Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 IV 62



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Urteilskopf

139 IV 62

9. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. Swissmedic
(Schweizerisches Heilmittelinstitut) gegen X. (Beschwerde in Strafsachen)
6B_771/2011 vom 11. Dezember 2012

Regeste

Ende der Verfolgungsverjährung mit Ausfällung eines erstinstanzlichen Urteils (
Art. 97 Abs. 3 StGB).
Der Strafbescheid im Verwaltungsstrafverfahren (Art. 64 VStrR) ist kein
erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB, nach dessen
Ausfällung die Verjährung nicht mehr eintritt (Bestätigung der Rechtsprechung).
Dies gilt auch, wenn die Einsprache gegen den Strafbescheid als Begehren um
gerichtliche Beurteilung behandelt und daher keine Strafverfügung (Art. 70
VStrR) erlassen wird (E. 1.4).
Unter erstinstanzlichen Urteilen im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB, nach deren
Ausfällung die Verjährung nicht mehr eintritt, sind nicht nur verurteilende,
sondern auch freisprechende Erkenntnisse zu verstehen (Änderung der
Rechtsprechung; E. 1.5).

Sachverhalt ab Seite 63

BGE 139 IV 62 S. 63

A. X. war von 1996 bis 2006 Chefapothekerin in einem Spital. In dieser Funktion
präsidierte sie auch die Medikamentenkommission, welche über die Aufnahme von
Arzneimitteln in die Medikamentenliste (Bestellliste) des Spitals entschied. X.
schloss im Namen der Spitalapotheke am 11. November 2002 und am 10. Dezember
2003 zwei Verträge mit der A. SA und am 3./22. Dezember 2004 einen Vertrag mit
der B. AG ab. Die A. SA leistete im Dezember 2002 und im Oktober 2004 Zahlungen
von Fr. 19'000.- respektive Fr. 15'000.- auf ein von X. eingerichtetes
Postkonto mit der Bezeichnung "R&D& Formation" (für "Research&Development&
Formation"). Die B. AG überwies im Dezember 2004 einen Betrag von Fr. 15'000.-
auf dasselbe Konto.

B.

B.a Die Swissmedic bestrafte X. mit Strafbescheiden vom 18. und 19. März 2009
wegen Widerhandlungen gegen das Heilmittelgesetz (Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 87
Abs. 1 lit. b HMG) mit Bussen von Fr. 2'000.- respektive Fr. 800.-.
X. erhob Einsprache. Die Swissmedic behandelte diese auf Antrag der
Einsprecherin gemäss Art. 71 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht
(VStrR) als Begehren um Beurteilung durch das Strafgericht. Das
Einspracheverfahren, also der Erlass einer Strafverfügung (Art. 70 VStrR) auf
Einsprache (Art. 67 VStrR) der Gebüssten gegen den Strafbescheid (Art. 64 VStrR
), wurde mithin übersprungen.

B.b Das Bezirksstrafgericht der Saane sprach X. mit Urteil vom 20. November
2009 vom Vorwurf der Übertretung des Heilmittelgesetzes (Art. 33 Abs. 2 i.V.m.
Art. 87 Abs. 1 lit. b HMG) frei.
Gegen dieses Urteil erhob die Swissmedic Berufung mit den Anträgen, X. sei der
mehrfachen vorsätzlichen, eventuell der mehrfachen fahrlässigen Widerhandlung
gegen das Heilmittelgesetz (Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 87 Abs. 1 lit. b
[eventuell auch i.V.m. Art. 87 Abs. 3] HMG) schuldig zu sprechen.
Der Strafappellationshof des Kantonsgerichts Freiburg wies mit Urteil vom 16.
September 2011 die Berufung der Swissmedic ab und
BGE 139 IV 62 S. 64
bestätigte den erstinstanzlichen Freispruch vom Vorwurf der Übertretung gegen
das Heilmittelgesetz.

C. Die Swissmedic führt mit Eingabe vom 23. November 2011 Beschwerde in
Strafsachen mit den Anträgen, X. sei der mehrfachen vorsätzlichen, eventuell
der mehrfachen fahrlässigen Widerhandlung gegen das Heilmittelgesetz im Sinne
von Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 87 Abs. 1 lit. b (eventuell auch i.V.m. Art. 87
Abs. 3) HMG schuldig zu sprechen und zu Bussen von Fr. 2'000.- und Fr. 800.- zu
verurteilen. Die Swissmedic stellt zudem Anträge betreffend die Verteilung der
Verfahrenskosten in den verschiedenen Verfahrensstadien.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Es stellt sich zunächst die Frage der Verjährung. Solange die
Verfolgungsverjährung läuft, ist in jedem Stadium des Verfahrens, auch im
bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren, von Amtes wegen zu prüfen, ob sie
eingetreten ist (BGE 129 IV 49 E. 5.4; BGE 116 IV 80 E. 2; BGE 97 IV 153 E. 2)

1.1 Das Bundesgesetz vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und
Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21) enthält hinsichtlich der
Verjährung lediglich eine Bestimmung betreffend die Dauer der Verjährungsfrist
bei Übertretungen (Art. 87 Abs. 5 HMG). Es findet sich im Gesetz keine Regelung
betreffend den Beginn und das Ende der Verfolgungsverjährung. Insoweit sind, da
diesbezügliche Vorschriften auch im Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht
fehlen, gemäss Art. 2 VStrR (SR 313.0) die Bestimmungen des Strafgesetzbuches
anwendbar.
Gemäss Art. 98 StGB beginnt die Verjährung (a.) mit dem Tag, an dem der Täter
die strafbare Tätigkeit ausführt; (b.) wenn der Täter die strafbare Tätigkeit
zu verschiedenen Zeiten ausführt, mit dem Tag, an dem er die letzte Tätigkeit
ausführt; (c.) wenn das strafbare Verhalten dauert, mit dem Tag, an dem dieses
Verhalten aufhört. Ist vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches
Urteil ergangen, so tritt die Verjährung nicht mehr ein (Art. 97 Abs. 3 StGB).
Diese Bestimmungen entsprechen inhaltlich aArt. 71 und aArt. 70 Abs. 3 StGB in
der Fassung gemäss Bundesgesetz vom 5. Oktober 2001 (AS 2002 2993 und 3146),
welche zur Zeit der vorliegend inkriminierten Handlungen in Kraft waren. Die
Bestimmungen über den Beginn und das Ende der Verjährung gelten gemäss Art. 104
StGB auch für
BGE 139 IV 62 S. 65
Übertretungen (siehe BGE 135 IV 196 E. 2 betreffend Art. 97 Abs. 3 StGB im
Besonderen).

