Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 IV 137



80 IV 137

27. Urteil des Kassationshofes vom 2. April 1954 i.S. von Burg gegen
Meyer. Regeste

    Art. 268 Abs. 2 BStP. Einem in Abwesenheit Verurteilten steht
die Nichtigkeitsbeschwerde jedenfalls dann nicht zu, wenn er die
Wiedereinsetzung verlangen kann, ohne nachweisen zu müssen, dass er sein
Nichterscheinen zur Verhandlung nicht verschuldet habe.

Sachverhalt

    A.- Am 14. Dezember 1953 verurteilte das Amtsgericht Solothurn-Lebern
den in den Vereinigten Staaten von Nordamerika wohnenden Georg von Burg,
der zur Hauptverhandlung nicht erschienen, jedoch verteidigt war, wegen
Betrugsversuchs zu anderthalb Jahren Gefängnis und wegen Übertretung
der Art. 14 und 15 des Bundesratsbeschlusses vom 23. Dezember 1948 zum
Schutze der schweizerischen Uhrenindustrie zu Fr. 1000.-- Busse. Auf
die kantonalen Rechtsmittel der Appellation und der Kassation, die der
Verteidiger ergriff, trat das Obergericht des Kantons Solothurn durch
Entscheid vom 8. Januar 1954 nicht ein, weil nach § 404 in Verbindung mit §
327 StPO ein Kontumazialurteil auf Verlangen des Verurteilten dahinfalle,
wenn er sich freiwillig stelle oder verhaftet werde, worauf das ordentliche
Verfahren durchzuführen sei; neben diesem einfachen Einspruchsrecht gebe
es kein anderes Rechtsmittel.

    B.- Mit rechtzeitig erklärter und begründeter Nichtigkeitsbeschwerde
ficht von Burg das Urteil des Amtsgerichts auch beim Kassationshof des
Bundesgerichts an, soweit es die Verurteilung wegen Betrugsversuches
betrifft. Er beantragt, es sei aufzuheben und das Amtsgericht anzuweisen,
ihn in diesem Punkte freizusprechen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Gemäss Art. 268 Abs. 2 BStP ist die Nichtigkeitsbeschwerde an den
Kassationshof des Bundesgerichts gegen Urteile der Gerichte nur zulässig,
wenn sie "nicht durch ein kantonales Rechtsmittel wegen Verletzung
eidgenössischen Rechts angefochten werden können".

    Diese Bestimmung beruht auf dem Gedanken, dass die Verletzung
eidgenössischen Rechts nicht beim Bundesgericht geltend zu machen ist,
wenn sie auf einem vom kantonalen Prozessrecht vorgesehenen Wege gerügt
werden kann. Ein kantonales "Rechtsmittel" im Sinne des Art. 268 Abs. 2
BStP hat daher nicht nur zur Verfügung, wer eine obere kantonale Instanz
anrufen kann, sondern auch der in Abwesenheit Verurteilte, dem das
Recht zusteht, die nochmalige Beurteilung durch das gleiche Gericht zu
verlangen (für den entsprechenden Fall des Art. 48 OG vgl. BGE 79 II 109
f.). Das gilt jedenfalls dann, wenn das kantonale Recht, wie hier, die
Wiedereinsetzung nicht vom Nachweis abhängig macht, dass der Verurteilte
sein Nichterscheinen zur Verhandlung nicht verschuldet habe. Ob es,
wie § 327 soloth. StPO, eine neue Verhandlung nur zulässt, wenn er sich
dem Gerichte stellt oder ergriffen wird, und ob er diese Voraussetzung
nur mit grossen Opfern erfüllen kann, ist unerheblich. Art. 268 Abs. 2
BStP frägt nicht darnach, an welche Voraussetzungen das kantonale
Prozessrecht die Einlegung des Rechtsmittels knüpft und ob der Partei im
einzelnen Falle zugemutet werden kann, sie zu erfüllen; die eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde ist jeder Partei verschlossen, die das Recht hat
(oder hatte), die Rüge der Verletzung eidgenössischen Rechts mit einem
kantonalen Rechtsmittel zu erheben. Es kommt auch nichts darauf an, ob
eine neue Beweisführung überflüssig ist, weil der vom Kläger behauptete
Sachverhalt gar nicht Strafe nach sich ziehen kann. Die Auffassung des
Beschwerdeführers, in einem solchen Falle müsse die Nichtigkeitsbeschwerde
zugelassen werden, weil der Weg über ein Wiedereinsetzungsbegehren ein
"unnötig kompliziertes Procedere" wäre, hält nicht stand. Damit hinge die
Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde von ihrer materiellen Begründetheit
ab, sodass der Kassationshof, um die Eintretensfrage zu entscheiden, prüfen
müsste, ob die Beschwerde materiell begründet sei. Es wäre dann auch nicht
einzusehen, weshalb nicht auch in anderen Fällen, in denen der Ankläger
einen Sachverhalt behauptet hat, der Strafe nicht nach sich ziehen kann,
die Nichtigkeitsbeschwerde ohne Erschöpfung der kantonalen Rechtsmittel
zuzulassen wäre; denn hier wäre eine andere Lösung nicht weniger
unnötige Weitläufigkeit. Art. 268 Abs. 2 BStP, der die eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde nur als letzten und damit im Verhältnis zu den
kantonalen Rechtsmitteln subsidiären Rechtsbehelf kennt - ein Gedanke,
der übrigens auch in Art. 275 BStP zum Ausdruck kommt -, lässt indes die
vom Beschwerdeführer befürwortete und weitere Ausnahmen nicht zu. Ein in
Abwesenheit Verurteilter hat von der Möglichkeit, die Wiedereinsetzung zu
verlangen, nicht nur Gebrauch zu machen, wenn er den vom Kläger behaupteten
oder im Urteil festgestellten Sachverhalt bestreitet, sondern auch, wenn
er geltend machen will, dieser Tatbestand könne Strafe nicht nach sich
ziehen. Erst wenn er das getan und alle weiteren kantonalen Rechtsmittel,
mit denen die Verletzung eidgenössischen Rechts gerügt werden kann,
erschöpft hat, steht ihm die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde zu.
Diesen Sinn hatten schon Art. 160 und 162 des Organisationsgesetzes von
1893 (BGE 34 I 797).

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten.