Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 IV 151



80 IV 151

31. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. August 1954
i. S. Iseli und Mitverurteilte gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
Regeste

    1.  Art. 137 Ziff. 1, 140 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Diebstahl oder
Veruntreuung? (Erw. 2).

    2.  Art. 271 Ziff. 2 StGB. Subjektiver Tatbestand der Entführung zur
Überlieferung an eine fremde Behörde (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Roger Iseli bestellte Walter Allemann, Uhrenhändler in Zuchwil,
unter dem Vorwande, dass jemand sich für 1100 Damenuhren und 200
Herrenuhren interessiere, mit solcher Ware auf den 19. August 1952 nach
Zürich. Am Nachmittag dieses Tages fuhr er mit Allemann, Eduard Reichenbach
und Edmondo Zarro im Motorwagen des Reichenbach nach Kreuzlingen, nachdem
er Allemann angegeben hatte, der Uhrenkäufer erwarte sie dort. Auf der
Fahrt steckte Iseli dem Zarro 50 der im Wagen untergebrachten Uhren
zu. Die anderen 1250 Stück blieben in Kreuzlingen im Wagen. Reichenbach
schloss diesen ab und nahm den Schlüssel zu sich. Unter dem Vorwande,
der Uhrenkäufer treffe erst gegen Abend in Kreuzlingen ein, bestimmten
hierauf Iseli, Reichenbach und Zarro auf Vorschlag des ersteren den
Allemann, mit ihnen zu Fuss nach Konstanz zu gehen, um dort im Restaurant
"Konzil" einen Imbiss einzunehmen. Zarro schmuggelte auf diesem Gang die
50 Uhren über die Grenze und schob sie im Restaurant dem Allemann zu. Nach
kurzer Zeit entfernten Iseli und Reichenbach sich von dort, gingen nach
Kreuzlingen zurück, nahmen die 1250 Uhren im Werte von Fr. 20'250.-- aus
dem Automobil und hinterlegten sie im Bahnhof Kreuzlingen. Hierauf begaben
sie sich wieder nach Konstanz, teilten der deutschen Zollfahndungsstelle
telephonisch mit, Allemann habe 50 Uhren geschmuggelt, und veranlassten
dadurch, dass er im Restaurant "Konzil" verhaftet wurde. Iseli und
Reichenbach holten hernach die 1250 Uhren im Bahnhof Kreuzlingen,
versorgten sie wieder im Automobil und fuhren mit diesem zusammen mit
Zarro nach Zürich zurück. Alle drei hatten den Plan gemeinsam gefasst
und in gemeinsamem Einverständnis und Zusammenwirken ausgeführt. Sie
beabsichtigten, die Uhren zu verkaufen und den Erlös miteinander zu teilen.

    B.- Gestützt auf diesen von den Geschworenen durch Bejahung mehrerer
Teilfragen festgestellten Sachverhalt erklärte das Schwurgericht des
Kantons Zürich am 12. Dezember 1953 Iseli, Reichenbach und Zarro als
Mittäter des Diebstahls im Betrage von Fr. 20'250.-- (Art. 137 Ziff.
1 StGB), der verbotenen Handlungen für einen fremden Staat (Art. 271
Ziff. 2 StGB) und des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes (Art. 273
Abs. 2 StGB) schuldig.

    C.- Iseli, Reichenbach und Zarro führen Nichtigkeitsbeschwerde mit
dem Antrag, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung
an das Schwurgericht zurückzuweisen.

