Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 IV 1



80 IV 1

1. Urteil des Kassationshofes vom 4. März 1954 i. S. M. gegen S. Regeste

    Art. 29 StGB. Die Antragsfrist beginnt zu laufen, wann dem
Antragsberechtigten die Tat und der Täter bekannt werden, nicht erst,
wann er Beweismittel besitzt.

Sachverhalt

    A.- S. und M. bewarben sich um den Werkauftrag für den Skiaufzug
Hochstuckli. Nachdem das Initiativkomitee sich für das Projekt M. s
entschieden hatte, richtete S. am 10. September 1949 ein Schreiben an
das Komitee, in welchem er sich über die bisherigen Konstruktionen
M. s abfällig äusserte. Der Präsident setzte das Schreiben bei den
Komiteemitgliedern, worunter Robert Marty, in Zirkulation. Anlässlich
einer Begehung des Geländes mit M. gab Marty diesem das Schreiben zu lesen.

    B.- M. reichte am 6. Januar 1950 gegen S. Strafanzeige wegen unlauteren
Wettbewerbes ein.

    Das Bezirksgericht Meilen verurteilte S. am 13. November 1952
gemäss Art. 13 lit. a UWG zu einer Busse von Fr. 1000.--.

    Auf Berufung des Verurteilten sprach das Obergericht des Kantons
Zürich S. am 29. Oktober 1953 frei. Es ging davon aus, M. habe den Brief
anlässlich der Geländebegehung gelesen und damit in diesem Zeitpunkte
von den abfälligen Äusserungen des Angeklagten Kenntnis erhalten (Art. 29
StGB). Stattgefunden habe diese Begehung des Geländes nach den Umständen
und Zeugenaussagen möglicher-, ja wahrscheinlicherweise am 2. Oktober
1949. Stehe demnach nicht mit hinreichender Sicherheit fest, dass der
Strafantrag rechtzeitig eingereicht worden sei, so müsse der Angeklagte
freigesprochen werden.

    C.- M. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Freispruch
sei wegen Verletzung des Art. 29 StGB aufzuheben.

    Er macht geltend, in BGE 79 IV 59 habe das Bundesgericht erklärt, es
sei normal, dass der Verletzte Klage erhebe, wenn er von den objektiven
Tatbestandsmerkmalen Kenntnis habe. Implicite sei damit zum Ausdruck
gebracht, dass es letztlich nicht auf die Kenntnis des Sachverhaltes,
sondern auf die Zumutbarkeit der Klageerhebung ankomme. Der gleiche
Gedanke komme schon in einem Urteil vom 10. April 1896 zum Ausdruck, wo
gesagt worden sei, die Verjährung beginne erst mit dem Tage, an welchem
der Geschädigte von der Person des Täters derart Kenntnis habe, dass
er gerichtlich gegen ihn vorgehen könne; blosser Verdacht, ohne dass
der Geschädigte auch in der Lage sei, den Beweis für die Täterschaft
zu leisten, genüge nicht (BGE 22 494). Diese Praxis sei in BGE 76 IV 6
bestätigt worden in dem Sinne, dass eine sichere, zuverlässige Kenntnis
erforderlich sei, die ein Vorgehen gegen den Täter als aussichtsreich
erscheinen lasse und den Antragsberechtigten gleichzeitig davor schütze,
wegen falscher Anschuldigung oder übler Nachrede belangt zu werden,
d.h. eine Kenntnis, wie sie insbesondere der Besitz von Beweismitteln
vermittle. Es bedürfe somit immer einer irgendwie beweisbaren
Kenntnis. Diese Kenntnis habe der Beschwerdeführer mit dem Lesen des
Briefes anlässlich der Geländebegehung noch nicht erlangt. Im Briefe würden
seinen Konstruktionen eine Menge einzelner technischer Mängel vorgeworfen,
die er nicht alle im Gedächtnis habe behalten können. Eine Abschrift des
Briefes habe er aber beim Abschreiten des Geländes nicht nehmen können;
sie wäre ihm wahrscheinlich auch nicht bewilligt worden. Auch sei damals
ganz ungewiss gewesen, ob er jemals in den Besitz des Briefes gelangen
werde. Dieser hätte leicht verloren gehen können, und vor allem habe es
als sehr wahrscheinlich geschienen, dass ihn das Komitee nicht herausgeben
werde. Ohne im Besitze des Briefes zu sein, habe er daher nicht Strafklage
erheben können, wenn er sich nicht dem Vorwurf grösster Leichtfertigkeit
habe aussetzen wollen. Besonders sei er beim erstmaligen Lesen nicht
in der Lage gewesen, zu beurteilen, ob das Schreiben den Tatbestand
des unlauteren Wettbewerbs erfülle oder nicht, und ohne den Besitz des
Briefes habe er sich darüber auch nicht beraten lassen können. Er hätte
sich der Gefahr ausgesetzt, mit Untersuchungskosten belastet oder sogar
wegen falscher Anschuldigung oder übler Nachrede verfolgt zu werden.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Unlauterer Wettbewerb wird auf Antrag verfolgt (Art. 13 UWG). Ein
solcher kann gemäss Art. 29 StGB, der hier anwendbar ist (Art. 333 Abs. 1
StGB), nur binnen drei Monaten gestellt werden. Diese Frist beginnt mit
dem Tage, an welchem dem Antragsberechtigten der Täter und - was Art. 29
nicht ausdrücklich sagt, sich aber von selbst versteht (BGE 75 IV 20) -
die Tat bekannt wird.

