Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 IV 234



80 IV 234

48. Urteil des Kassationshofes vom 12. November 1954 i.S. Kaufmann gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 112 StGB, Mord. Umstände und Überlegung, die eine besonders
verwerfliche Gesinnung des Täters offenbaren; Verminderung der
Willensfreiheit schliesst sie nicht aus.

Sachverhalt

    A.- Marie Kaufmann-Studer, geb. 1914, bewohnte mit ihrem Ehemanne,
ihren sieben Kindern im Alter von zwei bis fünfzehn Jahren und ihrem
73 Jahre alten Vater in Schüpfheim ein eigenes Haus, in dem sie einen
Zigarrenladen führte. Obschon aus dem Verdienste des Ehemannes als
Fabrikarbeiter monatlich etwa Fr. 700.-- in den Haushalt flossen,
geriet die Familie wegen Vergnügungs- und Geltungssucht der Ehefrau
immer mehr in Schulden. Vom Juli 1952 bis 12. März 1953 wurde für
Forderungen von zusammen Fr. 4785.-- achtundzwanzigmal Hausrat und Ware
des Geschäftes gepfändet. Ungefähr während des letzten halben Jahres
dieser Zeitspanne sagte Marie Kaufmann, die sämtliche Betreibungsurkunden
entgegennahm, ihrem Manne nichts mehr von den Betreibungen. Obschon sie
hohe Abschlagszahlungen leistete, kam es bis zum 5. März 1953 wieder zu
Betreibungen für Fr. 2384.--. Marie Kaufmann fürchtete immer mehr, ihre
sorgfältig verheimlichte Schuldenmacherei werde ihrem Ehemanne und ihrem
Vater bekannt, insbesondere als am 16. und 20. März der Betreibungsbeamte
bei ihr erschien, einen neuen Zahlungsbefehl brachte und mit ihr über
die Rückstände sprach, wobei er darauf hinwies, dass er Ende März die
Versteigerung ansetzen müsse, wenn sie nicht eine Nachlassstundung
nachsuche und es ihrem Ehemanne nicht gelinge, für zwei Monate den Lohn
zum voraus zu beziehen. In ihrer Angst und primitiven Triebhaftigkeit,
die mit Oberflächlichkeit ihres Denkens und Fühlens verbunden war,
kam sie am 20. März 1953 nach dem Besuche des Betreibungsbeamten auf
den Gedanken, ihren Vater und ihren Ehemann umzubringen, damit sie die
Versteigerung nicht erlebten. Sie grübelte, wie sie das machen wolle, kam
aber zu keinem Schlusse, weil ihr vor der Tat grauste. In der Nacht vom
20./21. März schlief sie nur wenig und in der Nacht vom 21./22. März gar
nicht, weil ihr Nachdenken sie immer wieder zum gleichen Ergebnis führte,
nämlich dass die beiden Männer die Versteigerung nicht erleben dürften.

    Besonders stark beschäftigte der Gedanke sie am Abend des 22. März,
einem Sonntag. Der Ehemann hatte sich an diesem Tage auf ihr Betreiben
zum Besuche seiner Schwester nach Weggis begeben. Als sie um 20 Uhr
vernahm, ihr Vater habe das Nachtessen mit der Bemerkung abgelehnt,
es solle fressen, wer Hunger habe, entschloss sie sich nach langem
inneren Kampfe, ihn zu töten, damit er nicht am folgenden Morgen ihren
Ehemann über die Lage der Familie unterrichte. Gegen 21 Uhr schickte sie
die beiden älteren Kinder zum Bahnhof ihren Vater abholen; die anderen
Kinder waren schon zu Bett gegangen. Dann nahm sie eine Axt, vergewisserte
sich von der Laube her, dass Vater Studer schlief, ging in das Zimmer,
schlug dem Schlafenden mit mehreren Axthieben den Schädel ein und deckte
ihn mit einer Bettdecke zu. Hierauf stellte sie die Axt in die Laube,
reinigte in der Küche den mit Blut bespritzten Ärmel und bereitete dem
heimkehrenden Ehemanne das Nachtessen zu.

