Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 III 141



80 III 141

33. Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. November 1954 i. S. Rungger
gegen Schläpfer. Regeste

    Verbot der Betreibung unter Ehegatten, Art. 173 ZGB.

    Betreibung unter Ehegatten zum Zwecke der Durchführung einer
ehevertraglich vereinbarten Gütertrennung fällt nicht unter die Ausnahme
gemäss Art. 176 Abs. 1 ZGB. Die trotz dem Verbot geführte Betreibung
ist nichtig, ebenso der in ihr ausgestellte Verlustschein. Dieser ist
daher als Legitimationstitel zur Anfechtungsklage nach Art. 285 Ziff. 1
SchKG untauglich.

Sachverhalt

    A.- Die Eheleute Derungs-Rungger kauften im Jahre 1944 die
Bäckereiablage mit Tea-Room "Quader" in Chur zum Preise von Fr. 145 000.--
und bauten sie in den folgenden Jahren mit einem Kostenaufwand von rund Fr.
60 000.-- zu einer Bäckerei aus. Wegen ehelicher Differenzen beauftragte
Frau Derungs im Januar 1950 ihren Anwalt, zwecks Sicherstellung ihres
Frauengutes die notwendigen Schritte zur Durchführung der Gütertrennung
einzuleiten. Angesichts dieses Begehrens verkaufte der Ehemann am
3. Mai 1950 die Liegenschaft ohne Wissen der Ehefrau an seinen Schwager
Schläpfer-Derungs zum Preise von Fr. 158 000.--, nachdem er sie ihm noch
kurz vorher für Fr. 200 000.-- angeboten hatte.

    Am 17. Oktober 1950 kam zwischen den Eheleuten Derungs-Rungger
ein Ehevertrag auf Gütertrennung zustande, mit dem der Ehemann eine
Frauengutsforderung von Fr. 40 881.-- anerkannte. An diese verrechnete
er eine Gegenforderung von Fr. 4 000.-- und zedierte an das Restguthaben
der Ehefrau eine Forderung an den Liegenschaftskäufer Schläpfer von Fr. 9
000.--. Für ihren Forderungssaldo von Fr. 27 881.-- leitete Frau Derungs am
10. Januar 1951 gegen den Ehemann die Betreibung ein. Das Betreibungsamt
Disentis stellte ihr am 18. Juli 1951 für den ganzen Betrag zuzüglich
Zins und Kosten, zusammen Fr. 28 743.70, einen Verlustschein aus.

    B.- Gestützt darauf reichte Frau Derungs zwei Tage später
(20. Juli 1951) gegen den Liegenschaftskäufer Schläpfer die vorliegende
Anfechtungsklage gemäss Art. 285 ff. SchKG ein mit dem Begehren auf
Ungültigerklärung des Kaufvertrages vom 3. Mai 1950 und grundpfändliche
Sicherstellung ihrer Forderung auf der Liegenschaft "Quader" oder
betreibungsamtliche Pfändung und Verwertung derselben. Sie begründete die
Klage damit, der Ehemann habe die Liegenschaft dem Beklagten in der diesem
erkennbaren Absicht verkauft, sie, die Ehefrau, als Frauengutsgläubigerin
zu benachteiligen.

    Während des Anfechtungsprozesses wurden die Eheleute geschieden.

    C.- Das Kantonsgericht Zug bejahte die Benachteiligungsabsicht und
deren Erkennbarkeit gemäss Art. 288 SchKG und hiess die Klage gut. Auf
Appellation des Beklagten hat jedoch das Obergericht mit Urteil vom
29. Juni 1954 diesen Entscheid aufgehoben und die Anfechtungsklage
abgewiesen, weil der dieser zu Grunde liegende Verlustschein, da aus
einer gemäss Art. 173 ZGB verbotenen Betreibung zwischen Eheleuten
hervorgegangen, nichtig sei und daher keine gültige Legitimation zur
Anfechtungsklage gemäss Art. 285 Ziff. 1 SchKG bilden könne.

