Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 V 473



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Urteilskopf

139 V 473

61. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S.
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen Erben des V. (Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_1038/2012 vom 18. Juli 2013

Regeste

Art. 15 Abs. 2 und 3 UVG; Art. 24 Abs. 1 UVV.
Erzielte der Versicherte im Jahr vor dem Unfall nicht aus krankheitsbedingten
vorübergehenden Gründen ein reduziertes Einkommen, sondern weil er
invaliditätsbedingt dauernd nur teilzeitlich, aber mit regelmässigem Lohn
erwerbstätig sein konnte, berechnet sich der versicherte Verdienst nach Art. 15
Abs. 2 UVG und nicht nach Art. 24 Abs. 1 UVV, auch wenn er (noch) keine Rente
der Invalidenversicherung bezog (E. 4).

Art. 31 Abs. 4 und 5 UVG; Art. 43 Abs. 1 und 4 UVV.
Die Komplementärrenten der Hinterlassenen berechnen sich ohne Berücksichtigung
der Invalidenrente des Verstorbenen (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 474

BGE 139 V 473 S. 474

A. V., geboren 1958, war seit dem 26. Januar 2009 bei der Stadt Y. zu 60 % als
Betriebsmitarbeiter tätig und damit bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch unfallversichert. Unter Hinweis
auf eine psychische Erkrankung meldete er sich am 18. Februar 2010 bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Am 6. August 2010 erlitt er bei
einem Verkehrsunfall tödliche Verletzungen.
Gemäss Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons Zürich vom 5. Oktober 2010
stehen den Hinterlassenen eine Witwen- beziehungsweise Waisenrenten der Alters-
und Hinterlassenenversicherung (AHV) im Betrag von Fr. 1'804.- pro Monat zu.
Die IV-Stelle des Kantons Zürich sprach V. mit Verfügung vom 12. Mai 2011 für
den Monat August 2010 eine halbe Invalidenrente (nebst Kinderrenten) in der
Höhe von Fr. 874.- zu.
Die SUVA anerkannte mit Verfügung vom 8. März 2011 den grundsätzlichen Anspruch
der Ehegattin und der Kinder des Verstorbenen auf Hinterlassenenrenten nach
UVG. Aufgrund einer Komplementärrentenberechnung, der ein versicherter
Verdienst von Fr. 19'320.- zu Grunde lag, wurde indessen keine Rente gewährt.
Eine gegen diese Verfügung erhobene Einsprache wies die SUVA mit Entscheid vom
11. Juli 2011 ab.

B. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 8. November 2012 in dem Sinne gut, als es den
Leistungsanspruch der Beschwerde führenden Hinterlassenen auf der Basis eines
versicherten Verdienstes von Fr. 48'059.- festlegte und die Sache an die SUVA
zum Erlass entsprechender Verfügungen zurückwies.

C. Die SUVA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt, der Entscheid des kantonalen Gerichts sei aufzuheben und der
Einspracheentscheid vom 11. Juli 2011 sei zu bestätigen.
Die Beschwerdegegner beantragen Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei, während die Vorinstanz und das Bundesamt für Gesundheit auf
eine Vernehmlassung verzichten.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Streitig und zu prüfen ist der versicherte Verdienst, welcher den
UVG-Hinterlassenenrenten der Beschwerdegegner zugrunde liegt.
BGE 139 V 473 S. 475

3.1 Die Renten werden gemäss Art. 15 Abs. 1 UVG nach dem versicherten Verdienst
bemessen. In Anwendung von Art. 15 Abs. 2 UVG gilt für die Bemessung der Rente
grundsätzlich der innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezogene Lohn als
versicherter Verdienst. Massgebend für diesen Verdienst sind die tatsächlichen
Lohnbezüge und nicht davon allenfalls abweichende vertragliche Abmachungen
(vgl. zur Ermittlung des versicherten Verdienstes in der
Arbeitslosenversicherung: BGE 131 V 444 E. 3.2.1 S. 450; BGE 128 V 189 E. 3a/aa
S. 190 mit Hinweisen; in der beruflichen Vorsorge: SVR 2007 BVG Nr. 43 S. 154,
B 67/06 E. 3 und 4). Anders als bei der Festsetzung des für die
Invaliditätsbemessung massgebenden Valideneinkommens (Art. 16 ATSG [SR 830.1];
BGE 117 V 8 E. 2c/aa S. 18) ist grundsätzlich unerheblich, ob und
gegebenenfalls inwieweit der bezogene Lohn eine Sozialkomponente enthält.

