Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 IV 156



80 IV 156

32. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. September 1954
i.S. Brügger gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. Regeste

    1.  Art. 148 StGB. Auch ein Urteilsunfähiger kann betrogen werden.

    2.  Art. 63 StGB. Bedeutung der erstinstanzlich verhängten Strafe
für die Strafzumessung durch die obere kantonale Instanz.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 6

    6.- Den Antrag auf Freisprechung von der Anklage des Betruges gegenüber
Jäger begründet der Beschwerdeführer damit, dass ein Urteilsunfähiger
nicht im Sinne des Art. 148 StGB irregeführt und dadurch zu einem sein
Vermögen schädigenden Verhalten bestimmt werden könne.

    Jemanden irreführen heisst, in ihm Vorstellungen wachrufen, die mit
der Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Solche Vorstellungen können auch in
einer Person erzeugt werden, die infolge ihres von der Norm abweichenden
Geisteszustandes nicht fähig ist, vernünftig zu handeln. Solche
Personen sind oft sogar in besonderem Masse der Gefahr ausgesetzt,
sich zu irren. Gerade die Vergesslichkeit, Kritiklosigkeit und leichte
Beeinflussbarkeit, unter denen Jäger wegen seines Altersschwachsinnes
litt, haben die Irreführung erleichtert. Art. 148 StGB setzt bloss
den Irrtum voraus, nicht auch die Fähigkeit des Opfers, sich durch
vernünftige Überlegungen vor Schaden zu schützen, insbesondere mit normaler
Geisteskraft einem Irrtum vorzubeugen oder einen solchen zu überwinden. Es
wäre eine sonderbare Rechtsordnung, wenn sie gerade den, der infolge
verminderter Geistesgaben in vermehrtem Masse der Gefahr ausgesetzt ist,
sich zu irren, nicht strafrechtlich gegen die betrügerische Hervorrufung
und Ausnützung von Irrtümern schützen würde.

    Eine andere Frage ist, ob der Täter wisse, dass das Opfer unter
dem Einfluss eines Irrtums handelt, oder ob er der Meinung sei, es sei
der Lüge mit der Geisteskraft eines Normalen auf die Spur gekommen und
fasse seinen Entschluss in Kenntnis des wahren Sachverhaltes. Davon aber
hangen nur Vorsatz und Arglist ab, die der Beschwerdeführer mit Recht
nicht bestreitet.

    Urteilsunfähigkeit des Opfers und daherige Unverbindlichkeit seiner
Handlungen schliessen auch nicht die Vermögensschädigung aus, die
Tatbestandsmerkmal des Betruges ist. Der Schaden tritt unabhängig vom
Recht des Geprellten, den früheren Zustand wiederherstellen zu lassen,
dadurch ein, dass er tatsächlich über sein Vermögen verfügt, d.h. sich
einer Sache entäussert, einen Wechsel unterschreibt und dgl.

    Die Beschwerde ist daher auch in diesem Punkte abzuweisen.

Erwägung 8

    8.- .....

    Soweit der Beschwerdeführer sodann zur Stützung seiner Rüge, das
Obergericht habe ihn zu streng bestraft, auf die vom Kriminalgericht
ausgefällte Strafe verweist und daraus ableitet, das Obergericht hätte
sie wegen Verneinung des leichtsinnigen Konkurses und wegen Annahme
verminderter Zurechnungsfähigkeit stärker herabsetzen sollen, geht
er schon deshalb fehl, weil keine bundesrechtliche Norm der oberen
kantonalen Instanz vorschreibt, die von der ersten Instanz ausgefällte
Strafe als Ausgangspunkt für die Zumessung der Strafe zu nehmen. Vielmehr
hat die obere Instanz, soweit nicht kantonale Prozessvorschriften sie
daran hindern, die Strafe unabhängig vom erstinstanzlichen Urteil nach
den bundesrechtlichen Strafzumessungsnormen, insbesondere nach Art. 63
StGB, zu bestimmen. Bundesrecht wäre daher selbst dann nicht verletzt,
wenn das Obergericht eine strengere Strafe ausgefällt hätte als das
Kriminalgericht. Die obere kantonale Instanz verletzt im Gegenteil
eidgenössisches Recht, wenn sie ohne prozessuale Notwendigkeit das
erstinstanzliche Urteil als verbindlichen Massstab oder Ausgangspunkt
für die Bestimmung der Art und des Masses der Strafe nimmt, statt frei
die bundesrechtlichen Strafzumessungsnormen anzuwenden.