 StG). Hatte der Steuerpflichtige während
der Bemessungsperiode kein Erwerbseinkommen, wohl aber während der
Veranlagungsperiode, so wird auf letzteres abgestellt; hat umgekehrt
sein Erwerbseinkommen zu Ende der Bemessungsperiode wegen Einstellung der
Erwerbstätigkeit endgültig aufgehört, so ist es nicht mehr zu versteuern
(Art. 42 Abs. 2 und 3). Vom Prinzip der Postnumerandobemessung wird also
nur abgewichen, wenn der Steuerpflichtige in einer der beiden Perioden
gar kein Erwerbseinkommen hatte, nicht aber schon dann, wenn sich sein
Einkommen lediglich stark verändert hat. Da der Beschwerdeführer auch
während seiner Studienjahre erwerbstätig war, ist er mit Recht für die
Jahre 1945/46 auf Grund des Einkommens veranlagt worden, das er in den
Jahren 1943/44 als kaufmännischer Angestellter erzielt hatte; er hat
denn auch diese Besteuerung nicht angefochten. Anderseits wäre er nach
dem kantonalen Steuerrecht, wie das Verwaltungsgericht im angefochtenen
Entscheid ausdrücklich bestätigt, für die Jahre 1951 /52 nach dem in den
Jahren 1949/50 erzielten Einkommen zu veranlagen. Dass dasselbe zum Teil
ausserhalb des Kantons Bern erzielt wurde, spielt nach dem bernischen
Steuergesetz keine Rolle. Dieses enthält keine Bestimmung (wie etwa § 57
des zürcherischen), wonach Zuzüger auf Grund des nach dem Eintritt in die
Steuerpflicht im Kanton erzielten Einkommens zu besteuern wären; Art. 43
bezieht sich nur auf die teilweise Steuerpflicht im Sinne von Art. 8 StG.

    Die abweichende Behandlung des Beschwerdeführers wird vom
Verwaltungsgericht - wie schon von den Vorinstanzen - ausschliesslich
damit begründet, dass die Anwendung der Art. 30 und 41 StG gegen die
bundesrechtlichen Regeln über die Doppelbesteuerung verstossen würde. Diese
Regeln betreffen die Abgrenzung der Steuerhoheit zwischen verschiedenen
Kantonen und kommen nur im interkantonalen Verhältnis in Betracht; für die
Postnumerandobemessung sind sie nur von Bedeutung, wenn das Einkommen der
Bemessungsjahre in einem anderen Kanton erzielt wurde als dasjenige der
Veranlagungsjahre. Das traf beim Beschwerdeführer wenigstens teilweise zu
bezüglich der Steuerjahre 1951/52, da er vom 15.10.50-30.6.51 in Zürich
wohnte und verdiente und am 1.7.51 in den Kanton Bern übersiedelte, nicht
aber bezüglich der Steuerjahre 1945/46, da er im Frühling 1945 wohl seine
bisherige kaufmännische Stelle mit dem Studium und nur noch in den Ferien
betriebener Berufstätigkeit vertauschte, aber nach wie vor im Kanton
Bern wohnen blieb. Auf diesem Unterschied der tatsächlichen Verhältnisse
beruht seine verschiedene rechtliche Behandlung in den beiden genannten
Veranlagungsperioden; sie ist deshalb nicht willkürlich, obwohl sie sich
beidemal zum Nachteil des Beschwerdeführers auswirkte.

    Wenn und soweit die Anwendung des kantonalen Steuerrechtes die
bundesrechtlichen Regeln über die Doppelbesteuerung verletzen würde,
hat sie ihnen zu weichen. Sofern nach jenen Regeln die Heranziehung des
in den Vorjahren erzielten Einkommens durch den Kanton Bern für die
Bemessung des von ihm zu besteuernden Einkommens nicht zulässig ist,
darf die Vorschrift der Art. 30 und 41 StG nicht angewendet werden. Dann
entsteht in der bernischen Ordnung eine Lücke, die - wie in BGE 77 I 34
festgestellt wurde - durch analoge Anwendung von Art. 42 Abs. 2 auszufüllen
ist, d.h. indem der Bemessung das während der Veranlagungsperiode erzielte
Einkommen zugrunde gelegt wird. Die Zulässigkeit dieser Lösung hängt
davon ab, ob, wie das Verwaltungsgericht annimmt, die Anwendung der
Art. 30 und 41 StG gegen das bundesrechtliche Doppelbesteuerungsverbot
verstossen würde. Soweit sich die Rüge der willkürlichen Anwendung des
kantonalen Steuerrechtes gegen die Nichtanwendung der Art. 30 und 41 StG
und die statt dessen erfolgte Bemessung auf Grund des nach dem Zuzug in den
Kanton Bern erzielten Einkommens richtet, fällt sie zusammen mit der Rüge
der Verletzung der bundesrechtlichen Regeln über die Doppelbesteuerung.

Erwägung 3

    3.- Hinsichtlich der Tragweite dieser Regeln wirft der
Beschwerdeführer eine grundsätzliche Frage auf: Er macht geltend, sie
seien zum Schutze der Steuerpflichtigen aufgestellt worden und dürften
daher niemals so angewendet werden, dass der Steuerpflichtige dadurch
schlechter gestellt werde als bei Anwendung des Steuergesetzes seines
Wohnsitzkantons. Demgegenüber führt das Verwaltungsgericht aus, jene
Regeln bezweckten in erster Linie die räumliche Abgrenzung der kantonalen
Steuerhoheiten; es misst ihnen absolute Bedeutung bei.

