Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 IV 117



80 IV 117

22. Urteil des Kassationshofes vom 8. Juli 1954 i.S. Meierhofer gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 303 Ziff. 1 StGB, falsche Anschuldigung.

    a)  Die Absicht, gegen einen Nichtschuldigen eine Strafverfolgung
herbeizuführen, setzt keinen bestimmten Beweggrund voraus.

    b)  Eventualabsicht genügt.

Sachverhalt

    A.- Walter Meierhofer bestimmte am 21. August 1952 Werner Mühlemann
durch falsche Angaben, ihm Fr. 200.-- zu leihen. Mühlemann zeigte ihn
daher am 10. Dezember 1952 bei der Stadtpolizei Zürich wegen Betruges an.

    Am gleichen Tage wurde Meierhofer vom Polizeigefreiten Kohler über
den Sachverhalt befragt. Meierhofer erklärte ihm wider besseres Wissen,
er habe die von Mühlemann geborgten Fr. 200.-- sofort dem Hans Stingelin
weitergeliehen, weil dieser ihm gesagt habe, er könne von einem Bekannten
für etwa Fr. 600.-- ein Automobil kaufen und es mit Gewinn weiterverkaufen,
doch fehlten ihm Fr. 200.--, um dieses Geschäft abzuwickeln. Er,
Meierhofer, habe dann Stingelin erst im November 1952 zufällig wieder
gesehen. Bei dieser Begegnung habe er ihn gemahnt. Stingelin habe ihm
versprochen, das Darlehen am nächsten Tage zurückzuzahlen, sei jedoch
nicht erschienen. Er fühle sich durch Stingelin betrogen.

    Am 12. Dezember 1952 hielt Kohler Stingelin die Behauptungen
Meierhofers vor. Stingelin bestritt, Meierhofer von einem Autokauf
gesprochen und von ihm Geld erhalten zu haben. Auf Vorhalt dieser Aussagen
beharrte Meierhofer am 13. Dezember 1952 vor Kohler auf seiner Darstellung
und gab sie zu Protokoll. Er hielt daran fest, dass ihn Stingelin betrogen
habe. Auf die Frage Kohlers, ob er gegen Stingelin Anzeige wegen Betruges
erstatten solle, erklärte sich Meierhofer damit einverstanden. Er wusste,
dass die Anzeige an die Strafverfolgungsbehörde weitergeleitet werde.

    Kohler verfasste gegen Stingelin am 22. Dezember 1952 eine Anzeige
wegen Betruges und leitete sie weiter. Meierhofer hielt am 23. Januar
1953 vor der Bezirksanwaltschaft an seinen Aussagen fest. Als ihn der
Bezirksanwalt am 7. Februar 1953 Stingelin gegenüberstellte, gab er zu,
diesem kein Geld geliehen, sondern die von Mühlemann erhaltenen Fr. 200.--
zum Kaufe einer Lampe verwendet zu haben.

    B.- Am 23. Oktober 1953 erklärte das Obergericht des Kantons
Zürich Meierhofer des Betruges (Art. 148 Abs. 1 StGB) und der falschen
Anschuldigung (Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) schuldig und verurteilte
ihn zu sechs Monaten Gefängnis als Zusatz zu einer zweimonatigen
Gefängnisstrafe, die es am 6. Februar 1953 in anderer Sache gegen ihn
ausgefällt hatte.

    C.- Meierhofer führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung von der Anklage
der falschen Anschuldigung und zur Ausfällung einer neuen Strafe wegen
Betruges an das Obergericht zurückzuweisen.

    Er macht geltend, er habe zwar gewusst, dass seine falschen Angaben
für Stingelin eine Strafuntersuchung zur Folge haben könnten, habe also
vorsätzlich gehandelt. Er habe jedoch nicht die Untersuchung, sondern
seine eigene Rechtfertigung erstrebt. Die zum Verbrechen der falschen
Anschuldigung gehörende Absicht habe ihm also gefehlt. Absichtlich handle
nur, wer die Strafverfolgung erstrebe und wünsche, d.h. die Tat gerade
deshalb begehe, damit die Strafverfolgung eintrete. Die tatsächliche
Feststellung des Obergerichts, wonach er den Erfolg gebilligt und
gewollt habe für den Fall, dass er eintrete, bestreite er nicht. Aus
ihr ergebe sich aber nur der Vorsatz, nicht die Absicht, auch nicht
eine Eventualabsicht. Denn von der vollen Absicht unterscheide sich die
Eventualabsicht nur dadurch, dass der Täter nicht sicher sei, ob der
gewünschte Erfolg eintrete.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde
sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, einen Nichtschuldigen wider
besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens beschuldigt zu haben,
macht jedoch geltend, er habe nicht im Sinne des Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1
StGB "in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen",
gehandelt, weil er die Tat nicht gerade deshalb begangen habe, damit
Stingelin verfolgt werde, sondern nur deshalb, weil er sich vom Verdacht,
Mühlemann betrogen zu haben, habe befreien wollen.

