Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 III 74



80 III 74

14. Entscheid vom 29. Juni 1954 i.S. Stoeker und Konsorten. Regeste

    Pfändung eines bestrittenen Erbanspruchs vom Betreibungsamt widerrufen
wegen rechtskräftiger Abweisung der erbrechtlichen Klage des Schuldners.
Leere Pfändungsurkunde (Art. 115 Abs. 1 SchKG). Hat diese als nichtig
zu gelten,

    a)  weil der Erbanspruch gepfändet worden war? (Erw. 1);

    b)  weil der Schuldner ihn als existent bezeichnete? (Erw. 2);

    c)  wegen späterer Entdeckung neuer Pfändungsmöglichkeiten? (Erw. 3).

    Ergänzung einer Pfändung von Amtes wegen infolge der Teilnahme anderer
Gläubiger (Art. 110 Abs. 1 SchKG); sie darf nur während und unmittelbar
nach Ablauf der Teilnahmefrist stattfinden (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Das Betreibungsamt Aesch/Luzern pfändete am 1. Juni 1946 in
den Betreibungen der Rekurrenten 1) und 2) gegen Frau Lang-Waller deren
streitige Erbansprüche an den Nachlässen ihres Vaters Leonz Waller und
ihres Bruders Leo Waller. Es sah von einer Schätzung dieser unsichern
Ansprüche ab und bezeichnete die Pfändungsurkunde als provisorischen
Verlustschein. Dem Rekurrenten 3), der gemäss Art. 110 SchKG an
dieser Pfändung teilnahm, wurde am 25. Juni 1946 eine entsprechende
Pfändungsurkunde ausgestellt, nachdem die erneute Einvernahme der
Schuldnerin und ihres Ehemannes kein weiteres pfändbares Vermögen ergeben
hatte.

    B.- Als dann aber der Gemeinderat von Schongau die vom Betreibungsamt
gewünschte Ernennung eines Erbenvertreters am 3. September 1946
ablehnte, weil die Schuldnerin infolge eines von ihr erfolglos
gerichtlich angefochtenen Erbauskaufvertrages vom 25. März 1920
nicht an der väterlichen Erbschaft teilnehme, der Bruder Leo Waller
aber kein Vermögen hinterlassen und an der väterlichen Erbschaft
infolge Erbverzichtes ebenfalls nicht teilgenommen habe, ersetzte das
Betreibungsamt die erwähnten Pfändungsurkunden am 6. September 1946 durch
leere Pfändungsurkunden, weil die vordem gepfändeten Erbansprüche "laut
Feststellung und Schreiben des Gemeinderates von Schongau vom 3. September
1946 nicht bestehen". Am 7. September 1946 gab das Amt der Schuldnerin
von der Ausstellung dieser definitiven Verlustscheine und den darin
enthaltenen Forderungsbeträgen Kenntnis.

    C.- Diese Art des Betreibungsabschlusses blieb unangefochten bis nach
Beendigung zweier vom Rekurrenten 1) gegen den Ehemann und einen Neffen
der Schuldnerin angehobener Anfechtungsprozesse gemäss Art. 285 ff. SchKG,
in denen er laut Urteilen des luzernischen Obergerichtes vom 11. Juli 1951
und 13. Januar 1954 obsiegte. Nun verlangte die Schuldnerin mit Beschwerde
vom 19. Januar 1954 die Nichtigerklärung der Verlustscheine vom 6.
September 1946 mit der Begründung, jene Betreibungen hätten nur nach
Durchführung der Verwertung der am 1. Juni 1946 gepfändeten Erbansprüche
mit Einschluss eines den Erben des Leo Waller erwachsenen Anspruchs aus
Unfallversicherung, sowie des Anteils der Schuldnerin an der Erbschaft
der am 8. Juli 1946 verstorbenen Mutter, allenfalls zur Ausstellung
definitiver Verlustscheine führen dürfen. Die dieser Voraussetzungen
ermangelnden Verlustscheine seien als nichtig zu betrachten.

