Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 V 289



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Urteilskopf

139 V 289

37. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. S. gegen
Eidgenössische Ausgleichskasse (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten)
9C_336/2012 vom 6. Mai 2013

Regeste

Art. 9 ATSG; Art. 43^bis Abs. 2 und Art. 46 Abs. 2 zweiter Satz AHVG; Art. 48
Abs. 2 zweiter Satz IVG (in der bis Ende 2007 gültig gewesenen Fassung);
verspätete Anmeldung; weitergehende Nachzahlung nicht bezogener
Hilflosenentschädigung.
Dass ein objektiv gegebener anspruchsbegründender Sachverhalt nicht erkennbar
gewesen ist oder dass die versicherte Person trotz entsprechender Kenntnis
krankheitsbedingt daran gehindert wurde, sich anzumelden oder jemanden mit der
Anmeldung zu betrauen, wird von der Rechtsprechung nur sehr zurückhaltend
angenommen; Kasuistik dazu (E. 4).
Massgebend für die Nachzahlung hinsichtlich eines Zeitraums, welcher über die
der Anmeldung vorangehenden zwölf Monate zurückreicht, ist die Kenntnis des
anspruchsbegründenden Sachverhalts vonseiten der versicherten Person oder ihres
gesetzlichen Vertreters. Einem solchen Nachzahlungsanspruch steht der Umstand
nicht entgegen, dass die in Art. 66 IVV und Art. 67 AHVV genannten, zur
Geltendmachung des Anspruchs befugten Drittpersonen den leistungsbegründenden
Sachverhalt allenfalls bereits in einem früheren Zeitpunkt gekannt haben
(Bestätigung der Rechtsprechung BGE 108 V 226 und BGE 102 V 112 E. 2c S. 117;
E. 6.1 und 6.2).

Sachverhalt ab Seite 291

BGE 139 V 289 S. 291

A. Die 1922 geborene S. leidet beidseitig an fortgeschrittenem grünem Star und
einer schweren Hornhauterkrankung (vollständige Erblindung des rechten Auges),
an ausgeprägter Altersschwerhörigkeit, kognitiven Defiziten im Sinne einer
dementiellen Entwicklung vom Alzheimertyp, Diabetes mellitus, Osteoporose im
Frakturstadium sowie zeitweise an Harn- und Stuhlinkontinenz. Im April 2009
reichte ihr Sohn das Anmeldeformular für den Bezug einer Hilflosenentschädigung
der AHV ein. Mit Verfügung vom 2. September 2010 und Einspracheentscheid vom
14. Januar 2011 sprach die Eidgenössische Ausgleichskasse S. mit Wirkung ab 1.
April 2008 eine Hilflosenentschädigung wegen schwerer Hilflosigkeit zu. Es sei
unbestritten, dass die Versicherte seit mehreren Jahren und weiterhin in
schwerem Grade hilflos sei. Es könne indes offenbleiben, ob die
Hilfsbedürftigkeit bereits seit 2003 oder erst ab 2004 bestehe. Zufolge
verspäteter Geltendmachung könne die Hilflosenentschädigung ohnehin lediglich
für die zwölf der Anmeldung vorangehenden Monate nachbezahlt werden. Die
Voraussetzungen für eine weitergehende Nachzahlung seien nicht erfüllt.

B. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wies die gegen den
Einspracheentscheid erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 29. Februar 2012 ab
(Dispositiv-Ziffer 2), soweit sie nicht gegenstandslos geworden war
(Dispositiv-Ziffer 1).

C. S. führt Beschwerde ans Bundesgericht mit dem Antrag auf Nachzahlung der
Hilflosenentschädigung bereits ab 1. Januar 2005.
Ausgleichskasse, kantonales Gericht und Bundesamt für Sozialversicherungen
verzichten auf eine Vernehmlassung zur Beschwerde.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4.

