Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 V 442



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Urteilskopf

139 V 442

57. Auszug aus dem Urteil der I. sozialrechtlichen Abteilung i.S. IV-Stelle
Luzern gegen E. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
8C_324/2013 vom 29. August 2013

Regeste

Lit. a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 der am 1. Januar 2012 in Kraft
getretenen Schlussbestimmungen der Änderung vom 18. März 2011 des IVG (6.
IV-Revision, erstes Massnahmenpaket); Art. 6-8 und 17 in Verbindung mit Art. 16
ATSG; Art. 8, 14a und 15 ff. IVG.
Gemäss lit. a Abs. 1 dieser Schlussbestimmungen werden Renten, die bei
pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne
nachweisbare organische Grundlage gesprochen wurden, innerhalb von drei Jahren
nach Inkrafttreten dieser Änderung überprüft. Sind die Voraussetzungen nach
Art. 7 ATSG nicht erfüllt, so wird die Rente herabgesetzt oder aufgehoben, auch
wenn die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 1 ATSG nicht erfüllt sind. Abs. 4 der
Bestimmung hält fest, dass Abs. 1 keine Anwendung findet auf Personen, die im
Zeitpunkt, in welchem die Überprüfung nach Abs. 1 eingeleitet wird, seit mehr
als 15 Jahren eine Rente der Invalidenversicherung beziehen. Dabei bildet der
Beginn des Rentenanspruchs und nicht der Zeitpunkt des Erlasses der
rentenzusprechenden Verfügung den massgeblichen Anknüpfungspunkt (E. 3 und 4).
Der Umstand, dass lit. a Abs. 4 der Schlussbestimmungen einen kategorischen
Ausschluss sämtlicher Personen vorsieht, die über 15 Jahre Rentenleistungen
bezogen haben, lässt darauf schliessen, dass allfällige
Wiedereingliederungsversuche in diesen Fällen als faktisch zwecklos angesehen
werden. Der Invaliditätsgrad, auf Grund dessen die Bezüger eine Rente erhalten,
stellt kein taugliches Kriterium dar, welches ein Abweichen vom klaren Wortlaut
erlauben würde (E. 5.1).
Ergeben sich gestützt auf die Aktenlage keine Hinweise, welche eine erhebliche
Verbesserung des Gesundheitszustandes oder veränderte anderweitige
Bemessungsfaktoren belegen, fällt eine Beurteilung der verfügten
Rentenaufhebung auch unter dem substituierten Titel der Rentenrevision nach
Art. 17 Abs. 1 ATSG ausser Betracht (E. 6).

Sachverhalt ab Seite 444

BGE 139 V 442 S. 444

A. Die 1967 geborene E. meldete sich am 17. September 1993 auf Grund der Folgen
zweier Verkehrsunfälle (9. Juni 1988: Kopfkontusion und Distorsion der
Halswirbelsäule [HWS]; 2. April 1991: Beschleunigungsmechanismus der HWS) bei
der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 27. November
/4. Dezember 1997 sprach ihr die IV-Stelle Luzern (nachfolgend: IV-Stelle)
rückwirkend ab 1. Juni 1995 eine halbe Invalidenrente zu. Unter Hinweis auf
lit. a Abs. 1 der per 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Schlussbestimmungen
der Änderung vom 18. März 2011 des IVG (6. IV-Revision, erstes Massnahmenpaket
[AS 2011 5659; BBl 2011 2723 und 2010 1817]; nachfolgend: SchlBest. IVG) wurde
die bisherige Rente am 30. Mai 2012 nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens
verfügungsweise auf 1. August 2012 eingestellt.

B. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern (heute: Kantonsgericht Luzern) mit Entscheid vom 12. März 2013 dahin
gehend gut, dass es die angefochtene Verfügung aufhob und die IV-Stelle
verpflichtete, E. weiterhin eine halbe Rente auszurichten.

C. Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
ersucht um Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids; eventualiter sei die
Angelegenheit zur materiellen Prüfung im Rahmen der Schlussbestimmungen bzw.
der substituierten Revision nach Art. 17 Abs. 1 ATSG (SR 830.1) an das
kantonale Gericht zurückzuweisen. Ferner sei dem Rechtsmittel die aufschiebende
Wirkung zu erteilen.
Das erstinstanzliche Gericht und E. schliessen auf Abweisung der Beschwerde,
Letztere soweit darauf einzutreten sei. Das Bundesamt für Sozialversicherungen
verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin weiterhin Anspruch auf
eine halbe Invalidenrente hat. Dies wird seitens der Beschwerdeführerin unter
Bezugnahme auf lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG verneint.

3.

3.1 Gemäss lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG, gültig seit 1. Januar 2012, werden
Renten, die bei pathogenetisch-ätiologisch unklaren
BGE 139 V 442 S. 445
syndromalen Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage
(nachfolgend: unklare Beschwerden; Urteil 8C_1014/2012 vom 3. Juli 2013 E.
7.2.1; vgl. auch RUMO-JUNGO/HOLZER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum
Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz über die Unfallversicherung, 4. Aufl.
2012, S. 132) gesprochen wurden, innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten
dieser Änderung überprüft. Sind die Voraussetzungen nach Art. 7 ATSG nicht
erfüllt, so wird die Rente herabgesetzt oder aufgehoben, auch wenn die
Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 1 ATSG nicht erfüllt sind. Abs. 4 der
Bestimmung präzisiert, dass Abs. 1 keine Anwendung findet auf Personen, die im
Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung das 55. Altersjahr zurückgelegt haben
oder im Zeitpunkt, in dem die Überprüfung eingeleitet wird, seit mehr als 15
Jahren eine Rente der Invalidenversicherung beziehen.

3.2 Fraglich ist auf Grund des Wortlauts von lit. a Abs. 4 SchlBest. IVG, ob
massgeblicher Anknüpfungspunkt für den Tatbestand, wonach Abs. 1 der Norm nicht
für Personen gilt, die seit mehr als 15 Jahren eine Rente der
Invalidenversicherung beziehen, der Beginn des Rentenanspruchs oder der
Zeitpunkt des Verfügungserlasses bildet.

3.2.1 Vorinstanz und Beschwerdegegnerin erachten namentlich unter Hinweis auf
die bundesrätliche Botschaft vom 24. Februar 2010 zur Änderung des
Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung (6. IV-Revision, erstes
Massnahmenpaket; BBl 2010 1817 ff.) den Beginn des Rentenanspruchs für
relevant. Darin werde festgehalten, dass in Berücksichtigung des
Gesichtspunktes der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes für Personen ab
55 Jahren sowie für solche, die seit mehr als 15 Jahren eine Rente beziehen,
eine Besitzstandsgarantie vorgesehen sei. In diesen Fällen sei eine
Wiedereingliederung faktisch ausgeschlossen, weshalb lit. a Abs. 1 der
SchlBest. IVG nicht zur Anwendung gelange. Der Erlass der Rentenverfügung könne
- so das kantonale Gericht im Weiteren -, obgleich der Leistungsanspruch erst
in diesem Zeitpunkt definitiv entstehe, für die Ausschlussklausel nicht
entscheidwesentlich sein. Vielmehr hafte diesem stets ein zufälliges und damit
willkürliches Moment an, wohingegen die effektive Dauer, während der eine
versicherte Person eine Rente beziehe und damit aus dem Arbeitsprozess
ausgeschieden sei, einen objektivierbaren Sachumstand darstelle. Dem
Kernanliegen der mit lit. a Abs. 4 SchlBest. IVG bezweckten
Besitzstandsgarantie - die Vermeidung von angesichts der Dauerhaftigkeit des
Rentenbezugs
BGE 139 V 442 S. 446
und damit der Entfremdung vom Arbeitsmarkt aussichtslosen
Eingliederungsversuchen - werde nur das Abstellen auf den Beginn des
Rentenanspruchs gerecht.

