Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 II 102



80 II 102

16. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Mai 1954
i.S. Städeli gegen Weber. Regeste

    Die Entschädigung an den schuldlos geschiedenen Ehegatten (Art. 151
Abs. 1 ZGB) kann, wo besondere Gründe es rechtfertigen, in einer
Sachleistung (hier: Übertragung einer Liegenschaft) bestehen.

Sachverhalt

                     Aus dem Tatbestand:

    A.- Das Obergericht des Kantons Zürich hat die Ehe der Parteien auf
Klage der Ehefrau geschieden, ihr die drei der Ehe entsprossenen Kinder
zugewiesen und eine Entschädigung im Sinne von Art. 151 Abs. 1 ZGB für
den Wegfall des ehelichen Unterhaltsanspruchs zuerkannt.

    Laut Disp. 9 des obergerichtlichen Urteils hat der Ehemann diese
Entschädigung durch Übereignung der Liegenschaft am Fuchsrain samt Vieh
und landwirtschaftlichen Gerätschaften (gemäss genauem Verzeichnis)
zu leisten, während die Ehefrau laut Disp. 10 verpflichtet ist, die auf
der Liegenschaft lastende Schuld von Fr. 28'000.-- aus einem Schuldbrief
zu übernehmen.

    B.- Gegen Disp. 9 des obergerichtlichen Urteils hat der Beklagte
Berufung an das Bundesgericht eingelegt, mit dem Antrag, die ihm auferlegte
Verpflichtung, die Ehefrau durch Übertragung der erwähnten Liegenschaft
mit lebendem und totem Inventar zu entschädigen, sei aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Dass er der Klägerin als schuldloser Ehegattin eine Entschädigung
nach Art. 151 Abs. 1 ZGB zu leisten hat, bestreitet der Beklagte
nicht mehr. Er hält jedoch eine Geldzahlung (Kapital oder Rente) für
die einzige zulässige Form einer solchen Entschädigung; zur Übereignung
von Sachen, namentlich eines Grundstücks, dürfe der schuldige Ehegatte
nicht verpflichtet werden. Er beruft sich auf BGE 78 II 302 ff.,
wonach dem Ehemann als Ersatz für nicht mehr vorhandenes Frauengut
bei Scheidung der Ehe niemals die Übertragung von Gegenständen seiner
Errungenschaft auf die Ehefrau obliegt. Eine Sachleistung ist nach
seiner Ansicht noch weniger am Platze als Entschädigung im Sinne von
Art. 151 Abs. 1 ZGB; denn dabei handle es sich nicht einmal um Ersatz für
einen von der Ehefrau eingebrachten und nicht mehr vorhandenen Sachwert,
sondern um einen wertmässigen und daher in Geld zuzusprechenden Ersatz
für die durch die Ehescheidung beeinträchtigten Vermögensrechte und
Anwartschaften des schuldlosen Ehegatten insgesamt. Die besondere Natur
dieses familienrechtlichen Anspruchs schliesse die dem angefochtenen
Urteil zugrunde liegende analoge Anwendung von Art. 43 OR aus, wonach der
Richter (bei unerlaubten Handlungen) "Art und Grösse des Ersatzes für den
eingetretenen Schaden" zu bestimmen hat und somit unter Umständen Natural-
statt Geldersatz gewähren kann.

    Diese Betrachtungsweise wird dem vorliegenden Falle nicht
gerecht. Gewiss ist eine Entschädigung im Sinne von Art. 151 Abs. 1
ZGB gewöhnlich in Geld zu gewähren. Als allgemeiner Wertmesser ist das
Geld die übliche Form der Entschädigung (auch in andern Rechtsgebieten)
geworden. Nicht nur lässt sich die Höhe der Entschädigung am leichtesten
in Geld bestimmen; dem Berechtigten ist in den meisten Fällen an einer
Geldleistung gelegen, die er nach Belieben verwenden kann, und dem
Verpflichteten ist, von Ausnahmefällen abgesehen, eine Geldleistung am
ehesten zumutbar. Verfügt er nicht über den erforderlichen Betrag, so kann
er sich ihn durch Veräusserung von Vermögensstücken beschaffen. Besondere
Gründe können aber eine Sachleistung, wenn der Berechtigte sie verlangt,
als gerechtfertigt und dem Verpflichteten als zumutbar erscheinen
lassen. Dass Art. 151 Abs. 1 ZGB eine solche Art der Entschädigung
überhaupt ausschliesse, ist dem Beklagten nicht zuzugeben. Dem Begriff
der Entschädigung entspricht nach landläufigem Sprachgebrauche wie die
Geldso auch die Naturalentschädigung. Als "angemessene Entschädigung"
lässt sich somit zwanglos auch eine den Verhältnissen angemessene
Sachleistung betrachten. Nichts verbietet es, diesen weiten Begriff
der Entschädigung anzuwenden, zumal Abs. 1 von Art. 151 ZGB nicht wie
Abs. 2 (für die Genugtuung) ausdrücklich nur Geldzahlung vorsieht. Ganz
anderer Natur ist die auf Wertersatz in Geld gehende, nur unter
besondern Voraussetzungen fällige und (zumal durch Anschlusspfändung
oder Konkurseingabe) geltend zu machende Forderung für nicht mehr (auch
nicht in Ersatzstücken) vorhandenes oder dem Ehemanne nach Art. 199 ZGB
überlassenes Frauengut. Daraus, dass an deren Stelle nicht Sachleistungen
verlangt werden können, wie in BGE 78 II 302 entschieden, folgt nichts
gegen jene weite Auslegung von Art. 151 Abs. 1 ZGB. Entspricht aber die
Möglichkeit der Zuerkennung einer Sachleistung bei besondern Umständen
schon dem Begriff der Entschädigung, so bedarf es nicht der analogen
Anwendung von Art. 43 OR, der immerhin geeignet ist, jene Auslegung zu
unterstützen; denn Entschädigung ist dasselbe wie Schadenersatz, jedenfalls
nicht als engerer Begriff zu verstehen (das Gesetz selbst vermengt die
beiden Begriffe, indem die Randtitel der Art. 43 und 44 OR "indemnité" für
"dommages-intérêts" sagen). Auch "familienrechtliches Denken" führt nicht
zu engerer Auslegung von Art. 151 Abs. 1 ZGB. Der schuldlose Ehegatte
verliert unter Umständen durch die Ehescheidung seine wirtschaftliche
Existenz, und es kann die ihm dafür gebührende Entschädigung je nach den
beidseitigen Vermögensverhältnissen in angemessenster Weise durch eine
Sachleistung bewirkt werden.

    Bei der Beurteilung der nähern Voraussetzungen hiefür ist nicht
massgebend, in welcher Weise der hier eben nicht anwendbare Art. 43 OR bei
unerlaubten Handlungen ausgelegt zu werden pflegt (wobei einzelne Autoren
Naturalersatz grundsätzlich nur bei Sachschaden in Betracht ziehen; vgl.
OFTINGER, Haftpflichtrecht I 39; ähnlich OSER-SCHÖNENBERGER, N. 9 und 10
zu Art. 43 OR). Gerade weil es mitunter gilt, dem schuldlosen Ehegatten
eine Existenzgrundlage zu bieten, ist eine Verpflichtung, ihm liegendes
Gut zu übertragen, nicht ausgeschlossen (was auch GMÜR, N. 13 zu Art. 151,
annimmt, während EGGER, N. 8 daselbst, hauptsächlich Hausrat ins Auge
fasst; vgl. ferner SJZ 17 S. 266 N. 199 und BlZR 29 N. 149).

Erwägung 2

    2.- Die Klägerin hat ein ausgeprägtes Interesse, mit den drei Kindern
auf dem Heimwesen zu bleiben. Der Beklagte erwarb es im Jahre 1939,
überliess aber die Bewirtschaftung zum grössten Teile der Ehefrau. Diese
ist eine Bauerntochter und hat die landwirtschaftlichen Arbeiten all
die Jahre hindurch eifrig und tüchtig besorgt. Der Beklagte ist nicht
Landwirt, sondern gelernter Schmied und jetzt Heizungsmonteur. Auf das
Gütchen ist er nicht angewiesen und vermöchte sich daraus auch kein
genügendes Auskommen zu verschaffen. Unter diesen Umständen erscheint
das Begehren der Klägerin als begründet und diese Sachleistung als dem
Beklagten zumutbar, sofern sie dem Werte nach angemessen ist. Er läuft
nicht etwa Gefahr, als Schuldner des auf der Liegenschaft lastenden,
auf die Klägerin als neue Schuldnerin zu übertragenden Schuldbriefs
von Fr. 28'000.-- beibehalten zu werden. Die Schuldbriefgläubigerin hat
der Schuldübernahme durch die Klägerin mit Entlassung des Beklagten als
Schuldner zum voraus zugestimmt. Es liegt im Sinne des Familienschutzes,
den drei Kindern das Heim zu erhalten, wo sie bisher aufgewachsen sind. Die
Möglichkeit, dass unter Umständen jemand anders als sie nach bäuerlichem
Erbrecht das Heimwesen erwerben kann (nämlich ein Kind aus allfälliger
späterer Ehe der Klägerin), muss mit in Kauf genommen werden.

Erwägung 3

    3.- Die in Frage stehende Sachleistung ist nicht deshalb unzulässig,
weil sie andern Gläubigern des Ehemannes nachteilig sein könnte. Das
Obergericht hat zutreffend keinen Eigentumsübergang verfügt, sondern nur
eine Verpflichtung ausgesprochen (vgl. BGE 50 II 381 Erw. 5), die auf
gleicher Linie wie Geldschulden steht und somit die Ehefrau nicht vor
Geldgläubigern begünstigt. Sollte sie vor andern Verpflichtungen erfüllt
werden, so kann sich die Frage erheben, ob die Erfüllung nach Art. 288
SchKG anfechtbar oder ein anderer Rechtsbehelf zum Schutz anderer Gläubiger
gegeben sei. Der Entschädigungsanspruch als solcher besteht aber zu Recht,
so wie er vom Richter geschützt wird, sei es im Sinn einer Geldforderung
oder eines Anspruches auf Sachleistung.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des
Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 7. Dezember 1953, soweit es angefochten
ist, bestätigt.