1.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist unter einem
erstinstanzlichen Urteil, mit dessen Ausfällung vor Ablauf der Verjährungsfrist
gemäss Art. 97 Abs. 3 StGB (respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB in der Fassung
gemäss Bundesgesetz vom 5. Oktober 2001) die Verjährung nicht mehr eintreten
kann, ein den Beschuldigten verurteilendes Erkenntnis zu verstehen und läuft
somit im Falle eines erstinstanzlichen Entscheids, durch welchen der
Beschuldigte freigesprochen oder das Verfahren eingestellt wird, die
Verfolgungsverjährung weiter (BGE 135 IV 196 E. 2.1; BGE 134 IV 328 E. 2.1). In
Strafsachen, die zunächst im Verwaltungsstrafverfahren gemäss dem Bundesgesetz
über das Verwaltungsstrafrecht durchgeführt werden, ist die Strafverfügung der
Verwaltung (Art. 70 VStrR) der massgebende Entscheid, mit welchem die
Verjährung endet, und hört somit die Verjährung einerseits nicht bereits mit
dem Strafbescheid der Verwaltung (Art. 64 VStrR) und andererseits nicht erst
mit dem erstinstanzlichen Gerichtsurteil im Rahmen der gerichtlichen
Beurteilung (Art. 73 ff., 79 VStrR) zu laufen auf (BGE 135 IV 196 E. 2; BGE 133
IV 112 E. 9.4.4).

1.3

1.3.1 Soweit die inkriminierten Handlungen überhaupt Straftaten darstellen
sollten, begann die Verjährung mit den Tagen zu laufen, an denen die
Beschwerdegegnerin die geldwerten Vorteile annahm, d.h. an den Tagen, an denen
die A. SA im Dezember 2002 und im Oktober 2004 sowie die B. AG im Dezember 2004
Zahlungen auf das von der Beschwerdegegnerin eingerichtete Postkonto leisteten.
Zwischen den Annahmen der beiden Zahlungen der A. SA besteht entgegen der
Auffassung der Beschwerdeführerin weder eine tatbeständliche noch eine
natürliche Handlungseinheit, da deren Voraussetzungen (siehe dazu BGE 131 IV 83
E. 2.4.5) schon mangels des erforderlichen engen zeitlichen Zusammenhangs nicht
erfüllt sind.

1.3.2 Übertretungen gemäss Heilmittelgesetz verjähren entgegen der sich aus
Art. 87 Abs. 5 HMG i.V.m. Art. 333 Abs. 6 lit. b StGB (respektive aArt. 333
Abs. 5 lit. b StGB) ergebenden Regelung nicht in zehn Jahren, sondern in sieben
Jahren, da die Verjährungsfrist für Übertretungen im Sinne eines
Spezialgesetzes vernünftigerweise nicht länger sein kann als die
Verjährungsfrist für Vergehen im Sinne desselben Spezialgesetzes (Urteil 6B_374
/2008 vom 27. November 2008 E. 5; siehe auch BGE 134 IV 328 E. 2.1). Soweit im
Urteil 6B_5/2010
BGE 139 IV 62 S. 66
vom 30. Juni 2010 (E. 4.2) in einer Randbemerkung unter Hinweis auf das Urteil
6B_115/2008 vom 4. September 2008 von einer Verjährungsfrist von 7 ½ Jahren
ausgegangen wird, liegt ein Versehen vor, da die im Urteil 6B_115/2008 (E. 2.7)
vertretene Auffassung, dass die Verjährungsfrist 7 ½ Jahre betrage, durch das
Urteil 6B_374/2008 korrigiert worden ist.

1.3.3 Die Strafbescheide der Beschwerdeführerin vom 18. und 19. März 2009,
durch welche die Beschwerdegegnerin wegen Übertretung gegen das
Heilmittelgesetz gebüsst wurde, sind keine Urteile im Sinne von Art. 97 Abs. 3
StGB (respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB), nach deren Ausfällung vor Ablauf der
Verjährungsfrist die Verjährung nicht mehr eintreten kann (BGE 135 IV 196 E.
2.1; BGE 133 IV 112 E. 9.4.4). Eine Strafverfügung im Sinne von Art. 70 VStrR
hat die Beschwerdeführerin nicht erlassen, da sie die gegen die Strafbescheide
erhobenen Einsprachen auf Antrag der Beschwerdegegnerin gemäss Art. 71 VStrR
als Begehren um gerichtliche Beurteilung behandelte. Durch das Urteil des
Bezirksstrafgerichts der Saane vom 20. November 2009 wurde die
Beschwerdegegnerin freigesprochen, weshalb die Verjährung auch nach der
Ausfällung dieses Urteils weiterlief (BGE 135 IV 196 E. 2; BGE 134 IV 328 E.
2.1). Auf der Grundlage der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind daher die
der Beschwerdegegnerin zur Last gelegten Handlungen bei einer Verjährungsfrist
von sieben Jahren im Dezember 2009 (Zahlung der A. SA von Fr. 19'000.- im
Dezember 2002) respektive im Oktober 2011 (Zahlung der A. SA von Fr. 15'000.-
im Oktober 2004) beziehungsweise im Dezember 2011 (Zahlung der B. AG von Fr.
15'000.- im Dezember 2004) verjährt.