    D.- Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung der
Klägerin mit dem Antrag, es sei der Kaufvertrag vom 3. Mai 1950 ungültig
zu erklären und der Beklagte zu verpflichten, die betreibungsamtliche
Pfändung und Verwertung der Kaufliegenschaft seitens der Klägerin im
Umfang ihrer Forderung von Fr. 28 743.70 zu dulden, wobei

    a) der Beklagte berechtigt sei, sich im Umfange seiner ausgewiesenen
wertvermehrenden Investitionen bis zum 20. Juli 1951, dem Tage der
Klageeinleitung, vorgängig der Klägerin am Pfändungserlös zu beteiligen,

    b) ein eventueller Verwertungsüberschuss dem Beklagten zufalle;

    event. sei die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Zur Begründung wird ausgeführt, nach Art. 173 ZGB hätte allerdings
die Betreibung der Klägerin gegen ihren Ehemann nicht durchgeführt
werden dürfen. Dies sei nun aber trotzdem geschehen, und das mit dem
Verlustschein vom 18. Juli 1951 abgeschlossene Betreibungsverfahren
sei bis heute nie angefochten worden; da die Betreibung erledigt
sei, sei eine Beschwerde auf Rückgängigmachung bezw. Aufhebung der
Betreibung oder eines einzelnen Betreibungsaktes, so des Verlustscheins,
nach der Rechtsprechung nicht mehr zulässig. Somit dürfe auch in einem
Anfechtungsprozess der die Aktivlegitimation begründende Verlustschein
nicht mehr in Frage gestellt werden (BGE 70 IV 76). Wenn sich der Beklagte
aber formell noch auf die Ungültigkeit des Verlustscheins berufen könnte,
wäre diese Einrede rechtsmissbräuchlich. Der Beklagte habe offensichtlich
eine Benachteiligungshandlung im Sinne von Art. 288 SchKG vorgenommen,
aber bis zum Urteil der 1. Instanz geglaubt, man könne ihm dies nicht
nachweisen; erst als er sich überführt gesehen habe, sei er auf den Ausweg
der Anfechtung des Verlustscheins verfallen. Auch der betriebene Ehemann
habe die Betreibung ohne Widerspruch geduldet. Der Anfechtungsbeklagte
sei, als an der Betreibung nicht beteiligt, zur Geltendmachung der
Ungültigkeit des Verlustscheins überhaupt nicht legitimiert. Wollte man
dies aber noch bejahen, so wäre die Einrede unbegründet. Das Gesetz -
Art. 176 Abs. 1 ZGB - weise eine Lücke auf, indem der hier vorliegende
Fall, wo die Sicherstellung des Frauengutes vom Ehemann zwar verweigert,
jedoch eine vertragliche Gütertrennung durchgeführt worden sei, bezüglich
der Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung nicht geregelt sei. Wollte man
diese der Frau nach dem Wortlaut von Art. 176 Abs. 1 versagen, so stände
sie schutzlos da. Es müsse daher kraft Art. 1 ZGB eine Ausnahme vom Verbot
der Zwangsvollstreckung gemacht werden.

    E.- Der Berufungsbeklagte beantragt Abweisung der Berufung,
event. Nichteintreten auf den Berufungsantrag 2 betr. Gutheissung der
Klage.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Durch die Vorweisung eines Verlustscheins wird grundsätzlich die
Legitimation des Titulars desselben zur Anfechtungsklage gemäss Art. 285
SchKG ohne weiteres erstellt, und es können dagegen vor dem Zivilrichter
keine Einwendungen hinsichtlich der betreibungsrechtlichen Rechtmässigkeit
des Titels vorgebracht werden, ausser wenn es sich geradezu um Nichtigkeit
des Verlustscheins handelt (JAEGER, zu Art. 285 N. 3 A). Über diese
Frage kann der Zivilrichter, als über einen Präjudizialpunkt im
Anfechtungsprozess, selbständig befinden. Er kann die Nichtigkeit des
Verlustscheins bejahen, ohne dass dieser oder die ganze ihm zu Grunde
liegende Betreibung durch die Aufsichtsbehörden, sei es auf Beschwerde oder
von Amtes wegen, nichtig erklärt oder aufgehoben worden ist. Anderseits
kann der Zivilrichter einen Verlustschein nicht formell nichtig erklären
oder kassieren, sondern lediglich als nichtig, also rechtlich gar nicht
existierend und wirkungslos, behandeln, und zwar auch dann, wenn die
Aufsichtsbehörden selbst - nach der Praxis - weder die nichtige Betreibung
als Ganzes noch den mit demselben Mangel behafteten Verlustschein mehr
aufheben könnten, weil jene abgeschlossen ist (BGE 44 III 196, 70 IV 76).

