Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 I 344



80 I 344

55. Urteil vom 8. Dezember 1954 i.S. Blass gegen Polizeirichteramt der
Stadt Zürich und Obergericht des Kantons Zürich. Regeste

    Ausserdienstliche Verwendung von Militärfahrrädern.

    Eine kantonale Vorschrift, nach der vom Militärradfahrer für
die Zulassung seines Militärrades zum Verkehr die gleichen Ausweise
und Gebühren verlangt werden wie vom Zivilradfahrer, ist nicht
bundesrechtswidrig.

    Art. 2 Üb.-Best. z. BV, 4 BV, 165 MO, 71 Abs. 5 MFG, 9 und 12 der
eidg. VO betr. die Militärfahrräder vom 14.3.1939, 60 der eidg. VO über
die Mannschaftsausrüstung vom 20.7.1954.

Sachverhalt

    A.- Nach der zürch. Verordnung über den Verkehr mit Fahrrädern vom
2. November 1944 (FV) bedarf es für die Benützung eines Fahrrades im
öffentlichen Verkehr eines Ausweises, der stets mitzuführen ist, und
eines Kennzeichens, das am Fahrrad gut sichtbar anzubringen ist (§§ 1,
2). Ausweis und Kennzeichen werden von der zuständigen Behörde erteilt,
wenn der Eigentümer des Fahrrades eine den gesetzlichen Erfordernissen
entsprechende Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat (§ 3). Die
jährliche Gebühr für den Ausweis beträgt Fr. 2.-, die Gebühr für das
Kennzeichen 50 Rp. (§ 16). Den Bestimmungen der FV unterliegen für den
ausserdienstlichen Gebrauch auch Militärfahrräder (§ 23).

    B.- Der Beschwerdeführer Heinz Blass in Zürich besitzt ein
Militärfahrrad, das Eigentum des Bundes ist. Da er für 1952 wohl eine
Haftpflichtversicherung abgeschlossen, aber den kantonalen Ausweis und das
Kennzeichen nicht eingelöst hatte, wurde er, als er das Militärfahrrad
am 30. September 1952 ausserdienstlich benützte, vom Polizeirichter
der Stadt Zürich wegen Übertretung der FV mit Fr. 6.- gebüsst. Blass
verlangte gerichtliche Beurteilung und machte geltend, die FV verstosse
inbezug auf Militärfahrräder gegen Bundesrecht. Der Einzelrichter in
Strafsachen des Bezirksgerichts Zürich gab ihm recht und sprach ihn
von Schuld und Strafe frei, das Obergericht des Kantons Zürich dagegen,
bei dem das Polizeirichteramt Nichtigkeitsbeschwerde führte, erklärte
ihn durch Urteil vom 29. April 1954 der Übertretung der §§ 1, 2 und 23
FV schuldig und verurteilte ihn zu einer Geldbusse von Fr. 6.- in der
Annahme, dass die Unterstellung der Militärfahrräder unter die FV weder
gegen die für solche Fahrräder geltenden bundesrechtlichen Vorschriften
noch gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit (Art. 4 BV) verstosse.

    C.- Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde beantragt Heinz
Blass, dieses Urteil des Obergerichts sei wegen Verletzung der Art. 2
Üb.-Best.z. BV und Art. 4 BV aufzuheben. Zur Begründung wird vorgebracht:

    a) Die Anwendung kantonaler Vorschriften über die Zulassung zum Verkehr
auf Militärfahrräder sei bundesrechtswidrig. Die eidg. Verordnung über
Militärfahrräder vom 14. März 1939 (MilFV) gestatte dem Militärradfahrer
den ausserdienstlichen Gebrauch seines Militärfahrrades (Art. 12) und
verpflichte ihn, dafür eine Haftpflichtversicherung abzuschliessen
(Art. 9). Sei der Militärradfahrer demnach von Bundesrechts wegen
ausserdienstlich zum Verkehr zugelassen, so bleibe kein Raum für
eine kantonale Vorschrift, welche ihm als Voraussetzung für den
ausserdienstlichen Gebrauch seines Dienstfahrrades den Abschluss einer
Haftpflichtversicherung vorschreibe. Wenn Art. 9 MilFV anordne, dass
allfällige Kennzeichen der kantonalen Haftpflichtversicherung auch
während des Dienstes am Fahrrad belassen werden müssten, so könne sich
diese Vorschrift nur auf den Fall beziehen, wo der Militärradfahrer für
den ausserdienstlichen Gebrauch eine kantonale, d.h. durch Vermittlung
der kantonalen Regierung abgeschlossene Haftpflichtversicherung benütze.