3.2.2 Die Beschwerde führende IV-Stelle bringt dagegen im Wesentlichen vor,
rein wortlauttechnisch ("... seit mehr als 15 Jahren eine Rente beziehen...")
sei zwingend vom Zeitpunkt auszugehen, ab welchem die versicherte Person eine
Rente erhalten habe (d.h. ab Verfügungszeitpunkt, mit welchem die Auszahlung
tatsächlich beginne). Auch den in der Botschaft erwähnten Aspekten der
Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes werde sodann nur mit diesem
Lösungsansatz Rechnung getragen, da erst bei Erlass der leistungszusprechenden
Verfügung der zugrunde liegende Rechtsanspruch definitiv entstanden sei. Daran
ändere in Anbetracht der unterschiedlichen Zielrichtungen der Umstand nichts,
dass das Bundesgericht sich bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von
Selbsteingliederung im Rahmen der Revision nach Art. 17 ATSG an die SchlBest.
IVG anlehne und den Anspruch auf Eingliederungsunterstützung durch die
Invalidenversicherung nach 15-jährigem Rentenbezug regelmässig - aber nicht
immer - bejahe. Während es im Falle der Revisionen nach Art. 17 ATSG darum
gehe, festzustellen, ob einer versicherten Person die sofortige Eingliederung
ohne Unterstützung der Invalidenversicherung noch zumutbar sei, beruhe die
Regelung im Rahmen der SchlBest. IVG auf dem Gedanken, dass in bestimmten
Konstellationen der Vertrauensschutz und die Rechtssicherheit derart hoch zu
gewichten seien, dass eine Aufhebung der einmal gewährten Rente selbst im
Lichte einer entsprechenden Gesetzesänderung nicht mehr opportun erscheine.
Hierfür spreche auch, dass bei Rentenaufhebungen nach Massgabe der SchlBest.
IVG alle versicherten Personen in den Genuss von Eingliederungsmassnahmen
gelangten, unabhängig von der Dauer des Bezugs von Rentenleistungen (vgl. lit.
a Abs. 2 und 3 SchlBest. IVG).

4.

4.1 Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem
Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis
einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung
hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm
darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte
Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge,
ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio
BGE 139 V 442 S. 447
legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus
und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer
hierarchischen Ordnung zu unterstellen. Insbesondere bei jüngeren Gesetzen sind
auch die Gesetzesmaterialien zu beachten, wenn sie auf die streitige Frage eine
klare Antwort geben und dem Gericht damit weiterhelfen (BGE 138 III 694 E. 2.4
S. 698; BGE 137 IV 249 E. 3.2 S. 251; BGE 137 V 369 E. 4.4.3.2 S. 371; BGE 134
II 308 E. 5.2 S. 311).

4.2

4.2.1 Lit. a Abs. 4 SchlBest. IVG sieht in der deutschsprachigen Fassung vor,
dass Abs. 1 der Norm keine Anwendung findet u.a. auf Personen, die im Zeitpunkt
der Einleitung der Überprüfung seit mehr als 15 Jahren eine Rente der
Invalidenversicherung beziehen. Der französischsprachige Gesetzestext spricht
gleichenorts von "... qui touchent une rente de l'assurance-invalidité depuis
plus de quinze ans au moment de l'ouverture de la procédure de réexamen",
während die italienische Version wie folgt lautet: "... che al momento in cui è
avviata la procedura di riesame percepiscono una rendita dell'assicurazione per
l'invalidità da oltre 15 anni". Gestützt auf den Wortlaut der Bestimmung gehen
somit sämtliche Sprachfassungen übereinstimmend von einem "beziehen" bzw.
"erhalten" der Rente aus. Ob mit diesem Bezug/Erhalt der Leistungen der
eigentliche - allenfalls rückwirkend verfügte - Anspruchsbeginn oder aber die
effektive, mittels Verfügung festgesetzte Auszahlung der Rentenbetreffnisse
gemeint ist, ergibt sich entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen
Betrachtungsweise nicht unmittelbar aus dem Wortlaut.

