Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 II 235



80 II 235

38. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Juli 1954
i. S. Waren-Giro-Genossenschaft gegen Konkursmasse der "Neue Weinkellereien
A.-G." Regeste

    Faustpfandbestellung (Art. 884 ZGB) durch Schlüsselübergabe. Ungültig,
wenn dem Verpfänder ein zweiter Schlüssel zu freiem Gebrauche belassen wird
(Erw. 1).

    Bloss gelegentliche Aushändigung des Schlüssels an den Verpfänder,
auf kurze Zeit zu bestimmtem Zweck gemäss Weisung des Pfandgläubigers,
macht jenen zum blossen Besitzdiener, so dass das Pfandrecht wirksam
bleibt. Art. 888 Abs. 2 ZGB (Erw. 2).

Sachverhalt

                     Aus dem Tatbestand:

    A. - Die seit dem 19. April 1950 im Konkurs befindliche Neue
Weinkellereien A.-G. in Zug unterhielt seit dem Frühjahr 1949
Geschäftsbeziehungen mit der Waren Giro-Genossenschaft in Zürich
(Klägerin). Sie lieferte der Klägerin und ihren Girodienstmitgliedern
Wein. Die Klägerin gewährte ihr mehrmals Darlehen, so am 28. Juli 1949
Fr. 18'000.--, am 17. November 1949 Fr. 50'000.-- und am 13. Februar
1950 Fr. 20'000.--. Als sie um ein weiteres Darlehen angegangen wurde,
verlangte sie besondere Sicherheiten. In Ziff. 4 eines Zusatzvertrages
vom 22. März 1950 wurde zu ihren Gunsten ein Pfandrecht an dem im Hause
zur Münz in Zug befindlichen Weinlager der Schuldnerin ausbedungen. Zur
Pfandbestellung übergab ihr X, der Hauptaktionär, einzige Verwaltungsrat
und zudem Geschäftsführer der Schuldnerin, eine Garnitur der zu den
Yaleschlössern der Kellertüren gehörenden Schlüssel. Dabei verheimlichte
er ihr, dass er das gleiche Warenlager schon früher zweimal namens der
Schuldnerin andern Gläubigern als Pfand zur Verfügung gestellt hatte. Am
8. März 1949 hatte er es von der Weinhandelsfirma Alfred Stotzer gekauft
und zugleich vereinbart, es bleibe dem Verkäufer als Sicherheit für die
Kaufpreisforderung verpfändet. X erhielt jedoch eine Garnitur Schlüssel
ausgehändigt, konnte also über die Sache frei verfügen. Diese Schlüssel
übergab er der Kredit- und Verwaltungsbank Zug, als er ihr am 20. Oktober
1949 das Weinlager als Sicherheit für ein Darlehen von Fr. 10'000.--
verpfändete. Dabei war vereinbart, dass er, um die Kellereien weiterhin
- zur Pflege der Weine - betreten zu können, die Schlüssel jeweils
bei der Bank abhole und sie nachher zurückbringe. Bei einer solchen
Gelegenheit behielt er eines Tages die richtigen Schlüssel für sich und
gab falsche zurück, was die Bank nicht bemerkte. So war es ihm möglich,
beim Abschluss des Zusatzvertrages vom 22. März 1950 der Klägerin die
passenden Yaleschlüssel auszuhändigen.

    B.- Im Konkurs der Schuldnerin meldete die Klägerin eine
pfandgesicherte Darlehensforderung von Fr. 68'407.20 an. Das Konkursamt
anerkannte diese Forderung in vollem Umfange, wies aber die Pfandansprache
ab, weil das Fahrnispfand am Weinlager nicht gültig bestellt worden
sei. Die Klägerin erhob Kollokationsklage auf Anerkennung des Pfandrechtes
und entsprechende Kollokation. In beiden kantonalen Instanzen abgewiesen,
hält sie mit vorliegender Berufung an der Pfandansprache fest.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Mit den Vorinstanzen ist davon auszugehen, dass der Verpfändung
des Weinlagers an die Klägerin kein gültig begründetes Pfandrecht des
Verkäufers Alfred Stotzer entgegenstand. Dieser hatte der Schuldnerin eine
Garnitur Schlüssel zu den Weinkellern in der "Münz" zu freiem Gebrauch
überlassen. So war die Schuldnerin in der Lage, jederzeit ohne Mitwirkung
des Verkäufers zum Weinlager zu gelangen und darüber frei zu verfügen. Das
Weinlager war daher dem Verkäufer, der nur die andere Garnitur Schlüssel
für sich zurückbehielt, nicht wirksam verpfändet (Art. 884 Abs. 3 ZGB).