1.4 Die Beschwerdeführerin fordert eine Änderung der Rechtsprechung, wonach im
Anwendungsbereich des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht die
Verjährung mit dem Erlass der Strafverfügung der Verwaltung im Sinne von Art.
70 VStrR endet. Sie ist der Auffassung, die Strafverfügung der Verwaltung sei
verjährungsrechtlich unerheblich. Die Verjährung höre bereits mit der
Ausfällung des Strafbescheids der Verwaltung (Art. 64 VStrR) zu laufen auf.

1.4.1 Nach Art. 97 Abs. 3 StGB respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB tritt die
Verjährung nicht mehr ein, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein
erstinstanzliches Urteil ergangen ist. Gemäss den Ausführungen in der Botschaft
des Bundesrates vom 21. September 1998 zur Teilrevision des Strafgesetzbuches
(Allgemeine Bestimmungen
BGE 139 IV 62 S. 67
etc.) sind unter Urteilen im Sinne dieser Bestimmung auch Urteile im
Abwesenheitsverfahren sowie Strafmandate (Strafbefehle) zu verstehen, die nicht
Gegenstand eines Rechtsmittel- oder Einspracheverfahrens waren (Botschaft, BBl
1999 1997 ff., 2134). Weitere Erörterungen zum Begriff des Urteils im Sinne der
zitierten Bestimmung enthält die Botschaft nicht. Die Tragweite der Vorschrift
war auch nicht Gegenstand der parlamentarischen Beratungen.

1.4.2 In BGE 133 IV 112 E. 9.4.4 erwog das Bundesgericht, dass jeder
Strafverfügung (Art. 70 VStrR) zwingend ein Strafbescheid (Art. 64 VStrR)
voranzugehen habe, welcher wie ein Strafmandat (Strafbefehl) auf summarischer
Grundlage getroffen werden könne. Die Strafverfügung müsse demgegenüber auf
einer umfassenden Grundlage beruhen und werde in einem kontradiktorischen
Verfahren erlassen. Während somit der Strafbescheid Parallelen zum Strafmandat
(Strafbefehl) aufweise, sei die Strafverfügung einem gerichtlichen Urteil
gleichzustellen, mit dessen Ausfällung die Verjährung zu laufen aufhöre.
Diese Auffassung ist in einem Teil des Schrifttums auf Kritik gestossen. Danach
ist erst das erstinstanzliche Erkenntnis im gerichtlichen Verfahren (Art. 73
ff., Art. 79 VStrR) als erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3
StGB (respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB) zu qualifizieren. Zur Begründung wird
ausgeführt, dass Entscheide der Verwaltung und somit auch Strafverfügungen
keine Urteile seien, da sie nicht von einem Gericht erlassen würden und nicht
mit einem Rechtsmittel, sondern mit einer blossen Einsprache anzufechten seien.
Zudem könne das Verwaltungsstrafverfahren gänzlich entfallen, wenn das
übergeordnete Departement die Voraussetzungen einer Freiheitsstrafe oder einer
freiheitsentziehenden Massnahme für gegeben halte (siehe Art. 21 Abs. 1 i.V.m.
Art. 73 Abs. 1 VStrR). Ausserdem könne das Verwaltungsstrafverfahren zumindest
teilweise übersprungen werden, wenn die Verwaltung die Einsprache gegen den
Strafbescheid auf Antrag oder mit Zustimmung des Einsprechers als Begehren um
gerichtliche Beurteilung durch das Strafgericht behandle (Art. 71 VStrR) und
somit keine Strafverfügung (Art. 70 VStrR) erlassen werde (RIEDO/ZURBRÜGG, Der
Jetlag dauert an oder Neue Unwägbarkeiten im Recht der strafrechtlichen
Verjährung, AJP 2009 S. 372 ff., 377 f.).

1.4.3 Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass entgegen dieser
Meinungsäusserung im Schrifttum nicht erst das erstinstanzliche
BGE 139 IV 62 S. 68
Urteil im gerichtlichen Verfahren und entgegen der Rechtsprechung des
Bundesgerichts auch nicht die Strafverfügung der Verwaltung, sondern bereits
der Strafbescheid der Verwaltung als erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art.
97 Abs. 3 StGB respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB zu qualifizieren ist, nach
dessen Ausfällung die Verjährung nicht mehr eintreten kann. Zwar weise der
Strafbescheid (Art. 64 VStrR) gewisse Parallelen zum Strafbefehl auf, doch
unterscheide er sich davon wesentlich dadurch, dass ihm zwingend ein
Schlussprotokoll (Art. 61 VStrR) vorauszugehen habe. Dieses enthalte in
komplexen Fällen bereits eine ausführliche rechtliche Würdigung, zu welcher der
Beschuldigte Stellung nehmen könne. Das in BGE 133 IV 112 E. 9.4.4 als
wesentlich erachtete Element des "kontradiktorischen Verfahrens" finde
namentlich in komplexen Fällen bereits im Stadium zwischen der Erstellung des
Schlussprotokolls und dem Erlass des Strafbescheids statt. Demgegenüber sei es
mit dem "kontradiktorischen Verfahren" im Stadium zwischen Strafbescheid und
Strafverfügung in Tat und Wahrheit nicht weit her. Die Verwaltung sei zwar
verpflichtet, den Strafbescheid auf Einsprache hin zu überprüfen, doch sei sie
nicht verpflichtet, sondern lediglich berechtigt, eine mündliche Verhandlung
anzuordnen und die Untersuchung zu ergänzen (Art. 69 Abs. 1 VStrR). Die
Beschwerdeführerin weist sodann darauf hin, sie hätte im vorliegenden Fall,
anstatt dem Antrag der Beschwerdegegnerin auf Überspringen des
Einspracheverfahrens (Art. 71 VStrR) stattzugeben, ohne weiteres zwei mit den
Strafbescheiden weitgehend übereinstimmende Strafverfügungen erlassen können,
womit nach der Rechtsprechung die Verfolgungsverjährung zu laufen aufgehört
hätte. Im Falle der Aufrechterhaltung der in BGE 133 IV 112 E. 9.4.4
begründeten Praxis sei davon auszugehen, dass die Verwaltung einzig zum Zwecke
der Vermeidung des Verjährungsrisikos Anträgen auf Überspringen des
Einspracheverfahrens nicht mehr stattgeben werde, zumal nicht voraussehbar sei,
innert welcher Frist ein erstinstanzlicher Gerichtsentscheid im gerichtlichen
Verfahren ausgefällt werde, und somit ein erhöhtes Verjährungsrisiko bestehe.
Aus diesen Gründen sei die bundesgerichtliche Rechtsprechung in dem Sinne zu
ändern, dass nicht erst eine allfällige Strafverfügung (Art. 70 VStrR), sondern
bereits der Strafbescheid der Verwaltung (Art. 64 VStrR) als erstinstanzliches
Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB zu qualifizieren sei, nach dessen
Ausfällung die Verjährung nicht mehr eintreten könne.