4.1 Macht ein Versicherter den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der AHV
mehr als zwölf Monate nach dessen Entstehung geltend, so wird die Entschädigung
in Abweichung von Art. 24 Abs. 1 ATSG (SR 830.1) lediglich für die zwölf Monate
ausgerichtet, die der Geltendmachung vorangehen (Art. 46 Abs. 2 erster Satz
AHVG). Weiter gehende Nachzahlungen werden erbracht, wenn der Versicherte den
anspruchsbegründenden Sachverhalt nicht kennen konnte und die Anmeldung innert
zwölf Monaten nach Kenntnisnahme vornimmt (zweiter Satz von Art. 46 Abs. 2 AHVG
).
BGE 139 V 289 S. 292

4.2 Unter dem anspruchsbegründenden Sachverhalt ist in Anlehnung an Art. 4 und
5 IVG sowie Art. 8 und 9 ATSG der körperliche, geistige oder psychische
Gesundheitsschaden zu verstehen, der eine voraussichtlich bleibende oder
längere Zeit dauernde Hilfs- oder Überwachungsbedürftigkeit bei alltäglichen
Lebensverrichtungen zur Folge hat. Mit der Kenntnis des anspruchsbegründenden
Sachverhalts ist nicht das subjektive Einsichtsvermögen der versicherten Person
gemeint, sondern es geht nach dem Wortlaut von Art. 46 Abs. 2 zweiter Satz AHVG
vielmehr darum, ob der anspruchsbegründende Sachverhalt objektiv feststellbar
ist oder nicht (BGE 114 V 134; Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
H 22/02 vom 8. Juli 2002 E. 2b; vgl. auch die analog anwendbare Rechtsprechung
zu Art. 48 Abs. 2 IVG [in der bis Ende 2007 gültig gewesenen Fassung]: BGE 120
V 89 E. 4b S. 94; BGE 102 V 112 E. 1a S. 113; BGE 100 V 114 E. 2c S. 119; ZAK
1984 S. 403, I 132/83 E. 1; Urteil 8C_262/2010 vom 12. Januar 2011 E. 4.2).
Dass ein objektiv gegebener anspruchsbegründender Sachverhalt nicht erkennbar
gewesen ist oder dass die versicherte Person trotz entsprechender Kenntnis
krankheitsbedingt daran gehindert wurde, sich anzumelden oder jemanden mit der
Anmeldung zu betrauen, wird von der Rechtsprechung nur sehr zurückhaltend
angenommen, so namentlich bei Schizophrenie (BGE 108 V 226 E. 4 S. 228; Urteile
des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 824/05 vom 20. Februar 2006 E. 4.3;
I 705/02 vom 17. November 2003 E. 4.3; I 141/89 vom 1. März 1990 E. 2b; vgl.
auch RDAT 2003 I Nr. 71 S. 277, I 125/02 E. 3), bei einer schweren
narzisstischen, depressiven Persönlichkeitsstörung im Sinne eines
Borderlinezustandes an der Grenze zur schizophrenen Psychose (Urteil des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 418/96 vom 12. November 1997 E. 3b),
bei einer schweren Persönlichkeitsstörung (Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts I 205/96 vom 21. Oktober 1996 E. 3c), bei
Urteilsunfähigkeit zufolge einer (nicht näher bezeichneten) schweren
psychischen Erkrankung (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 71/
00 vom 29. März 2001 E. 3a); allenfalls auch in Fällen von schwerer Depression
(BGE 102 V 112 E. 3 S. 118) oder Persönlichkeitsstörungen mit sekundärem
chronischem Alkoholismus (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I
149/99 vom 16. März 2000 E. 3b).
BGE 139 V 289 S. 293

5. Das kantonale Gericht hat festgestellt, weitergehende, d.h. sich auf einen
Zeitraum vor April 2008 erstreckende Nachzahlungen im Sinne des dargelegten
zweiten Satzes von Art. 46 Abs. 2 AHVG fielen schon deshalb ausser Betracht,
weil ein früherer Anspruch auf die Hilflosenentschädigung gar nicht
rechtsgenüglich nachweisbar sei.