    Der Anfechtungsbeklagte, obwohl an der Betreibung nicht beteiligt,
ist legitimiert, die Nichtigkeit des Verlustscheins geltend zu machen,
da es sich hiebei um eine absolute, gegenüber jedermann geltende und von
Amtes wegen zu berücksichtigende Einredetatsache handelt.

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Falle ist unbestritten, dass die Betreibung
der Klägerin gegen ihren Ehemann während bestehender Ehe stattgefunden
hat. Sie war also gemäss Art. 173 ZGB nur zulässig, wenn es sich um
einen der vom Gesetze bezeichneten Ausnahmefälle handelt. In Betracht
kommt einzig Art. 176 Abs. 1, wonach "zur Durchführung der durch Gesetz
oder Urteil angeordneten Gütertrennung" die Zwangsvollstreckung ohne
Beschränkung zulässig ist. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung fällt
die Betreibung der Klägerin gegen ihren Ehemann, die in Durchführung
der durch Ehevertrag vereinbarten Gütertrennung erfolgte, nicht
darunter. Betreibung zu diesem Zwecke ist nur unter den besonderen
Voraussetzungen von Art. 174/75 ZGB zulässig. Das Bundesgericht
hat Art. 176 Abs. 1 immer dahin ausgelegt, dass die Beschränkung der
Ausnahme vom Betreibungsverbot auf die Durchführung der gesetzlichen
oder richterlichen Gütertrennung bewusst gewollt ist, also die Betreibung
zufolge ehevertraglicher Gütertrennung unter das Verbot des Art. 173 fällt
(BGE 42 III 382 f. [II. Zivilabteilung]; 42 III 351 [SchKK]). Es hat
die Frage neuerdings, mit Bezug auf Art. 176 Abs. 1 und 2, auch unter
dem Gesichtspunkt der Möglichkeit eines Versehens der Gesetzesredaktion
geprüft, diese Annahme jedoch mit aller Entschiedenheit und einlässlicher
Begründung abgelehnt (BGE 77 III 51). Ist mithin die Unterscheidung vom
Gesetze gewollt, so kann, entgegen der Behauptung der Klägerin, von einer
Gesetzeslücke keine Rede sein. Zu Unrecht beruft sich jene hiefür auf
BGE 40 III 9, wo das Bundesgericht die Einbeziehung der Betreibung auf
Sicherstellung des Frauengutes in die Ausnahmefälle der Art. 174-176 ZGB
allenfalls dann zulässig erklärte, "wenn das Gesetz an die Verweigerung der
Sicherheitsleistung durch den Mann überhaupt keine Rechtsfolgen knüpfte,
die Frau also ohne Betreibung auf Sicherstellung überhaupt kein Mittel
hätte, um sich Schutz für ihre Ansprüche zu verschaffen", was aber nicht
der Fall sei. Im vorliegenden Falle hätte die Klägerin, nachdem der
Ehemann ihrem Verlangen nach Sicherheitsleistung für das Frauengut nicht
nachkam, das vom Gesetze für diese Situation vorgesehene Mittel ergreifen,
nämlich gemäss Art. 183 Ziff. 2 die richterliche Gütertrennung verlangen
sollen, für deren Durchführung ihr dann gemäss Art. 176 Abs. 1 die
Betreibung zu Gebote stand. Dieses Zwangsmittels begab sie sich allerdings,
indem sie sich mit vertraglicher Gütertrennung begnügte. Der Umstand,
dass die Ehefrau in dieser Situation auf die Handhaben gemäss Art. 174/75
beschränkt ist, rechtfertigt es nicht, sie im Sinne des zit. Entscheides
als schutzlos zu bezeichnen und Art. 176 Abs. 1 abweichend von seinem
Wortlaut auszulegen.

