Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 IV 272



80 IV 272

56. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. Dezember 1954
i. S. Righetti gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 1 ff. Vo. über die Strassensignalisation vom 17. Oktober
1932. Bedeutung von Widersprüchen in der Strassensignalisation,
insbesondere wenn das Vortrittsrecht auf der einen Strasse durch eine
Ortsbezeichnungstafel (Art. 14 Abs. 3) und auf der anderen durch ein
Vortrittsignal (Art. 9 Abs. 5) aufgehoben ist.

Sachverhalt

    A.- Emil Righetti fuhr am 25. Dezember 1952 um 16.30 Uhr am Steuer
eines Personenwagens von Döttingen her auf der nach Baden führenden
Hauptstrasse in die durch eine Ortsbezeichnungstafel (Hinweissignal
Nr. 23) als Innerortszone gekennzeichnete Häusergruppe bei der Station
Siggenthal-Würenlingen. Nachdem er dort einen von Max Philippin geführten
Personenwagen überholt hatte, blieb er mit den linken Rädern auf der
linken Hälfte der Fahrbahn und begann mit mindestens 80 km/Std. einen
von Fritz Hausmann geführten weiteren Personenwagen zu überholen, als
dieser im Begriffe war, in die spitzwinklig gegen rechts abzweigende
Hauptstrasse nach Stilli-Brugg einzufahren. Da ihm dieser Wagen die Sicht
in die Strasse Stilli-Brugg verdeckte, bemerkte er zu spät, dass von
dort her ein Personenwagen gegen links in die Strasse Baden-Döttingen
einmündete. Dessen Führer Viktor Schraner hielt trotz des auf der
Strasse Stilli-Station Siggenthal stehenden Gefahrsignals Nr. 7 eine
Geschwindigkeit von etwa 50 km/Std. ein. Der Wagen Righettis prallte, eine
5,45 m lange Fahr- und Bremsspur hinterlassend, dem Wagen Schraners in die
linke Seite. Die vier Insassen des letzteren und Righetti selber wurden
erheblich verletzt. Schraner starb in der Folge an seinen Verletzungen.

    B.- Das Bezirksgericht Baden erklärte Righetti am 1.  September 1953
der Übertretung der Art. 26 Abs. 1 und 3 und Art. 27 Abs. 1 erster Halbsatz
MFG sowie der fahrlässigen Tötung, fahrlässigen Körperverletzung und
fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs schuldig und verurteilte
ihn zu vier Monaten Gefängnis und Fr. 300.-- Busse.

    Das Obergericht des Kantons Aargau wies die Beschwerde, die Righetti
gegen diese Verurteilung führte, am 24. Juni 1954 ab.

    C.- Righetti führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das
Urteil sei aufzuheben und die Sache an das Obergericht zurückzuweisen,
damit es ihn unter wesentlicher Herabsetzung des Strafmasses nur wegen
Widerhandlung gegen Art. 25 Abs. 1 MFG in Verbindung mit Art. 117, 125
Abs. 1 und 237 Ziff. 2 StGB verurteile und den Vollzug einer allfälligen
Freiheitsstrafe bedingt aufschiebe, dem Beschwerdeführer eventuell im Sinne
des Art. 20 StGB den Strafmilderungsgrund des Rechtsirrtums zubillige.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Art. 27 Abs. 2 MFG räumt dem auf einer Hauptstrasse Fahrenden
den Vortritt ein. Art. 2 des Bundesratsbeschlusses vom 26. März 1934 über
die Hauptstrassen mit Vortrittsrecht bestimmt indessen - zulässigerweise
(BGE 65 I 52, 68 II 125) -, dass innerorts bei allen Strassenkreuzungen,
-einmündungen und -gabelungen das Vortrittsrecht von rechts gilt. Das
heisst, dass der auf der Hauptstrasse Fahrende sich innerorts nicht auf
Art. 27 Abs. 2 MFG berufen kann. An welcher Stelle die Innerortsstrecke
beginnt, wird verbindlich durch die Vorderseite des Hinweissignals Nr. 23,
das sogenannte Ortsbezeichnungssignal, angezeigt (Art. 14 Abs. 3 Vo. vom
17. Oktober 1932 über die Strassensignalisation) (BGE 66 I 117).

