Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 80 III 103



80 III 103

22. Entscheid vom 6. November 1954 i. S. Hartmann. Regeste

    Betreibungsferien und Fristen (Art. 63 SchKG).  Verlängerung der
während der Betreibungsferien zu Ende gehenden Fristen im Falle, dass
der letzte Tag der Ferien ein Sonn- oder Feiertag ist. Art. 31 Abs. 3
SchKG ist auf die Betreibungsferien nicht anwendbar. Verlängerung bis
zum dritten Werktag nach Ende der Ferien.

Sachverhalt

    Den ihr am 13. September 1954 zugestellten Entscheid der untern
Aufsichtsbehörde über ihre Beschwerde gegen das Betreibungsamt
Lenzburg betreffend Verwertung ihres Anteils an einer Erbschaft
zog Frau Hartmann am 30. September 1954 an die obere kantonale
Aufsichtsbehörde weiter. Diese ist auf den Rekurs wegen Verspätung nicht
eingetreten. Hiegegen rekurriert Frau Hartmann an das Bundesgericht mit
dem Antrag, die Sache sei zur materiellen Behandlung ihrer Beschwerde
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie macht geltend, der Entscheid der
untern Aufsichtsbehörde stelle eine Rechtsverweigerung dar, sodass seine
Weiterziehung an keine Frist gebunden sei. Im übrigen sei die lotägige
Frist eingehalten worden. Da der letzte Tag der bis zum 26. September
1954 dauernden Bettags-Betreibungsferien ein Sonntag gewesen sei, seien
die Ferien erst am Montag, dem 27. September 1954, zu Ende gegangen. Nach
Art. 63 SchKG sei also die Frist bis zum 30. September 1954 verlängert
worden. In BGE 47 III Nr. 3 habe das Bundesgericht entschieden, eine
durch die Weihnachts-Betreibungsferien verlängerte Frist ende am 5. Januar.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Dass im Entscheid der untern Aufsichtsbehörde keine
Rechtsverweigerung lag, hat die Vorinstanz mit zutreffenden Erwägungen
dargetan. Jener Entscheid konnte daher nur binnen der lotägigen Frist
von Art. 18 SchKG weitergezogen werden.

Erwägung 2

    2.- Diese Frist lief, da jener Entscheid am 13. September 1954
zugestellt worden war, bis zum 23. September 1954. Ihr Ende fiel also
in die Bettags-Betreibungsferien, die vom 12. bis zum 26. September
1954 dauerten. Folglich kommt Art. 63 SchKG zur Anwendung, wonach
im Falle, dass das Ende einer Frist in die Zeit der Ferien oder des
Rechtsstillstandes fällt, die Frist bis zum dritten Tage nach dem Ende
der Ferienzeit oder des Rechtsstillstandes verlängert wird. Der dritte
Tag nach dem Ende der Ferien war der 29. September 1954. An diesem Tage
lief also nach Art. 63 die Weiterziehungsfrist ab.

    JAEGER hat in seinem Kommentar (N. 7 zu Art. 63 SchKG) freilich gesagt,
er neige zur Ansicht, dass dann, wenn das Ende des Rechtsstillstandes
oder der Ferien auf einen Sonn- oder Feiertag falle, die Ferien bezw. der
Rechtsstillstand erst mit dem folgenden Tage schliessen (Art. 31 Abs. 3
SchKG); das Gesetz habe noch volle drei Tage zugeben wollen. Im III.
Ergänzungsband (Schuldbetreibungs- und Konkurspraxis der Jahre 1920-1926)
bemerkte er an der gleichen Stelle unter Hinweis auf BGE 47 III Nr. 3,
wenn das Ende des Rechtsstillstandes oder der Ferien auf einen Sonn- oder
Feiertag falle, so werde die Frist (gemeint wohl: der Rechtsstillstand
bezw. die Ferienzeit) bis zum folgenden Werktag verlängert; die im
Kommentar vertretene Auffassung, dass das Gesetz die Frist um volle drei
Tage verlängern wollte, sei nun vom Bundesgericht im eben erwähnten
Entscheide sanktioniert worden. Die gleiche Bemerkung findet sich in
JAEGER/DAENIKER, Schuldbetreibungs- und Konkurspraxis der Jahre 1911-1945.