    Nach der Mahlzeit begab sie sich mit ihrem Manne zu Bett, blieb aber
schlaflos. In schwerem inneren Kampfe entschloss sie sich morgens 3 Uhr des
23. März, auch den Ehemann zu töten, holte die Axt, stellte sie bereit,
legte sich wieder zu Bett, brütete weiter vor sich hin, erhob sich gegen
4 Uhr nochmals, ergriff die Axt und zertrümmerte dem Schlafenden mit
mehreren Hieben den Schädel. Hernach ging sie in die Küche die blutige Axt
waschen, stellte sie in den Keller und begab sich in ihr Bett zurück, die
blutüberströmte Leiche ihres Ehemannes unbedeckt im Bette nebenan lassend.
Etwas später kam sie auf den Gedanken, einen Raubüberfall vorzutäuschen,
ging in den Laden, legte Zigarrenpakete in einen leeren Koffer, räumte
die Ladenkasse aus, liess die Schublade offen und öffnete anschliessend
zum gleichen Täuschungszwecke auch in der Stube einige Behälter und Türen.
Nachher weilte sie noch mehrere Stunden lang neben dem Toten im Bett.

    B.- Am 14. Juli 1954 erklärte das Obergericht des Kantons Luzern Marie
Kaufmann des wiederholten Mordes schuldig. Es nahm an, die Einsicht in
das Unrecht der Taten habe ihr nicht gefehlt, doch sei ihre Fähigkeit,
sich gemäss dieser Einsicht zu verhalten, in mittlerem Grade herabgesetzt
gewesen. Es milderte daher die Strafe gemäss Art. 11 und 66 StGB auf
zwanzig Jahre Zuchthaus. Es stellte die Verurteilte für zehn Jahre in der
bürgerlichen Ehrenfähigkeit ein. Auf die Freiheitsstrafe rechnete es ihr
die seit 23. März 1953 ausgestandene Untersuchungshaft an.

    C.- Marie Kaufmann führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht
zurückzuweisen.

    Sie macht geltend, entgegen der Auffassung des Obergerichts habe
sie nicht unter Umständen und mit einer Überlegung getötet, die eine
besonders verwerfliche Gesinnung offenbarten. Die Verminderung ihrer
Zurechnungsfähigkeit schliesse eine besonders verwerfliche Gesinnung
aus. Die Gesinnung im Zeitpunkt der Tat könne nur dann eine Rolle spielen,
wenn der Sinn des Täters im wesentlichen frei sei, d.h. wenn er besinnen
könne, was er tue, und wenn nicht im wesentlichen Impulse, über die er
nicht mehr mächtig sei, die Tat bewirkten. Die Beschwerdeführerin habe
sich somit nur der vorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB) schuldig gemacht.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Mord (Art. 112 StGB) unterscheidet sich von der vorsätzlichen
Tötung (Art. 111 StGB) dadurch, dass der Mörder "unter Umständen oder
mit einer Überlegung tötet, die seine besonders verwerfliche Gesinnung
oder seine Gefährlichkeit offenbaren".

    Das Obergericht hat die Gefährlichkeit der Beschwerdeführerin
verneint, dagegen ihre besonders verwerfliche Gesinnung bejaht. Es
schliesst auf solche Gesinnung aus den Umständen der Tat (äusserer Hergang,
Vorgeschichte, Beweggrund) und weil die Beschwerdeführerin mit Überlegung
gehandelt habe.

    Damit verkennt das Obergericht, dass die Überlegung als solche weder
allein noch in Verbindung mit den Umständen der Tat Merkmal des Mordes ist.
Die Tat kann mit Überlegung (préméditation, premeditazione) begangen
worden und dennoch nur vorsätzliche Tötung sein, z.B. in dem schon in den
Erläuterungen zum Vorentwurf (S. 120) und in der Botschaft des Bundesrates
(S. 31) erwähnten und auch in der Bundesversammlung angeführten Falle,
dass eine arme Witwe nach langen Seelenkämpfen aus Verzweiflung mit
ihrem Kinde ins Wasser geht und lebend herausgezogen wird, während das
Kind umkommt. Wie der Kassationshof schon in BGE 70 IV 7 ausgeführt hat,
liegt das Kennzeichen des Mordes nicht in der Überlegung, sondern in der
Gefährlichkeit oder der besonders verwerflichen Gesinnung des Täters, die
in der von ihm angestellten Überlegung oder auch bloss in den Umständen
der Tat zum Ausdruck kommen. Wenn der Richter nicht schon allein aus den
Umständen der Tat auf besonders verwerfliche Gesinnung schliesst und damit
die Tat als Mord würdigt, sondern auch die Überlegungen berücksichtigt, die
der Täter vor der Begehung gemacht und die ihn zur Tat bewogen haben, ist
daher zu erwägen, ob sie die Gesinnung des Täters wirklich als besonders
verwerflich erscheinen lassen.

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Falle trifft das zu. Die Überlegung der
Beschwerdeführerin, sie wolle ihren Ehemann und ihren Vater umbringen,
damit sie nicht erführen, in welche Lage sie die Familie durch ihre
Schuldenmacherei gebracht hatte, insbesondere damit sie die Versteigerung
der gepfändeten Sachen nicht erlebten, verrät einen besonders hohen Grad
von Unmoral. Wie das Obergericht verbindlich feststellt, handelte die
Beschwerdeführerin rein aus Egoismus. Sie wollte die beiden Haupturheber
möglicher Vorwürfe aus der Welt schaffen; es war ihr nicht darum zu tun,
ihnen die Schande der Versteigerung oder des drohenden Verlustes des Heimes
zu ersparen; das war nur ein vorgeschobener Beweggrund, mit dem sie ihre
Verbrechen vor sich selbst und anderen zu rechtfertigen versuchte. Die
Beschwerdeführerin handelte umso verwerflicher, als sie nicht unverschuldet
in Not geraten, sondern durch Misswirtschaft, die auf eine Vergnügungs-
und Geltungssucht zurückging, in die bedrängte Lage gekommen war und
es auch ihrer eigenen verfehlten Einstellung zuzuschreiben hatte, dass
die beiden Männer noch nicht wussten, was der Familie drohte. Dass der
Ehemann anlässlich früherer Betreibungen geschimpft hatte, mildert
die Verwerflichkeit der Gesinnung der Beschwerdeführerin nicht. Das
Schimpfen war durchaus berechtigt gewesen, und dass der Ehemann dabei
besondere Bosheit oder eine drohende Haltung an den Tag gelegt oder
die Beschwerdeführerin sogar geschlagen habe, behauptet sie nicht. Die
zunehmende Angst der Beschwerdeführerin war objektiv unbegründet und ging
subjektiv nur auf eine abwegige Charakterveranlagung zurück. Soweit
diese die Willensfreiheit im Zeitpunkt der Tat herabsetzte, wurde
ihr durch Milderung der Strafe Rechnung getragen. An der besonderen
Verwerflichkeit der Gesinnung der Täterin ändert sie nichts. Gesinnung
ist nicht, wie der Verteidiger annimmt, gleichbedeutend mit Fähigkeit
des Besinnens im Augenblick der Tat. Verminderung der Willensfreiheit
ändert an der Gesinnung nichts, die den Täter mit dem vorhandenen Teil von
Willensfreiheit, für den er einzustehen hat, zum Verbrechen treibt. Ob die
Gesinnung des vermindert Einsichtsfähigen gleich zu beurteilen sei wie die
des voll Einsichtsfähigen, kann sich im vorliegenden Falle nicht fragen,
da die Sachverständigen und das Obergericht der Beschwerdeführerin entgegen
der Behauptung des Verteidigers die Fähigkeit, das Unrecht ihrer Taten
voll einzusehen, nicht abgesprochen haben. Die Beschwerdeführerin hätte
sich insbesondere auch sagen können und sollen, dass sie ihren sieben
Kindern schweres Unrecht zufüge, ihnen den Vater und den Grossvater für
immer zu entreissen. Wer durch solche Bedenken egoistische Regungen, wie
die Beschwerdeführerin ihnen erlegen ist, nicht zu überwinden vermag,
obschon er mehr als zwei Tage und Nächte über die Tat brütet, bekundet
eine besonders verwerfliche Gesinnung.

Erwägung 3

    3.- Die Umstände der Tat offenbaren übrigens gleiche Gesinnung. Zu
diesen Umständen gehören hier schon die Bande des Blutes und der Ehe,
mit denen die Beschwerdeführerin und ihre Opfer verbunden waren. Es
bedarf eines aussergewöhnlichen Grades von Gefühlsrohheit, aus dem
hier festgestellten Beweggrunde den eigenen Vater und den Ehemann zu
töten. Das gewählte Mittel, ihnen mit mehreren Axtschlägen den Schädel
zu zertrümmern, erhöht die Scheusslichkeit der Tat. Dass die Opfer
schliefen, ersparte ihnen zwar Schmerzen, zeugt aber von Feigheit der
Täterin und abgründigem Missbrauch des Vertrauens, das die Glieder einer
in Hausgemeinschaft lebenden Familie einander entgegenbringen und das
insbesondere zwischen Ehegatten und Blutsverwandten des ersten Grades
besteht. Die Verwerflichkeit der Gesinnung der Beschwerdeführerin wird auch
erhöht durch die Häufung zweier Verbrechen in ein und derselben Nacht,
wobei das zweite erst endgültig beschlossen wurde, als das erste schon
begangen war. Nur roheste Gesinnung kann es einem Weibe ermöglichen, am
eigenen Manne eine so abscheuliche Tat, wie sie zuvor am Vater begangen
wurde, zu wiederholen und sich nachher für mehrere Stunden neben die
blutüberströmte Leiche zu Bette zu legen.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.