5.1 Diese Schlussfolgerung lässt sich angesichts der bestehenden Aktenlage
nicht halten: Nachdem der Sohn der Beschwerdeführerin im April 2009 im
Anmeldeformular für eine Hilflosenentschädigung der AHV angekreuzt hatte, dass
seine Mutter bei sämtlichen alltäglichen Lebensverrichtungen der Hilfe ihrer
beiden im selben Haus wohnenden Kinder sowie der dauernden Pflege und
persönlichen Überwachung bedürfe, präzisierte er diese Angaben im Januar 2010
u.a. dahingehend, dass die Hilfsbedürftigkeit seit 2004, die
Pflegebedürftigkeit (Verabreichen von Medikamenten und diversen Augentropfen,
Wechseln der Inkontinenzhosen) seit 2002 und die Überwachungsbedürftigkeit seit
ca. 2004 bestehe. Die Versicherte könne zufolge ihrer Verwirrung kaum allein
gelassen werden; die meiste Zeit verbringe sie auf dem Bett oder dem Sofa
liegend. Der Allgemeinmediziner Dr. E., der die Beschwerdeführerin seit März
2001 hausärztlich betreut, bescheinigte die eingangs angeführten Diagnosen
(lit. A hievor) und bestätigte die Angaben des Sohnes. Für aufwändige
pflegerische Verrichtungen (intensive Dekubitusbehandlung, Verbände anlegen
usw.) werde die Spitex beigezogen (Bericht vom 17. Januar 2010). In Ergänzung
zu den bisherigen Angaben klärte die zuständige Sachbearbeiterin der IV-Stelle
des Kantons St. Gallen am 16. Juni 2010 die Hilflosigkeit im Gespräch mit dem
Sohn einlässlich weiter ab und hielt im entsprechenden Bericht fest, dass die
Versicherte seit mehreren Jahren an fortschreitender Demenz, starker
Beeinträchtigung der Sehfähigkeit, Schwerhörigkeit sowie an
Bewegungseinschränkungen zufolge Osteoporose leide. Sie müsse bei sämtlichen
Aktivitäten des Alltags geführt und begleitet werden; von sich aus würde sie
"kaum mehr etwas machen". Ferner lag der Verwaltung ein Zeugnis von Dr. R.,
stellvertretender Chefarzt an der Augenklinik des Spitals X., vom 9. Januar
2006 vor, wonach die Sehfunktion der von ihm ophthalmologisch betreuten
Beschwerdeführerin seit Behandlungsbeginn im April 2002 stark eingeschränkt
sei; sie sei auf fremde Hilfe angewiesen. Schliesslich lässt sich dem im
Verlaufe des Einspracheverfahrens eingereichten Schreiben des Hausarztes Dr. E.
an Prof. Dr. O., Facharzt
BGE 139 V 289 S. 294
an der Augenklinik des Spitals Y., vom 21. Februar 2007 entnehmen, dass sich in
den letzten Jahren in zunehmendem Masse kognitive Defizite im Sinne einer
dementiellen Entwicklung eingestellt hätten. Aufgrund des schleichenden,
progredienten Verlaufs und bisher fehlender begleitender neurologischer
Symptome sowie Ereignisse akuter cerebrovaskulärer Ischämien müsse am ehesten
von einer Demenz vom Alzheimertyp ausgegangen werden. Im Oktober 2006 sei die
Versicherte mittels Minimentaltest (Ergebnis: 23 von 30 Punkten) und Uhrentest
(Resultat: fünf von sieben Punkten) evaluiert worden; weitere Abklärungen seien
bisher nicht veranlasst worden.

5.2 Wenn die Vorinstanz im Lichte der angeführten Unterlagen von
Beweislosigkeit einer vor April 2008 (zwölf Monate vor der Anmeldung)
eingetretenen leistungsbegründenden Hilflosigkeit ausgeht, muss diese
Beweiswürdigung als willkürlich bezeichnet werden. Sie ist vom Bundesgericht zu
korrigieren (nicht publ. E. 1). Obgleich dem kantonalen Gericht darin
beizupflichten ist, dass "ein dementielles Syndrom (...) - zumindest im
Anfangsstadium - nicht zwingend eine Hilflosigkeit in den massgeblichen
Lebensverrichtungen" begründet, darf nicht ausgeblendet werden, dass der
Hausarzt bereits in seinem Schreiben von Anfang 2007 von einer mehrjährigen
Entwicklung gesprochen hat; sie veranlasste ihn auch zu den
Abklärungsmassnahmen von Herbst 2006. Bei diesen Gegebenheiten durfte
jedenfalls schon längere Zeit vor April 2008 nicht mehr vom "Anfangsstadium"
einer dementiellen Entwicklung ausgegangen werden. Entscheidend ist jedoch,
dass die Hilfsbedürftigkeit anfänglich in erster Linie auf die fortschreitende
Beeinträchtigung der Sehfunktion beider Augen zurückzuführen war, welche
fachärztlich schon im Jahre 2002 als stark eingeschränkt qualifiziert wurde.
Die weitere Verschlechterung führte denn auch zur rechtsseitigen Erblindung.
Unter diesen Umständen geht es - entgegen der vorinstanzlichen Auffassung -
nicht an, von der hausärztlichen Bestätigung einer spätestens seit 2004
bestehenden Hilfs-, Pflege- und Überwachungsbedürftigkeit abzuweichen, ohne zu
begründen, weshalb auf die Angaben seitens Dr. E. und die anderen hievor
zitierten Unterlagen nicht abgestellt werden kann. Wird die zusätzliche
gesundheitliche Fragilität der betagten Beschwerdeführerin aufgrund der
Osteoporose, des medikamentös nicht immer optimal eingestellten Diabetes
mellitus vom Typ 2, der früheren rezidivierenden Lungenembolien sowie der
wiederkehrenden Harnwegsinfekte berücksichtigt, ist in Übereinstimmung mit der
Ausgleichskasse (im Einspracheentscheid vom
BGE 139 V 289 S. 295
14. Januar 2011) von einer (spätestens) 2004 vorliegenden Hilflosigkeit
schweren Grades auszugehen.