3.2 In Art. 24 UVV (SR 832.202) hat der Bundesrat gestützt auf Art. 15 Abs. 3
UVG Bestimmungen über den massgebenden Lohn für Renten in Sonderfällen
erlassen. Gemäss Abs. 1 der Bestimmung wird der versicherte Verdienst nach dem
Lohn festgesetzt, den der Versicherte ohne Militärdienst, Zivildienst,
Zivilschutzdienst, Unfall, Krankheit, Mutterschaft, Arbeitslosigkeit oder
Kurzarbeit erzielt hätte, wenn er im Jahr vor dem Unfall aus einem dieser
Gründe einen verminderten Lohn bezogen hat. Beginnt die Rente mehr als fünf
Jahre nach dem Unfall oder dem Ausbruch der Berufskrankheit, ist gemäss Abs. 2
der Lohn massgebend, den der Versicherte ohne den Unfall oder die
Berufskrankheit im Jahre vor dem Rentenbeginn bezogen hätte, sofern er höher
ist als der letzte vor dem Unfall oder dem Ausbruch der Berufskrankheit
erzielte Lohn. Bezog der Versicherte sodann wegen beruflicher Ausbildung am
Tage des Unfalles nicht den Lohn eines Versicherten mit voller
Leistungsfähigkeit derselben Berufsart, wird gemäss Abs. 3 der versicherte
Verdienst von dem Zeitpunkt an, da er die Ausbildung abgeschlossen hätte, nach
dem Lohn festgesetzt, den er im Jahr vor dem Unfall als voll Leistungsfähiger
erzielt hätte. Erleidet schliesslich der Bezüger einer Invalidenrente einen
weiteren versicherten Unfall, der zu einer höheren Invalidität führt, ist
gemäss Abs. 4 für die neue Rente aus beiden Unfällen der Lohn massgebend, den
der Versicherte im Jahre vor dem letzten Unfall bezogen hätte, wenn früher kein
versicherter Unfall eingetreten wäre. Ist dieser Lohn kleiner als der vor dem
ersten versicherten Unfall bezogene Lohn, so ist der höhere Lohn massgebend.
BGE 139 V 473 S. 476

3.3 Die SUVA hat den versicherten Verdienst gestützt auf den vom Verstorbenen
innerhalb des Jahres vor dem Unfall erzielten Bruttolohn von Fr. 19'320.-
festgelegt, den dieser bei der Stadt Y. auf der Basis eines 60 %-Pensums
erzielt hatte.
Demgegenüber berechnete die Vorinstanz den versicherten Verdienst in Anwendung
der Spezialbestimmung von Art. 24 Abs. 1 UVV. Der Verstorbene habe im Jahr vor
dem Unfall krankheitshalber einen verminderten Verdienst erzielt, weshalb als
Basis auf das Jahreseinkommen zu einem früheren Zeitpunkt, in dem er noch voll
erwerbstätig gewesen war, abzustellen sei.

4.

4.1 Massgebendes Kriterium für die Anwendung der Sonderregel von Art. 24 Abs. 1
UVV ist, ob der versicherte Verdienst im Jahr vor dem Unfall aus einem der in
dieser Bestimmung genannten Gründe nicht "normal" war (BGE 122 V 100 E. 5b S.
101). Entscheidend ist, dass er eine "Lohnlücke" (ALFRED MAURER,
Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 1985, S. 330) aufweist, die im
Normalfall im Jahr vor dem Unfall nicht eingetreten wäre. FRÉSARD/MOSER-SZELESS
sprechen von einer "Diminution provisoire du revenu", also von einer
vorübergehenden Lohneinbusse (L'assurance-accidents obligatoire, in: Soziale
Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 889 Rz. 134). War die versicherte
Person schon vor dem Unfall wegen Krankheit oder wegen eines Unfalles in der
Erwerbsfähigkeit eingeschränkt und bezieht sie deswegen eine Rente, berechnet
sich der versicherte Verdienst daher nicht nach der Spezialbestimmung von Art.
24 Abs. 1 UVV (BGE 122 V 100 E. 5c S. 102; vgl. auch RUMO-JUNGO/HOLZER,
Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, in:
Bundesgesetz über die Unfallversicherung, Murer/Stauffer [Hrsg.], 4. Aufl.
2012, S. 117). Diese Rechtsprechung hat das Bundesgericht verschiedentlich
bestätigt (Urteile 8C_151/2007 vom 28. Dezember 2007 E. 5.3; 8C_342/2008 vom
14. Mai 2009 E. 4).