    Sie bestreiten, sich des Diebstahls und des verbotenen Handelns für
einen fremden Staat schuldig gemacht zu haben. Die Uhren seien ihnen von
Allemann anvertraut gewesen, weshalb nur Veruntreuung vorliege (Art. 140
StGB). Das Handeln für einen fremden Staat im Sinne des Art. 271 Ziff. 2
StGB betreffe nur Fälle, in denen jemand aus politischen Gründen ins
Ausland verschleppt werde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Veruntreuung setzt voraus, dass dem Täter die fremde bewegliche
Sache, die er sich aneignet, um sich oder einen andern damit unrechtmässig
zu bereichern, anvertraut worden sei (Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Diese
Voraussetzung ist nicht schon erfüllt, wenn der Täter zu der Sache Zutritt
hat, indem z.B. der Schlüssel zu ihrem Aufbewahrungsorte sich in seinen
Händen befindet. Sie muss ihm vielmehr übergeben worden sein mit dem
ausdrücklich oder stillschweigend geäusserten Willen beider Beteiligten,
dass er sie verwahre, verwalte, weitergebe und dgl. Ist das nicht der
Fall, so macht der Täter dadurch, dass er dem andern die Sache in der
erwähnten Absicht wegnimmt, sich des Diebstahls schuldig (Art. 137
Ziff. 1 StGB). Das trifft selbst dann zu, wenn der andere zur Zeit der
Tat vorübergehend nicht in der Lage ist, die Sache zu beherrschen, z.B.
weil er abwesend ist oder der Schlüssel sich in den Händen eines Dritten
oder des Täters selbst befindet. Wie die vorübergehende Verhinderung der
Ausübung der tatsächlichen Gewalt den Besitz nicht aufhebt (Art. 921 ZGB),
steht sie auch dem Gewahrsam nicht im Wege, ohne den die Sache nicht im
Sinne des Art. 137 Ziff. 1 StGB "weggenommen" werden kann. Die Wegnahme
besteht in einem solchen Falle in einem Tun oder Unterlassen des Täters,
das dem andern verunmöglicht, die tatsächliche Gewalt, an deren Ausübung
er nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge sonst nur vorübergehend verhindert
gewesen wäre, wieder auszuüben.

    So verhält es sich hier. Indem Allemann die von ihm mitgebrachten
Uhren im gemeinsam benützten Fahrzeug zurückliess, vertraute er sie weder
dem Reichenbach, dem es gehörte und der den Schlüssel dazu besass, noch
einem der anderen Beschwerdeführer an, auch nicht stillschweigend. Er
hatte dazu gar keine Veranlassung, da die Beschwerdeführer in ihm die
Meinung erweckten, sie würden sich nur zur Einnahme eines Imbisses nach
Konstanz begeben und nachher gemeinsam zum Automobil zurückkehren und den
angeblichen Kaufsinteressenten aufsuchen, um ihm die Uhren anzubieten. Die
Uhren den Beschwerdeführern oder einem von ihnen anzuvertrauen, hätte
keinen Sinn gehabt, da nach der getroffenen Abrede keiner früher zum Wagen
zurückkehren sollte als Allemann und daher keiner besser als er für die
Sicherheit der Uhren sorgen konnte. Die Rechtslage war insoweit gleich,
wie wenn z.B. ein Gast seine Handtasche in der Wohnung des Gastgebers
zurücklässt, dieweil er mit diesem gemeinsam einen Spaziergang unternimmt,
wobei unterdessen die Wohnung abgeschlossen ist und der Schlüssel in
der Hand des Gastgebers liegt. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge,
wie ihn die Beschwerdeführer selber vorgespiegelt hatten, wäre Allemann
nur vorübergehend verhindert gewesen, die tatsächliche Gewalt über
die Uhren auszuüben. Sein Gewahrsam an diesen dauerte fort, bis die
Beschwerdeführer ihn brachen, indem sie Allemann an der Rückkehr nach
Kreuzlingen hinderten und selber die Hand auf die Uhren legten. Sie sind
zu Recht des Diebstahls, nicht der Veruntreuung schuldig erklärt worden.