6. Eine andere Frage ist, ob und - bejahendenfalls - wieweit der
Beschwerdeführerin die ihr an sich seit Anfang 2005 zustehende (Art. 43^bis
Abs. 2 AHVG) Hilflosenentschädigung gemäss Art. 46 Abs. 2 zweiter Satz AHVG
über April 2008 hinaus nachgezahlt werden kann. Die Ausgleichskasse verneinte
jegliche Nachzahlung, weil dem Sohn der Versicherten deren prekärer
Gesundheitszustand bekannt gewesen sei und er demzufolge seine Mutter bereits
früher hätte anmelden können.

6.1 In seinen in BGE 108 V 226 und BGE 102 V 112 E. 2c S. 117 publizierten
Urteilen vom 25. März 1982 und 5. Mai 1976 hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht für den Anwendungsbereich von Art. 48 Abs. 2 zweiter Satz
IVG (ab 1. Januar 2012: Art. 48 Abs. 2 lit. a und b IVG) und - in Analogie dazu
(vgl. E. 4.2 hievor) - auch für denjenigen von Art. 46 Abs. 2 zweiter Satz AHVG
Folgendes festgelegt: Massgebend für die Nachzahlung hinsichtlich eines
Zeitraums, welcher über die der Anmeldung vorangehenden zwölf Monate
zurückreicht, ist die Kenntnis des anspruchsbegründenden Sachverhalts vonseiten
der versicherten Person oder ihres gesetzlichen Vertreters. Einem
Nachzahlungsanspruch für mehr als zwölf Monate vor der Anmeldung steht der
Umstand nicht entgegen, dass die in Art. 66 IVV (SR 831.201) und Art. 67 AHVV
(SR 831.101) genannten, zur Geltendmachung des Anspruchs befugten Drittpersonen
den leistungsbegründenden Sachverhalt (vgl. E. 4.2 hievor) allenfalls bereits
in einem früheren Zeitpunkt gekannt haben (BGE 108 V 226 E. 3 S. 228; BGE 102 V
112 E. 2c S. 117). Beiden in der Amtlichen Sammlung veröffentlichten Urteilen
lagen Beschlüsse des Gesamtgerichts zugrunde.

