Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 II 107



80 II 107

17. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Mai 1954 i. S. X
gegen Bezirksrat Zürich. Regeste

    Als fiktiver Wohnsitz nach Art. 24 Abs. 2 ZGB, und damit als Ort
für das Entmündigungsverfahren (Art. 376 Abs. 1 ZGB), fällt auch ein
Aufenthalt zu einem der in Art. 26 ZGB genannten Zwecke, und zwar auch
ein unfreiwilliger, in Betracht.

Sachverhalt

                     Aus dem Tatbestand:

    A. - Der Berufungskläger entzog sich im Sommer 1951 einer in Zürich
über ihn verhängten Freiheitsstrafe durch Auswanderung. Er lebte anderthalb
Jahre in Paris. Am 16. Januar 1953 kehrte er in die Schweiz zurück,
um sich den Justizbehörden zu stellen und sich nach Strafverbüssung
im Kanton Luzern niederzulassen. Er wurde bei seiner Einreise in Genf
verhaftet und polizeilich nach Zürich geführt. Dort war er vom 16. bis 19.
Januar 1953 in Polizei- und Untersuchungshaft. Am 20. gl. Mts. wurde
er von der Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich im Hinblick auf eine
gemäss Art. 370 ZGB zu verfügende Entmündigung wegen lasterhaften
Lebenswandels einvernommen. Alsdann hatte er die Strafe zu erstehen,
zu der er im Jahre 1951 verurteilt worden war.

    B.- Auf Antrag der Vormundschaftsbehörde der Stadt Zürich sprach der
Bezirksrat Zürich am 13. März 1953 die Entmündigung aus. Der Entmündigte
verlangte einen gerichtlichen Entscheid und erhob die Einrede der örtlichen
Unzuständigkeit der zürcherischen Behörden.

    C.- Mit dieser Einrede in beiden kantonalen Gerichtsinstanzen
abgewiesen, hält er mit der vorliegenden Berufung daran fest.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    ... Es ist festgestellt, dass der Berufungskläger bei seiner
Einreise in die Schweiz am 16. Januar 1953 den in Paris begründeten
Wohnsitz aufgegeben hatte und über den 20. Januar hinaus keinen neuen
Wohnsitz in der Schweiz erwarb. Zürich, wo er sich am 20. Januar 1953 bei
Einleitung des Entmündigungsverfahrens aufhielt, gilt daher nach Art. 24
Abs. 2 ZGB als sein damaliger Wohnsitz gemäss Art. 376 Abs. 1 ZGB, wie
die kantonalen Gerichte zutreffend entschieden haben. Da jene Vorschrift
den Aufenthaltsort schlechthin berücksichtigt, ist auch ein Aufenthalt zu
einem der in Art. 26 ZGB genannten Zwecke nicht ausgenommen. Aus Art. 26
ZGB folgt nur, dass ein Aufenthalt zu vorübergehendem Zweck, wenn auch von
verhältnismässig langer Dauer, den bisherigen Wohnsitz unberührt lässt. Ist
aber ein ausländischer Wohnsitz aufgegeben und daher nach Art. 24 Abs. 2
ZGB eben der schweizerische Aufenthaltsort massgebend, so begründet hievon
Art. 26 keine Ausnahme (vgl. KAUFMANN, N. 12 und EGGER, N. 14 und 15
zu Art. 376 ZGB; davon geht auch das einen Ausländer betreffende Urteil
BGE 61 II 16 aus). Der Berufungskläger wendet sich vor allem dagegen,
an einem Ort belangt zu werden, wohin er sich nicht freiwillig begeben
hatte, sondern mit Polizeigewalt gebracht worden war. Allein, auch ein
Zwangsaufenthalt erfüllt den Tatbestand des Art. 24 Abs. 2 ZGB und gilt
somit als Wohnsitz, zumal wenn er nicht als blosse kurze Unterbrechung
eines regelmässigen Aufenthaltes an einem andern Orte der Schweiz erscheint
(vgl. EGGER, N. 7 zu Art. 24 ZGB; HOLENSTEIN, Der privatrechtliche Wohnsitz
im schweizerischen Recht, 115/16). Es entspricht dem Zweck der in Art. 24
Abs. 2 aufgestellten Wohnsitzfiktion, ein Verfahren gerade auch gegen einen
aus dem Ausland eingewanderten Schweizerbürger zu ermöglichen, der bis auf
weiteres keinen Wohnsitz erwerben kann, weil er eine Freiheitsstrafe zu
erstehen hat oder sich in einem Zustande befindet, der seine Internierung
oder Spitalverbringung nötig macht.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und der Beschluss des Obergerichtes des
Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 22. März 1954 bestätigt.