Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 I 195



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Urteilskopf

139 I 195

19. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S.
Alternative - die Grünen Kanton Zug und Mitb. gegen Kantonsrat des Kantons Zug
(Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
1C_561/2013 vom 10. Juli 2013

Regeste

Art. 34, 39 und 49 BV; Stimmrechtsverletzung in Bezug auf eine Vorlage zur
Neuregelung des Proporzwahlverfahrens für den Kantonsrat.
Zulässigkeit der Beschwerde gegen eine Abstimmungsvorlage des Kantonsrats, nach
welcher ein als bundesverfassungswidrig beurteiltes Wahlverfahren beibehalten
werden soll (E. 1.3).
Möglichkeiten der Ausgestaltung des Proporzwahlverfahrens für den Kantonsrat
(E. 3.1). Die umstrittene Abstimmungsvorlage ist unzulässig, weil sie darauf
ausgerichtet ist, die Einführung eines bundesverfassungskonformen
Proporzwahlverfahrens zu verhindern (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 196

BGE 139 I 195 S. 196

A. Das Bundesgericht stellte in BGE 136 I 376 fest, dass das bisherige
Proporzwahlverfahren des Kantons Zug für die Wahl des Kantonsrats vor der
Bundesverfassung nicht standhält. Die Regierung des Kantons Zug unterbreitete
dem Kantonsrat am 10. Juli 2012 Änderungen des Wahlrechts auf Verfassungs- und
Gesetzesstufe. Der Kantonsrat beriet über die Änderungen in erster Lesung am
31. Januar 2013 und beschloss in zweiter Lesung am 2. Mai 2013, für die
Änderung der Kantonsverfassung am 22. September 2013 zwei Varianten zur
Volksabstimmung zu bringen.
Variante A (Vorlage Nr. 2170.16a [Laufnummer 14329]) lautet:
"Die Verfassung des Kantons Zug vom 31. Januar 1894 [SR 131.218] wird wie folgt
geändert:
§ 38 Abs. 1 (geändert), Abs. 2 (geändert), Abs. 3 (neu), Abs. 4 (neu)
^1 Die gesetzgebende und aufsehende Gewalt übt der Kantonsrat aus. Derselbe
besteht aus 80 Mitgliedern.
^2 Die Gesamterneuerungswahlen des Kantonsrats richten sich nach dem Grundsatz
des proportionalen Wahlverfahrens.
^3 Wahlkreise sind die Einwohnergemeinden. Die Zahl der Kantonsratssitze der
Wahlkreise wird durch einfachen Kantonsratsbeschluss nach Massgabe der
nachgeführten Bevölkerungsstatistik (im Vorjahr veröffentlichte Zahlen des
Bundes der ständigen Wohnbevölkerung) festgelegt. Jedem Wahlkreis werden
mindestens zwei Sitze zugeteilt.
^4 Die Zuteilung der Sitze aufgrund der Stimmenzahlen erfolgt zuerst an die
Parteien und politischen Gruppierungen entsprechend deren Wählerstärke im
Kanton. Danach werden die Sitze der Parteien und politischen Gruppierungen auf
die Wahlkreise nach Massgabe ihrer Sitzzahl gemäss Abs. 3 zugeteilt
(doppeltproportionales Zuteilungsverfahren).
§ 78 Abs. 2a (neu)
^2a Die Gesamterneuerungswahlen des Kantonsrats richten sich nach dem
Verhältniswahlrecht im Sinne von § 38.
BGE 139 I 195 S. 197
Diese Änderung unterliegt der Volksabstimmung gemäss § 79 Abs. 3
Kantonsverfassung. Sie tritt nach Annahme durch das Volk in Kraft und bedarf
der Gewährleistung durch die Bundesversammlung."
Variante B (Vorlage Nr. 2170.16b [Laufnummer 14335]) lautet (Abweichungen von
Variante A sind kursiv):
"Die Verfassung des Kantons Zug vom 31. Januar 1894 [SR 131.218] wird
wie folgt geändert:
§ 38 Abs. 1 (geändert), Abs. 2 (geändert), Abs. 3 (neu)
^1 Die gesetzgebende und aufsehende Gewalt übt der Kantonsrat aus. Derselbe
besteht aus 80 Mitgliedern.
^2 Die Gesamterneuerungswahlen des Kantonsrats richten sich nach dem Grundsatz
des proportionalen Wahlverfahrens. Ausgeschlossen ist das doppelt-proportionale
Zuteilungsverfahren.
^3 Wahlkreise sind die Einwohnergemeinden, Wahlkreisverbände sind
ausgeschlossen. Die Zahl der Kantonsratssitze der Wahlkreise wird durch
einfachen Kantonsratsbeschluss nach Massgabe der nachgeführten
Bevölkerungsstatistik (im vorangehenden Kalenderjahr veröffentlichte Zahlen des
Bundes der ständigen Wohnbevölkerung) festgelegt. Jedem Wahlkreis werden
mindestens zwei Sitze zugeteilt.
^4 gestrichen.
§ 78 Abs. 2a (neu)
^2a Die Gesamterneuerungswahlen des Kantonsrats richten sich nach dem
Verhältniswahlrecht im Sinne von § 38.
Diese Änderung unterliegt der Volksabstimmung gemäss § 79 Abs. 3
Kantonsverfassung. Sie tritt nach Annahme durch das Volk in Kraft und bedarf
der Gewährleistung durch die Bundesversammlung."
Der Beschluss des Kantonsrats vom 2. Mai 2013 wurde im Amtsblatt des Kantons
Zug vom 10. Mai 2013 (S. 1856) publiziert.

B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 3. Juni 2013
beantragen die Alternative - die Grünen Kanton Zug, die christlich-soziale
Partei Zug, die sozialdemokratische Partei Zug sowie einige Privatpersonen, die
Behörden des Kantons Zug seien anzuweisen, die Volksabstimmung vom 22.
September 2013 ohne die Variante B durchzuführen. (...)
Das Bundesgericht hat die Angelegenheit am 10. Juli 2013 öffentlich beraten
(Art. 58 f. BGG). Es heisst die Beschwerde gut und hebt den Beschluss des
Kantonsrats betreffend Variante B der Abstimmungsvorlage auf.
(Auszug)
BGE 139 I 195 S. 198

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1.

1.1 Die Ankündigung der Variantenabstimmung über die Änderung der
Kantonsverfassung im Amtsblatt vom 10. Mai 2013 betrifft eine Volksabstimmung
im Sinne von Art. 82 lit. c BGG. Insoweit ist die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten in der Form der Stimmrechtsbeschwerde
nach Art. 82 lit. c BGG grundsätzlich zulässig. Die Beschwerde ist innert der
Frist von Art. 100 Abs. 1 BGG erhoben worden.

1.2 Die Kantone sehen gegen Akte in Stimmrechtssachen grundsätzlich ein
Rechtsmittel an eine gerichtliche Behörde vor (Art. 88 Abs. 2 Satz 1 BGG). Die
bundesrechtliche Rechtsmittelpflicht gilt allerdings nicht für Akte des
Parlaments und der Regierung (Art. 88 Abs. 2 Satz 2 BGG; zum Ganzen BGE 134 I
199 E. 1.2 S. 201; Urteil 1C_22/2010 vom 6. Oktober 2010 E. 1.3; je mit
Hinweisen). Die Kantone sind frei, gleichwohl eine gerichtliche Überprüfung
vorzusehen, wovon der Kanton Zug indessen keinen Gebrauch gemacht hat (Urteil
1C_127/2010 vom 20. Dezember 2010 E. 2, nicht publ. in: BGE 136 I 376). Es
liegt somit ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid im Sinne von Art. 88
Abs. 1 lit. a und Art. 88 Abs. 2 Satz 2 BGG vor.

1.3

1.3.1 Im Zusammenhang mit dem Initiativrecht hatte das Bundesgericht unter der
Herrschaft des OG (BS 3 531) erkannt, dass die zuständigen kantonalen Organe
unter dem Gesichtswinkel der bundesrechtlichen Garantie des Stimmrechts zwar
berechtigt, indessen nicht verpflichtet sind, Initiativen auf ihre inhaltliche
Rechtmässigkeit und Vereinbarkeit mit Normen höherer Ordnung zu überprüfen.
Wird eine Initiative nach kantonalem Recht von Amtes wegen auf ihre
Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht geprüft, so steht gegen diesen Entscheid
die Stimmrechtsbeschwerde an das Bundesgericht offen (BGE 128 I 190 E. 1.3 S.
194; Urteil 1P.541/2006 vom 28. März 2007 E. 2.1, nicht publ. in: BGE 133 I 110
). In solchen Fällen gilt der Grundsatz, dass die Initiative nicht
höherrangigem Gesetzes- oder Verfassungsrecht oder völkerrechtlichen
Verpflichtungen widersprechen darf (BGE 133 I 110 E. 4.1 S. 115 f. mit
Hinweis). Der Bürger hat hier einen Anspruch, dass die obligatorische Kontrolle
der Rechtmässigkeit korrekt durchgeführt wird, damit die Stimmbürgerschaft sich
nicht zu Bestimmungen äussern
BGE 139 I 195 S. 199
muss, die von vornherein materiell höherrangigem Recht widersprechen (Urteil
1P.541/2006 vom 28. März 2007 E. 2.1, nicht publ. in: BGE 133 I 110; BGE 128 I
190 E. 1.3 S. 194 mit Hinweisen). Diese Fragen prüft das Bundesgericht seit
Inkrafttreten des BGG gestützt auf Art. 82 lit. c BGG im Rahmen der Beschwerde
in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Urteile 1C_304/2012 und 1C_305/2012
vom 25. und 26. Februar 2013 je E. 1.1).
Soweit das kantonale Recht keine Pflicht zur materiellen Prüfung von
Initiativen vorsah und demnach die Vorlage von materiell fragwürdigen
Initiativen zuliess, konnte mit Stimmrechtsbeschwerde im Sinne von Art. 85 lit.
a OG nicht deren Unrechtmässigkeit gerügt werden (Urteil 1P.63/1997 vom 18.
Juni 1997 E. 3b mit Hinweisen, in: ZBl 99/1998 S. 90). Ausschlaggebend für
diese Rechtsprechung waren die Besonderheiten der Stimmrechtsbeschwerde (vgl.
BGE 114 Ia 267 E. 3 S. 271 ff. mit Hinweisen). Dieses Rechtsmittel wollte
grundsätzlich den Rechtsschutz in gleicher Weise wie die heutige Beschwerde
gemäss Art. 82 lit. c BGG in Bezug auf die demokratische Beteiligung und
Willensbildung der Stimmbürger sicherstellen. Die Stimmrechtsbeschwerde soll
dort erhoben werden können, wo ein direkter Zusammenhang zur Ausübung des
Stimmrechts besteht, so zum Beispiel, wenn eine kantonale Pflicht zu
materieller Prüfung einer Initiative besteht. Fehlt ein solches Verfahren, so
steht bei der Frage der inhaltlichen Rechtmässigkeit einer Initiative und deren
Vereinbarkeit mit übergeordnetem Recht in der Regel nicht eine Frage des
Stimmrechts im Vordergrund, weshalb in solchen Fällen ein Rechtsschutzinteresse
an der Stimmrechtbeschwerde oft verneint werden kann. Die materielle
Unrechtmässigkeit kann regelmässig im Anschluss an die definitive Annahme einer
kantonalen Initiative - jedenfalls soweit es sich um eine Gesetzesinitiative
handelt - im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle oder im Einzelfall
mittels inzidenter Normenkontrolle mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten beim Bundesgericht geltend gemacht werden (Art. 82 lit. a und b
i.V.m. Art. 95 BGG; vgl. zur Rechtslage nach dem OG Urteil 1P.63/1997 vom 18.
Juni 1997 E. 3b mit Hinweisen, in: ZBl 99/1998 S. 90 f.; BGE 114 Ia 267 E. 3 S.
271 ff. mit Hinweisen).

1.3.2 Die gleichen Überlegungen gelten grundsätzlich für behördliche Vorlagen,
die den Stimmbürgern zur Abstimmung unterbreitet werden. Abstimmungen über
solche Vorlagen können hinsichtlich spezifischer stimmrechtsrelevanter Rügen
mit Beschwerde im
BGE 139 I 195 S. 200
Sinne von Art. 82 lit. c BGG angefochten werden. Indessen besteht auch hier
meist kein Rechtsschutzinteresse an der Prüfung einer allfälligen
Unrechtmässigkeit der Vorlage, soweit sich aus dem kantonalen Recht nicht ein
Anspruch auf materielle Prüfung vor der Abstimmung ergibt. Der Umstand einer
allfälligen Unrechtmässigkeit der zur Abstimmung unterbreiteten Vorlage führt
in der Regel für sich allein zu keiner direkten Verletzung der freien und
unverfälschten Willenskundgabe (vgl. Urteile 1P.427/2006 vom 3. November 2006
E. 3, nicht publ. in: BGE 132 I 291; 1P.63/1997 vom 18. Juni 1997 E. 3, in: ZBl
99/1998 S. 91 mit Hinweisen auf das Initiativrecht; BGE 117 Ia 66). Die
Unrechtmässigkeit der vom Volk angenommenen Vorlage kann nachträglich in einem
Beschwerdeverfahren nach Art. 82 lit. a oder b BGG geprüft werden.
Grundsätzlich kann damit der Rechtsschutz nach der Abstimmung gewährt werden.
Bei kantonalen Verfassungsbestimmungen bestehen allerdings erhebliche
Einschränkungen hinsichtlich der Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts (BGE 138 I
378 E. 5.2 S. 383; BGE 131 I 126 E. 3.1 S. 130; BGE 121 I 138 E. 5c/aa-bb S.
147 f.; BGE 116 Ia 359 E. 4b S. 366; BGE 111 Ia 239 E. 3b S. 242; Urteil 1C_407
/2011 vom 19. März 2012 E. 3, in: ZBl 113/2012 S. 450 und AJP 2012 S. 846).

1.3.3 Anders verhält es sich, wenn die materielle Rechtswidrigkeit
offensichtlich ist, jedenfalls wenn das Bundesgericht diese bereits in einem
früheren Verfahren eingehend geprüft und bejaht hat. In einem solchen Fall kann
der Umstand, dass eine Vorlage die Weiterführung einer vom Bundesgericht
bereits festgestellten schwerwiegenden Rechtswidrigkeit bezweckt und damit im
Gegensatz zum Bundesrecht steht, eine Überprüfung der Vorlage durch das
Bundesgericht im Interesse des Schutzes der freien Willensbildung der
Stimmbürger erfordern. Die Situation erscheint dann analog zu den in E. 1.3.1
hiervor erwähnten Fällen, in welchen eine Initiative vom kantonalen Parlament
von Amtes wegen vor der Abstimmung auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem
Recht überprüft wird. Bei Vorlagen auf Änderung der Kantonsverfassung kann
vermieden werden, dass der Bundesversammlung kantonale Verfassungsbestimmungen
zur Gewährleistung im Sinne von Art. 51 Abs. 2 BV vorgelegt werden, die nach
konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung dem Bundesrecht widersprechen.

1.3.4 In BGE 136 I 376 hat das Bundesgericht das bisherige Wahlverfahren für
den Zuger Kantonsrat detailliert untersucht und dargelegt, inwiefern es den
bundesrechtlichen Anforderungen nicht
BGE 139 I 195 S. 201
genügt (E. 3 hiernach). Trotz der in diesem Urteil enthaltenen Ausführungen und
Feststellungen soll nach der hier umstrittenen Variante B des
Kantonsratsbeschlusses über eine Vorlage abgestimmt werden, welche die
Beibehaltung des bereits als bundesverfassungswidrig beurteilten Wahlverfahrens
bewirken soll. Unter diesen Umständen sind die in E. 1.3.3 genannten
Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Beschwerde an das Bundesgericht
erfüllt.

1.4 Die Beschwerdeführer sind nach Art. 89 Abs. 3 BGG zur Beschwerde befugt:
Die Beschwerde führenden Einzelpersonen sind im Kanton Zug stimm- und
wahlberechtigt. Die am Verfahren beteiligten politischen Parteien sind im
Kanton Zug tätig (vgl. BGE 134 I 172 E. 1.2 und 1.3.1 S. 174 mit Hinweisen;
Urteil 1C_127/2010 vom 20. Dezember 2010 E. 3.3, nicht publ. in: BGE 136 I 376
). Da auch die anderen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die
Beschwerde einzutreten.

2. Nach Art. 39 Abs. 1 BV regeln die Kantone - entsprechend ihrer
Organisationsautonomie - die Ausübung der politischen Rechte in kantonalen und
kommunalen Angelegenheiten. Diese Zuständigkeit wird ausgeübt im Rahmen der
bundesverfassungsrechtlichen Garantie von Art. 34 BV sowie nach den
Mindestanforderungen gemäss Art. 51 Abs. 1 BV (vgl. zum Ganzen BGE 136 I 352 E.
2 mit Hinweisen).
Art. 34 Abs. 1 BV gewährleistet die politischen Rechte (auf Bundes- sowie
Kantons- und Gemeindeebene) in abstrakter Weise und ordnet die wesentlichen
Grundzüge der demokratischen Partizipation im Allgemeinen. Der Gewährleistung
kommt Grundsatzcharakter zu. Sie weist Bezüge auf zur Rechtsgleichheit sowie
zur Rechtsweggarantie. Der konkrete Gehalt der politischen Rechte mit ihren
mannigfachen Teilgehalten ergibt sich nicht primär aus der Bundesverfassung,
sondern in erster Linie aus dem spezifischen Organisationsrecht des Bundes bzw.
der Kantone (BGE 136 I 364 E. 2.1 S. 366).
Die in Art. 34 Abs. 2 BV verankerte Wahl- und Abstimmungsfreiheit gibt den
Stimmberechtigten Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt
wird, das nicht den freien Willen der Stimmberechtigten zuverlässig und
unverfälscht zum Ausdruck bringt. Es soll garantiert werden, dass jeder
Stimmberechtigte seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und
umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen und entsprechend mit seiner
Stimme zum Ausdruck bringen kann. Die Wahl- und Abstimmungsfreiheit
BGE 139 I 195 S. 202
gewährleistet die für den demokratischen Prozess und die Legitimität
direktdemokratischer Entscheidungen erforderliche Offenheit der
Auseinandersetzung (BGE 136 I 364 E. 2.1 S. 366).

3.

3.1 Das Bundesgericht hat in BGE 136 I 376 E. 4.6 S. 383 f. festgestellt, dass
das bisherige Proporzwahlverfahren des Kantons Zug für die Wahl des Kantonsrats
vor der Bundesverfassung nicht standhält. Es führte weiter aus, dass dem
kantonalen Gesetzgeber grundsätzlich unterschiedliche Möglichkeiten zur
Verfügung stehen, das Bekenntnis zum Proporz bundesverfassungskonform
umzusetzen.
Zum einen können auf Gesetzesstufe Wahlkreisverbände geschaffen werden, welche
im Sinne des Verhältniswahlrechts einen Ausgleich unter den unterschiedlich
grossen Wahlkreisen bewirken (vgl. BGE 131 I 74; Urteil P.918/1986 vom 9.
Dezember 1986, in: ZBl 88/1987 S. 367). Es ist Sache des kantonalen
Gesetzgebers, im Einzelnen zu prüfen, ob die Kantonsverfassung die Einführung
von Wahlkreisverbänden auf Gesetzesstufe erlaubt und wie eine Ordnung mit
Wahlkreisverbänden auszugestalten wäre.
Zum andern lässt sich der Grundsatz des Proporzes gesetzlich durch den Einbezug
des ganzen Kantons anstelle der isolierten Betrachtung der einzelnen Wahlkreise
optimieren. Mit einer zentralen Verteilung der Parteimandate nach der
doppelt-proportionalen Methode "Doppelter Pukelsheim" lässt sich ein
wahlkreisübergreifender Ausgleich realisieren (vgl. zu dieser Methode BGE 136 I
364 mit Hinweisen; vgl. ferner PUKELSHEIM/SCHUHMACHER, Doppelproporz bei
Parlamentswahlen - ein Rück- und Ausblick, AJP 2011 S. 1581; PUKELSHEIM/
SCHUHMACHER, Das neue Zürcher Zuteilungsverfahren für Parlamentswahlen, AJP
2004 S. 505; ANINA WEBER, Vom Proporzglück zur Proporzgenauigkeit, AJP 2010 S.
1373/1379; CHRISTIAN SCHUHMACHER, Sitzverteilung bei Parlamentswahlen nach dem
neuen Zürcher Zuteilungsverfahren, 2005, S. 1 ff.). Dieses Zuteilungsverfahren
bezweckt unter anderem, unter Beibehaltung der traditionellen, unterschiedlich
grossen Wahlkreise eine parteiproportionale Sitzzuteilung zu realisieren und
damit sowohl die Verhältnismässigkeit zwischen den Parteien als auch die
Verhältnismässigkeit zwischen den Wahlkreisen zu wahren. Die Parteien mit ihren
Listen wie auch die Wahlkreise werden auf diese Weise proportional vertreten.
Daran ändert nichts, dass das System auch gewisse Nachteile aufweist
(PUKELSHEIM/SCHUHMACHER, a.a.O., AJP 2004 S. 519; WEBER, a.a.O.,
BGE 139 I 195 S. 203
S. 1379; SCHUHMACHER, a.a.O., S. 19). Im Zeitpunkt der bundesgerichtlichen
Beurteilung gemäss BGE 136 I 376 waren keine Anzeichen ersichtlich, dass die
Kantonsverfassung einer solchen Sitzzuteilungsmethode entgegenstehen würde.
Schliesslich fügte das Bundesgericht an, dass eine Stärkung des
Proporzgedankens auch auf Verfassungsstufe erreicht werden könnte, zum Beispiel
mit der Festlegung neuer Wahlkreise oder durch die Schaffung eines
Einheitswahlkreises (BGE 136 I 376 E. 4.6 S. 384; ANDREA TÖNDURY, Der ewige K
(r)ampf mit den Wahlkreisen, in: Direkte Demokratie, Festschrift für Andreas
Auer zum 65. Geburtstag, 2013, S. 61 f.).

3.2 Der Kantonrat Zug hat im Anschluss an den Entscheid des Bundesgerichts den
Weg über eine Änderung der Kantonsverfassung gewählt. In erster Lesung der
vorgeschlagenen Verfassungsänderung hat er sich entschieden, das
Proporzwahlrecht für die Kantonsratswahlen mit den Einwohnergemeinden als
Wahlkreisen beizubehalten und die Sitze auf die Parteien und politischen
Gruppierungen nach dem doppelt-proportionalen Zuteilungsverfahren (sog.
Doppelter Pukelsheim) zu verteilen. Dieser Beschluss wurde in der zweiten
Lesung zur Variante A der Abstimmungsvorlage. Zusätzlich beschloss der
Kantonsrat in der zweiten Lesung, mit Variante B eine Abstimmungsvorlage, die
ebenfalls das Proporzwahlrecht für die Kantonsratswahlen mit den
Einwohnergemeinden als Wahlkreisen verankert und zudem das
doppelt-proportionale Zuteilungsverfahren und die Bildung von
Wahlkreisverbänden ausdrücklich ausschliesst. Der Vorstoss, der im Kantonsrat
zur Vorlage der Variante B führte, wurde damit begründet, dass sich das
bisherige Wahlsystem bewährt habe und die Zuger Stimmbevölkerung das bisherige
Wahlverfahren mit einer entsprechenden Anpassung der Verfassung verankern
solle. Dazu diene der klare Ausschluss des doppelt-proportionalen
Zuteilungsverfahrens nach der Methode Pukelsheim.

3.3 Das Bundesgericht hat in BGE 136 I 376 E. 4.6 S. 383 f. anerkannt, dass dem
kantonalen Gesetzgeber grundsätzlich unterschiedliche Möglichkeiten zur
Verfügung stehen, das Bekenntnis zum Proporz bundesverfassungskonform
umzusetzen. Es ist somit nicht Sache des Bundesgerichts, anstelle der
zuständigen kantonalen Organe festzulegen, nach welchem Wahlverfahren die Sitze
im Kantonsrat zu verteilen sind. Der Vorschlag nach Variante B der
Abstimmungsvorlage zielt nun indessen darauf ab, genau dasjenige
BGE 139 I 195 S. 204
Wahlverfahren auf der Stufe der Kantonsverfassung festzuschreiben, dessen
Bundesverfassungswidrigkeit das Bundesgericht mit BGE 136 I 376 festgestellt
hat. An den Gründen der Verfassungswidrigkeit und den entsprechenden
Rechtsgrundlagen hat sich seither nichts geändert. So wurden auch in der
Kantonsratsdebatte zu den beiden Abstimmungsvarianten oder in den
Vernehmlassungen der kantonalen Behörden zur vorliegenden Beschwerde keine
Gründe genannt, die an der damaligen bundesgerichtlichen Beurteilung Zweifel
aufkommen liessen. Es ist somit als Zwischenergebnis festzuhalten, dass
Variante B der Abstimmungsvorlage ein Wahlverfahren vorschlägt, das mit der
Bundesverfassung nicht vereinbar ist.

4. Nach dem in Art. 49 Abs. 1 BV verankerten Vorrang des Bundesrechts dürfen
die Kantone in Sachgebieten, die das Bundesrecht nicht abschliessend ordnet,
nur solche Vorschriften erlassen, die nicht gegen Sinn und Geist des
Bundesrechts verstossen und dessen Zweck nicht beeinträchtigen oder vereiteln (
BGE 133 I 110 E. 4.1 S. 115 f.; BGE 130 I 82 E. 2.2 S. 87; je mit Hinweisen).
Die Beschwerdeführer weisen zudem darauf hin, dass Bund und Kantone nach Art.
44 Abs. 2 BV einander Rücksicht und Beistand schulden. Dieser Kern
bundesstaatlicher Zusammenarbeit ist nach Ansicht der Beschwerdeführer in Frage
gestellt, wenn eine Kantonsbehörde bewusst den Verfassungsbruch anstrebt.
Aufgrund der Entstehungsgeschichte und des Inhalts von Variante B der
Abstimmungsvorlage ist offensichtlich, dass diese darauf ausgerichtet ist, die
Schaffung eines mit den Grundsätzen von Art. 34 Abs. 2 BV zu vereinbarenden
Proporzwahlverfahrens (vgl. BGE 136 I 376 E. 4.5 S. 383) zu verhindern. Dies
steht im Widerspruch zu den Aufgaben, die den kantonalen Organen bei der
Achtung und Erfüllung der Vorgaben der Bundesverfassung zukommen. Das
Bundesgericht hat aufgezeigt, dass mit dem bisherigen Wahlsystem die aus der
verfassungsrechtlichen Garantie der politischen Rechte folgenden Vorgaben
deutlich verfehlt werden. Gewichtige politische Minderheiten sind vom
Kantonsrat ausgeschlossen, und eine grosse Anzahl von Wählerstimmen bleibt
unbeachtlich. Damit liegt ein schwerwiegender Mangel vor, der mit den
Grundsätzen des Verhältniswahlrechts unvereinbar ist (BGE 136 I 376 E. 4.5 S.
383 mit Hinweis).
Es unterliegt somit keinem Zweifel, dass Variante B der vom Kantonsrat am 2.
Mai 2013 beschlossenen Abstimmungsvorlage nicht
BGE 139 I 195 S. 205
mit der Bundesverfassung in Einklang gebracht werden kann. Eine Abstimmung über
Variante B würde bei der Stimmbürgerschaft den Eindruck erwecken, diese Vorlage
sei geeignet, ein verfassungskonformes Wahlverfahren herbeizuführen, was nicht
zutrifft (vgl. BGE 136 I 376). Variante B enthält insoweit mit dem
kategorischen Ausschluss von Wahlkreisverbänden und dem Verbot der
Sitzverteilung nach dem doppelt-proportionalen Zuteilungsverfahren
Bestimmungen, welche eine bundesverfassungskonforme Verwirklichung des in
derselben Kantonsverfassung vorgeschriebenen Verhältniswahlrechts verhindern.
Eine Abstimmung über eine derart offensichtlich bundesverfassungswidrige
Vorlage beeinträchtigt die freie Willensbildung der Stimmbürgerinnen und
Stimmbürger. Insofern wird die Wahl- und Abstimmungsfreiheit (Art. 34 Abs. 2 BV
) mit der Vorlage gemäss Variante B verletzt. Die Durchführung einer Abstimmung
über die Variante B der Verfassungsänderung erweist sich somit im Lichte des
Vorrangs des Bundesrechts (Art. 49 Abs. 2 BV) als mit Art. 34 Abs. 2 BV
unvereinbar.