Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 II 97



80 II 97

15. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. April 1954
i.S. Eheleute Fehr. Regeste

    Ehescheidung, Zuständigkeit. Trennungsklage des einen Ehegatten im
Ausland, Scheidungsklage des andern in der Schweiz je bei einem nach
der lex fori zuständigen Gerichte. Ist das mit der zuerst rechtshängig
gewordenen Trennungsklage befasste ausländische Gericht wegen des
Sachzusammenhangs zwischen den beiden Begehren ausschliesslich zuständig?

Sachverhalt

    Fehr, Bürger von Zürich, heiratete im Jahre 1941 eine amerikanische
Staatsangehörige. Im folgenden Jahre erwarb er die amerikanische
Staatsangehörigkeit, ohne die schweizerische aufzugeben. Die Eheleute Fehr
hatten ihren gemeinsamen Wohnsitz zuletzt in New Orleans (Louisiana). Im
November 1950 wurde Fehr von seiner Arbeitgeberin nach Europa versetzt.
Seine Ehefrau lehnte es ab, ihm hieher zu folgen. Nachdem eine letzte
Aufforderung zur Wiederaufnahme der ehelichen Gemeinschaft in Zürich ohne
Antwort geblieben war, leitete Fehr am 5. Mai 1952 beim Friedensrichteramte
Zürich 7/8 Scheidungsklage ein. Am 30. Oktober 1952 machte er den
Scheidungsprozess beim Bezirksgerichte Zürich anhängig. Die Beklagte, die
schon vorher in New Orleans auf Trennung von Tisch und Bett geklagt hatte,
erhob die Einreden der örtlichen Unzuständigkeit und der Litispendenz. Die
zweite Einrede begründete sie mit dem Hinweis auf den in New Orleans
hängigen Trennungsprozess, die erste damit, dass der Kläger seinen Wohnsitz
heute noch in New Orleans habe. In Übereinstimmung mit dem Bezirksgerichte
hat das Obergericht des Kantons Zürich am 2. Oktober 1953 beide Einreden
verworfen, die Einrede der Rechtshängigkeit mangels Identität der Klagen,
die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit deswegen, weil der Kläger heute
in Zürich Wohnsitz habe und sich daher auf Art. 144 ZGB berufen könne. Das
Kassationsgericht des Kantons Zürich hat die Nichtigkeitsbeschwerde der
Beklagten abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden konnte.

    Das Bundesgericht weist die Berufung der Beklagten gegen das
obergerichtliche Urteil ab, soweit damit die Einrede der Rechtshängigkeit
erneuert und geltend gemacht wurde, die zürcherischen Gerichte seien
mangels Wohnsitzes des Klägers in Zürich unzuständig. Dagegen weist es die
Sache zur Beurteilung der Frage, ob in Louisiana ein ausschliesslicher
Gerichtsstand des Sachzusammenhangs bestehe und die Gerichte von Zürich
aus diesem Grunde unzuständig seien, an das Obergericht zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus der Begründung:

    Von der Frage, ob eine hängige Scheidungs- oder Trennungsklage die
Einrede der Rechtshängigkeit begründe, ist, wie das Kassationsgericht
zutreffend dargelegt hat, die Frage zu unterscheiden, ob in Fällen, wo
nach Einleitung einer Scheidungs- oder Trennungsklage der beklagte Gatte
ebenfalls eine solche Klage anheben will, für diese zweite Klage nach
Bundesrecht am Orte der ersten ein ausschliesslicher Gerichtsstand des
Sachzusammenhangs bestehe (BGE 64 II 183/84; GULDENER, Das internationale
und interkantonale Zivilprozessrecht der Schweiz, 1951, S. 177 f)
Diese Unterscheidung, die es erlaubt, die Einrede der Rechtshängigkeit
auf die Fälle wirklicher (nicht bloss "in gewissem Sinne" bestehender)
Identität der Klagen zu beschränken, ist in der Rechtsprechung nicht
immer deutlich zum Ausdruck gekommen (vgl. BGE 64 II 177, 65 II 178/79,
74 II 70). Im Ergebnis stimmen aber alle einschlägigen Entscheidungen
überein: Das materielle Scheidungsrecht schafft zwischen der Scheidungs-
oder Trennungsklage des einen Gatten und einer ebenfalls auf Scheidung oder
Trennung gerichteten Klage des andern einen unlösbaren Sachzusammenhang,
und zwar nicht bloss für den Fall, dass beide Gatten auf Scheidung oder
beide auf Trennung klagen, sondern auch für den Fall, dass der eine die
Scheidung, der andere die Trennung verlangt. Eine sachgemässe Beurteilung
der beidseitigen Begehren ist nur dann gewährleistet und die Gefahr
widersprechender Urteile über diese Begehren (und gegebenenfalls über
die Nebenfolgen) nur dann gebannt, wenn beide Begehren durch den gleichen
Richter beurteilt werden. Es ist daher nicht zulässig, dass der eine Gatte
am einen, der andere an einem andern Orte auf Scheidung oder Trennung
klagt, auch wenn die beiden Klagen, jede für sich allein betrachtet,
nach Art. 144 ZGB vor verschiedene Gerichte gehören würden. Vielmehr
muss als Regel des Bundesrechts anerkannt werden, dass von dem Zeitpunkt
an, da der eine Gatte das nach Art. 144 ZGB für seine Klage zuständige
Gericht angerufen hat, dieses bis zur Erledigung des damit eingeleiteten
Prozesses auch für die Beurteilung einer allfälligen Scheidungs-
oder Trennungsklage des anderwärts domizilierten beklagten Gatten
ausschliesslich zuständig ist, m.a.W. dieser ist, wenn er seinerseits
die Scheidung oder Trennung verlangen will, auf eine Widerklage beim
Forum der Vorklage angewiesen. Unter Anrufung des Gerichtes ist in
diesem Zusammenhang die Handlung zu verstehen, die nach kantonalem
Prozessrecht die Rechtshängigkeit begründet. Bloss vorbereitenden, die
Rechtshängigkeit noch nicht herbeiführenden Prozesshandlungen eines Gatten
die Wirkung beizumessen, dass der andere nicht mehr bei dem für seine
Klage normalerweise zuständigen Gerichte klagen kann, rechtfertigt sich
nicht. Wenn der Ehemann am einen, die Ehefrau an einem andern Orte auf
Scheidung oder Trennung geklagt hat, ein jeder Gatte bei dem nach Art. 144
ZGB für seine Klage zuständigen Gerichte, erhält also der Gerichtsstand
des Ortes den Vorrang, wo die Rechtshängigkeit zuerst eingetreten ist
(vgl. zu alledem BGE 42 I 144 Erw. 3, 56 II 340, 64 II 177 und 183 ff.,
72 II 323, 74 II 69 ff.).

    Diese zunächst für die Lösung von Konflikten zwischen inländischen
Gerichtsständen aufgestellten Grundsätze sind entsprechend anzuwenden,
wenn von einem schweizerischen Ehepaar der eine Teil im Ausland, der
andere in der Schweiz bei einem nach der lex fori zuständigen Gericht
auf Scheidung oder Trennung geklagt hat. Der ausländische Gerichtsstand
ist in einem solchen Falle als ausschliesslicher zu betrachten, wenn er
vor dem schweizerischen in Anspruch genommen wurde und erwartet werden
darf, dass das ausländische Urteil in der Schweiz anerkannt werden kann
(GULDENER an der zuletzt erwähnten Stelle; vgl. BGE 56 II 335 ff. Die Frage
der Vollstreckbarkeit, die im allgemeinen neben der Frage der Anerkennung
geprüft werden muss, wenn es sich darum handelt, ob auf einen im Ausland
schwebenden Prozess Rücksicht zu nehmen sei, stellt sich bei einem
Scheidungsprozess hinsichtlich der Scheidung und Trennung als solcher
nicht, da der Scheidungs- oder Trennungsspruch nicht ein Leistungs-,
sondern ein Gestaltungsurteil ist). Ein Vorbehalt ist für den Fall zu
machen, dass die im Ausland angebrachte erste Klage eine Trennungsklage,
die in der Schweiz angehobene zweite Klage dagegen eine Scheidungsklage
ist und das Recht des in Frage stehenden Auslandsstaates eine Scheidung
überhaupt nicht kennt (vgl. BGE 65 II 177 ff.). In einem solchen Falle
kann der Gatte, der in der Schweiz auf Scheidung geklagt hat, mit seinem
Begehren nicht an das mit der Trennungsklage befasste ausländische
Gericht verwiesen werden, sondern muss ihm trotz der Hängigkeit eines
Trennungsprozesses im Ausland der schweizerischen Gerichtsstand für die
Scheidungsklage zur Verfügung bleiben.