Erwägung 3

    3.- Das Verbot der Betreibung unter Ehegatten gemäss Art. 173 ZGB ist
im öffentlichen Interesse erlassen worden (vergl. ZbJV 90, S. 458; LEMP,
Komm., N. 1 und 17 zu Art. 173), eine in Verletzung desselben erfolgte
Betreibung daher schlechthin nichtig (BGE 40 III 8, 42 III 352, 44 III
114 Erw. 1), ebenso jeder einzelne in derselben ergangene Betreibungsakt,
auch der ausgestellte Verlustschein. Wenn in dem von der Berufungsklägerin
angerufenen Entscheide (BGE 70 IV 76) der Kassationshof den in einer
nichtigen, also rechtlich gar nicht existierenden Betreibung ausgestellten
Verlustschein als trotzdem "heute zu Recht bestehend" bezeichnete, so
geschah dies unter Hinweis auf BGE 44 III 196, wo die Aufsichtsbehörde
die Aufhebung eines Verlustscheins aus nichtiger Betreibung ablehnte,
weil diese erledigt sei, und mit der Bemerkung, dass der weiterbestehende
Verlustschein an der Nichtigkeit der Betreibung nichts ändere. Es kann
daraus keineswegs abgeleitet werden, dass einem solchen Verlustschein
noch irgendwelche Rechtswirkungen zukommen könnten. Zudem handelte es
sich bei den beiden Präjudizien um Nichtigkeit der Betreibung wegen
Verletzung von Art. 47 bezw. 40 Abs. 2 SchKG, nicht von Art. 173
ZGB. In einem Falle von Nichtigkeit der Betreibung aus letzterem Grunde
hat jedenfalls die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer den Entscheid
einer kantonalen Aufsichtsbehörde bestätigt, welche die abgeschlossene
Betreibung als Ganzes (dans son ensemble) einschliesslich des in ihrem
Verlaufe erfolgten Freihandverkaufs des Pfändungsgutes annullierte
(Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 28. Juni
1935 i.S. Hari, n. p.). Hinderte der Umstand, dass die Betreibung
abgeschlossen war, die Aufsichtsbehörde nicht, diese Konsequenz aus
deren Nichtigkeit zu ziehen, so erscheint übrigens fraglich, ob es
gemäss der vom Kassationshof zit. Praxis richtig ist, mit Bezug auf einen
Verlustschein die Annullierung abzulehnen, da doch nicht zweifelhaft ist,
dass ihm keinerlei rechtliche Wirkungen mehr zukommen dürfen; und wäre es
auch nur, um seiner Benutzung als untauglichen Legitimationstitels zur
Anfechtungsklage vorzubeugen. Jedenfalls könnten die Aufsichtsbehörden
trotz abgeschlossenem Betreibungsverfahren eine nachträgliche Korrektur
in dem Sinne nicht ablehnen, dass der Eintrag im Betreibungsbuch über
die Erledigung der Betreibung durch Verlustschein beseitigt werden muss;
denn der Betriebene darf dort nicht als erfolglos betrieben figurieren,
wenn die Betreibung nichtig war.

    Der Umstand, dass die Eheleute Derungs schon vor dem Urteil
der 1. Instanz geschieden worden sind und daher nunmehr Art. 173
ZGB einer Betreibung nicht mehr entgegenstand, mag diesen Ausgang des
Anfechtungsprozesses unbefriedigend erscheinen lassen, ändert aber nichts
daran, dass der der Klage zu Grunde gelegte Verlustschein vom 18. Juli 1951
nichtig und daher als Legitimationstitel nach Art. 285 SchKG untauglich ist
(BGE 77 III 55 i. f.). Die Klägerin kann jetzt die Betreibung wiederholen
und, falls sie wieder mit einem Verlustschein endet, gestützt auf diesen
eine neue Anfechtungsklage anheben.

    Darin endlich, dass der Beklagte die Einwendung der Nichtigkeit
des Verlustscheins erst vor 2. Instanz erhoben habe, kann entgegen
der Behauptung der Berufung keinesfalls ein Rechtsmissbrauch erblickt
werden. Der Beklagte ist berechtigt, im Prozess alle seiner Sache
dienlichen Rechtsstandpunkte zu vertreten. Die Aktivlegitimation ist
eine Klagevoraussetzung; die Klägerin muss sie nachweisen und der
Beklagte kann sie bestreiten. Bis zu welchem Prozessstadium letzteres
noch gültig geschehen kann, bestimmt das kantonale Prozessrecht. Die
Nichtigkeit des Verlustscheins ist übrigens eine vom Richter von Amtes
wegen zu beachtende, rein rechtliche Tatsache, die auch das Bundesgericht
noch zu berücksichtigen hätte, wenn sie der Anfechtungsbeklagte und die
Vorinstanzen übersehen hätten.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Zug vom 29. Juni 1954 bestätigt.