Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 II 185



80 II 185

29. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Juli 1954
i.S. Eheleute Wehrle. Regeste

    Die Ehescheidung wegen Geisteskrankheit (Art. 141 ZGB) hat zur
Voraussetzung, dass der Krankheitszustand, der die Fortsetzung der
ehelichen Gemeinschaft als unzumutbar erscheinen lässt, schon bei
Einleitung der Klage drei Jahre gedauert hat. Es genügt nicht, dass diese
Frist im Zeitpunkte abgelaufen ist, da der Kläger im Prozess erstmals
Art. 141 ZGB anruft.

Auszug aus den Erwägungen:

    Der Scheidungsgrund der Geisteskrankheit ist nach Art. 141 ZGB
gegeben, wenn ein Gatte in einen solchen Zustand von Geisteskrankheit
verfallen ist, dass dem andern die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft
nicht zugemutet werden darf, und wenn die Krankheit nach dreijähriger
Dauer von Sachverständigen für unheilbar erklärt wird. In diesem Falle
kann der andere Gatte jederzeit auf Scheidung klagen. Das Erfordernis
der dreijährigen Dauer ist nach der Rechtsprechung dahin zu verstehen,
dass vom Eintritt des Krankheitszustandes, der die Fortsetzung der Ehe
als unzumutbar erscheinen lässt, bis zur Einleitung der Klage drei Jahre
vergangen sein müssen (BGE 52 II 186, 63 II 1, 66 II 86). An dieser Praxis
ist festzuhalten. Sie wird vor allem durch die Erwägung gerechtfertigt,
dass das Gesetz mit dem erwähnten Erfordernis Fehldiagnosen vorbeugen
und insbesondere eine voreilige Feststellung der Unheilbarkeit und
eine Beeinträchtigung allfälliger Aussichten auf eine (sei es auch nur
"soziale") Heilung durch verfrühte Prozessführung verhindern will.

    Im vorliegenden Falle braucht nicht näher geprüft zu werden, ob die
Krankheit der Beklagten heute die in Art. 141 ZGB vorausgesetzte Schwere
aufweise und als unheilbar anzusehen sei. Auch wenn man diese Fragen
bejahen will, muss nämlich die Klage auf jeden Fall deswegen abgewiesen
werden, weil nicht angenommen werden kann, dass die Krankheit schon drei
Jahre vor Einleitung der Klage, d.h. schon im Mai 1949, in jener Schwere
bestanden habe.

    Es mag zwar zutreffen, dass bereits die im Jahre 1949 geäusserten
Eifersuchtsideen für den Kläger sehr unangenehm waren und die Ehe
empfindlich störten. Deswegen war aber damals die Fortsetzung der ehelichen
Gemeinschaft für den Kläger noch nicht unzumutbar. In ihrer heutigen
vollen Schwere besteht die Geisteskrankheit der Beklagten (wahnhafte
Schizophrenie) nach den Gutachten, auf welche die Vorinstanz abstellt,
erst seit dem Jahre 1950. Der Zustand, der allein als Scheidungsgrund in
Frage kommen kann, bestand also bei der Klageeinleitung erst seit etwa
zwei Jahren.

    Wenn die Vorinstanz das Erfordernis der dreijährigen Dauer gleichwohl
als erfüllt betrachtete, so deswegen, weil sie die Klageeinleitung darin
erblickte, dass der Kläger vor Obergericht sein Scheidungsbegehren
unter Berufung auf Art. 141 ZGB erneuerte, und überdies annahm'die
Krankheit müsse nicht schon bei der Klageeinleitung, sondern erst bei der
Urteilsfällung drei Jahre gedauert haben. Diese letzte Annahme widerspricht
jedoch der Rechtsprechung, bei der es nach dem Gesagten bleiben
muss. Mit dem Sinne dieser Praxis ist es aber auch nicht verträglich,
auf den Zeitpunkt abzustellen, da der Kläger sein Scheidungsbegehren
vor Obergericht wieder aufgenommen und erstmals Art. 141 ZGB angerufen
hat. Diese prozessuale Stellungnahme des Klägers kann nichts daran ändern,
dass er die Klage schon im Mai 1952 und mithin zu früh eingeleitet hat.