    Diese Regelung ist eindeutig und erlaubt keine Ausnahmen. Insbesondere
geht der Beschwerdeführer fehl, zu glauben, sie gelte dann nicht, wenn die
Innerortsstrecke "am Rande des Ortes" verlaufe, wie es für die Hauptstrasse
Döttingen-Baden in der Innerortszone "Station Siggenthal" zutreffe,
weil die von Stilli her einmündende Strasse kein Ortsbezeichnungssignal
aufweise. Weder die Verordnung über die Strassensignalisation noch der
Bundesratsbeschluss über die Hauptstrassen mit Vortrittsrecht schreibt
vor, dass sämtliche in die Innerortsstrecke einmündenden Seitenstrassen
ihrerseits mit einem Ortsbezeichnungssignal zu versehen seien, und
dass dort, wo solche fehlen, der auf der Hauptstrasse Fahrende das
Vortrittsrecht des von rechts Kommenden nicht zu beachten habe. Eine
Ausnahme ist auch nicht vorgesehen für den Fall, dass eine Seitenstrasse
mit dem Gefahrsignal Nr. 7 (Vortrittsignal) versehen ist; dieses wendet
sich ausschliesslich an den Benützer der Seitenstrasse, zumal es von dem
auf der Hauptstrasse Fahrenden gar nicht wahrgenommen werden kann. Jeder
hat sich an die auf seiner Strasse aufgestellten Signale zu halten,
selbst wenn er, weil er ortskundig ist, auch die auf den anderen Strassen
aufgestellten Signale kennt. Das jedenfalls dann, wenn Widersprüche in
der Signalisation nicht zu einer Gefährdung des Verkehrs führen können,
sondern im Gegenteil Pflichten auferlegen, die Gefahren vorbeugen sollen,
wie es im vorliegenden Falle zutraf, wo das Vortrittsrecht für den von
Stilli her Kommenden durch das Gefahrsignal Nr. 7 schlechthin, statt
durch eine Ortsbezeichnungstafel bloss gegenüber dem von rechts, d.h.
von Baden her Kommenden aufgehoben war.

    Indem der Beschwerdeführer dem von rechts kommenden Wagen des Schraner
den Vortritt nicht liess, verging er sich somit objektiv gegen Art. 27
Abs. 1 MFG und Art. 2 des BRB über die Hauptstrassen mit Vortrittsrecht.

    In subjektiver Hinsicht wird der Beschwerdeführer weder durch Art. 19
noch durch Art. 20 StGB entlastet. Nach der verbindlichen Feststellung
des Obergerichtes hat er sich über das Ortsbezeichnungssignal
"Station Siggenthal" bewusst hinweggesetzt, hat es also gekannt,
sich über den Sachverhalt nicht geirrt, was er in der Beschwerde auch
nicht behauptet. Auf Rechtsirrtum sodann könnte er sich nur berufen,
wenn zureichende Gründe einen solchen entschuldigten. Davon kann
keine Rede sein. Der Widerspruch in der Signalisation berechtigte
den Beschwerdeführer nicht zur Annahme, er brauche das an der Strasse
Döttingen-Baden aufgestellte Signal nicht zu beachten, sondern er dürfe
aus dem an der Strasse Stilli-Station Siggenthal stehenden Signal ein
Vortrittsrecht ableiten. Ein gewissenhafter Führer nimmt nicht Rechte
in Anspruch, die durch ein an seiner Strasse stehendes Signal aufgehoben
sind. Indem der Beschwerdeführer das tat, verhielt er sich pflichtwidrig.