    Davon gibt es keine Ausnahme. Der Beschwerdeführer geht fehl, aus
BGE 79 IV 58 abzuleiten, dass die Antragsfrist erst zu laufen beginne,
wenn dem Berechtigten die Erhebung der Klage zugemutet werden könne,
und dass das nur im Normalfall schon mit der Kenntnis des Täters und des
objektiven Tatbestandes zutreffe. Im angerufenen Falle war zu entscheiden,
ob der Verletzte nicht nur die objektiven Tatbestandsmerkmale und die
Person des Täters, sondern auch schon den subjektiven Tatbestand kennen
müsse, damit die Antragsfrist zu laufen beginne. Indem das Bundesgericht
ausführte, es sei normal, dass der Verletzte Strafantrag stelle, sobald er
den objektiven Tatbestand und den Täter kenne, sagte es nach dem ganzen
Zusammenhange nur, vom Antragsberechtigten könne verlangt werden, dass
er auch ohne Kenntnis des subjektiven Tatbestandes vorgehe. Keineswegs
wurde damit entschieden, dass das nur in der Regel verlangt werde und
dem Antragsberechtigten ausnahmsweise die Einrede offen bleibe, es habe
ihm nicht zugemutet werden können, binnen drei Monaten seit Kenntnis des
objektiven Tatbestandes und des Täters Antrag zu stellen.

    Es trifft auch nicht zu, dass das Bundesgericht entschieden hätte, die
Antragsfrist laufe erst, wenn der Verletzte seine Anschuldigung beweisen
könne. Auf die Kenntnis, nicht auf den Besitz von Beweismitteln kommt
es nach dem klaren Wortlaut des Art. 29 StGB an. In BGE 76 IV 6 wurde
lediglich entschieden, dass das Kennenmüssen oder ein blosser Verdacht
die Frist nicht in Gang setze, sondern dass sichere, zuverlässige Kenntnis
nötig sei, die ein Vorgehen gegen den Täter aussichtsreich erscheinen lasse
und den Antragsberechtigten gleichzeitig davor schütze, wegen falscher
Anschuldigung oder übler Nachrede belangt zu werden, d.h. eine Kenntnis,
wie sie insbesondere der Besitz von Beweismitteln vermittle. Das hatte nur
den Sinn, dass der Antragsberechtigte namentlich dann sichere Kenntnis
habe, wenn er über Beweismittel verfüge, nicht auch, dass der Besitz
solcher Mittel Voraussetzung sicherer Kenntnis und damit des Beginns der
Antragsfrist sei. In gleichem Sinne lautet BGE 22 494 mit Bezug auf die
analoge Frage des Beginns der Verjährung.

Erwägung 2

    2.- Nach der verbindlichen Feststellung des Obergerichts gab Marty
dem Beschwerdeführer den Brief des Beschwerdegegners anlässlich der
gemeinsamen Geländebegehung zu lesen. In diesem Zeitpunkt erhielt somit
der Beschwerdeführer von der Tat und dem Täter sichere Kenntnis und
begann die Antragsfrist zu laufen, bestand doch die eingeklagte Handlung
gerade im Schreiben des Briefes, der von seinem Verfasser unterschrieben
war. Die Ausfälle im Briefe waren heftig und eindrücklich genug, dass
der Beschwerdeführer als Fachmann und Ersteller der kritisierten Anlagen
in der Lage war, sich das Wesentliche davon zu merken und sich schlüssig
zu werden, ob er Strafantrag stellen wolle. Indem ihm der Brief bloss zu
lesen gegeben, nicht auch schon damals im Original oder in Kopie überlassen
wurde, war er nicht schlechter gestellt, als wenn der Beschwerdegegner
seine Äusserungen bloss mündlich getan und der Beschwerdeführer zugehört
hätte, womit die Frist zur Stellung des Strafantrages ebenfalls in Gang
gesetzt worden wäre.

    Als wahrscheinlichen Zeitpunkt der Geländebegehung und damit des
Lesens des Briefes durch den Beschwerdeführer bezeichnet das Obergericht
auf Grund einer eingehenden Untersuchung den 2. Oktober 1949. Diese
Beweiswürdigung bindet den Kassationshof und wird vom Beschwerdeführer auch
nicht anzufechten versucht. Steht somit die gesetzliche Voraussetzung,
dass der Beschwerdeführer vom Briefe erst innerhalb der drei Monate vor
Einreichung des Strafantrages Kenntnis erhielt, nicht fest, ist gegenteils
wahrscheinlich, dass dies schon vorher geschah, so hat das Obergericht
dem Strafantrag mit Recht nicht Folge gegeben.

    Ob das Verfahren einzustellen oder der Angeklagte freizusprechen sei,
war eine Frage des kantonalen Prozessrechtes, wie schon wiederholt für
den analogen Fall der Verjährung entschieden worden ist (BGE 72 IV 47,
78 IV 129).

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.