Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 IV 10



80 IV 10

3. Urteil des Kassationshofes vom 4. Februar 1954 i. S. Jegge gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1, 68 Ziff. 2, 396 StGB. Der Vollzug einer
zweiten Zusatzstrafe, die unter Einrechnung der Grundstrafe ein Jahr
nicht erreicht, aber mit dieser und einer ersten Zusatzstrafe diese Dauer
übersteigt, kann selbst dann nicht bedingt aufgeschoben werden, wenn die
erste Zusatzstrafe gnadenweise erlassen worden ist.

Sachverhalt

    A.- Hans Jegge wurde am 6. Mai 1949 vom Obergericht des Kantons
Luzern in Anwendung eidgenössischen Rechts zu einer bedingt vollziehbaren
Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt. Nachdem am 22. Februar 1951
das aargauische Schwurgericht im Sinne von Art. 68 Ziff. 2 StGB eine
Zusatzstrafe von sieben Monaten ausgefällt hatte, sprach am 22. Oktober
1953 das Obergericht des Kantons Luzern eine weitere Zusatzstrafe
von drei Monaten Gefängnis aus, wobei es den bedingten Aufschub ihres
Vollzugs unter Berufung auf Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB ablehnte, weil
sie zusammen mit der Grundstrafe und der ersten Zusatzstrafe die Dauer
eines Jahres übersteige.

    B.- Jegge führt gegen das Urteil vom 22. Oktober 1953
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die
Sache zwecks bedingten Aufschubes des Strafvollzugs an das Obergericht
zurückzuweisen.

    Er legt ein Schreiben des Bezirksamtmannes von Aarau vom 24. November
1951 ein, aus dem sich ergibt, dass der Grosse Rat des Kantons Aargau dem
Beschwerdeführer die Strafe vom 22. Februar 1951 am 13. November 1951 unter
Ansetzung einer dreijährigen Bewährungsfrist bedingt erlassen hat. Er
leitet daraus ab, diese Strafe sei "zufolge des Strafaufhebungsgrundes
der Begnadigung als weggefallen zu betrachten" und dürfe nicht mehr
berücksichtigt werden. Indem das Obergericht des Kantons Luzern das doch
getan habe, habe es Art. 41 und 396, allenfalls auch Art. 79 und 80 StGB
verletzt. Da die Grundstrafe vom 6. Mai 1949 nur auf sechs Monate Gefängnis
laute, stehe dem bedingten Aufschub der Zusatzstrafe vom 22. Oktober 1953
nichts im Wege.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Es kann dahingestellt bleiben, ob der im angefochtenen Urteil nicht
erwähnte gnadenweise bedingte Erlass der ersten Zusatzstrafe nicht etwa
eine neue Tatsache und das mit der Nichtigkeitsbeschwerde eingelegte
Schreiben des Bezirksamtmannes von Aarau ein neues Beweismittel und
daher beides gemäss Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP unbeachtlich ist. Denn
die Beschwerde erweist sich auch unter Berücksichtigung dieser Tatsache
und des erwähnten Beweismittels als unbegründet.

    Die Begnadigung, werde sie unbedingt oder, wie hier, bloss bedingt
ausgesprochen, hebt das Strafurteil nicht auf, sondern bedeutet bloss,
dass auf seinen Vollzug (unbedingt oder bedingt) verzichtet werde. Etwas
anderes ergibt sich aus den vom Beschwerdeführer angerufenen Bestimmungen
nicht. Art. 396 StGB insbesondere, der die Wirkung der Begnadigung
umschreibt, bestimmt lediglich, dass die durch rechtskräftiges Urteil
auferlegten Strafen ganz oder teilweise erlassen oder in mildere Strafarten
umgewandelt werden können, nicht dass das Urteil als solches von der
Begnadigungsbehörde ganz oder teilweise aufgehoben oder abgeändert
werden dürfe. Die Begnadigung hat denn auch nicht etwa zur Folge, dass
das Urteil aus dem Strafregister zu entfernen oder dass es ohne weiteres
zu löschen wäre, als ob es gar nie ergangen oder mit der Begnadigung
dahingefallen wäre. Art. 81 Abs. 1 StGB stellt den Erlass durch Begnadigung
der Verbüssung der Strafe gleich, was zur Folge hat, dass das Urteil
mindestens solange im Strafregister bleibt, als es dort eingetragen wäre,
wenn der Verurteilte die Strafe im Zeitpunkt der Begnadigung verbüsst hätte
(Art. 80 StGB). Gemäss Art. 9 Ziff. 7 der Verordnung vom 14. November
1941 über das Strafregister wird denn auch die Begnadigung im Register
lediglich als eine den "Vollzug der Strafe" betreffende Massnahme
vermerkt. Wer binnen fünf Jahren nach der Begnadigung wieder eine Tat
begeht, die ihm Zuchthaus oder Gefängnis einträgt, gilt als rückfällig,
da das Gesetz auch in dieser Hinsicht den Erlass durch Begnadigung der
Verbüssung gleichstellt (Art. 67 Ziff. 1 StGB). Der gnadenweise Erlass
einer Grundstrafe oder Zusatzstrafe hat daher nicht zur Folge, dass
der Richter, der über den bedingten Aufschub einer späteren Zusatzstrafe
entscheidet, die frühere Verurteilung als nicht erfolgt zu übergehen hätte,
sowenig ihn die vorausgegangene Begnadigung z.B. der Pflicht enthebt,
Art. 68 Ziff. 2 StGB anzuwenden.

    Nach der Rechtsprechung des Kassationshofes (BGE 76 IV 74), gegen
die der Beschwerdeführer nichts einwendet, darf daher der Vollzug der am
22. Oktober 1953 ausgefällten Strafe, die zusammen mit der Grundstrafe
und der ersten Zusatzstrafe ein Jahr Gefängnis übersteigt, nicht bedingt
aufgeschoben werden.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.