4.2 Es steht fest und ist unbestritten, dass der Verstorbene bereits seit April
2007 zu 50 % invalid war. Eine Rente der Invalidenversicherung konnte er
allerdings wegen verspäteter Anmeldung erst ab August 2010 beziehen. Der
Auffassung des kantonalen Gerichts, wonach der Lohn im Sinne von Art. 24 Abs. 1
UVV vermindert gewesen sei, kann nicht beigepflichtet werden. Auch eine
Invalidität unter diese Bestimmung zu subsumieren, lässt sich mit ihrem
BGE 139 V 473 S. 477
Wortlaut nicht vereinbaren, werden als Sonderfälle doch ein im Jahr vor dem
Unfall verminderter Lohnbezug wegen Militärdienst, Zivildienst,
Zivilschutzdienst, Unfall, Krankheit, Mutterschaft, Arbeitslosigkeit oder
Kurzarbeit genannt. Es handelt sich bei den in Art. 24 Abs. 1 UVV genannten
Gründen um eine abschliessende Aufzählung (BGE 139 V 161). Aus der dargelegten
Rechtsprechung (BGE 122 V 100) kann nichts anderes abgeleitet werden. Das
Eidgenössische Versicherungsgericht (seit 1. Januar 2007: I. und II.
sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts) hatte erkannt, dass sich der
versicherte Verdienst, wenn der Versicherte schon vor dem Unfall wegen
Krankheit oder eines Unfalls in der Erwerbsfähigkeit eingeschränkt war und
deswegen eine Rente bezieht, nicht nach Art. 24 Abs. 1 UVV bestimmt, sondern
nach den Abs. 4 und 5 von Art. 24 UVV, wobei Abs. 4 Bezüger von Renten der
Unfallversicherung betrifft und den Sonderfall regelt, dass der Versicherte
einen weiteren Unfall erleidet, welcher zu einer höheren Invalidität führt,
Abs. 5, welcher zwischenzeitlich (per 31. Dezember 1997) aufgehoben wurde (vgl.
dazu RKUV 1998 S. 71 ff., 74 sowie 92), dagegen Invalide betraf, die keine
Rente der Unfallversicherung (wohl aber eine solche der IV) beziehen (BGE 122 V
100 E. 5c S. 102 und RKUV 1991 S. 146, U 1/90 E. 3a). Dass der Bezug einer
Rente (der Invalidenversicherung) massgebliches Kriterium für den Ausschluss
einer Anrechnung des Lohnes ohne Krankheit im Sinne von Art. 24 Abs. 1 UVV wäre
und hier die Sonderfallregelung umgekehrt zufolge des fehlenden Rentenbezuges,
dies jedoch bei unstreitiger Invalidität seit 2007, zur Anwendung gelangen
müsste, lässt sich daraus nicht schliessen. Der in der dargelegten
Rechtsprechung erwähnte Rentenbezug ist nicht als Voraussetzung für die
Nichtanwendbarkeit von Art. 24 Abs. 1 UVV, sondern vielmehr als
Begründungselement zu verstehen. In dem BGE 122 V 100 zugrunde liegenden Fall
ausschlaggebend für die Beurteilung war denn auch, dass der Versicherte während
des ganzen zu berücksichtigenden Zeitraums eines Jahres vor dem Unfall
gesundheitlich bedingt einen verminderten Lohn bezog, aber erst ab dem zwölften
Monat invalidenversicherungsrechtlich als teilerwerbstätiger Invalider zu
betrachten war (und auch eine Rente bezog), was zu einer Aufrechnung nach Art.
24 Abs. 1 UVV führte. Dass der Versicherte im vorliegenden Fall keine Rente der
Invalidenversicherung bezog, ist aus den erläuterten Gründen nicht
entscheidwesentlich, sondern vielmehr, dass er nach den Abklärungen der
Invalidenversicherung schon seit 2007 invalid war
BGE 139 V 473 S. 478
und damit ein gesundheitlicher Dauerzustand mit eingeschränkter
Erwerbsfähigkeit bestand (vgl. auch ANDRÉ PIERRE HOLZER, Der versicherte
Verdienst in der obligatorischen Unfallversicherung, SZS 2010 S. 201 ff., 223
f.). Entscheidend ist denn auch, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung
nicht im Verlauf des massgeblichen Zeitraums eines Jahres vor dem Unfall
eingetreten ist beziehungsweise zu einer Lohnlücke geführt hat, sondern bei
Stellenantritt im Januar 2009 bereits seit fast zwei Jahren bestanden hatte,
sodass es jedenfalls nicht im Verlauf dieses Zeitraums zu einer vorübergehenden
Lohneinbusse gekommen ist. Im Jahr vor dem Unfall erzielte der Versicherte
demnach nicht aus krankheitsbedingten, vorübergehenden Gründen ein reduziertes
Einkommen, sondern weil er invaliditätsbedingt dauernd nur teilzeitlich
erwerbstätig sein konnte. Massgeblich ist, dass er im Jahr vor dem tödlichen
Unfallereignis ein regelmässiges Einkommen erzielte. Der versicherte Verdienst
berechnet sich daher nach der Grundregel von Art. 15 Abs. 2 UVG anhand des
Lohnes, den er innerhalb eines Jahres vor dem Unfall bezog.