    b) Da die kantonalen Ausweise und Kennzeichen nur gegen eine Gebühr
abgegeben werden, sei auch Art. 165 der Militärorganisation verletzt,
der für Militärfahrräder sowohl Steuer- als auch Gebührenfreiheit
vorschreibe. Das Obergericht nehme zu Unrecht an, diese Vorschrift sei
durch Art. 71 Abs. 5 MFG teilweise aufgehoben worden.

    c) Die im angefochtenen Entscheid vertretene Auslegung der massgebenden
bundesrechtlichen Bestimmungen führe zu einer rechtsungleichen Behandlung
der Militärradfahrer in den verschiedenen Kantonen und verstosse daher
auch gegen Art. 4 BV.

    D.- Das Polizeirichteramt der Stadt Zürich beantragt Abweisung der
Beschwerde. Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet.

    E.- Da die Streitsache sich gleichzeitig als Anstand im Sinne von
Art. 111 lit. a OG charakterisiert, wurden die Akten dem Regierungsrat des
Kantons Zürich und dem eidg. Militärdepartement zugestellt. Beide lehnen
den Standpunkt des Beschwerdeführers ab.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer leitet aus der eidg. Verordnung betreffend
die Militärfahrräder vom 14. März 1939 (MilFV) zu Unrecht ab, dass er
von Bundesrechts wegen zum Verkehr mit seinem Militärfahrrad zugelassen
sei und daher keiner kantonalen Bewilligung mehr bedürfe. Diese
Verordnung wurde erlassen in Ausführung von Art. 89 MO, der im
Abschnitt VIII (Bewaffnung und persönliche Ausrüstung) enthalten
ist und bestimmt, dass der Bund den Militärradfahrern die Fahrräder
liefert und der Bundesrat das Rechtsverhältnis hinsichtlich dieser
Fahrräder ordnet. Art. 12 Abs. 1 MilFV, wonach der Militärradfahrer
zum ausserdienstlichen Gebrauch seines Dienstrades berechtigt ist,
stellt eine Ausnahme von dem im gleichen Abschnitt der MO enthaltenen
Art. 91 Abs. 2 dar, der dem Wehrmann die ausserdienstliche Benützung
der persönlichen Ausrüstung grundsätzlich verbietet. Es besteht kein
Anhaltspunkt dafür, dass Art. 12 Abs. 1 MilFV eine über den Wortlaut und
die gesetzliche Grundlage hinausgehende Bedeutung hat und nicht nur den
Militärradfahrern die ausserdienstliche Verwendung der Militärfahrräder
gestatten, sondern deren Zulassung zum Verkehr regeln und damit kantonale
Vorschriften hierüber ausschliessen will. Dass Art. 12 Abs. 1 solche
kantonalen Vorschriften im Gegenteil vorbehält, ergibt sich aus Abs. 2,
wonach der Militärradfahrer beim ausserdienstlichen Gebrauch der
Militärfahrräder wie die übrigen Zivilradfahrer den eidgenössischen
und kantonalen Verkehrs- und Polizeivorschriften untersteht. Etwas
anderes folgt auch nicht aus Art. 9 MilFV, welcher den Militärradfahrer
verpflichtet, für den ausserdienstlichen Gebrauch des Fahrrads eine
Haftpflichtversicherung abzuschliessen. Damit wird nur zum Ausdruck
gebracht, dass der Bund für den bei ausserdienstlichem Gebrauch von
Militärfahrrädern verursachten Schaden keinesfalls haftet, dass also,
wie Art. 60 der auf 1. Januar 1955 in Kraft tretenden Verordnung über
die Mannschaftsausrüstung vom 20. Juli 1954 nun ausdrücklich sagt, die
"ausserdienstliche Benützung der Militärfahrräder unter ausschliesslicher
Verantwortung des Militärradfahrers erfolgt". Die Annahme, dass der diesem
deshalb zur Pflicht gemachte Abschluss einer Haftpflichtversicherung von
Bundesrechts wegen seine Zulassung zum Verkehr zur Folge habe, verbietet
sich schon deshalb, weil Art. 9 über den Inhalt der abzuschliessenden
Versicherung nichts besagt. Dessen Festsetzung konnte und wollte aber
nicht einfach dem Ermessen des einzelnen Radfahrers überlassen werden,
weshalb hier das kantonale Recht, dem die Fahrradhaftpflichtversicherung
ja ohnehin untersteht, ergänzend eingreift. Und zwar kann dieses nicht
nur Höhe, Umfang, Geltungsdauer usw. der Versicherungspflicht bestimmen,
sondern auch die der Kontrolle der Erfüllung dieser Pflicht dienenden
Ausweise uud Kennzeichen vorschreiben. Dass solche Kennzeichen der
kantonalen Haftpflichtversicherung auch während des Dienstes am Fahrrad
belassen werden müssen (Art. 9 MilFV) bzw. können (Art. 60 der erwähnten
Verordnung vom 20. Juli 1954), ist bedeutungslos, da sich aus dieser
für den dienstlichen Gebrauch geltenden Vorschrift nichts für die
ausserdienstliche Verwendung ableiten lässt.