4.2.2

4.2.2.1 Dem historischen Auslegungselement kommt im vorliegenden Kontext, da
die betreffende Norm erst mit der 6. IV-Revision per 1. Januar 2012 in das IVG
gelangte, erhöhter Stellenwert zu und ist gleichzusetzen mit einer
geltungszeitlichen Herangehensweise (vgl. E. 4.1 hievor; BGE 136 V 216 E. 5.3.1
S. 218 f. mit Hinweisen). Diesbezüglich ist der bundesrätlichen Botschaft unter
dem Titel "Überprüfung der Renten, die vor dem 1. Januar 2008 gestützt auf die
Diagnose von organisch nicht erklärbaren Schmerzzuständen gesprochen wurden" zu
entnehmen (BBl 2010 1817 ff., insb. 1911 f. ad Schlussbestimmungen), dass mit
der Schlussbestimmung die rechtliche Grundlage zur Anpassung der laufenden
Renten, die vor dem 1. Januar 2008 wegen somatoformer Schmerzstörungen,
Fibromyalgie und ähnlicher Sachverhalte zugesprochen worden waren,
BGE 139 V 442 S. 448
geschaffen werden sollte. Ergebe die Überprüfung durch die IV-Stelle, dass eine
somatoforme Schmerzstörung, eine Fibromyalgie oder ein ähnlicher Sachverhalt in
Anwendung von Art. 7 Abs. 2 ATSG mit einer zumutbaren Willensanstrengung
überwindbar sei, müsse die Rente innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten
der Änderung entsprechend adaptiert werden - dies in Abweichung von Art. 17
Abs. 1 ATSG auch dann, wenn weder eine wesentliche Änderung des
Gesundheitszustandes noch der erwerblichen Verhältnisse vorliege. Eine
Herabsetzung oder Aufhebung der Rente erfolge nur nach eingehender Prüfung des
Sachverhalts. In jedem Fall seien für die Beurteilung der Zumutbarkeit die in
BGE 130 V 352 formulierten Kriterien (Foerster-Kriterien) zu prüfen. Zudem
seien dem bisher berechtigterweise erfolgten Rentenbezug und der dadurch
entstandenen Situation angemessen Rechnung zu tragen. So sei in jedem einzelnen
Fall eine Güterabwägung vorzunehmen und auf dieser Basis zu entscheiden, ob
eine Anpassung jeweils als verhältnismässig erscheine. Auf Grund der zu
berücksichtigenden Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes werde für
Personen ab 55 Jahren sowie für solche, die seit mehr als 15 Jahren eine Rente
bezögen, eine Besitzstandsgarantie vorgesehen. Eine Wiedereingliederung dürfte
in diesen Fällen faktisch ausgeschlossen sein, weshalb die Schlussbestimmungen
für die betreffenden Personen nicht zur Anwendung kämen (vgl. auch Urteil
9C_228/2010 vom 26. April 2011 E. 3.4, in: SVR 2011 IV Nr. 73 S. 220).

4.2.2.2 Der gesetzgeberische Wille zielt nach dem Dargelegten darauf ab,
Personen zu schützen, denen infolge ihres langjährigen Rentenbezugs eine
Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht mehr zugemutet werden kann. Um diese
zeitliche Komponente konkretisieren zu können, braucht es objektive Merkmale,
welche nicht gewährleistet wären, würde auf den von diversen Faktoren
abhängigen, zufälligen Verfügungszeitpunkt abgestellt, welchem stets eine
gewisse Willkür anhaftet (vgl. BGE 139 V 335 E. 6.2 S. 338 f.). Infolge
langwieriger Verwaltungs- und Gerichtsverfahren können Rentenansprüche nicht
selten erst Jahre nach der Anmeldung rechtskräftig festgesetzt werden. Die
versicherte Person ist aber während dieses gesamten Abklärungs- und
Beurteilungsprozederes oft bereits geraume Zeit nicht mehr erwerblich tätig.
Diesem Umstand wird in der Folge insofern Beachtung geschenkt, als Leistungen
rückwirkend - teilweise Jahre zurück - ausgerichtet werden. Die
Wahrscheinlichkeit einer Wiedereingliederung nimmt jedoch bereits von
BGE 139 V 442 S. 449
Beginn des (teilweisen) Ausscheidens aus dem Arbeitsleben weg kontinuierlich
ab. Würde nun für den hier zu prüfenden Punkt, ob eine versicherte Person seit
mehr als 15 Jahren eine Rente der Invalidenversicherung bezieht/erhält, der
allenfalls erst Jahre später rechtskräftige Verfügungszeitpunkt herangezogen,
würde damit den Kernanliegen der Besitzstandsgarantie - Gewährleistung von
Rechtssicherheit und Vertrauensschutz sowie Vermeidung aussichtsloser
Eingliederungsversuche - nicht angemessen Rechnung getragen. Diesen wird einzig
die Bezugnahme auf den Beginn des Rentenanspruchs gerecht. Es handelt sich
dabei um einen klar terminierten Fixpunkt, welcher die effektive
Anspruchsbegründung markiert und damit das alleinige taugliche
Anknüpfungskriterium darstellt. Nur dieser vermag die lange währende, auf 15
Jahre bezifferte Absenz vom Arbeitsmarkt und die sich daraus ergebende
faktische Aussichtslosigkeit von (Wieder-)Eingliederungsmassnahmen zu belegen.