4.3 Die SUVA hat den versicherten Verdienst somit zu Recht auf Fr. 19'320.-
festgelegt.

5.

5.1 Bei diesem Ausgang stellt sich wiederum die bereits im Einsprache- wie auch
im vorinstanzlichen Verfahren und von den Beschwerdegegnern auch vor
Bundesgericht aufgeworfene Frage, ob bei der Berechnung der Komplementärrente
der Hinterlassenen (Art. 31 Abs. 4 und 5 UVG) in Anwendung von Art. 43 Abs. 4
UVV die dem Versicherten vor seinem Tod zugesprochene Rente der
Invalidenversicherung und damit nicht die volle AHV-Rente der Hinterlassenen-,
sondern nur deren Differenz zur Invalidenrente des verstorbenen Versicherten im
Sinne der genannten Bestimmung zu berücksichtigen sei.
Die SUVA hat sich dazu in ihrem Einspracheentscheid vom 11. Juli 2011 - in
welchem einzig diese Frage streitig war - dahingehend geäussert, dass die
Bestimmung von Art. 43 Abs. 4 UVV in einem Fall wie dem vorliegenden
praxisgemäss nicht anwendbar sei, habe doch nicht den Hinterlassenen selber vor
dem Unfall ein Anspruch auf Rentenleistungen der AHV oder der IV zugestanden,
sondern der verstorbene Versicherte habe eine Rente der Invalidenversicherung
bezogen. Diese Auffassung bestätigte auch die Vorinstanz.
BGE 139 V 473 S. 479

5.2 Gemäss Art. 20 Abs. 2 UVG wird dem Versicherten eine Komplementärrente
gewährt, wenn er Anspruch auf eine Rente der IV oder der AHV hat. Gleiches gilt
nach Art. 31 Abs. 4 UVG für die Hinterlassenen. Gestützt auf Art. 31 Abs. 5 UVG
regelt Art. 43 UVV die Berechnung der Komplementärrenten der Hinterlassenen.
Gemäss dessen Abs. 1 werden die Witwen-, Witwer- und Waisenrenten der AHV voll
berücksichtigt. Abs. 4 lautet wie folgt: "Wird infolge eines Unfalls eine
Hinterlassenenrente der AHV oder eine Rente der IV erhöht, beziehungsweise eine
Rente der IV durch eine Hinterlassenenrente der AHV abgelöst, so wird nur die
Differenz zur früheren Rente berücksichtigt."