    § 23 der zürch. Fahrrad-Verordnung, wonach die Militärfahrräder für
den ausserdienstlichen Gebrauch den Bestimmungen dieser Verordnung
und damit auch den in den §§ 1-3 enthaltenen Vorschriften über
die Zulassung zum Verkehr unterliegen, widerspricht somit keiner
Vorschrift des Bundesrechts. Der Militärradfahrer, der sein Dienstrad
ausserdienstlich verwendet, bedarf daher wie der Zivilradfahrer eines
amtlichen Fahrradausweises und eines amtlichen Kennzeichens.

Erwägung 2

    2.- Nach § 16 der zürch. Fahrrad-Verordnung beträgt die jährliche
Gebühr für den Fahrradausweis Fr. 2.-, die Gebühr für das Kennzeichen
50 Rp. Dass es sich dabei um wirkliche Gebühren und nicht um Steuern
handelt, steht nach dem Zweck und der Höhe der Abgaben ausser Zweifel
und wird denn auch vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Er ist jedoch
der Auffassung, dass auch die Erhebung von Gebühren gegen Bundesrecht
verstosse, da nach Art. 165 MO die Diensträder der Radfahrer nicht mit
kantonalen Steuern und Gebühren belegt werden dürfen. Diese Bestimmung
ist jedoch, wie der angefochtene Entscheid zutreffend ausführt,
abgeändert worden durch Art. 71 Abs. 5 MFG, der für Fahrräder des
Bundes und Militärfahrräder nur Steuerfreiheit vorschreibt, also die
Erhebung von Gebühren nicht ausschliesst (BGE 66 I 203; STREBEL, N. 21
zu Art. 71 MFG). Die Berufung des Beschwerdeführers auf das Protokoll der
Expertenkommission zum Vorentwurf des MFG vermag dagegen nicht aufzukommen;
daraus, dass dort gegenüber dem Antrag auf Steuer- und Gebührenfreiheit
für Fahrräder des Bundes und Militärfahrräder auf die für eine allfällige
Haftpflichtversicherung zu entrichtenden Prämien hingewiesen wurde,
kann nicht abgeleitet werden, dass nur die Erhebung solcher Prämien,
nicht dagegen der Bezug von Gebühren für die der Kontrolle der Erfüllung
der Versicherungspflicht dienenden Ausweise und Kennzeichen zulässig wäre.

Erwägung 3

    3.- Steht den Kantonen demnach die Befugnis zu, vom Militärradfahrer
für die ausserdienstliche Verwendung seines Militärrades die gleichen
Ausweise und Gebühren zu verlangen wie vom Zivilradfahrer, so erweist
sich auch die Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV als unbegründet,
da darin, dass einzelne Kantone von dieser Befugnis keinen oder nur
beschränkten Gebrauch machen, keine rechtsungleiche Behandlung erblickt
werden kann. Art. 4 BV ist nicht verletzt, wenn das kantonale Recht von
Kanton zu Kanton verschieden ist (BGE 65 I 257 Erw. 12, 69 I 185 Erw. 5).

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.