Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 II 267



80 II 267

44. Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. Oktober 1954 i.S. Himmelspach
gegen Lonza Elektrizitätswerke und chemische Fabriken A.-G. Regeste

    Aktienrecht.

    Keine gesetzliche Pflicht der Aktiengesellschaft, durch sofortige
Kontrolle eingelöster Dividendencoupons nach den Inhabern von zur
Kraftloserklärung angemeldeten Aktien zu forschen.

    Grundsätzliches zum Verhältnis zwischen Aktionär und Gesellschaft.

Sachverhalt

    Am 10. Januar 1951 erwarb Frau Himmelspach durch Vermittlung
der Schweizerischen Kreditanstalt in Lausanne drei Aktien der Lonza
A.-G. mit den Nummern 56414/15/16. Am 11. Januar 1951 verlangte die Banque
J. Coussat & Cie. in Paris beim Instruktionsrichter des Bezirkes Leuk die
Kraftloserklärung der genannten Lonza Aktien samt Coupons N. 11 ff. Dem
Begehren wurde entsprochen. Die erforderlichen Publikationen erschienen
zwischen dem 18. und 29. Januar 1951 je dreimal im Walliser Amtsblatt und
im Schweizerischen Handelsamtsblatt. Die Titel wurden weder innert der
gesetzten Frist von 6 Monaten noch nachher vorgelegt, worauf am 10. März
1952 ihre Kraftloserklärung erfolgte.

    Die Coupons Nr. 24 dieser drei Lonza-Aktien hatte Frau Himmelspach
am 28. August 1951 der Schweizerischen Kreditanstalt in Lausanne
eingereicht und dafür die im Juli 1951 fällig gewordene Dividende
ausbezahlt erhalten. Als sie dann im August 1952 die Coupons Nr. 25
unterbreitete, wurde deren Einlösung mit Hinweis auf die inzwischen
ergangene Kraftloserklärung verweigert. Im September 1953, nach vorheriger
Betreibung, belangte Frau Himmelspach die Lonza A.-G. auf Leistung von
Schadenersatz im Betrage von Fr. 4010.-- nebst Zins. Das Kantonsgericht
des Kantons Wallis wies die Klage am 8. Juni 1954 ab, welchen Entscheid
das Bundesgericht auf Berufung der Klägerin hin bestätigt.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Im kantonalen Urteil wird u.a. ausgeführt, die Beklagte habe von
der im August 1951 erfolgten Einlösung der Coupons durch die Kreditanstalt
erst ungefähr ein Jahr später Kenntnis erhalten. Nach Meinung der Klägerin
widerspricht diese Angabe dem Akteninhalt. Aber das geltende OG kennt
keine Aktenwidrigkeitsrüge. Beachtlich ist einzig ein offensichtliches
Versehen. Ob ein solches gegeben sei, kann offen bleiben. Selbst
wenn die Lonza A.-G. um die Dividendenauszahlung früher gewusst haben
sollte, muss die Klage abgewiesen werden, wie nachstehend darzutun sein
wird. Desgleichen ist unerheblich und darum nicht zu erörtern, ob der
Klägerin ein Schaden erspart geblieben wäre, wenn sie die Beklagte vor
der Kraftloserklärung der Titel von der Einleitung des darauf zielenden
Verfahrens unterrichtet hätte.

Erwägung 2

    2.- Entscheidend ist nämlich, dass auf Seite der Beklagten ein
Haftungsgrund, der sie zur Zahlung einer Entschädigung an die Klägerin
verpflichten könnte, angesichts des ermittelten Tatbestandes im vorneherein
ausscheidet.

    Die Berufung hebt hervor, es seien die von der Bank eingelösten
Coupons der Beklagten schon im Herbst 1951 zugekommen. Und sie erblickt
ein Verschulden darin, dass die Beklagte es unterliess, die Inhaber der zur
Kraftloserklärung angemeldeten Titel auf das hängige Verfahren aufmerksam
zu machen, um sie vor Schaden zu bewahren. Eine dahingehende Pflicht habe
schon vertraglich bestanden. Denn die Klägerin sei Aktionärin der Beklagten
gewesen, und die Beziehungen des Aktionärs mit der Gesellschaft seien nach
unserem Rechtssystem vertraglicher Natur. In so allgemeiner Form ist die
Behauptung unrichtig. Sie verträgt sich nicht mit der körperschaftlichen
Gestaltung der Aktiengesellschaft als juristischer Person. Der Aktionär,
der durch seine Kapitalbeteiligung die Gesellschaft bilden hilft, steht ihr
in dieser Eigenschaft nicht als Vertragsschliessender gegenüber, sondern
die beidseitigen Pflichten und Rechte sind jedenfalls dem Grundsatze
nach wesentlich körperschaftliche. Das hindert freilich nicht, dass ein
Aktionär daneben auch vertragliche Bindungen mit der Gesellschaft hat,
wie beispielsweise dann, wenn bei einem Fabrikationsbetrieb von den
Aktionären gewisse Rohmaterialien zu liefern oder Fertigwaren abzunehmen
sind. Darüber hinaus liesse sich höchstens noch annehmen, es bestehe
analog dem Verhältnis unter den Aktionären (vgl. SIEGWART, Kommentar zum
Aktienrecht, Einleitung N. 94 ff, und GOLDSCHMIDT, Grundfragen des neuen
schweizerischen Aktienrechts, S. 40) auch zwischen Aktiengesellschaft
und Aktionären eine gegenseitige Treuepflicht vertraglicher oder
vertragsähnlicher Art. Ob das zutrifft, muss indessen nicht geprüft
werden. Sogar wenn es zu bejahen wäre, hätte die Beklagte nicht gegen
solche Pflichten verstossen. Die Kraftloserklärung von Inhaberpapieren ist
in den Art. 981 ff. OR abschliessend geordnet. Eine Aktiengesellschaft,
von deren ausgegebenen Inhaberaktien einzelne Stücke gemäss jenen
Vorschriften der Entkräftung unterworfen werden und die nicht durch
statutarische oder andere interne Bestimmungen zu weiteren Vorkehren
gehalten ist, braucht nicht eine Nachkontrolle eingelöster Coupons nur
zu dem Zwecke vorzunehmen, einen so ermittelten Aktienbesitzer auf das
laufende Amortisationsverfahren zu verweisen. Abweichend könnte es sich
vielleicht verhalten, wenn nachgewiesen wäre, dass die Gesellschaft um die
Einlösung gerade der Coupons zu einer der Kraftloserklärung unterliegenden
Aktie wusste und trotzdem den Inhaber nicht verständigte. Aber das
ist nicht der zu beurteilende Sachverhalt. Im übrigen wäre es für
die Klägerin leicht gewesen, mit einer Bank zu vereinbaren, dass ihr
Kraftloserklärungen von Aktien angezeigt werden. Solche Vorsorge läge
bedeutend näher als eine Verpflichtung der Aktiengesellschaft, über das
ihr gesetzlich Zugemutete hinaus durch sofortige Couponskontrolle nach
den Inhabern von zu amortisierenden Aktien zu fahnden.

    Die vorstehenden Ueberlegungen gebieten erst recht die Verneinung
einer der Beklagten zur Last fallenden unerlaubten Handlung.