Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 I 350



80 I 350

56. Auszug aus dem Urteil vom 22. Dezember 1954 i.S. Willimann gegen
Regierungsrat des Kantons St. Gallen. Regeste

    Derogatorische Kraft des Bundesrechtes; Handels- und Gewerbefreiheit.

    Zulässigkeit eines auf Grund kantonalen Rechts ausgesprochenen Verbots,
in einem Spiellokal mit Apparaten, deren Verwendung vom Bundesrecht
(Spielbankengesetz) nicht untersagt wird, um Geld zu spielen.

Sachverhalt

    A.- Eine Verordnung des Regierungsrats des Kantons St.  Gallen vom
28. April 1953 unterstellt die gewerbsmässige Verwendung von Spielapparaten
der Patentpflicht (Art. 1). Sie gestattet die Aus übung dieses Gewerbes
nur in besonders dazu eingerichteten Spiellokalen (Art. 2). Nach Art. 6
dürfen für den Spielbetrieb nur Apparate verwendet werden, die nicht
unter das Verbot des Art. 3 des BG über die Spielbanken vom 5. Oktober
1929 fallen. Art. 7 der Verordnung verbietet "das Spielen um Geld oder
Sachwerte" und das Dulden solcher Spiele. Art. 9 untersagt Jugendlichen
unter 18 Jahren den Zutritt zu den Spiellokalen.

    B.- Louis Willimann erhielt im Oktober 1953 das Patent zum Betrieb
eines Spiellokals in der Stadt St. Gallen. Zunächst wurden darin elf
Spielapparate aufgestellt. Später kamen noch zwei Apparate "The Clown"
dazu. Der Benützer eines solchen Apparates hat ein Zwanzigrappenstück
einzuwerfen; gelingt es ihm, durch geschickte Betätigung von Handgriffen
einen für ihn günstigen Spielausgang herbeizuführen, so zahlt der Apparat
abwechselnd zweimal den doppelten und einmal den dreifachen Einsatz aus,
während andernfalls der Einsatz für den Spieler verloren ist.

    Die kantonale Gewerbepolizei verbot Willimann die Verwendung der
Apparate "The Clown" gestützt auf Art. 7 der Verordnung vom 28. April
1953. Ein Rekurs hiegegen wurde vom Regierungsrat am 15. März 1954
abgewiesen.

    C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt Willimann,
diesen Entscheid aufzuheben und die Verwendung des Spielapparates
"The Clown" zu gestatten. Er macht u.a. geltend, das Bundesgericht
(verwaltungsrechtliche Kammer) habe im (nicht veröffentlichten) Urteil vom
30. Januar 1953 i.S. Finke entschieden, das Aufstellen dieses Apparates
falle nicht unter die nach dem eidg. Spielbankengesetz verbotenen
Glücksspielunternehmungen. da man es mit einem Geschicklichkeitsspiel zu
tun habe. Sei daher die Unternehmung bundesrechtlich zulässig'so dürfe
sie nicht auf Grund kantonalen Rechtes untersagt werden. So wie der
Regierungsrat Art. 7 der von ihm angewendeten Verordnung auslege, laufe
die Bestimmung der Bundesgesetzgebung zuwider. Der angefochtene Entscheid
sei auch unzweckmässig und verletze die Handels- und Gewerbefreiheit
(Art. 31 BV). - Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Mit der Behauptung, Art. 7 der kantonalen Verordnung vom 28. April
1953 laufe in der ihm im angefochtenen Entscheid gegebenen Auslegung der
Bundesgesetzgebung zuwider, wird eine Verletzung des verfassungsmässigen
Rechtes geltend gemacht, das nach ständiger Praxis aus dem in Art. 2
Üb.Best.z.BV ausgesprochenen Grundsatz der derogatorischen Kraft des
Bundesrechtes abgeleitet wird. Die Rüge ist unbegründet. Richtig ist,
dass das Aufstellen des Spielapparates "The Clown" nach dem Urteil des
Bundesgerichts vom 30. Januar 1953 i.S. Finke nicht zu den vom eidg.
Spielbankengesetz verbotenen Glücksspielunternehmungen gehört, weil der
Spielausgang in unverkennbarer Weise vorwiegend auf Geschicklichkeit beruht
(Art. 3 des Gesetzes). Aber in der Bundesgesetzgebung ist keine Bestimmung
zu finden, aus der geschlossen werden könnte, dass die Verwendung eines
solchen Apparates auch nicht auf Grund kantonalen Rechtes beschränkt oder
überhaupt untersagt werden dürfe. Wohl verwehrt die gesetzliche Ordnung
des Bundes dem Kanton, Spielunternehmungen zu gestatten, die sie, als
Spielbanken, verbietet. Anderseits hindert sie ihn jedoch nicht, Spiele
zu verbieten, die sie selbst freilässt. In diesem Sinne ist auch Art. 13
des eidg. Spielbankengesetzes zu verstehen, welcher dem Bundesrecht nicht
widersprechende Bestimmungen des kantonalen Rechtes über die Glücksspiele
vorbehält. Gemeint ist, dass dem kantonalen Recht anheimgestellt bleibt,
solche Glücksspiele zu beschränken oder zu untersagen, die nicht
in Form einer Spielbank im Sinne des Bundesrechts betrieben werden -
z.B. keinen Geldgewinn ermöglichen (Art. 2 Spielbankengesetz) - und die
auch nicht unter das bundesrechtliche Lotterieverbot fallen (Botschaft des
Bundesrates vom 19. März 1929, BBl 1929 I S. 373). Ebensowenig schliesst
die Bundesgesetzgebung aus, dass die Kantone auch Spiele einschränken oder
verbieten, deren Ausgang in unverkennbarer Weise ganz oder vorwiegend auf
Geschicklichkeit beruht (sten. Bull. der Bundesversammlung 1929, Ständerat,
S. 151, 156: Voten des Bundesrates Häberlin und des Berichterstatters
Brügger). Sie erfasst diese Spiele überhaupt nicht.