    Aus Art. 31 Abs. 3 SchKG lässt sich jedoch nicht ableiten, dass
die Betreibungsferien oder der Rechtsstillstand, wenn ihr letzter
Tag ein Sonn- oder Feiertag ist, erst am darauf folgenden Werktag
enden. Art. 31 SchKG gilt nur für Fristen, d.h. Zeitabschnitte, innert
welcher eine am Verfahren beteiligte Person eine bestimmte Vorkehr zu
treffen hat. Rechtsstillstand und Betreibungsferien sind etwas ganz
anderes, nämlich Zeiträume, innert welcher Betreibungshandlungen nicht
vorgenommen werden dürfen. Die Vorschriften, die im Interesse desjenigen,
der eine Frist zu wahren hat, eine Verschiebung des Fristbeginns oder
-ablaufs vorsehen, lassen sich daher auf die Betreibungsferien und den
Rechtsstillstand nicht anwenden. JAEGER nimmt denn auch selber nicht
an, dass die Betreibungsferien im Hinblick auf Art. 31 Abs. 1 SchKG
erst sechs (statt sieben) Tage vor dem betreffenden Fest zu wirken
beginnen. Ebensowenig dürfte er der Meinung gewesen sein, dass dann,
wenn der letzte Tag einer Betreibungsferienzeit auf einen Sonntag fällt,
Betreibungshandlungen am darauf folgenden Montag ausgeschlossen seien.
Umsoweniger lässt sich seine Auffassung rechtfertigen, dass bei der
Anwendung von Art. 63 SchKG in einem solchen Falle der Montag noch zu
den Betreibungsferien zu rechnen sei.

    Auf BGE 47 III Nr. 3 berufen sich JAEGER und die Rekurrentin zu
Unrecht. Damals hat das Bundesgericht lediglich entschieden, Art. 63
SchKG sei entsprechend dem französischen Texte dahin zu verstehen, dass
eine während der Betreibungsferien ablaufende Frist bis zum dritten
Werktage (nicht einfach bis zum dritten Tage) nach Ende der Ferienzeit
verlängert werde. Der 1. Januar 1921, an dem die damals in Frage stehenden
Weihnachts-Betreibungsferien endigten, war (was aus jenem Entscheide
nicht ersichtlich ist) ein Samstag. Der 5. Januar (Mittwoch), an dem
der damalige Rekurrent gegen den ihm am 17. Dezember 1920 zugestellten
Zahlungsbefehl Rechtsvorschlag erhob, war also der dritte Werktag nach
Ende der Betreibungsferien. Allein aus diesem Grunde hat das Bundesgericht
den Rechtsvorschlag als rechtzeitig erklärt. Im vorliegenden Falle war
der 29. September 1954 nicht nur der dritte Tag, sondern auch der dritte
Werktag nach Ferienende. Auch bei Anwendung des in BGE 47 III Nr. 3
ausgesprochenen Grundsatzes, an dem festzuhalten ist, erweist sich die
Weiterziehung an die obere kantonale Aufsichtsbehörde somit als verspätet.

    Die Annahme JAEGERS, dass das Gesetz in Art. 63 SchKG noch "volle"
drei Tage habe zugeben wollen, ist eine blosse Vermutung. Im übrigen ist
das Postulat JAEGERS heute auch dann verwirklicht, wenn man die Nachfrist
von Art. 63 so berechnet, wie die Vorinstanz es getan hat; denn Art. 31
Abs. 4 SchKG, der bestimmte, dass die Fristen am letzten Tage abends
6 Uhr ablaufen, ist durch Art. 169 OG aufgehoben worden. Schon deshalb
kann die erwähnte Annahme JAEGERS keinen Grund mehr dafür bilden, über
den Entscheid BGE 47 III Nr. 3 und damit über den klaren Wortlaut von
Art.63 SchKG hinauszugehen.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.