6.2 Entgegen der Auffassung der Verwaltung ist diese Rechtsprechung keineswegs
"offensichtlich überholt". Im Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
H 22/02 vom 8. Juli 2002 E. 2a erfuhr sie insofern eine Präzisierung, als der
Anspruch auf eine weiter gehende Nachzahlung der Hilflosenentschädigung der AHV
abgelehnt wurde, weil die Hilflosigkeit als anspruchsbegründender Sachverhalt
dem Ehemann als Beistand der Versicherten (welche an seniler Demenz vom
Alzheimertyp litt) erkennbar war. Ansonsten wurde die dargelegte Rechtsprechung
seit Erlass der beiden Grundsatzentscheide in gegen einem Dutzend Urteilen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts und (seit 1. Januar 2007) des
Bundesgerichts
BGE 139 V 289 S. 296
bestätigt (vgl. etwa ZAK 1984 S. 403, I 132/83 E. 1 in fine; Urteile 9C_670/
2009 vom 11. Dezember 2009 E. 2; I 705/02 vom 17. November 2003 E. 4.3; I 199/
02 vom 20. August 2002 E. 2.2; I 71/00 vom 29. März 2001 E. 2a; vgl. auch ANDRÉ
PIERRE HOLZER, Verjährung und Verwirkung der Leistungsansprüche im
Sozialversicherungsrecht, 2005, S. 92; ULRICH MEYER-BLASER, Bundesgesetz über
die Invalidenversicherung [IVG], in: Rechtsprechung des Bundesgerichts zum
Sozialversicherungsrecht, Murer/Stauffer [Hrsg.], 1997, S. 284). Für eine
Änderung der Rechtsprechung besteht kein Anlass, zumal sich eine solche
grundsätzlich nur begründen liesse, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis
der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelter
Rechtsanschauung entspräche (BGE 138 II 162 E. 2.3 S. 166; BGE 138 III 270 E.
2.2.2 S. 273, BGE 137 V 359 E. 6.1 S. 361; BGE 137 III 352 E. 4.6 S. 360; BGE
137 V 133 E. 6.1 S. 137, BGE 137 V 210 E. 3.4.2 S. 252, 282 E. 4.2 S. 291, 314
E. 2.2 Ingress S. 316). Solches wird denn auch von keiner Seite geltend
gemacht. An dieser Betrachtungsweise ändert nichts, dass das Eidgenössische
Versicherungsgericht in seinem von Verwaltung und Vorinstanz erwähnten Urteil H
374/00 vom 9. August 2002 E. 4 - ohne Auseinandersetzung mit seiner ständigen
Gerichtspraxis in dieser Frage - anders entschieden hat. Für den vorliegenden
Fall lässt sich daraus nichts ableiten.

6.3 Nach dem Gesagten spielt es für den geltend gemachten Nachzahlungsanspruch
ab 1. Januar 2005 keine Rolle, dass der Sohn der Beschwerdeführerin den
Gesundheitszustand, welcher zur schweren Hilflosigkeit geführt hatte,
zweifellos kannte und seine Mutter bereits viel früher hätte anmelden können
(einzig seine Rechtsunkenntnis verhinderte dies).
Hingegen ist der Frage nachzugehen, inwiefern oder besser: wie lange die
Beschwerdeführerin selber den anspruchsbegründenden Sachverhalt trotz ihrer
kognitiven Defizite (noch) erkennen konnte (vgl. E. 4.2 hievor). Denkbar ist
auch, dass die Versicherte (anfänglich) trotz (noch) vorhandener objektiver
Kenntnis (bereits) krankheitsbedingt daran gehindert wurde, sich für eine
Hilflosenentschädigung anzumelden oder jemanden mit der Anmeldung zu betrauen.
In diese Richtung weisen etwa die Ausführungen des Dr. E. zur ablehnenden
Haltung der Beschwerdeführerin gegenüber einem Beizug der Spitex: Die
diesbezügliche Malcompliance sei auf die dementielle Störung zurückzuführen
(bereits erwähntes Schreiben vom 21. Februar 2007). Das kantonale Gericht, an
welches die Sache zur Vornahme ergänzender Abklärungen und anschliessender
neuer Entscheidung
BGE 139 V 289 S. 297
über die weiter gehende Nachzahlung der Hilflosenentschädigung im Sinne von
Art. 46 Abs. 2 zweiter Satz AHVG zurückzuweisen ist, wird am ehesten beim (seit
Anfang 2001 behandelnden) Hausarzt der Versicherten Antworten auf die noch
offenen Fragen finden. Soweit die Vorinstanz auch mit Bezug auf die spezifisch
kognitiven Auswirkungen der dementiellen Entwicklung im Zeitraum vor April 2008
Beweislosigkeit annimmt, liegt wiederum eine (letztinstanzlich zu
korrigierende) Bundesrechtsverletzung vor. Das kantonale Gericht übersieht
nämlich, dass von Beweislosigkeit erst ausgegangen werden kann, wenn es sich
als unmöglich erweist, im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes anhand einer
Beweiswürdigung einen Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die
Wahrscheinlichkeit für sich hat, der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 117 V 261
E. 3b S. 264 mit Hinweis). Von einer derartigen beweisrechtlichen Pattsituation
kann indessen im hier zu beurteilenden Fall solange nicht gesprochen werden,
als noch von keiner Seite Abklärungen darüber getätigt wurden, wie weit und
gegebenenfalls wie lange die Beschwerdeführerin trotz ihrer dementiellen
Erkrankung überhaupt in der Lage war, sich um die Anmeldung für die
Hilflosenentschädigung zu kümmern (vgl. die im zweiten Abschnitt von E. 4.2
hievor angeführten Urteile).