Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 I 237



80 I 237

38. Urteil vom 13. Oktober 1954 i.S. Beretta gegen Basel-Stadt,
Regierungsrat. Regeste

    Art. 45 Abs. 3 BV. Vergehen gegen das Vermögen, für die Strafen von
weniger als 3-4 Wochen ausgesprochen werden, sind regelmässig nicht schwer
im Sinne dieser Vorschrift (Anderung der Rechtsprechung).

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der in Brissago heimatberechtigte, seit 1939 in Basel
niedergelassene Beschwerdeführer ist wegen zahlreicher Polizeiübertretungen
bestraft und ausserdem im Jahre 1951 wegen fortgesetzter Urkundenfälschung
und versuchtem Betrug zu 6 Wochen und am 19. März 1954 wegen Hehlerei
zu 10 Tagen Gefängnis verurteilt worden. Der Regierungsrat des Kantons
Basel-Stadt hat ihm deshalb auf Grund von Art. 45 Abs. 3 BV die
Niederlassung im Kantonsgebiet für die Dauer von 10 Jahren entzogen
(Beschluss vom 10. August 1954).

    Mit der staatsrechtlichen Beschwerde wird die Aufhebung dieses
Niederlassungsentzuges verlangt. Der Regierungsrat beantragt die Abweisung
der Beschwerde.

Erwägung 2

    2.- Die Niederlassung durfte dem Beschwerdeführer entzogen werden,
wenn er wiederholt wegen schwerer Vergehen gerichtlich bestraft worden
ist (Art. 45 Abs. 3 BV). Das Erfordernis wiederholter Verurteilung ist
erfüllt, wenn wenigstens zwei gerichtliche Verurteilungen wegen schwerer
Vergehen vorliegen, wovon das eine nach der Bestrafung für das erste und
während der Niederlassung im Kanton des Entzuges begangen worden ist;
das Requisit der Schwere ist gegeben, wenn die Vergehen derart sind,
dass sie eine für die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährliche
Gesinnung des Täters offenbaren.

    Dass die Verurteilung des Beschwerdeführers vom Jahre 1951 schwer im
Sinne dieser Vorschrift ist, kann nicht zweifelhaft sein, wird übrigens vom
Beschwerdeführer anerkannt. Die Hehlerei, welche zum Urteil vom 19. März
1954 führte, hängt mit dem Diebstahl einer 100 Frankennote durch zwei
Frauen zusammen. Die Tätigkeit des Beschwerdeführers bestand darin, dass er
in Kenntnis des Diebstahls half, die Note im Zimmer einer der beiden Frauen
in einer elektrischen Steckdose zu verbergen (Urteil des Strafgerichts von
Basel-Stadt vom 19. März S. 2). Das Urteil schliesst aus dem Verhalten
des Beschwerdeführers auf die Intensität des verbrecherischen Willens,
das gestohlene Gut so gut als möglich für die Geliebte sicherzustellen,
anerkennt indes, dass das Verschulden insofern etwas gemildert ist, als
der Beschwerdeführer ungewollt Mitwisser des vorausgegangenen Diebstahls
wurde und sich aus falsch verstandener Hilfsbereitschaft zu der Tat
verpflichtet fühlte.

    Der Strafrichter hat also das Vergehen weder als besonders schweren
noch als besonders leichten Fall im Sinne von Art. 144 Abs. 2 StGB
angesehen. Für die Würdigung der Schwere im Sinne von Art. 45 Abs. 3 BV
kommt es übrigens hierauf nicht entscheidend an, sondern darauf, ob die
Tat eine gemeine und gefährliche Gesinnung des Täters kundtue.

    Die Hehlerei gehört zu den Vermögensdelikten. Nach einer früheren
Praxis (vgl. BGE 74 I 260 Erw. 1) galten derartige Vergehen dann als
schwer, wenn sie keinen ganz geringfügigen Sachverhalt betrafen. Nach
der neueren Rechtsprechung müssen auch solche Delikte von einer gewissen
Schwere sein. Vergehen gegen das Vermögen, für die Strafen von weniger
als 3-4 Wochen ausgesprochen werden, bekunden nicht notwendig eine für
die öffentliche Ordnung und Sicherheit so gefährliche Gesinnung, dass
sich deshalb der Entzug der Niederlassung rechtfertigen würde (Urteil vom
12. Mai 1954 i.S. Hirschi, wo eine Verurteilung zu 30 Tagen Gefängnis wegen
Veruntreuung als schwer, eine solche von 10 Tagen Gefängnis wegen desselben
Sachverhaltes dagegen als nicht schwer bezeichnet wird). Danach kann die
Verurteilung zu 10 Tagen Gefängnis wegen Hehlerei aber regelmässig nicht
als schwer im Sinne von Art. 45 Abs. 3 BV gelten. Ganz besondere Umstände,
die es rechtfertigen würden, von dieser Regel abzuweichen, liegen nicht
vor. Dass der Beschwerdeführer wegen zahlreicher Polizeiübertretungen mit
Busse oder Haft bestraft worden ist, genügt dafür nicht. Diese ändern an
der Feststellung nichts, dass der Beschwerdeführer nicht schlecht oder
für die öffentliche Sicherheit geradezu gefährlich, sondern mehr haltlos
und leichtsinnig ist (vgl. den Polizeibericht vom 20. September 1954).

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und der über den Beschwerdeführer
angeordnete Niederlassungsentzug aufgehoben.