Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 I 305



80 I 305

49. Urteil vom 1. Dezember 1954 i.S. K. gegen Justizkommission des
Kantons Schwyz. Regeste

    Schutz der ehelichen Gemeinschaft.

    1.  Gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid im
Eheschutzverfahren ist die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung
des Art. 4 BV zulässig.

    2.  Der Eheschutzrichter begeht Willkür, wenn er die Ehefrau, um sie
zur Aufnahme des grundlos verweigerten ehelichen Zusammenlebens zu zwingen,
zum Ersatz der Mehrauslagen verpflichtet, die dem Ehemann infolge ihrer
Pflichtvergessenheit entstehen.

Sachverhalt

    A.- Die Eheleute K. leben seit Jahren getrennt. Eine Scheidungsklage
der Ehefrau wurde abgewiesen, zuletzt vom Kantonsgericht Schwyz durch
Urteil vom 21. Januar 1952, das nicht weitergezogen wurde. Als die
in ihrem eigenen Hause wohnende Ehefrau sich trotzdem weigerte,
den Ehemann wieder bei sich aufzunehmen, ersuchte dieser am
23. Mai 1952 den Bezirksgerichtspräsidenten von Schwyz um Anordnung
"der gegebenen Massnahmen, um Frau K. zur Aufnahme der ehelichen
Beziehungen zu verpflichten". Nach fruchtloser Mahnung verurteilte der
Bezirksgerichtspräsident am 14. Juli 1953 Frau K. mit Wirkung vom 1. Juli
1952 an, dem Ehemann Fr. 100.-- monatlich zu zahlen, solange sie die
Wiederaufnahme der häuslichen Gemeinschaft verweigere. Zur Begründung
führte er aus: Da der Ehemann ein Recht auf einen eigenen Haushalt
habe, sich aber die Anstellung einer Haushälterin nicht leisten könne,
rechtfertige es sich, die Ehefrau, die ihm die Führung des Haushaltes
zu Unrecht verweigere, zu verpflichten, ihm einen Unterhaltsbeitrag
zu entrichten in der Höhe des Barlohnes, den er für eine Haushälterin
auszulegen hätte.

    Die Justizkommission des Kantons Schwyz hiess am 14. April
1954 eine Beschwerde der Frau K. teilweise gut, indem sie den vom
Bezirksgerichtspräsidenten festgesetzten monatlichen Beitrag auf Fr. 60.-
ermässigte, mit der Begründung: Die Weigerung der Beschwerdeführerin,
das Zusammenleben mit dem Ehemann wieder aufzunehmen, sei eine Art. 161
ZGB verletzende Pflichtwidrigkeit, so dass der Gerichtspräsident nach
Art. 169 ZGB befugt gewesen sei, nach fruchtloser Mahnung die zum Schutze
der ehelichen Gemeinschaft erforderlichen, vom Gesetz vorgesehenen
Massnahmen zu treffen. Dazu gehörten nicht bloss die in Art. 170 und
171 ZGB ausdrücklich vorgesehenen Massregeln, sondern auch alle weiteren
Anordnungen, welche die Lage erfordere, sofern sie in der Gesetzgebung
überhaupt vorgesehen seien. Da die nach Art. 169 Abs. 2 ausgesprochene
Mahnung, die häusliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen, wegen der höchst
persönlichen Natur der geschuldeten Leistung nicht vollstreckt werden
könne, dürfe der Richter mit der Mahnung Anordnungen verbinden, die ihr den
nötigen Nachdruck verliehen. Die der Frau K. auferlegte Verpflichtung, dem
Ehemann für die Dauer ihres ehewidrigen Verhaltens Unterhaltsbeiträge zu
zahlen, erweise sich daher als zulässig. Dieses Verhalten verursache dem
Ehemann Mehrauslagen, da es ihn zwinge, für die Besorgung der Hausgeschäfte
jemanden anzustellen oder aber, wie er es tatsächlich tue, Verpflegung
und Unterkunft auswärts zu beziehen. Anderseits habe er für den Unterhalt
der Ehefrau nicht aufzukommen, solange sie von ihm getrennt lebe, so dass
der Beitrag herabzusetzen sei.