5.3 In den Materialien (RKUV 1997 S. 45 ff., 53 sowie S. 63 [französische
Fassung], S. 73 [italienische Fassung]) wird Bezug genommen auf Art. 24b AHVG,
wonach, wenn eine Person gleichzeitig die Voraussetzungen für eine Witwen- oder
Witwerrente und für eine Altersrente oder für eine Rente gemäss dem IVG
erfüllt, nur die höhere Rente ausbezahlt wird. Es wird erläutert, dass infolge
des Kongruenzgrundsatzes bei der Berechnung der Komplementärrente nur die
Differenz zwischen der vorherigen und der neuen Leistung zu berücksichtigen
sei.

5.4 Die Bestimmung von Art. 43 UVV über die Berechnung der Komplementärrenten
der Hinterlassenen stellt das Pendant dar zu Art. 31 (und 32) UVV über die
Berechnung der Komplementärrente des Versicherten (vgl. die Erläuterungen des
Verordnungsgebers zu Art. 43 Abs. 1, RKUV 1997 S. 52). Art. 32 Abs. 2 UVV
betrifft die Sonderfälle, dass der Unfall der versicherten Person (1) zu einer
Erhöhung ihrer Rente der Invalidenversicherung führt, also eine bereits
invalide Person einen Unfall erleidet und es dadurch zu einer
invalidenversicherungsrechtlich rentenrelevanten Veränderung des
Invaliditätsgrades kommt, oder (2) dass ihre Hinterlassenenrente der AHV
zufolge des Unfalls durch eine Rente der Invalidenversicherung abgelöst wird,
dass also eine verwitwete Person durch einen Unfall invalid wird.
Ausschlaggebend ist in diesen Sonderfällen, dass die zufolge des Unfalls
komplementärrentenberechtigte Person schon vor diesem Ereignis eine Rente der
AHV oder IV bezogen hatte und diese, ebenfalls wegen des Unfalls, erhöht worden
ist, weil sich der Invaliditätsgrad in rentenrelevantem Ausmass geändert hat,
oder dass die zufolge des Unfalls zugesprochene Rente der IV höher ist als die
vormalige AHV-Hinterlassenenrente, und
BGE 139 V 473 S. 480
deshalb gemäss Art. 24b AHVG nur noch die höhere Rente der IV ausbezahlt wird.