    Das in Art. 46 Abs. 2 BV vorgesehene Bundesgesetz gegen
Doppelbesteuerung ist bis heute nicht erlassen worden. In Ermangelung
desselben hat das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung eine Anzahl von
Regeln aufgestellt, um das in jener Verfassungsbestimmung enthaltene Verbot
interkantonaler Doppelbesteuerung zu gewährleisten, d.h. zu verhindern,
dass ein Steuerpflichtiger infolge seiner steuerrechtlichen Zugehörigkeit
zu zwei oder mehr Kantonen unbegründeterweise stärker belastet wird,
als wenn er ausschliesslich von einem einzigen Kanton zu besteuern
wäre (BGE 78 I 327). Die vom Bundesgericht entwickelten Normen sind
Kollisionsnormen; sie schaffen keine selbständigen Steueransprüche
der beteiligten Kantone, sondern setzen lediglich die Grenzen der
kantonalen Steuerhoheit fest. Und auch diese Grenzziehung hat keine
absolute Bedeutung, sondern beansprucht Geltung nur insoweit, als das
notwendig ist zur Durchsetzung des Doppelbesteuerungsverbotes von Art. 46
Abs. 2 BV; denn darin liegt die direkte und einzige Grundlage jener
Rechtsprechung. Freilich hat das Bundesgericht nicht nur die effektive,
sondern auch die bloss virtuelle Doppelbesteuerung als unzulässig
erklärt, d.h. das Übergreifen eines Kantons in die Steuerhoheit eines
andern auch dann verboten, wenn der letztere davon keinen Gebrauch macht;
die bundesrechtlichen Schranken hängen nicht vom Verhalten des dadurch
geschützten Kantons ab. Ausgeschlossen ist es dagegen nach dem Wesen
der Kollisionsnormen, dass ein Kanton sich auf sie berufen kann, um von
einem Steuerpflichtigen höhere Steuern zu verlangen, als sich aus seiner
eigenen Gesetzgebung ergibt. Die vom Bundesgericht aufgestellten Regeln
setzen dem Kanton Schranken, vermögen aber niemals ein Hinausgehen über
sein eigenes Recht zu begründen.

    Hieraus folgt, dass jene Regeln der Postnumerandobemessung des
Einkommens nur dann im Wege stehen können, wenn ihr eine höhere, nicht
aber, wenn daraus eine geringere Besteuerung resultiert. M. a. W.,
das während der Vorjahre in einem anderen Kanton erzielte Einkommen
darf nicht herangezogen werden, wenn es höher war als das während der
Veranlagungsperiode im Kanton selbst erzielte; wohl aber darf darauf
abgestellt werden, wenn es niedriger war als das letztere. Diese einseitige
Wirkung der bundesrechtlichen Regeln zugunsten der Steuerpflichtigen
ergibt sich aus ihrem Wesen als Kollisionsnormen zur Verhinderung der
Doppelbesteuerung. Eine solche und ein Übergreifen in die Steuerhoheit
eines anderen Kantons - die allein das Einschreiten des Bundes
rechtfertigen - liegen nicht vor, wenn ein Kanton durch Zugrundelegen des
ausserhalb erzielten niedrigeren Einkommens der Vorjahre sein Steuerrecht
nicht in dem Masse ausnützt, als es ihm möglich und von Bundes wegen
zulässig wäre. Den Kantonen steht es frei, das Einkommen von Zuzügern
allgemein auf Grund der Steuerjahre selbst anstatt auf Grund der Vorjahre
zu bemessen, wie das in verschiedenen neuen Steuergesetzen geschieht
(so Zürich § 57, St. Gallen § 29 Abs. 2, Aargau § 69 Abs. 4). Der Kanton
Bern hat das jedoch nicht getan; wenn sich die Kollisionsnorm einseitig
zugunsten der Steuerpflichtigen auswirkt, so liegt das nicht an jener
Norm allein, sondern an der Regelung des kantonalen Steuergesetzes.

    Der angefochtene Entscheid stützt sich somit zu Unrecht auf die
bundesrechtlichen Regeln über die Doppelbesteuerung: Weder berechtigen
diese den Kanton Bern direkt zur Besteuerung des Beschwerdeführers auf
Grund seines Einkommens während der Veranlagungsjahre, noch verbieten
sie ihm die Anwendung der Art. 30 und 41 StG, wonach der Bemessung das
Einkommen während der zwei vorausgegangenen Jahre zugrunde zu legen ist. Ob
in der zu Unrecht erfolgten Anrufung jener Regeln eine Verletzung derselben
zu erblicken und der darauf gegründete Entscheid deshalb aufzuheben ist,
erscheint als fraglich; auf jeden Fall hat Bern damit nicht in eine fremde
Steuerhoheit eingegriffen, liegt keine interkantonale Doppelbesteuerung
vor. Die Frage kann offen gelassen werden, da der Entscheid ohnehin wegen
Willkür aufgehoben werden muss; denn da die Nichtanwendung der Art. 30 und
41 StG und die Besteuerung des Beschwerdeführers nach seinem Einkommen in
der Veranlagungsperiode einzig auf jene Regeln gestützt wurde, erweist sie
sich mit dem Wegfall dieser Begründung als gänzlich unhaltbar, willkürlich.