    D.- Gegen den die Beschwerde gutheissenden Entscheid der
untern Aufsichtsbehörde haben die Gläubiger an die obere kantonale
Aufsichtsbehörde und, von dieser durch Entscheid vom 13. Mai 1954
abgewiesen, an das Bundesgericht rekurriert.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Von der Regel, dass ein definitiver Verlustschein erst nach
durchgeführter Verwertung, sofern diese eben nicht volle Deckung ergeben
hat, ausgestellt werden darf (Art. 149 SchKG), ist der Fall einer völlig
fruchtlosen Pfändung ausgenommen, die eine Verwertung gar nicht ermöglicht.
In diesem Falle ist eine sog. leere Pfändungsurkunde auszustellen, die als
definitiver Verlustschein gilt (Art. 115 Abs. 1 SchKG). Auf einer solchen
Feststellung beruhen die hier mehr als sieben Jahre später als nichtig
angefochtenen, am 6. September 1946 in Gestalt leerer Pfändungsurkunden
ausgestellten Verlustscheine. Von Nichtigkeit kann nun keineswegs schon
deshalb die Rede sein, weil am 1. Juni 1946 streitige Erbansprüche der
Schuldnerin gepfändet worden waren. Auf diese Pfändung durfte und musste
das Betreibungsamt zurückkommen, wenn es später erfuhr, dass solche
Ansprüche in Wirklichkeit nicht zu Recht bestanden. Denn damit erwies
sich die vordem erfolgte Pfändung als irrig; sie war daher beim Fehlen
anderer pfändbarer Gegenstände aufzuheben und die frühere durch eine
leere Pfändungsurkunde zu ersetzen.

Erwägung 2

    2.- Zu prüfen bleibt, ob der Annahme des Betreibungsamtes, die
streitigen Erbansprüche seien nicht existent, ihrerseits eine grobe,
als Nichtigkeitsgrund zu betrachtende Gesetzesverletzung zugrunde
lag. Nach Ansicht der Schuldnerin war das Betreibungsamt nicht befugt,
die Nichtexistenz dieser Ansprüche festzustellen, da sie selbst
deren rechtlichen Bestand behauptete. Sie beruft sich auf BGE 74 III
80. Allein, wenn in jenem Fall eine auch vom betriebenen Schuldner als
nicht bestehend bezeichnete Forderung aus der Pfändung zu weisen war,
ist damit die Stellungnahme des betriebenen Schuldners nicht als für das
Betreibungsamt schlechthin massgebend erklärt worden. Vielmehr kann sich
unzweifelhafte Nichtexistenz eines Rechtes auch dann ergeben, wenn der
Schuldner an einer gegenteiligen Behauptung festhält. Gewiss sind in
der Regel auch bestrittene Rechte zu pfänden, sofern sie nur übertragbar
sind, und es genügen Zweifel an ihrem rechtlichen Bestande nicht, um
die Pfändung und Verwertung auszuschliessen (BGE 54 III 42). Allein im
vorliegenden Falle hielt das Betreibungsamt die Nichtexistenz der in Frage
stehenden Erbansprüche für unzweifelhaft, und es durfte dies angesichts
des behördlichen Berichtes tun, der auf die rechtskräftige Abweisung der
Klage hinwies, womit die Schuldnerin den Erbauskauf angefochten hatte,
und im übrigen einen Nachlass des Leo Waller verneinte.

Erwägung 3

    3.- Die diesen rechtlich einwandfreien Feststellungen entsprechenden
leeren Pfändungsurkunden lassen sich nicht aus dem Grunde als
nichtig anfechten, weil das Betreibungsamt bestimmte Tatsachen, die
ihm damals nicht bekannt noch erkennbar waren, nicht berücksichtigt
habe. Grundsätzlich kommt es bei der Beurteilung von Nichtigkeitsgründen
auf den Sachverhalt an, den das Amt im Zeitpunkt der Verfügung kannte oder
doch bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit kennen musste. Eine Ausnahme bilden
nur Tatsachen, ohne deren Vorhandensein die Verfügung schlechterdings
nicht gültig sein kann, wie etwa die Existenz des betriebenen Schuldners
(vgl. im übrigen BGE 73 III 62, 76 III 3, 77 III 55, 58 und 76, 79 III
10). Beim Fehlen einer solchen Voraussetzung ist jede Verfügung nichtig,
unabhängig davon, ob der Mangel erkennbar war oder nicht. Hier liegt
aber nichts derartiges vor. Die Betreibungen waren an sich gültig und
wurden entsprechend den vom Amte pflichtgemäss vorgenommenen Erhebungen
abgeschlossen. Dabei muss es um der Rechtssicherheit willen sein Bewenden
haben, selbst wenn dem Betreibungsamt bei der Prüfung des Rechtsbestandes
der Erbansprüche ein Rechtsirrtum unterlaufen sein sollte. Übrigens ist
ohne Belang, was die Schuldnerin in dieser Hinsicht nun vorbringt, dass ihr
nämlich vorbehalten bleibe, die Ungültigkeit des Erbauskaufes einredeweise
geltend zu machen, nachdem ihre Klage bloss wegen Verjährung abgewiesen
worden sei. Denn da der Verzichtende beim Erbgang ausser Betracht fällt
(Art. 495 Abs. 2 ZGB), ist nicht zu finden, wie sich mittels einer
Einrede ein Erbanspruch hätte durchsetzen lassen. Auch der später
nach eifrigen Nachforschungen des Anwaltes der Schuldnerin entdeckte
Versicherungsanspruch, der den Erben des Leo Waller erwachsen sein soll,
rechtfertigt es nicht, die Verlustscheine vom 6. September 1946 nichtig zu
erklären, gesetzt auch, er wäre pfändbar gewesen. Hiebei macht es keinen
Unterschied aus, ob ein solcher Versicherungsanspruch zum Nachlasse zu
rechnen sei oder auf selbständigem Rechtsgrund beruhe. Solche nachträglich
entdeckte Pfändungsmöglichkeiten vermögen dem rechtskräftigen Abschluss
einer Betreibung nichts anzuhaben, sondern können nur zur Pfändung in
einer neuen Betreibung auf Grund des Verlustscheins, gegebenenfalls ohne
neuen Zahlungsbefehl (Art. 149 Abs. 3 SchKG), Anlass geben.

Erwägung 4

    4.- Endlich weist die Schuldnerin auf die ihr am 8. Juli 1946
angefallene mütterliche Erbschaft hin. Das Betreibungsamt habe spätestens
am 23. August 1946 gewusst, dass sie (trotz dem auch diese Erbschaft
betreffenden Auskauf vom 25. März 1920) darauf Anspruch erhebe, und dass
daher vor Nachpfändung und Verwertung dieses Erbanteils kein Verlustschein
ausgestellt werden dürfe. Allein zu ergänzenden Pfändungen von Amtes
wegen hätte es nach Art. 110 Abs. 1 SchKG nur während oder unmittelbar
nach Ablauf der am 1. Juni 1946 in Gang gekommenen Anschlussfrist kommen
dürfen (BGE 30 I 822/3 = Sep.- Ausg. 7 S. 492; BLUMENSTEIN, Handbuch,
403 Bem. 13). Nachher war eine weitere Pfändung nur noch auf Begehren
eines Gläubigers zulässig, wozu es nicht gekommen ist, wie denn auch
jedem Gläubiger freistand, von einem solchen Begehren abzusehen. Freilich
wäre unter Umständen nach Durchführung der Verwertung eine von Amtes
wegen vorzunehmende Nachpfändung in Frage gekommen (Art. 145 SchKG);
doch fehlte es dazu hier an allen Voraussetzungen (wozu vgl. auch BGE
70 III 46). Natürlich war die Ausstellung der leeren Pfändungsurkunden
vom 6. September 1946 kein neuer Vollzugsakt, bei dem die Schuldnerin
wiederum hätte zugegen sein sollen. Vielmehr wurde damit nur die früher
vorgenommene Pfändung als in Wirklichkeit fruchtlos widerrufen und die
Betreibung dementsprechend abgeschlossen.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Die Rekurse werden gutgeheissen, der angefochtene Entscheid wird
aufgehoben und die Beschwerde der Schuldnerin abgewiesen.