5.5 Gemäss dem Wortlaut der Bestimmung von Art. 43 Abs. 4 UVV sind mit der
Normierung der Hinterlassenenrenten die Sonderfälle von Personen geregelt, die
durch den Unfall des obligatorisch Unfallversicherten verwitwet sind und
deshalb Anspruch auf eine Hinterlassenenrente der AHV haben, selber jedoch
bereits eine AHV-Altersrente oder eine Rente der Invalidenversicherung bezogen
haben. Dass der Einschub "beziehungsweise [wird] eine Rente der IV durch eine
Hinterlassenenrente der AHV abgelöst" entgegen dem sprachlichen Verständnis
(eingeschobener Beisatz) nicht als Präzisierung der vorgenannten
IV-Renten-"Erhöhung" zu verstehen wäre, sondern eine weitere Fallkonstellation
- wie die hier zu beurteilende - regeln würde, ist mit Blick auf den Willen des
Verordnungsgebers auszuschliessen.
Zunächst gelangt Art. 24b AHVG, worauf in den Materialien ausdrücklich
verwiesen wird, nur in den genannten beiden Sonderfällen von verwitweten
Personen, welche bereits AHV- oder IV-rentenberechtigt waren, zur Anwendung,
indem durch den (zufolge des Unfalls entstandenen) Anspruch auf eine
Hinterlassenenrente der AHV zwei AHV- (Hinterlassenen- und Alters-) oder eine
AHV- (Hinterlassenen-) und eine IV-Rente zusammentreffen und nur noch jeweils
die höhere Rente (AHV-Hinterlassenenrente, AHV-Altersrente oder IV-Rente)
ausbezahlt wird (gleich wie im oben E. 5.4 erwähnten Fall [2] der
Komplementärrentenberechnung beim Versicherten). Der IV-Rentenanspruch des
Versicherten hingegen erlischt mit dem Tod des Berechtigten (Art. 30 IVG) und
es treffen daher keine AHV- und IV-Rentenansprüche zusammen.
Des Weiteren bezieht sich der Verordnungsgeber auf den Grundsatz der Kongruenz.
Die gesetzliche Regelung von Art. 20 Abs. 2 UVG geht von der grundsätzlich
vollen Anrechnung der IV- und AHV-Renten aus, und zwar unabhängig davon, ob die
Renten in Zusammenhang mit dem gemäss UVG versicherten Unfall stehen
(JEAN-MAURICE FRÉSARD, Rentes complémentaires de l'assurance-accidents
obligatoire: Quelques effets indésirables de la simplicité, SVZ 60/1992 S. 287
ff., 292). Das Gesetz lässt Ausnahmen zu, wobei dem Verordnungsgeber gestützt
auf Art. 20 Abs. 3 UVG ein weiter Ermessensspielraum zusteht. Mit der auf den
1. Januar 1997 in Kraft gesetzten Änderung der Ausführungsbestimmungen über die
BGE 139 V 473 S. 481
Komplementärrenten der obligatorischen Unfallversicherung sollte nach dem
Willen des Verordnungsgebers der Grundsatz der sachlichen Kongruenz der
anrechenbaren Leistungen vermehrt berücksichtigt werden. Der Grundsatz der
Kongruenz gilt indessen nur so weit, als der Verordnungsgeber es vorsieht (BGE
130 V 39 E. 4.1 S. 43 f.). Was den vorliegenden Fall betrifft, findet sich, wie
dargelegt, keine ausdrücklich vom Prinzip der vollen Anrechnung der Witwen-,
Witwer- und Waisenrenten der AHV abweichende Regelung in einer Sondervorschrift
des Verordnungsgebers. Es ist rechtsprechungsgemäss nicht Sache des Gerichts,
den im Gesetz verankerten Grundsatz der vollen Anrechenbarkeit von AHV- und
IV-Renten durch die abweichende Normierung einer Vielzahl von Sonderfällen
auszuhöhlen, weshalb eine analoge Anwendung etwa von Art. 32 Abs. 2 UVV
(Sonderfall [1] der Komplementärrente des Versicherten bei Erhöhung seiner
Rente der Invalidenversicherung zufolge des Unfalls, vgl. oben E. 5.4)
grundsätzlich ausgeschlossen ist (BGE 130 V 39 E. 4.3 S. 45 ff.; BGE 115 V 275
E. 3b/cc S. 283 f.; Urteil 8C_460/2010 vom 4. Januar 2011 E. 3.3; FRÉSARD,
a.a.O.). In Betracht fällt dabei auch, dass bei selber bereits
AHV-Altersrenten- oder (IV-)Invalidenrentenberechtigten der gleichzeitige Bezug
einer AHV-Hinterlassenenrente gemäss Art. 24b AHVG ausgeschlossen ist und nur
noch die jeweils höhere Rente ausbezahlt wird (BGE 128 V 5 E. 2 S. 7; SVR 2011
AHV Nr. 9 S. 28, 9C_602/2010 E. 3), obwohl die zuvor schon bezogene Rente einen
eigenen, alters- oder invaliditätsbedingten Verlust der Erwerbsfähigkeit
abgedeckt hat (BGE 115 V 266 E. 2 S. 270), während die AHV-Hinterlassenenrente
dem Ausgleich des Versorgerschadens dient und auch allein auf den Beiträgen des
verstorbenen Ehegatten beruht (Art. 33 Abs. 1 AHVG; SVR 2011 AHV Nr. 1 S. 1,
9C_83/2009 E. 3.1). Im vorliegenden Fall bezog die Witwe keine AHV- oder
IV-Rente wegen alters- oder invaliditätsbedingten Verlustes ihrer eigenen
Erwerbsfähigkeit.

5.6 Zusammengefasst gelangt die Sonderregel von Art. 43 Abs. 4 UVV nicht zur
Anwendung, sondern die AHV-Hinterlassenenrenten der Beschwerdegegner sind bei
der Berechnung ihrer Komplementärrente gemäss Art. 43 Abs. 1 UVG voll zu
berücksichtigen.