4.2.3 In Bezug auf Sinn und Zweck der Schlussbestimmung - und damit das
teleologische Element des Auslegungsprozesses - kann weitgehend auf das hievor
Gesagte verwiesen werden. Bezüglich der Dauer des Rentenbezugs ist im
vorliegenden Zusammenhang überdies aArt. 48 Abs. 2 Satz 1 IVG (in der bis Ende
2007 in Kraft gestandenen Fassung) zu erwähnen. Danach wurden Leistungen,
sofern sich die versicherte Person mehr als zwölf Monate nach Entstehen des
Anspruchs angemeldet hatte, in Abweichung von Art. 24 Abs. 1 ATSG
(vorbehältlich der Nichtkenntnis des anspruchsbegründenden Sachverhalts: vgl.
aArt. 48 Abs. 2 Satz 2 IVG) bis zu maximal zwölf der Anmeldung vorangehenden
Monaten ausgerichtet. Laut Art. 29 Abs. 1 IVG in seinem seit 1. Januar 2008
vorliegenden Wortlaut entsteht der Rentenanspruch nunmehr frühestens nach
Ablauf von sechs Monaten, nachdem der Leistungsanspruch nach Art. 29 Abs. 1
ATSG geltend gemacht wurde. Der Rentenanspruch konnte daher gemäss der
altrechtlichen Regelung bis zu einem Jahr vor der Anmeldung entstehen. Faktisch
ausbezahlt wurde die Rente jedoch auch in diesen Fällen erst ab
Verfügungsdatum, somit nach erfolgter Anmeldung. Unverändert geblieben ist
demgegenüber das Erfordernis, wonach zur Begründung des Rentenanspruchs u.a.
während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch eine durchschnittlich
mindestens 40%ige Arbeitsunfähigkeit bestanden haben muss (Art. 28 Abs. 1 lit.
b IVG). Daraus ergibt sich, dass eine rentenbeziehende Person sowohl alt- wie
neurechtlich nicht nur unmittelbar vor der erstmaligen Auszahlung
(Verfügungszeitpunkt), sondern bereits ein
BGE 139 V 442 S. 450
Jahr vor Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen erheblich in ihrer
Arbeitsleistung eingeschränkt und damit - unabhängig vom Bezug einer Rente -
ganz oder teilweise aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden war. Auch aus dieser
Optik drängt sich mit Blick auf die mit der Ausschlussklausel beabsichtigte
Gewährleistung von Rechtssicherheit und Vertrauensschutz die Gleichsetzung von
Anspruchs- und Rentenbezugsbeginn auf.

4.2.4 Unter dem Gesichtspunkt einer systematischen Auslegung resultieren keine
von den bisherigen Schlussfolgerungen abweichenden Erkenntnisse.