    B.- Gegen diesen Entscheid führt Frau K.  staatsrechtliche
Beschwerde mit dem Antrag, ihn und den zugrunde liegenden Entscheid
des Bezirksgerichtspräsidenten wegen Verletzung des Art. 4 BV
aufzuheben. Sie macht geltend, sie sei nach Art. 170 Abs. 1 ZGB
berechtigt, das Zusammenleben mit dem Ehemann zu verweigern. Sie habe
im kantonalen Verfahren die Gründe hiefür genannt, doch seien sie nicht
geprüft worden, worin formelle Willkür und eine Missachtung klaren Rechtes
liege. Willkürlich sei auch der Standpunkt, die angefochtene Massnahme sei
im Sinne von Art. 169 Abs. 2 ZGB im Gesetz vorgesehen. Er verstosse gegen
den allgemein anerkannten Grundsatz, dass die Befolgung der Mahnung, das
eheliche Zusammenleben aufzunehmen oder weiterzuführen, nicht erzwungen
werden könne, auch nicht durch Verurteilung zu einer Ersatzleistung. Die
beanstandete Massregel diene zudem nicht dem Schutz der ehelichen
Gemeinschaft, sondern schade ihr, was willkürlich ausser acht gelassen
worden sei. Die Justizkommission habe den Einwand der Beschwerdeführerin,
dass sie ausserstande sei, den Unterhaltsbeitrag aufzubringen, und dass
der Ehemann ihn auch nicht benötige, nicht gewürdigt und dadurch eine
formelle Rechtsverweigerung begangen. Die verfügte Rückwirkung auf das
Datum der fruchtlosen Mahnung sei nicht vereinbar mit dem Wesen der
Eheschutzmassnahmen, die ausschliesslich Anordnungen für die Zukunft seien.

    C.- Die Justizkommission und der Ehemann beantragen die Abweisung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der in Anwendung von Art. 170 Abs. 3 ZGB getroffene Entscheid des
Bezirksgerichtspräsidenten unterlag dem Rekurs an die Justizkommission
(§§ 477 Abs. 1 und 398 schwyz. ZPO). Im Rekursverfahren hatte aber
die Justizkommission die Angelegenheit frei zu überprüfen (§§ 434
ff. ZPO). Ihr materieller Entscheid ist an die Stelle des an sie
weitergezogenen Entscheides getreten, so dass das Beschwerdebegehren,
auch diesen aufzuheben, gegenstandslos ist.

Erwägung 2

    2.- Der angefochtene Entscheid der Justizkommission ist ergangen in
einem Eheschutzverfahren nach Art. 169 ZGB. Da er keinen Endentscheid
im Sinne des Art. 48 OG darstellt, konnte er nicht mit Berufung
an das Bundesgericht weitergezogen werden (BGE 72 II 57). Auch die
Nichtigkeitsbeschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht (Art. 68
OG) kommt nicht in Betracht, so dass die staatsrechtliche Beschwerde
gegen jenen Entscheid unter dem Gesichtspunkte von Art. 84 Abs. 2 OG
zulässig ist. Sie ist es auch nach Art. 87 OG; denn der Entscheid
der Justizkommission ist ein - letztinstanzlicher - Endentscheid im
Sinne dieser Bestimmung, da er das in Frage stehende Eheschutzverfahren
abschliesst.

Erwägung 3

    3.- Im Urteil des Kantonsgerichtes Schwyz vom 21. Januar 1952
ist festgestellt, dass die Beschwerdeführerin keinen Scheidungs-
oder Trennungsgrund habe und ihr die Fortsetzung der Ehe zugemutet
werden könne. Damit ist auch gesagt, dass keine Gründe vorhanden
seien, welche die Beschwerdeführerin nach Art. 170 Abs. 1 ZGB zur
Verweigerung des Zusammenlebens mit dem Ehemann berechtigen würden. Im
Eheschutzverfahren, das vom Ehemann kurz nach diesem Urteil eingeleitet
worden ist, hat die Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht, dass seit
der Abweisung ihrer Scheidungsklage Verhältnisse eingetreten seien,
die sie zum Getrenntleben berechtigen, sondern sie hat dieses Recht aus
den schon im Scheidungsprozess behaupteten, vom Kantonsgericht aber als
unzureichend erachteten Gründen abgeleitet. Daher kann weder "formelle
Willkür" noch "Missachtung klaren Rechts" darin erblickt werden, dass die
Justizkommission aus den Feststellungen des Scheidungsrichters gefolgert
hat, die Weigerung der Beschwerdeführerin, das eheliche Zusammenleben
wieder aufzunehmen, sei eine Pflichtvergessenheit im Sinne des Art. 169
ZGB. Nachdem der Bezirksgerichtspräsident, was nicht bestritten ist,
die pflichtvergessene Ehefrau fruchtlos gemahnt hatte, war das kantonale
Gericht daher nach Abs. 2 dieser Bestimmung befugt, die zum Schutze der
ehelichen Gemeinschaft erforderlichen, vom Gesetz vorgesehenen Massregeln
zu treffen.