Erwägung 2

    2.- Die zweite Verpfändung, zugunsten der Kredit- und Verwaltungsbank
Zug, wurde dagegen gültig vollzogen durch Übergabe der einzigen (passenden)
Schlüssel, die die Schuldnerin zu den Kellerräumen besass. Nun wurde
später in gleicher Weise eine Verpfändung zugunsten der Klägerin
vorgenommen. Ob sie gültig zustande kam, hängt davon ab, ob ihr jenes
früher begründete Pfandrecht der Bank entgegenstand oder nicht. Beide
vorinstanzlichen Gerichte halten die Verpfändung an die Klägerin für
ungültig. Das Kantonsgericht nimmt an, die Schlüssel seien der Bank wider
ihren Willen abhanden gekommen. Das Obergericht ist dagegen der Ansicht,
die Bank habe die Schlüssel der Schuldnerin anvertraut. Daher hätte die
Klägerin bei gutem Glauben das Pfandrecht erwerben können. Doch sei sie
nicht als gutgläubig zu betrachten. Art. 884 Abs. 2 ZGB bestimmt:

    "Der gutgläubige Empfänger der Pfandsache erhält das Pfandrecht,
soweit nicht Dritten Rechte aus früherem Besitze zustehen, auch dann,
wenn der Verpfänder nicht befugt war, über die Sache zu verfügen."

    "Rechte aus früherem Besitze" stehen nach Art. 934 ZGB demjenigen zu,
dem die Sache gestohlen wurde oder verloren ging oder sonst wider seinen
Willen abhanden kam. Wer die Sache dagegen freiwillig in den Besitz
eines Andern kommen liess, sie ihm also "anvertraute", muss, wenn der
Andere die Sache veruntreut, also unbefugterweise darüber verfügt, den
Rechtserwerb eines gutgläubigen Dritten gelten lassen (Art. 933 ZGB, dem
die spezielle Regel des Art. 884 Abs. 2 ZGB für den Fall der Verpfändung
entspricht). Hievon ausgehend, prüft das Obergericht die Frage des guten
Glaubens der Klägerin beim Pfanderwerb. Wird indessen eine Sache vom
Pfandgläubiger nicht irgendeinem Dritten, sondern dem Verpfänder selbst
anvertraut, wie dies nach Ansicht des Obergerichts hier der Fall war, so
erhebt sich die Frage, ob das Pfandrecht damit nicht überhaupt untergeht
oder doch, solange der Verpfänder die Sache in seiner ausschliesslichen
Gewalt hat, unwirksam ist (Art. 888 Abs. 1 und 2 ZGB). Das hätte zur Folge,
dass jeder Dritte, gleichgültig ob gut- oder bösgläubig, Rechte an der
Sache erwerben könnte (vergl. OFTINGER, N. 41 und 44 zu Art. 888 ZGB).

    Nun ist aber der Betrachtungsweise des erstinstanzlichen Urteils
zu folgen, wonach die Bank die Pfandsache dem Verpfänder, also
der Schuldnerin, nicht "anvertraut" hatte, sondern den Pfandbesitz
unfreiwillig verlor. Gewiss hat X ihr die Schlüssel nicht gestohlen,
sondern sie jeweilen bei ihr abgeholt. Er erhielt sie aber nur wenige
Male und nur zu bestimmtem Zweck und auf ganz kurze Zeit. So geschah
es etwa zum Aufheizen des Lagers oder zur Entnahme eines Musters oder
einer bestimmten Anzahl Fiaschi Chianti. Dabei musste er jedesmal eine
Quittung über den Empfang der Schlüssel ausstellen, worin der Zweck
des Zutrittes zum Lager angegeben und die Verpflichtung festgelegt war,
die Schlüssel bis zum folgenden Tag oder "heute" oder "bis heute Abend"
zurückzubringen. Nun ist der Lehre beizustimmen, die den Zutritt des
Verpfänders zur Pfandsache nicht schlechthin verpönt. Wird er ihm vom
Pfandgläubiger nur vorübergehend, zu einem bestimmten, namentlich einem
der Erhaltung der Pfandsache (und damit des Wertbestandes des Pfandrechtes)
dienenden Zweck ermöglicht, so wäre es widersinnig, diesen Besorgungen die
Wirkung einer Gefährdung des Pfandrechtes beizulegen. Dem Verpfänder wird
hiebei die Pfandsache nicht zu einem dinglichen oder persönlichen Recht
"anvertraut"; er erhält keinen eigentlichen Besitz, sondern wird jeweilen
nur Besitzdiener des Pfandgläubigers.

    Auf die erwähnte Weise hat sich die Kredit- und Verwaltungsbank Zug
jedesmal ihren Pfandbesitz eindeutig gewahrt. Erst durch das heimliche
Vertauschen der Schlüssel (wie es das Obergericht feststellt) masste
sich der Besitzdiener eigentlichen Besitz an, und erst dadurch verlor
die Bank ihren Pfandbesitz, kam ihr also die Sache - wider ihren
Willen - abhanden. Somit erwuchsen ihr "Rechte aus früherem Besitz"
und konnte die Klägerin auch bei gutem Glauben kein Pfandrecht erwerben
(vgl. LEEMANN, N. 75 zu Art. 884 ZGB; OSTERTAG, N. 4 und 6 zu Art. 934
ZGB; OFTINGER, N. 207-209, 244, 325 und 367 zu Art. 884 ZGB). Ob auch
ein anderes Vorgehen, wie es in BGE 31 II 399 unten hypothetisch erwogen
wird, den Pfandbesitz der Bank zu begründen und zu wahren vermocht hätte
(dagegen OFTINGER, N. 238 zu Art. 884), kann dahingestellt bleiben. Denn im
vorliegenden Fall hatte die Bank der Schuldnerin keinen zweiten Schlüssel
zu dauerndem Gebrauch überlassen.

    ...

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des
Kantons Zug vom 29. Dezember 1953/3. März 1954 bestätigt.