1.4.4 Das Bundesgericht hatte sich in BGE 133 IV 112 E. 9.4.4 nicht mit der
Konstellation der hier vorliegenden Art zu befassen, in
BGE 139 IV 62 S. 69
welcher die Einsprache gegen den Strafbescheid gemäss Art. 71 VStrR als
Begehren um gerichtliche Beurteilung behandelt und somit zufolge Überspringens
des Einspracheverfahrens keine Strafverfügung erlassen wird. Es prüfte daher
nicht, ob in dieser Situation bereits mit dem Strafbescheid (Art. 64 VStrR)
oder erst mit dem (verurteilenden) Erkenntnis der ersten Gerichtsinstanz im
gerichtlichen Verfahren (Art. 73 ff., Art. 79 VStrR) die Verjährung zu laufen
aufhört. Die Frage muss im vorliegenden Verfahren entschieden werden.

1.4.5 Der Strafbescheid der Verwaltung ist aus den in BGE 133 IV 112 E. 9.4.4
genannten Gründen kein erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3
StGB. Daran vermögen die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Argumente
nichts zu ändern. Dass in einzelnen, namentlich komplexen Fällen dem Erlass des
Strafbescheids in der Praxis ein aufwändiges Verfahren vorausgehen kann, ist
nicht entscheidend. Ist aber der Strafbescheid (Art. 64 VStrR) kein
erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB, so gilt dies nicht
nur, wenn ihm auf Einsprache (Art. 67 ff. VStrR) hin eine Strafverfügung (Art.
70 VStrR) folgt, sondern auch, wenn die Einsprache gegen den Strafbescheid als
Begehren um gerichtliche Beurteilung behandelt (Art. 71 VStrR) und somit
zufolge Überspringens des Einspracheverfahrens keine Strafverfügung erlassen
wird. Denn das Überspringen des Einspracheverfahrens ändert an der Rechtsnatur
des Strafbescheids nichts, und bei dessen Erlass ist ungewiss, ob eine
allfällige Einsprache als Begehren um gerichtliche Beurteilung behandelt werden
wird.
In den Fällen, in welchen das Einspracheverfahren übersprungen wird (Art. 71
VStrR), ist somit nicht der Strafbescheid (Art. 64 VStrR), sondern der
erstinstanzliche Gerichtsentscheid im gerichtlichen Verfahren (Art. 73 ff.,
Art. 79 VStrR) als erstinstanzliches Urteil im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB zu
qualifizieren, nach dessen Ausfällung vor Ablauf der Verjährungsfrist die
Verjährung nicht mehr eintritt.

1.4.6 Welche Konsequenzen sich daraus für die Fälle ergeben, in denen das
Einspracheverfahren nicht übersprungen, sondern nach dem Erlass des
Strafbescheids eine Strafverfügung ausgefällt wird, ist hier nicht zu
entscheiden. Es ist nicht zu prüfen, ob folgerichtig auch in diesen Fällen die
Verjährung erst mit der Ausfällung des erstinstanzlichen Urteils im
gerichtlichen Verfahren zu laufen aufhört und die Rechtsprechung in diesem
Sinne zu ändern wäre.
BGE 139 IV 62 S. 70

1.5 Die Beschwerdeführerin fordert unter Hinweis auf Meinungsäusserungen in der
Lehre eine Änderung der Rechtsprechung, wonach unter einem Urteil im Sinne von
Art. 97 Abs. 3 StGB (respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB), nach dessen Ausfällung
vor Ablauf der Verjährungsfrist die Verjährung nicht mehr eintreten kann,
ausschliesslich verurteilende, nicht auch freisprechende Erkenntnisse zu
verstehen sind. Sie macht geltend, dass auch ein freisprechender
erstinstanzlicher Entscheid ein Urteil im Sinne der zitierten Bestimmung sei
und daher die Verjährung auch mit der Ausfällung eines freisprechenden
erstinstanzlichen Urteils vor Ablauf der Verjährungsfrist zu laufen aufhöre.
Demnach habe im vorliegenden Fall die Verjährung spätestens mit der Ausfällung
des freisprechenden Urteils des Bezirksstrafgerichts der Saane vom 20. November
2009 geendet. In jenem Zeitpunkt seien noch nicht sieben Jahre seit den
inkriminierten Handlungen verstrichen gewesen.

1.5.1 Gemäss Art. 97 Abs. 3 StGB respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB tritt die
Verjährung nicht mehr ein, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein
erstinstanzliches Urteil ergangen ist (si un jugement de première instance a
été rendu; se è stata pronunciata una sentenza di prima istanza).
In BGE 134 IV 328 E. 2.1 erwog das Bundesgericht, es stelle sich die Frage, ob
unter "Urteilen" im Sinne der zitierten Bestimmung nur Verurteilungen oder auch
Freisprüche und Verfahrenseinstellungen zu verstehen sind. Der Wortlaut der
Bestimmung lasse beides zu. Die Verjährung bezwecke aus verschiedenen
prozessualen und materiell-strafrechtlichen Gründen, die Strafverfolgung nach
Ablauf einer bestimmten Zeit einzustellen. Mit einem Freispruch werde
festgestellt, dass der Angeklagte wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht
verurteilt werden kann. Es widerspräche jeder Logik, an diese Feststellung die
Rechtsfolge zu knüpfen, dass der Freigesprochene wegen eben dieser Vorwürfe
zeitlich unbegrenzt weiter verfolgt werden könne, weil die beurteilte Straftat
nicht mehr verjähre. Unter "erstinstanzlichen Urteilen" im Sinne von Art. 97
Abs. 3 StGB seien daher ausschliesslich verurteilende Erkenntnisse zu
verstehen. Das Bundesgericht hat diese Auffassung in der Folge mehrfach
bestätigt (BGE 135 IV 196 E. 2.1; Urteile 6B_983/2010 vom 19. April 2011 E.
4.2.1; 6B_819/2010 vom 3. Mai 2011 E. 4.3). Im Urteil 6B_242/2011 vom 15. März
2012 (wiedergegeben in SJ 2012 I S. 313 ff.) erwog es, BGE 134 IV 328 E. 2.1
habe klar zum Ausdruck gebracht, dass
BGE 139 IV 62 S. 71
unter erstinstanzlichen Urteilen im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB (respektive
aArt. 70 Abs. 3 StGB) nur verurteilende und nicht auch freisprechende
Erkenntnisse zu verstehen seien. Diese Rechtsprechung sei zwar von einem Teil
der Lehre kritisiert worden. Die Voraussetzungen für eine Änderung der Praxis
seien indessen nicht erfüllt. Nach einem freisprechenden erstinstanzlichen
Urteil laufe die Verjährung weiter. Wenn die Rechtsmittelinstanz den
erstinstanzlichen freisprechenden Entscheid aufhebe und die Sache zur
Verurteilung an die erste Instanz zurückweise, höre die Verjährung erst mit der
Ausfällung des neuen, verurteilenden erstinstanzlichen Entscheids zu laufen
auf. Im Urteil 6B_983/2010 vom 19. April 2011 E. 4.2.3 hielt das Bundesgericht
fest, die Verfolgungsverjährung höre mit der Ausfällung eines verurteilenden
erstinstanzlichen Erkenntnisses zu laufen auf. Die Verjährung laufe ab diesem
Zeitpunkt unabhängig von allfälligen Rechtsmitteln nicht weiter, auch nicht,
wenn die erstinstanzliche Verurteilung in Gutheissung eines Rechtsmittels
aufgehoben werde.
In der Lehre sind die Meinungen geteilt. Nach der einen Auffassung sind unter
"Urteilen" im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB beziehungsweise aArt. 70 Abs. 3
StGB nur verurteilende Erkenntnisse zu verstehen (ALAIN MACALUSO, forumpoenale
5/2009 S. 278 f.; GILBERT KOLLY, in: Commentaire romand, Code pénal, Bd. I,
2009, N. 61 zu Art. 97 StGB). Nach der andern Ansicht fallen darunter auch
freisprechende Urteile (RIEDO/ZURBRÜGG, a.a.O., S. 377; CHRISTIAN DENYS,
Prescription de l'action pénale, les nouveaux art. 70, 71, 109 et 333 al. 5 CP,
SJ 2003 II 49 ff., 54 f.; VINCENT MAENDLY, La prescription, in: La nouvelle
partie générale du Code pénal suisse, Kuhn/Moreillon/Viredaz/Bichovsky [Hrsg.],
2006, S. 375 ff., 378; BERNARD BERTOSSA, SJ 2012 I 316).
Gegen die in BGE 134 IV 328 E. 2.1 begründete Rechtsprechung werden Einwände
und Bedenken in verschiedener Hinsicht vorgebracht. Bei grammatikalischer
Auslegung von Art. 97 Abs. 3 StGB (respektive aArt. 70 Abs. 3 StGB) sei
selbstverständlich auch ein freisprechendes Erkenntnis ein "Urteil" im Sinne
dieser Bestimmung. Die Auffassung des Bundesgerichts, der Wortlaut der
Bestimmung sei nicht eindeutig und lasse auch die Auslegung zu, dass nur
verurteilende Erkenntnisse als "Urteile" zu qualifizieren seien, sei unhaltbar
und schlechterdings falsch. Dies ergebe sich auch mit Blick auf den
französischen und den italienischen Gesetzeswortlaut, worin von
BGE 139 IV 62 S. 72
"jugement" respektive "sentenza" die Rede sei (RIEDO/ZURBRÜGG, a.a.O., S. 377).
Der Wortlaut der Bestimmung sei klar und bedürfe keiner Auslegung (BERNARD
BERTOSSA, a.a.O.). Wenn die Verjährung nach freisprechenden Erkenntnissen
weiterlaufe, bestehe das Risiko, dass im Falle der Einreichung eines
Rechtsmittels gegen das freisprechende erstinstanzliche Urteil durch die
Staatsanwaltschaft oder die Privatklägerschaft die Verjährung während des
Rechtsmittelverfahrens eintrete und somit ein allfälliges Fehlurteil der ersten
Instanz von der Rechtsmittelinstanz nicht mehr korrigiert werden könne. Genau
dies wolle die neue Bestimmung verhindern (RIEDO/ZURBRÜGG, a.a.O., S. 377). Es
sei nicht gerechtfertigt, die von der ersten Instanz möglicherweise zu Unrecht
freigesprochene Person unter dem Gesichtspunkt der Verjährung günstiger zu
behandeln als eine erstinstanzlich verurteilte Person (BERNARD BERTOSSA,
a.a.O.).

1.5.2 Eine Änderung der Rechtsprechung lässt sich regelmässig nur begründen,
wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren
Verhältnissen oder gewandelter Rechtsanschauung entspricht; andernfalls ist die
bisherige Praxis beizubehalten. Eine Praxisänderung muss sich auf ernsthafte
sachliche Gründe stützen können, die - vor allem im Interesse der
Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch oder
nicht mehr zeitgemäss erachtete Rechtsanwendung gehandhabt wurde (BGE 137 III
352 E. 4.6; BGE 136 III 6 E. 3; BGE 135 I 79 E. 3, je mit Hinweisen).
Die in BGE 134 IV 328 E. 2.1 begründete Rechtsprechung zu der am 1. Oktober
2002 in Kraft getretenen Bestimmung, wonach die Verjährung nicht mehr eintritt,
wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist
(aArt. 70 Abs. 3 StGB, Art. 97 Abs. 3 StGB), ist nach erneuter, eingehender
Prüfung aus nachstehenden Gründen dahingehend zu ändern, dass unter
erstinstanzlichen Urteilen im Sinne dieser Bestimmung nicht nur verurteilende,
sondern auch freisprechende Erkenntnisse zu verstehen sind.

1.5.3 Die Bestimmungen des Strafgesetzbuches über die Verjährung wurden durch
Bundesgesetz vom 5. Oktober 2001, in Kraft seit 1. Oktober 2002, teilweise
revidiert (AS 2002 2993, 3146). Die altrechtlichen Vorschriften betreffend das
Ruhen und die Unterbrechung der Verjährung sowie die relative und die absolute
Verjährung wurden aufgehoben. Die Verjährungsfristen wurden in dem Sinne
verlängert, dass sie ungefähr den altrechtlichen absoluten Fristen entsprechen.
BGE 139 IV 62 S. 73
Das alte Recht enthielt keine Bestimmung betreffend das Ende der
Verfolgungsverjährung vor Ablauf der Verjährungsfrist. Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichts hörte die Verjährung mit der Ausfällung eines
in Rechtskraft erwachsenden Entscheids insoweit zu laufen auf, als der
Beschuldigte dadurch verurteilt wurde. Soweit der Beschuldigte freigesprochen
oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wurde, lief die Verjährung weiter. Ob
die Verjährung bereits mit der Ausfällung des erstinstanzlichen oder erst mit
der Ausfällung des oberinstanzlichen verurteilenden kantonalen Erkenntnises zu
laufen aufhörte, hing gemäss der Praxis des Bundesgerichts zum alten Recht von
der mitunter nicht einfach zu beantwortenden Frage ab, ob nach dem massgebenden
kantonalen Prozessrecht das Rechtsmittel gegen den erstinstanzlichen Entscheid
als ein den Eintritt der Rechtskraft hemmendes ordentliches (Berufung,
Appellation) oder als ein den Eintritt der Rechtskraft nicht hemmendes
ausserordentliches (Nichtigkeitsbeschwerde, Kassationsbeschwerde) Rechtsmittel
ausgestaltet war. Im letztgenannten Fall endete die Verjährung bereits mit der
Ausfällung des erstinstanzlichen Entscheids, durch welchen der Beschuldigte
verurteilt wurde. Im erstgenannten Fall hingegen lief die Verjährung während
des Berufungs- beziehungsweise Appellationsverfahrens weiter, obschon der
Beschuldigte durch den erstinstanzlichen Entscheid verurteilt worden war, und
konnte somit während des Berufungs- respektive Appellationsverfahrens die
Verjährung eintreten. Die Verjährung lief auch im Falle eines Freispruchs durch
die Berufungs- beziehungsweise Appellationsinstanz weiter und konnte daher
während eines bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens gegen das freisprechende
letztinstanzliche kantonale Urteil eintreten, was zur Folge hatte, dass das
Bundesgericht auf die Beschwerde (der Staatsanwaltschaft, des Opfers etc.)
nicht eintrat. Wurde hingegen der Beschuldigte durch den Entscheid der
Appellations- beziehungsweise Berufungsinstanz verurteilt, so hörte die
Verfolgungsverjährung mit dem Eintritt der Rechtskraft des Entscheids zu laufen
auf. Wenn das verurteilende Erkenntnis vom Bundesgericht in Gutheissung einer
Beschwerde aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz
zurückgewiesen wurde, nahm die Verfolgungsverjährung ihren Fortgang und lief
der im Zeitpunkt der Ausfällung des angefochtenen Entscheids noch verbliebene
Rest der Verjährung ab Eröffnung des bundesgerichtlichen Urteils weiter (zum
Ganzen: BGE 129 IV 49 E. 5, BGE 129 IV 305 E. 6.2; BGE 121 IV 64 E. 2; BGE 116
IV 80 E. 2; BGE 111 IV 87 E. 3a und 3b; BGE 105 IV 307 E. 1b, je mit
Hinweisen).
BGE 139 IV 62 S. 74

1.5.4 Der Begriff des "Urteils" ("jugement"; "sentenza") ist jedenfalls
insoweit klar, als er sowohl verurteilende als auch freisprechende Urteile
erfasst. Auch ein freisprechendes Erkenntnis ist zweifelsfrei ein Urteil.
Die Gesetzesbestimmungen sind in erster Linie nach ihrem Wortlaut auszulegen.
An einen klaren Gesetzeswortlaut ist die rechtsanwendende Behörde gebunden.
Abweichungen vom klaren Wortlaut sind indessen zulässig oder sogar geboten,
wenn triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass er nicht dem wahren Sinn der
Bestimmung entspricht. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte
der Norm, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen
Vorschriften ergeben. Vom klaren Wortlaut kann ferner abgewichen werden, wenn
die grammatikalische Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber
nicht gewollt haben kann. Im Übrigen sind bei der Auslegung alle herkömmlichen
Auslegungselemente zu berücksichtigen, wobei das Bundesgericht einen
pragmatischen Methodenpluralismus befolgt und es ablehnt, die einzelnen
Auslegungselemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen (BGE 137 IV 180 E.
3.4; BGE 136 III 283 E. 2.3.1; BGE 135 II 78 E. 2.2; BGE 131 III 314 E. 2.2, je
mit Hinweisen).

1.5.5 Die Botschaft des Bundesrates vom 21. September 1998 zur Teilrevision des
Strafgesetzbuches (Allgemeine Bestimmungen etc.) hält unter Hinweis auf die
bundesgerichtliche Rechtsprechung fest, dass nach dem damals geltenden Recht
die Verfolgungsverjährung entweder mit dem Ablauf der Verjährungsfrist oder mit
der Ausfällung eines verurteilenden Erkenntnisses, welches in Rechtskraft
erwuchs und nur mit einem ausserordentlichen Rechtsmittel angefochten werden
konnte, zu laufen aufhörte. Das Ende der Verjährung hänge demnach von der
Ausgestaltung des kantonalen Rechtsweges ab und variiere somit von Kanton zu
Kanton. Ein Hauptproblem liege zudem darin, dass die Verjährung noch im
Rechtsmittelverfahren eintreten könne. Der Entwurf sehe daher vor, dass die
Verjährung definitiv ende, sobald ein erstinstanzliches Urteil ergangen sei.
Gegenüber der Gefahr, dass einem Rechtsmittelverfahren durch die
Verjährungsbestimmungen keine zeitlichen Grenzen mehr gesetzt seien, bleibe dem
Angeschuldigten der Schutz durch das Verzögerungsverbot und das
Beschleunigungsgebot. Wichtig sei, dass die Verurteilten, die auf ein
Rechtsmittel gegen den erstinstanzlichen Entscheid verzichten, nicht
benachteiligt sein sollen gegenüber den Verurteilten, welche das
BGE 139 IV 62 S. 75
erstinstanzliche verurteilende Erkenntnis nur deshalb anfechten, um den
Eintritt der Rechtskraft hinauszuschieben und die Verjährung eintreten zu
lassen. Die Folgen einer Verurteilung sollten nicht je nach Urteilskanton
unterschiedlich ausfallen (Botschaft, BBl 1999 1979 ff., 2134 f. Ziff. 216.11).
Die Botschaft des Bundesrates enthält somit Passagen, die ausdrücklich auf die
Lage der von der ersten Instanz verurteilten Person hinweisen. Die Probleme und
Ungereimtheiten, die sich insoweit aus dem alten Recht und der diesbezüglichen
Rechtsprechung ergaben, sollten durch die neue Bestimmung beseitigt werden. In
der Botschaft finden sich jedoch auch Passagen, aus denen sich ergibt, dass der
Gesetzgeber neben dem kantonalen Rechtsmittelverfahren betreffend
erstinstanzliche verurteilende Erkenntnisse im Besonderen auch das kantonale
Rechtsmittelverfahren im Allgemeinen im Auge hatte. Die Botschaft sieht ein
Hauptproblem des damals geltenden Rechts "zudem" darin, "dass die absolute
Verjährung noch im Rechtsmittelverfahren eintreten kann" (Botschaft, a.a.O., S.
2134 Ziff. 216.11). Dieses Risiko bestand nach dem alten Recht und der
diesbezüglichen Rechtsprechung nicht nur in den Fällen, in denen die
erstinstanzlich verurteilte Person das ihr zur Verfügung stehende ordentliche
Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche verurteilende Erkenntnis ergriff. Es
bestand ganz allgemein auch bei erstinstanzlichen Freisprüchen, da diesfalls
nach der Rechtsprechung zum alten Recht die Verjährung - unabhängig von der
Rechtsnatur des zur Verfügung stehenden Rechtsmittels - weiterlief und daher im
Rechtsmittelverfahren eintreten konnte. Zur Beseitigung dieser Risiken soll
gemäss den Ausführungen in der Botschaft die Verjährung definitiv enden, sobald
"ein erstinstanzliches Urteil" ergangen ist. Zwar fällt auf, dass in der
Botschaft weder explizit von freisprechenden Urteilen die Rede ist noch die
langjährige, in der Lehre weitgehend unangefochtene Rechtsprechung zum alten
Recht thematisiert wird, wonach bei freisprechenden Urteilen die Verjährung
unabhängig von dem dagegen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel weiterläuft.
Dass diesbezügliche Hinweise in der Botschaft fehlen, lässt jedoch keine
zwingenden Schlüsse auf den Willen des Gesetzgebers zu. Die Botschaft enthält
keine Ausführungen, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, dass nach dem Willen
des Gesetzgebers abweichend vom klaren Gesetzeswortlaut die Verjährung nur mit
verurteilenden und nicht auch mit freisprechenden erstinstanzlichen
Erkenntnissen zu laufen aufhört. Hätte der Gesetzgeber den Anwendungsbereich
von aArt. 70 Abs. 3 StGB beziehungsweise
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Art. 97 Abs. 3 StGB auf verurteilende erstinstanzliche Erkenntnisse beschränken
wollen, hätte er dies im Wortlaut der Bestimmung zum Ausdruck gebracht.
Die Botschaft des Bundesrates vom 7. November 2012 zur Änderung des
Strafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzes (Verlängerung der
Verfolgungsverjährung) hält mehrfach unter Hinweis auf Art. 97 Abs. 3 StGB
fest, dass die Verfolgungsverjährung seit der Revision des Verjährungsrechts im
Jahr 2002 nicht mehr erst mit der Ausfällung eines formell rechtskräftigen
Entscheids, sondern bereits mit der Ausfällung eines erstinstanzlichen Urteils
zu laufen aufhört, womit sich das Problem relativ kurzer Verjährungsfristen
entschärfe (BBl 2012 9253 ff., 9260 Ziff. 1.1.4, 9266 Ziff. 1.3.2). In der
Botschaft ist nicht davon die Rede, dass dies nur für verurteilende
erstinstanzliche Erkenntnisse gilt, und es wird auch nicht auf die
diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesgerichts hingewiesen.

1.5.6 Art. 97 Abs. 3 StGB will nach seinem Sinn und Zweck nicht nur verhindern,
dass sich die erstinstanzlich verurteilte Person durch Ergreifung eines
ordentlichen Rechtsmittels in die Verjährung retten kann. Die Bestimmung will
auch unterbinden, dass die erstinstanzlich möglicherweise zu Unrecht
freigesprochene Person in dem etwa von der Staatsanwaltschaft veranlassten
Rechtsmittelverfahren vom Eintritt der Verjährung profitieren kann und im
Hinblick darauf Anträge aller Art stellt. Es gibt keine sachlichen Gründe, die
erstinstanzlich freigesprochene Person gegenüber der verurteilten Person zu
privilegieren.
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 97 Abs. 3 StGB kann zu einer
Ungleichbehandlung führen etwa in Fällen, in denen von zwei mitbeschuldigten
Personen erstinstanzlich die eine verurteilt und die andere freigesprochen wird
und in der Folge beide mitbeschuldigten Personen von der Rechtsmittelinstanz
freigesprochen werden. Trotz übereinstimmender Freisprüche durch die
Rechtsmittelinstanz läuft die Verfolgungsverjährung nur für die erstinstanzlich
freigesprochene Person weiter, während sie für die andere Person zufolge der
erstinstanzlichen Verurteilung nicht läuft.

1.5.7 Dass die Verjährung auch mit erstinstanzlichen freisprechenden
Entscheiden zu laufen aufhört, bedeutet entgegen einer Bemerkung in BGE 134 IV
328 E. 2.1 nicht, dass die beschuldigte Person wegen Vorwürfen, von welchen sie
freigesprochen wurde, zeitlich unbegrenzt weiterverfolgt werden kann. Wenn das
freisprechende
BGE 139 IV 62 S. 77
Urteil in Rechtskraft erwächst, ist nach dem Grundsatz "ne bis in idem" eine
weitere Verfolgung, unter Vorbehalt der Revision zu Ungunsten der beschuldigten
Person, ausgeschlossen (siehe nunmehr Art. 11 StPO).

1.5.8 Die Auffassung, dass die Verjährung gemäss Art. 97 Abs. 3 StGB auch mit
erstinstanzlichen freisprechenden Urteilen zu laufen aufhört, hat nicht zur
Folge, dass die Revision zu Ungunsten der freigesprochenen Person zeitlich
unbegrenzt möglich ist.
Nach der schweizerischen Strafprozessordnung, in Kraft seit 1. Januar 2011, ist
die Revision wegen neuer Tatsachen oder neuer Beweismittel sowohl zugunsten als
auch zu Ungunsten der beschuldigten Person zulässig (siehe Art. 410 Abs. 1 lit.
a StPO). Die Revision zugunsten der beschuldigten Person kann auch nach
Eintritt der Verjährung verlangt werden (Art. 410 Abs. 3 StPO). Bis zu welchem
Zeitpunkt die Revision zu Ungunsten der beschuldigten Person möglich ist, ist
in der Strafprozessordnung nicht ausdrücklich geregelt. Aus Art. 410 Abs. 3
StPO ergibt sich e contrario, dass eine solche Revision nur verlangt werden
kann, wenn die beschuldigte Person lebt und die Verfolgungsverjährung noch
nicht eingetreten ist (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung
des Strafprozessrechts, BBl 2006 1085 ff., 1320 zu Art. 417 Abs. 3). Die
Revision zu Ungunsten der beschuldigten Person kann mit anderen Worten
beantragt werden, solange für die Straftat, welche der beschuldigten Person im
Revisionsbegehren vorgeworfen wird, die Verjährungsfrist noch nicht verstrichen
ist. Insoweit ist es nicht von Bedeutung, ob nach der Ausfällung des zu
revidierenden Urteils die Verjährung weiterlief oder aber zu laufen aufhörte
und daher nicht mehr eintreten kann. Massgebend ist vielmehr, ob im Zeitpunkt
des Revisionsbegehrens die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Die
Verjährung beginnt mit der inkriminierten Tat, und die Dauer der
Verjährungsfrist bestimmt sich aufgrund der Strafe, die für die inkriminierte
Tat angedroht wird.

1.5.9 Zusammenfassend ergibt sich Folgendes. Art. 97 Abs. 3 StGB (vormals aArt.
70 Abs. 3 StGB) erfasst nach dem Gesetzestext in den drei Amtssprachen
erstinstanzliche Urteile und somit nicht nur verurteilende, sondern auch
freisprechende erstinstanzliche Erkenntnisse. Es bestehen keine sachlichen
Gründe, vom klaren Wortlaut abzuweichen. Im Gegenteil ergibt sich aus dem auch
aus der Botschaft des Bundesrates erkennbaren Zweck der Bestimmung, wonach im
Rechtsmittelverfahren die Verjährung nicht mehr eintreten soll,
BGE 139 IV 62 S. 78
sowie aus dem Gebot der Gleichbehandlung, dass Art. 97 Abs. 3 StGB auch
freisprechende erstinstanzliche Urteile erfasst.

1.5.10 Die Verjährungsfrist für die der Beschwerdegegnerin zur Last gelegten
Übertretungen des Heilmittelgesetzes im Sinne von Art. 87 Abs. 1 lit. b i.V.m.
Art. 33 Abs. 2 HMG beträgt sieben Jahre (siehe E. 1.3.2 hievor). Im Zeitpunkt
der Ausfällung des die Beschwerdegegnerin freisprechenden Urteils des
Bezirksstrafgerichts der Saane vom 20. November 2009 war diese Frist seit den
inkriminierten Handlungen, die im Dezember 2002, im Oktober 2004 und im
Dezember 2004 begangen worden sein sollen, noch nicht verstrichen. Mit der
Ausfällung des freisprechenden Urteils des Bezirksstrafgerichts hörte gemäss
Art. 97 Abs. 3 StGB die Verjährung zu laufen auf. Die Strafverfolgung ist somit
nicht verjährt.