    Er verkennt den Sinn der Worte "in der Absicht".  Als Absicht
bezeichnet der allgemeine Sprachgebrauch nicht einen bestimmten
Beweggrund, sondern den auf ein künftiges Handeln oder auf einen noch
nicht eingetretenen Erfolg gerichteten Willen; beabsichtigt ist, was man
tun oder erreichen will, aber noch nicht getan bezw. noch nicht erreicht
hat. Diese Bedeutung hat das Wort "Absicht", wie in andern Bestimmungen
des Strafgesetzbuches (BGE 74 IV 45), auch in Art. 303. In der Absicht,
gegen einen Nichtschuldigen eine Strafverfolgung herbeizuführen, hat der
Täter gehandelt, wenn er, gleichgültig aus welchem Beweggrunde, diesen
Erfolg gewollt hat. Das Strafgesetzbuch berücksichtigt im allgemeinen die
Beweggründe im Tatbestand der strafbaren Handlungen nicht, sondern trägt
ihnen lediglich durch Art. 63 und 64 bei der Strafzumessung Rechnung. So
droht es bei den Erfolgsdelikten die Strafe für die bewusste und gewollte
Herbeiführung des Erfolges an, ohne darnach zu fragen, ob die Aussicht
auf den Erfolg oder irgend ein anderer Beweggrund den Täter getrieben
habe. Entsprechend verhält es sich bei den sog. Absichtsdelikten. Sie
unterscheiden sich von den Erfolgsdelikten nur dadurch, dass der
gewollte und der tatsächlich eingetretene Erfolg sich nicht zu decken
brauchen. Strafwürdig ist hier, wer einen bestimmten Erfolg erreichen
will und ihm in der im objektiven Tatbestand des Verbrechens umschriebenen
Weise nahe kommt. Der Beweggrund spielt auch da grundsätzlich nur für das
Strafmass eine Rolle. Im Strafmass kann und muss er insbesondere auch bei
der falschen Anschuldigung berücksichtigt werden. Mit der Überlegung des
Beschwerdeführers, es sei nicht dasselbe, ob jemand einen Nichtschuldigen
gerade deshalb anzeige, damit er verfolgt werde, oder bloss deshalb,
weil er selber verfolgt sei und sich nicht besser zu verteidigen wisse,
lässt sich daher die Auffassung, Art. 303 sei in letzterem Falle nicht
anzuwenden, nicht begründen.

    Gewollt aber ist ein Erfolg nicht nur dann, wenn ihn der Täter, wie
der Beschwerdeführer sagt, "von ganzem Herzen erstrebt", sondern auch
dann, wenn er weiss, dass der Erfolg eintreten werde, und er die Tat
trotzdem bewusst und aus freiem Willen begeht, ja sogar schon dann, wenn
er ihn nur eventualiter will, d.h. wenn ihn die Aussicht auf den bloss
möglichen, nicht sicheren, Eintritt des Erfolges nicht von der bewussten
und gewollten Begehung der Tat abhält; in letzterem Falle handelt er mit
Eventualabsicht, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts
bei Absichtsdelikten, insbesondere auch bei der falschen Anschuldigung,
in gleicher Weise genügt wie bei den Erfolgsdelikten der Eventualvorsatz
(BGE 69 IV 80, 72 IV 125, 74 IV 47, 76 IV 245).

    Der Beschwerdeführer ist daher mit Recht wegen falscher Anschuldigung
verurteilt worden. Entgegen der Auffassung des Obergerichts hat er
die Strafverfolgung gegen Stingelin nicht nur eventualiter, sondern
sogar direkt gewollt. Er hat sie nicht bloss für möglich gehalten,
sondern nach der verbindlichen Feststellung des Obergerichts sich damit
einverstanden erklärt, dass der Polizeigefreite gegen Stingelin Anzeige
wegen Betruges erstatte, und ist er sich auch bewusst gewesen, dass sie
an die Strafuntersuchungsbehörde weitergeleitet werde. Da er trotz dieses
Wissens bewusst und gewollt am Vorwurf, durch Stingelin betrogen worden
zu sein, festgehalten hat, hat er die Strafverfolgung notwendigerweise
gewollt, und zwar schon am 13. Dezember 1952. Ob er das Verbrechen des
Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 auch noch am 23. Januar 1953 vor dem Bezirksanwalt
begangen hat, oder ob das damals, weil die Strafverfolgung gegen Stingelin
schon eingeleitet war, nicht mehr möglich gewesen ist, kann dahingestellt
bleiben, da das Obergericht dem Beschwerdeführer nicht vorwirft, er habe
das Verbrechen wiederholt oder fortgesetzt begangen.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.