Erwägung 4

    4.- Die Massregel, um die es geht, wird zwar in den Erwägungen
der Justizkommission - wie auch des Bezirksgerichtspräsidenten - als
Festsetzung eines "Unterhaltsbeitrages" bezeichnet. Dass es sich aber
in Wirklichkeit nicht um einen solchen handelt, ergibt sich aus der
ganzen übrigen Begründung. Von einem Unterhaltsbeitrag der Ehefrau
an den Ehemann kann nach der gesetzlichen Ordnung (Art. 159 Abs. 3,
Art. 160 Abs. 2, Art. 161 Abs. 2 ZGB und Bestimmungen des ehelichen
Güterrechts) nur die Rede sein, wenn der Mann einen solchen benötigt
und die Frau in der Lage ist, die erforderlichen Mittel aus ihrem
Einkommen oder Vermögen aufzubringen. Obschon die Beschwerdeführerin im
kantonalen Verfahren das Vorhandensein dieser Voraussetzungen bestritt,
wurden dort die finanziellen Verhältnisse der Ehegatten nicht näher
geprüft, offensichtlich deswegen, weil gar kein Unterhaltsbeitrag,
sondern Schadenersatz zugesprochen wurde. In der Tat wird im Entscheid
der Justizkommission die Zahlungspflicht der Beschwerdeführerin damit
begründet, dass dem Ehemann infolge ihres pflichtvergessenen Verhaltens
"vermehrte Auslagen" entständen, die ihm die Ehefrau zu ersetzen
habe. Diese Verpflichtung ist, wie die zu Schadenersatz überhaupt,
grundsätzlich weder von der Bedürftigkeit des Berechtigten noch von der
Leistungsfähigkeit des Pflichtigen abhängig. Sie wurde auferlegt, um der
ergangenen richterlichen Mahnung "den nötigen Nachdruck zu verleihen",
ist also als Zwangsmittel gedacht.

    Der Justizkommission ist zuzugeben, dass der Eheschutzrichter nicht auf
die in Art. 170 und 171 ZGB ausdrücklich genannten Massnahmen beschränkt
ist, sondern alle weiteren Anordnungen treffen kann, welche die Lage
erfordert, vorausgesetzt, dass sie in der Gesetzgebung überhaupt vorgesehen
sind (EGGER, N. 7, LEMP, N. 17 f. zu Art. 169 ZGB). Die Justizkommission
nennt aber keine gesetzliche Vorschrift, wonach der Richter befugt
wäre, im Eheschutzverfahren den Ehegatten, der die Wiederaufnahme des
ehelichen Zusammenlebens grundlos verweigert, zum Ersatz der dem anderen
Ehegatten daraus erwachsenden Mehrauslagen zu verpflichten. Eine solche
Bestimmung gibt es auch nicht. Ob überhaupt ein Anspruch auf Schadenersatz
wegen Nichterfüllung familienrechtlicher Pflichten bestehe (vgl. VON
TUHR-SIEGWART, Allg. Teil des Schweiz. Obligationenrechtes, S. 12 N. 26),
kann offen gelassen werden. Es genügt, hier festzustellen, dass das
Gesetz die von der kantonalen Behörde ergriffene Eheschutzmassnahme nicht
vorsieht. Insbesondere lässt sich der vom Bezirksgerichtspräsidenten
zitierte Art. 170 Abs. 3 ZGB nicht anrufen. Abgesehen davon, dass er
den Fall betrifft, wo die Voraussetzungen zur Aufhebung des gemeinsamen
Haushaltes gegeben sind, ermächtigt er den Richter einzig zur Festsetzung
von Unterhaltsbeiträgen, nicht auch zur Zusprechung von Schadenersatz.

    Wie die Justizkommission selbst feststellt, ist die Verpflichtung
zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft wegen der höchst
persönlichen Natur der geschuldeten Leistung nicht vollstreckbar
(EGGER, N. 10, LEMP, N. 18 zu Art. 169 ZGB; ZR 28 Nr. 41). Dann geht
es aber auch nicht an, den pflichtvergessenen Ehegatten mittelbar zur
Wiederaufnahme des Zusammenlebens zwingen zu wollen, durch Verpflichtung zu
Schadenersatz für solange, als er die Wiedervereinigung verweigert. Die
Justizkommission und der Beschwerdegegner berufen sich für die
Zulässigkeit der angefochtenen "Sanktion" offensichtlich zu Unrecht
auf EGGER, N. 6, 7 und 10 zu Art. 169 ZGB; denn dort wird nirgends
gesagt, dass andere als die im Gesetz vorgesehenen Massregeln zulässig
seien, und insbesondere ist in N. 10 nicht die Rede von Schadenersatz-,
sondern von Unterhaltsleistungen. Übrigens hat man es nicht nur mit einem
unzulässigen, sondern auch mit einem untauglichen Zwangsmittel zu tun,
weil für die zugesprochene Schadenersatzforderung, im Unterschied zu
Unterhaltsbeiträgen, die Zwangsvollstreckung während der Dauer der Ehe
nicht möglich ist (Art. 173, 176 ZGB).

    Der Eheschutzrichter darf sich über Art. 169 Abs. 2 ZGB, der ihn - im
Interesse der persönlichen Freiheit und damit auch der Aufrechterhaltung
der Ehe - in der Wahl der Mittel zur Durchführung seiner Aufgabe beschränkt
(BGE 72 II 296 Erw. 5), nicht hinwegsetzen, wie es die Justizkommission
getan hat. Ihr Entscheid ist mit der gesetzlichen Ordnung schlechterdings
unvereinbar und daher willkürlich.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der
angefochtene Entscheid der Justizkommission des Kantons Schwyz wird
aufgehoben.