4.3 Zusammenfassend gilt mit der Vorinstanz als relevanter Anknüpfungspunkt für
den über 15-jährigen Rentenbezug gemäss lit. a Abs. 4 (in Verbindung mit Abs.
1) SchlBest. IVG der Beginn des Rentenanspruchs und nicht das Datum der
(rechtskräftig erlassenen) Rentenverfügung. Die vorliegend per 1. Juni 1995
zugesprochene halbe Invalidenrente kann demnach gestützt auf die
Schlussbestimmungen nicht aufgehoben werden.

5.

5.1 An diesem Ergebnis nichts zu ändern vermag die von der IV-Stelle angeführte
Tatsache, dass die Beschwerdegegnerin in den letzten Jahren teilzeitlich
gearbeitet hat. Dem Argument, daraus sei zu folgern, dass eine (vollständige)
Wiedereingliederung nicht ausgeschlossen erscheine und die Ausnahmebestimmung
nach lit. a Abs. 4 SchlBest. IVG daher nicht zum Tragen komme, ist mit dem
kantonalen Gericht entgegenzuhalten, dass der Gesetzestext einen kategorischen
Ausschluss derjenigen Personen vorsieht, die über 15 Jahre Rentenleistungen
bezogen haben. Aus diesem Umstand allein ist zu schliessen, dass allfällige
Wiedereingliederungsversuche faktisch zwecklos sind. Weitere Anforderungen an
die Eingliederungsunwirksamkeit, insbesondere ein vollständiges Fernbleiben vom
Arbeitsmarkt über den gesamten Zeitraum, werden nicht gestellt. Als
eingliederungsunwirksam wird vom Gesetzgeber somit offenbar nicht nur der
Versuch gewertet, jemanden nach 15 Jahren vollständigen Ausscheidens aus dem
Arbeitsprozess wieder einzugliedern, sondern auch jener, bei teilweiser Absenz
das Pensum nach eben dieser Dauer wieder aufzustocken. Der Invaliditätsgrad,
auf Grund dessen die Bezüger eine Rente erhalten - und damit die Höhe der
Leistung -, stellt mithin kein taugliches Kriterium dar, das ein Abweichen vom
klaren Wortlaut erlauben würde. Das Instrument der
BGE 139 V 442 S. 451
eingliederungsorientierten Rentenrevision, welches mit dem Inkrafttreten der 6.
IVG-Revision zu greifen begonnen hat und mit dem die Wiedereingliederung aktiv
gefördert wird, indem Rentenbezügerinnen und -bezüger mit
Eingliederungspotenzial durch persönliche Beratung, Begleitung und weitere
spezifische Massnahmen gezielt auf eine Wiedereingliederung vorbereitet werden
(Urteil 9C_228/2010 vom 26. April 2011 E. 3.3 in fine mit Hinweisen, in: SVR
2011 IV Nr. 73 S. 220), erweist sich folglich bei der generellen - losgelöst
von den in Art. 17 Abs. 1 ATSG festgehaltenen Revisionsvoraussetzungen
zulässigen - Überprüfung von Renten gemäss lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG als
unbehelflich, sofern eines der beiden Abgrenzungskriterien nach lit. a Abs. 4
SchlBest. IVG gegeben ist.
(...)

6. Die Beschwerdeführerin beantragt schliesslich die Prüfung der
Rentenaufhebung im Rahmen einer substituierten Revision gemäss Art. 17 Abs. 1
ATSG. Die Vorinstanz ist auf das entsprechende Ersuchen mit der Begründung
nicht eingetreten, eine auf diesen Voraussetzungen basierende Anpassung der
Rente habe nicht Gegenstand der angefochtenen Verfügung (vom 30. Mai 2012)
gebildet.

