Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 II 10



80 II 10

3. Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. April 1954 i. S. Sarbach gegen
Wandfluh. Regeste

    Vaterschaftsklage. Ausschluss der Vaterschaft des Beklagten auf Grund
der Bestimmung der Rhesusfaktoren (Art. 314 Abs. 2 ZGB).

Sachverhalt

    Im Vaterschaftsprozess der Hedwig Sarbach und ihres Kindes Susanna
gegen Hermann Wandfluh stellte der Experte Dr. A. Hässig, Leiter der
Bakteriolog.-Serolog. Abteilung des Blutspendedienstes des Schweiz. Roten
Kreuzes in Bern, in seinem Gutachten vom 6. Juli 1953 fest, nach den in
seinem Laboratorium und unabhängig von ihm im Gerichtlich-Medizinischen
Institut der Universität Zürich durchgeführten Blutuntersuchungen seien bei
den Parteien folgende Rhesusfaktoren vorhanden: bei der Mutter CcDEe,
beim Kinde ccDEe, beim Beklagten CCDee. Der Beklagte besitze also
den Rhesusfaktor Gross-C in doppelter Anlage (d.h. er sei mit Bezug
auf die Eigenschaften Cc homozygot im Sinne von CC). Bei jedem Kinde
des Beklagten müsse daher dieser Faktor zumindest in einfacher Anlage
vorhanden sein. Beim Kinde Susanna Sarbach sei dies nicht der Fall; es
besitze den Rhesusfaktor klein-c in doppelter Anlage (sei also bezüglich
der Eigenschaften Cc im entgegengesetzten Sinne homozygot). Der Beklagte
könne daher nach den Erbgesetzen der Faktoren Gross-C und klein-c mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Vater dieses Kindes
ausgeschlossen werden.

    In einem vom Appellationshof des Kantons Bern eingeholten
Ergänzungsberichte vom 8. Februar 1954 erklärte Dr. Hässig unter Hinweis
auf neue Ergebnisse der Forschung, er sei der Auffassung, dass die
Vorbehalte, die Prof. F. Schwarz im Jahre 1951 gegenüber der in Frage
stehenden Ausschlussregel geäussert hatte (Gutachten vom 19. Februar 1951,
abgedruckt in SJZ 47 S. 321 ff.), "auf Grund der heutigen Erfahrung
hinfällig geworden sind und dass einem Rhesus-Ausschluss, der darauf
beruht, dass ein homozygoter Mann nicht Vater eines entgegengesetzt
homozygoten Kindes sein kann, die gleiche Wertigkeit zuerkannt werden
darf wie einem Ausschluss, der darauf beruht, dass ein Rhesusfaktor bei
einem Kinde nicht vorhanden sein kann, wenn er nicht wenigstens bei einem
seiner Eltern nachgewiesen werden kann".

    Im gleichen Sinne äusserte sich Prof. Schwarz selber in einem
Gutachten, das er dem Appellationshof in einem andern, gleich liegenden
Falle ebenfalls am 8. Februar 1954 abgab. Er führte dort aus, mit
Bezug auf die Technik der Rhesusbestimmung und die Erfahrungen über
die Vererbungsverhältnisse seien in den letzten Jahren beträchtliche
Weiterentwicklungen festzustellen. Man verfüge heute über spezifische,
hochwertige Seren in genügender Auswahl. Die Zahl der Untersuchungen,
auch der Familienuntersuchungen, habe zugenommen. Unter diesen Umständen
sei eine Differenzierung in Bezug auf die Zuverlässigkeit der drei
(in SJZ 47 S. 323 erwähnten) Ausschlussregeln nicht mehr notwendig,
"d. h. alle drei Regeln können heute den gleichen Sicherheitsgrad in
Anspruch nehmen". Von der dritten Regel, wonach eine homozygote Person
(Mann oder Frau) kein entgegengesetzt homozygotes Kind haben kann (eine
Person mit den Eigenschaften CC also kein Kind mit den Eigenschaften cc),
seien bei der Untersuchung einer grossen Zahl von Mutter-Kind-Verhältnissen
bisher keine Ausnahmen beobachtet worden. Auch mit einer Nachreifung von
Rhesuseigenschaften beim Kinde (wie sie in SJZ 47 S. 324 noch als denkbar
bezeichnet worden war) sei offenbar nicht zu rechnen. Die Sicherheit
des Rhesusausschlusses habe also beträchtlich zugenommen, auch für die
dritte Regel. "Die Fehlergrenze für den Rhesusausschluss dürfte heute
doch wohl erheblich unter 1: 1000 anzusetzen sein. Wir würden heute von
einer Beweiskraft sprechen, welche der praktischen Sicherheit nahekommt,
wenn man nicht überhaupt vorziehen will, diesen Begriff ohne Einschränkung
anzuwenden."

    Der Appellationshof des Kantons Bern fand, angesichts dieser
Äusserungen zweier erfahrener Fachleute über die Beweiskraft der
Rhesus-Methode dürfe ohne Bedenken auf das Gutachten abgestellt
werden, das den Beklagten auf Grund der - mit der gebotenen Sorgfalt
durchgeführten - Bestimmung der Rhesusfaktoren als Vater der Zweitklägerin
ausschliesse. Jedenfalls sei damit eine Tatsache nachgewiesen, die im
Sinne von Art. 314 Abs. 2 ZGB erhebliche Zweifel an der Vaterschaft des
Beklagten rechtfertige. Aus diesen Erwägungen hat der Appellationshof
die Klage mit Urteil vom 9. Februar 1954 abgewiesen.

    Gegen dieses Urteil haben die Klägerinnen die Berufung an das
Bundesgericht erklärt. Unter Berufung auf SJZ 47 S. 321 ff. (d.h. das
Gutachten von Prof. Schwarz vom 19. Februar 1951), auf das dort erwähnte
Gutachten von Dr. Hardmeier vom 19. Januar 1951 (vgl. BGE 78 II 313, 79 II
21) und auf ZBJV 88 S. 490 ff., wo ein Gutachten von Prof. Schwarz aus der
gleichen Zeit wiedergegeben ist, machen sie geltend, die im vorliegenden
Fall zur Anwendung gelangte, auf dem Nachweis entgegengesetzter Homozygotie
beruhende Ausschlussregel sei "gegenüber den andern Ausschlussgründen auf
Basis der Blutuntersuchungen am wenigsten sicher". Durch Widerlegung der
Vermutung nach Art. 314 Abs. 1 ZGB auf Grund dieser Methode werde deshalb
Bundesrecht verletzt.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

    Wie zuverlässig eine von einem Sachverständigen angewandte
wissenschaftliche Methode sei, ist im wesentlichen eine Tatfrage (BGE
78 II 316). Weder ein Satz des Bundesrechts noch eine allgemeingültige
Erfahrungsregel, die berufungsrechtlich einem Bundesrechtssatze
gleichzustellen wäre (BGE 79 II 24 oben), hinderte die Vorinstanz
daran, der Auffassung von Dr. Hässig und Prof. Schwarz zu folgen,
wonach der Ausschluss der Vaterschaft auf Grund der Bestimmung der
Rhesuseigenschaften heute bei allen drei Arten des Ausschlusses,
insbesondere auch dann, wenn der angebliche Vater und das Kind nach
dem Untersuchungsergebnis entgegengesetzt homozygot sind, einen
Grad der Zuverlässigkeit erreicht hat, der an Sicherheit grenzt
(Fehlermöglichkeit erheblich unter 1:1000). Die Klägerinnen versuchen
vergeblich, diese Annahme vor Bundesgericht unter Hinweis auf frühere,
nach den Gutachten vom 8. Februar 1954 durch die seitherige Entwicklung
überholte Äusserungen von Prof. Schwarz und Dr. Hardmeier anzufechten. Nach
den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz lässt sich auch nicht
bezweifeln, dass die Untersuchungen, die im vorliegenden Falle die
erwähnte Ausschlusskonstellation (entgegengesetzte Homozygotie) ergeben
haben, von fachkundigen Personen mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt
worden sind. Es muss daher als erwiesen gelten, dass die Vaterschaft des
Beklagten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen
werden kann. Diese Feststellung führt nach Art. 314 Abs. 2 ZGB ohne
weiteres zur Abweisung der Klage.