Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 III 114



80 III 114

25. Entscheid vom 25. September 1954 i.S. Burkhardt. Regeste

    Widerspruchsverfahren, Verteilung der Parteirollen (Art. 106-109
SchKG).

    Massgebend ist der Gewahrsam im Zeitpunkt der Pfändung.

Sachverhalt

    A.- Der vom Betreibungsamt Mauensee am 22. Februar 1954 beim Schuldner
Lustenberger gepfändete Radioapparat befand sich, als er verwertet werden
sollte, nicht mehr dort. Der Schuldner hatte ihn, angeblich zur Kontrolle
der Batterien, dem Verkäufer Burkhardt in Zürich zugesandt. Burkhardt
verweigerte die Herausgabe mit Berufung auf ein Retentionsrecht für den
noch ausstehenden Kaufpreis und für die Kosten von Reparaturarbeiten.
Darüber sei ein Widerspruchsverfahren nach Art. 109 SchKG durchzuführen,
und die Verwertung habe dann in Zürich, wo sich der Apparat jetzt befinde,
stattzufinden.

    B.- Das Betreibungsamt hielt ein Widerspruchsverfahren für unnötig und
beharrte auf der in Mauensee durchzuführenden Verwertung. Auf Beschwerde
des Burkhardt ordnete die untere Aufsichtsbehörde ein Widerspruchsverfahren
an, jedoch nach Art. 106/7 SchKG mit Klägerrolle des Drittansprechers;
über den Ort der Verwertung sei noch nicht zu verfügen. Demgegenüber
hielt Burkhardt daran fest, dass ihm die Beklagtenrolle nach Art. 109
SchKG zukomme. In gleichem Sinne zieht er den seinen Rekurs abweisenden
Entscheid der obern kantonalen Aufsichtsbehörde vom 27. August 1954
an das Bundesgericht weiter. Er erklärt, den Apparat anfangs März
ohne Kenntnis von der Pfändung erhalten und von der Pfändung erst am
18. gl. Mts. erfahren zu haben. Somit habe er das Retentionsrecht in
gutem Glauben erworben.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

    Bei der Pfändung vom 22. Februar 1954 hatte der Schuldner den
ausschliesslichen Gewahrsam, während sich der gepfändete Radioapparat
nun seit anfangs März beim Rekurrenten befindet. Der angefochtene
Entscheid hält für das Widerspruchsverfahren ein- für allemal die
Gewahrsamsverhältnisse für massgebend, wie sie zur Zeit der Pfändung
der streitigen Sache vorlagen. Dahin geht denn auch die ständige
Rechtsprechung (Archiv 2 Nr. 82; BGE 28 I 407/8 und 32 I 759 = Sep.-Ausg. 5
S. 257/8 und 9 S. 341; ferner BGE 47 III 6 und 58 III 183/4), was in der
Lehre allgemein gebilligt wird (JAEGER, N. 1 am Ende zu Art. 106 SchKG;
BLUMENSTEIN, Handbuch 387 mit Fussnote 13; FRITZSCHE, Schuldbetreibung,
Konkurs und Sanierung I 196 unten und 198 oben). Der Rekurrent findet,
das stehe nicht im Einklang mit der nach materiellem Rechte zu seinen
Gunsten bestehenden Vermutung des gutgläubigen Erwerbes des geltend
gemachten dinglichen Rechtes. Allein es wurde schon in BGE 58 III 183/4
darauf hingewiesen, dass die Klägerrolle den Drittansprecher keineswegs
hindert, sich im Prozesse dann auf Rechtsvermutungen zu berufen. Diese
bestehen (mit der ihnen nach materiellem Rechte zukommenden Tragweite und
den ihnen gegebenen Schranken, vgl. BGE 76 II 344) ganz unabhängig von der
Parteirolle, in der ein Ansprecher auftritt. Gewiss knüpfen die Art. 106
- 109 SchKG ihrerseits an den Gewahrsam als ein äusseres Moment an, das
einen gewissen Schein des geltend gemachten Rechtes bietet. Weder soll
aber damit der materiellen Entscheidung irgendwie vorgegriffen werden,
noch lässt sich dem Gesetz ein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass bei
Veränderungen des Gewahrsams nach der Pfändung die bei deren Vornahme
festgestellte Sachlage nicht mehr für die nach Art. 106 - 109 SchKG zu
treffenden Verfügungen massgebend sein soll. Schliesst die Pfändung zwar
nicht wie der Konkurs (Art. 204 SchKG) einen nachträglichen Rechtserwerb
durch gutgläubige Dritte aus (Art. 96 Abs. 2 Sch KG), so zwingt doch nichts
dazu, diesem Umstand einen Einfluss auf die Verteilung der Parteirollen
zuzugestehen. Vielmehr hat es füglich dabei zu bleiben, dass bei Anwendung
der Art. 106 - 109 SchKG vom Gewahrsam, wie er bei der Pfändung vorlag,
auszugehen ist, entsprechend dem Wortlaut von Art. 106 und dem natürlich
in gleichem Sinne zu verstehenden Art. 109. Diese Bestimmungen fassen
den Gewahrsam ins Auge, wie er sich bei der Pfändung vorfindet; dass
davon bei späterer Veränderung des Gewahrsams abzuweichen sei, ist nicht
vorgesehen. Für diesen Fall eine Gesetzeslücke anzunehmen und gemäss
der Ansicht des Rekurrenten auszufüllen, besteht keine hinreichende
Veranlassung. Die Regel, wonach das Widerspruchsverfahren ohne Rücksicht
auf unbefugte Verfügungen des Schuldners über gepfändete Sachen,
gemäss der bei der Pfändung gegebenen Gewahrsamslage einzuleiten sei,
ist einfach zu handhaben. Ginge man davon ab, so wäre das Betreibungsamt
mitunter vor heikle Fragen gestellt (so etwa, auf welchen Zeitpunkt es bei
mehrmaligem Gewahrsamswechsel seit der Pfändung ankomme, zumal wenn sich
noch Mittelsmänner eingeschaltet haben). Es wäre nicht gerechtfertigt,
die Parteirollenverteilung derart schwierig zu gestalten. Die bisherige
Praxis verdient auch deshalb den Vorzug, weil unbefugte Verfügungen
des Schuldners über gepfändete Sachen oftmals im Einverständnis mit dem
Empfänger geschehen, den Betreibungsbehörden aber verwehrt wäre, über
dessen guten oder bösen Glauben zu befinden (und den dafür massgebenden
Zeitpunkt zu bestimmen, was auch im vorliegenden Fall eine Rolle spielt, da
der Rekurrent die Forderung für Reparaturkosten mit dem dafür in Anspruch
genommenen Nebenrecht nicht wohl schon beim Empfang der Sache erworben
haben kann). Aus diesen Gründen ist das Widerspruchsverfahren um Sachen,
die sich bei der Pfändung im ausschliesslichen Gewahrsam des Schuldners
befunden haben, in allen Fällen nach Art. 106/107 SchKG einzuleiten.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.