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 271 Ziff. 2 StGB macht sich strafbar, "wer jemanden
durch Gewalt, List oder Drohung ins Ausland entführt, um ihn einer fremden
Behörde, Partei oder anderen Organisation zu überliefern oder einer Gefahr
für Leib und Leben auszusetzen". Diese Bestimmung wurde im wesentlichen aus
dem Bundesbeschluss vom 21. Juni 1935 betreffend den Schutz der Sicherheit
der Eidgenossenschaft übernommen, in dem die Materie in Art. 1 normiert
war. In der Botschaft zu diesem Bundesbeschluss wies der Bundesrat auf
die seinerzeit bekannten Fälle Rossi, Weber und Jacob hin, die politische
Verschleppungen in das faszistische bzw. nationalsozialistische Ausland
betrafen (BBl 1935 I 744). Anlass zu dieser Bestimmung gaben somit
tatsächlich Fälle politischer Entführung. Der Wortlaut beschränkt aber
Art. 271 Ziff. 2 StGB nicht auf solche Fälle. Wenn nicht hinsichtlich der
Überlieferung an eine Partei, wo die politische Verfolgung in der Natur
der Sache liegt, wäre eine ausdrückliche Beschränkung in diesem Sinne
mindestens bei der Überlieferung an eine Behörde unerlässlich gewesen,
da die Tätigkeit von Behörden ordentlicherweise nicht in politischer
Verfolgung besteht. Die Beschränkung auf politische Fälle ergibt
sich auch nicht aus der Androhung der hohen Mindeststrafe von einem
Jahr Zuchthaus. Eine durch Gewalt, List oder Drohung bewerkstelligte
Entführung ins Ausland, um das Opfer dort einer behördlichen oder
sonstigen Verfolgung zu überliefern, ist auch dann schwer, wenn die
Verfolgung nicht politischer Natur und nach den Gesetzen des betreffenden
Staates rechtmässig ist. Das trifft insbesondere auch zu, wenn, wie
im vorliegenden Falle, die Verfolgung wegen eines Fiskaldeliktes in
Frage steht, wofür die Schweiz ebensowenig die Auslieferung bewilligt
wie für politische Delikte. Die Beschränkung auf die aus politischen
Gründen erfolgende Verschleppung widerspräche auch dem tieferen Sinne
der Bestimmung. Art. 271 Ziff. 2 StGB ist nicht erlassen worden, um den
einzelnen vor politischer Verfolgung oder überhaupt vor Zugriffen auf
seine Person zu schützen, sondern dient, gleich wie z.B. Art. 272 StGB
(vgl. BGE 74 IV 204), dem Schutze des Staates. Das ergibt sich aus der
Stellung der Bestimmung im dreizehnten Titel. Es liegt ein Angriff auf die
Gebietshoheit der Schweiz vor, wenn jemand sich zum Werkzeug einer fremden
Behörde, Partei oder anderen Organisation macht, um ihr mittels Entführung
den Zugriff auf Personen zu ermöglichen, die der schweizerischen Hoheit
unterstehen. Unter diesem Gesichtspunkt macht es keinen Unterschied aus,
ob die Tat aus politischen oder aus anderen Gründen begangen wird.

    Art. 271 Ziff. 2 setzt auch nicht voraus, dass die Überlieferung
des Entführten an eine fremde Behörde, Partei oder andere Organisation
Beweggrund der Tat sei; die Bestimmung trifft auch zu, wenn der Täter in
der Überlieferung bloss das Mittel zur Erreichung eines anderen Zweckes
sieht und der Endzweck ihn zur Tat bewegt. Das Wort "um" hat in dieser
Bestimmung bloss den Sinn, dass die Überlieferung vom Täter beabsichtigt,
d.h. dass sein Wille auf sie gerichtet sein muss, womit - vgl. BGE 74 IV
45 und 80 IV 120 - über den Grund seines Handelns nichts gesagt ist.

    Ebensowenig unterscheidet die Bestimmung, ob die Überlieferung nach
der Absicht des Täters dem Opfer die Freiheit dauernd oder bloss für
kurze Zeit entziehen sollte. Es genügt die Absicht blosser Überlieferung,
d.h. der Täter muss der fremden Behörde, Partei oder anderen Organisation
Gelegenheit geben wollen, das Opfer festzunehmen. Nicht nötig ist, dass
dieser Erfolg tatsächlich eintrete; das Verbrechen ist schon mit der
Entführung ins Ausland vollendet.

    Die Beschwerdeführer sind deshalb mit Recht nach Art. 271 Ziff. 2
StGB bestraft worden, obschon ihre Tat keine politischen Hintergründe
hat, sie bloss die Begehung des Diebstahls ermöglichen sollte und die
Beschwerdeführer das Opfer angeblich nur einer vorübergehenden Festnahme
aussetzen wollten.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerden werden abgewiesen.