Erwägung 2

    2.- Die gewerbsmässige Verwendung von Spielapparaten, mit der sich
der Beschwerdeführer befasst, ist ein Gewerbe im Sinne des Art. 31 BV,
der ferner angerufen ist, und steht daher unter dem Schutze der Handels-
und Gewerbefreiheit. Nach dieser Verfassungsbestimmung dürfen die Kantone
die Ausübung einer solchen Tätigkeit nicht aus wirtschaftspolitischen
Gründen einschränken, sondern nur aus polizeilichen, im Interesse der
öffentlichen Ordnung, Sicherheit, Sittlichkeit und Gesundheit oder zur
Wahrung von Treu und Glauben (BGE 80 I 143). Dabei ist der Grundsatz
der Verhältnismässigkeit des Eingriffs zu beachten: Die Massnahme
darf nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist zur Erreichung
des polizeilichen Zweckes, durch den sie gedeckt ist (BGE 80 I 16, 119,
127). Die polizeiliche Einschränkung muss ferner, jedenfalls in der Regel,
auf gesetzlicher Grundlage beruhen (BGE 67 I 76).

    a) (Die Zuständigkeit des Regierungsrates zum Erlass des Verbots,
das nach seiner Auffassung Art. 7 der Verordnung vom 28. April 1953
enthält, lässt sich ohne Willkür aus der kantonalen Gesetzgebung über
den Marktverkehr und das Hausieren ableiten.)

    b) (Die Auslegung, die der Regierungsrat dieser Bestimmung gibt,
ist nicht willkürlich.)

    c) Es bleibt zu prüfen, ob Art. 7 der kantonalen Verordnung in der ihm
im angefochtenen Entscheid gegebenen Auslegung sich durch polizeiliche
Gründe rechtfertigen lasse. Der Regierungsrat führt aus, das in der
Bestimmung aufgestellte Verbot solle eine unerwünschte und ungesunde
Ausdehnung des Betriebes der Spiellokale, der ohnehin die Bevölkerung
ernsthaften Gefahren aussetze, verhindern und namentlich die Jugendlichen
vor Gefährdung ihrer sittlichen Entwicklung schützen. Die Meinung ist
offenbar'dass es gelte, die Spielleidenschaft, die durch das Spielen mit
Apparaten um Geld gefördert werde, einzudämmen und so die Besucher der
Spiellokale vor wirtschaftlichem und insbesondere moralischem Schaden
zu bewahren. Das sind zweifellos Gründe polizeilicher Natur, die an
sich vor Art. 31 BV haltbar sind. Ob jene Art des Spielens die von der
kantonalen Behörde befürchteten Folgen wirklich habe oder haben könne,
hängt von der Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse ab, bei der
das Bundesgericht von der Auffassung des Regierungsrates nur abweichen
könnte, wenn diese offensichtlich unrichtig oder willkürlich wäre (BGE
78 I 302). Das ist jedoch nicht der Fall, wie gerade das Beispiel des
Apparates "The Clown" zeigt. Beim einzelnen Spiel mit einem Apparat dieses
Systems ist zwar nur ein kleiner Betrag einzuwerfen und steht auch bloss
ein bescheidener Gewinn in Aussicht. Aber der Spielvorgang dauert nur
ganz kurze Zeit und kann in rascher Folge wiederholt werden, so dass die
Einsätze des einzelnen Spielers und die Beträge, die er gewinnen oder
verlieren kann, alsbald eine beträchtliche Höhe erreichen können. Der
Spieler wird deshalb versucht sein, länger beim Spiel zu verweilen,
als er es aus blossem Interesse am Spielvorgang selbst täte. Gerade
die Kleinheit des Einsatzes kann wesentlich dazu beitragen, dass die
Spielleidenschaft um sich greift. Dazu kommt, dass die Spiellokale,
von einzelnen Feiertagen abgesehen, täglich geöffnet sind. Ginge es
nur um den Schutz der Jugendlichen, so wäre allerdings das allgemeine
Verbot, das nach der Auslegung des Regierungsrats in § 7 der Verordnung
ausgesprochen ist, kaum gerechtfertigt; in diesem Falle würde es wohl
genügen, in Abänderung des § 9 der Verordnung ein höheres Mindestalter
festzusetzen. Aber die kantonale Behörde hält dafür, dass die Bevölkerung
im allgemeinen geschützt werden müsse, und dieser Standpunkt ist nicht zu
beanstanden. In der Tat werden manche Erwachsene nicht weniger leicht als
die Jugendlichen der Sucht verfallen, in Spiellokalen mit Apparaten um
Geld zu spielen. Diese Gefahr für die Allgemeinheit besteht auch schon
dann, wenn der Betriebsinhaber nur einen einzigen oder einige wenige
Apparate des in Frage stehenden Systems aufstellt. Bei Berücksichtigung
aller Umstände ergibt sich, dass das allgemeine Verbot, um das es sich
handelt, auf haltbaren polizeilichen Erwägungen beruht und auch nicht
gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit des polizeilichen Eingriffs
verstösst. Der angefochtene Entscheid, der es anwendet, verletzt daher
Art. 31 BV nicht.