    Im vorliegenden Falle hat die Ehefrau in Amerika auf Trennung
geklagt, bevor die vom Ehemann in der Schweiz angehobene Scheidungsklage
rechtshängig wurde (was erst am 30. Oktober 1952 geschah). Die Scheidung
der Ehe ist nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen,
die das Obergericht über das Recht von Louisiana getroffen hat, in diesem
Staate nicht ausgeschlossen, sondern ausser bei Ehebruch und Verurteilung
zu einer entehrenden Strafe auch nach vorausgegangenem Getrenntleben
zulässig, das gemäss dem vom Obergericht zitierten Gesetzesauszug im Falle
bloss faktischer Trennung zwei Jahre, im Falle gerichtlicher Trennung
dagegen nur ein Jahr gedauert haben muss. Die Gerichte von Louisiana haben
daher, ihre Zuständigkeit nach dem Rechte dieses Staates vorausgesetzt, als
ausschliesslich zuständig zu gelten, wenn ein dort gefälltes Urteil über
eine Trennungs- oder Scheidungsklage in der Schweiz anerkannt werden kann.

    Nach Art. 7 g Abs. 3 NAG kann das Urteil eines ausländischen Gerichts,
das die Scheidung (oder Trennung) schweizerischer Ehegatten ausspricht,
in der Schweiz nur anerkannt werden, wenn beide Gatten im Ausland wohnen
(vgl. BGE 56 II 335 ff., 64 II 78) und das ausländische Gericht nach
dortigem Rechte zuständig ist. Die erste Bedingung ist als erfüllt
anzusehen, wenn beide Gatten im Zeitpunkte, da der Prozess im Ausland
anhängig gemacht wurde, dort Wohnsitz hatten. Aus der Feststellung,
dass der Kläger heute in Zürich Wohnsitz hat, ergibt sich also
nicht ohne weiteres, dass ein in Louisiana gefälltes Urteil in der
Schweiz nicht anerkannt werden könne. Vielmehr kommt es darauf an,
ob sein Wohnsitz im Zeitpunkte, da die Trennungsklage in New Orleans
eingereicht wurde, noch dort oder schon in Zürich lag. (Ein dritter Ort
kommt nicht in Betracht.) Über diese Frage hat sich das Obergericht
nicht ausgesprochen. Es ist auch nicht möglich, sie auf Grund der im
angefochtenen Urteil enthaltenen tatsächlichen Feststellungen zuverlässig
zu beantworten, jedenfalls dann nicht, wenn man mit der Vorinstanz annimmt,
dass die Trennungsklage schon am 15. März 1952 eingereicht worden sei. Die
Sache ist daher zur Ergänzung des Tatbestandes und zur Neubeurteilung
an das Obergericht zurückzuweisen. Kommt dieses zum Schlusse, dass der
Kläger bei Einleitung des Trennungsprozesses durch die Beklagte noch in
New Orleans Wohnsitz gehabt habe, so wird es auch noch zu prüfen haben,
ob die Gerichte von Louisiana nach dortigem Rechte zuständig seien.