6.1 Als Ergebnis eines in der zweiten Hälfte 2008 von Amtes wegen in die Wege
geleiteten Revisionsverfahrens war die Beschwerdeführerin mit Vorbescheid vom
12. Januar 2012 zum Schluss gelangt, dass sich der Gesundheitszustand der
Beschwerdegegnerin nicht verändert habe. Infolge der Mitte Juni 2008 zur Welt
gekommenen Tochter der Versicherten sei aber von einer im Gesundheitsfall
veränderten Aufteilung der Bereiche Erwerbstätigkeit/Aufgabenbereich Haushalt
auszugehen, woraus in Nachachtung der gemischten Invaliditätsbemessungsmethode
gewichtet ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad resultiere. Auf
Intervention der Beschwerdegegnerin hin stellte die IV-Stelle am 30. März 2012
- in Aufhebung des ersten Vorbescheids - vorbescheidweise in Aussicht, die
bisherige halbe Rente unter Bezugnahme auf lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG
aufzuheben. Darin festgehalten wurde zudem, die Abklärungen hätten ergeben,
dass die Versicherte auf Grund einer oder mehrerer Diagnosen hinsichtlich
unklarer Beschwerden Rentenleistungen der Invalidenversicherung beziehe. Die
gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien aus objektiver Sicht indessen
überwindbar, weshalb für die Zukunft kein Rentenanspruch mehr bestehe. Die am
30. Mai 2012 erlassene Verfügung enthielt überdies den Zusatz, für das
BGE 139 V 442 S. 452
Vorhandensein einer relevanten psychiatrischen Komorbidität lägen keinerlei
Anhaltspunkte vor.

6.2 Mit dem Hinweis auf die Überwindbarkeit der vorhandenen Beschwerden beruft
sich die Beschwerdeführerin implizit, ohne dass die entsprechenden rechtlichen
Normen aufgeführt würden, auf die Existenz eines materiellen
Rentenrevisionsgrundes nach Art. 17 Abs. 1 ATSG. Unabdingbare Grundlage für die
Beurteilung der Rechtsfrage, ob und gegebenenfalls inwieweit einer versicherten
Person unter Aufbringung allen guten Willens die Überwindung ihrer Schmerzen
und die Verwertung ihrer verbleibenden Arbeitskraft zumutbar ist oder nicht,
bilden jedoch stets die fachärztlichen Stellungnahmen zum psychischen
Gesundheitszustand und zu dem aus medizinischer Sicht (objektiv) vorhandenen
Leistungspotenzial (Urteil 9C_302/2012 vom 13. August 2012 E. 4.2.2 mit
Hinweis, nicht publ. in: BGE 138 V 339, aber in: SVR 2012 IV Nr. 56 S. 200).
Den Akten lässt sich diesbezüglich aktuelleren Datums lediglich ein ärztliches
Zeugnis des Dr. med. W., Allgemeine Innere Medizin, vom 26. Oktober 2012
entnehmen. Danach hat sich der Gesundheitszustand der Versicherten seit dem
Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) von 1990 (recte: wohl
dasjenige der MEDAS vom 20. Januar 1997) nicht verändert. Nach wie vor leide
die Patientin unter ihren Beschwerden und es bestehe eine Arbeitsfähigkeit in
angepasster Tätigkeit von 50 %. Hinweise, welche die nunmehrige Überwindbarkeit
der Beschwerden bzw. eine erhebliche Verbesserung des Gesundheitszustandes
belegten, ergeben sich gestützt auf diese Angaben entgegen der
Betrachtungsweise der Verwaltung nicht. Eine Prüfung und Beurteilung der
verfügten Renteneinstellung unter dem substituierten Titel der Rentenrevision
nach Art. 17 Abs. 1 ATSG lässt sich auf dieser Basis folglich nicht
durchführen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass gemäss BGE 135 V 215 die
(geänderte) Rechtsprechung nach BGE 130 V 352 für sich allein keinen
ausreichenden Grund darstellt, um - im Sinne der Anpassung an eine veränderte
Rechtsgrundlage - auf laufende Invalidenrenten zurückzukommen. Ist das hierfür
neu geschaffene gesetzliche Fundament in Form von lit. a Abs. 1 SchlBest. IVG
wegen der in Abs. 4 der Bestimmung verankerten Ausschlussklausel wie im
vorliegenden Fall nicht anwendbar, liesse sich eine Herabsetzung oder Aufhebung
der bisherigen Rente nur mit verbesserten gesundheitlichen Verhältnissen oder
veränderten anderweitigen Bemessungsfaktoren begründen.