Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 IV 261



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Urteilskopf

139 IV 261

39. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Kantonsgericht von Graubünden (Beschwerde in Strafsachen)
6B_151/2013 vom 26. September 2013

Regeste

Art. 135 StPO; Entschädigung der amtlichen Verteidigung.
Art. 135 Abs. 1 StPO regelt die Entschädigung der amtlichen Verteidigung mit
Hinweis auf die anwendbaren Anwaltstarife des Bundes oder der Kantone. Sehen
diese ein reduziertes Honorar vor, gelangt es unabhängig vom Prozessausgang zur
Anwendung (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 262

BGE 139 IV 261 S. 262

A. Das Bezirksgericht Imboden auferlegte am 5. Juni 2012 die Kosten eines
Strafverfahrens zu 1/10 dem Beschuldigten und zu 9/10 dem Kanton Graubünden
sowie dem Bezirk Imboden.

B. Der amtliche Verteidiger X. reichte eine Honorarnote von insgesamt Fr.
9'458.95 ein, darin eingeschlossen einen Aufwand von 35,43 Stunden zum
Stundenansatz von Fr. 240.- (inkl. MWSt).
Das Bezirksgericht setzte nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist am 30.
Juli 2012 die Entschädigung auf Fr. 7'882.50 herab, weil bei der amtlichen
Verteidigung ein Stundenansatz von Fr. 200.- (inkl. MWSt) zur Anwendung
gelange.
Das Kantonsgericht Graubünden wies die Beschwerde von X. am 12. November 2012
ab.

C. X. erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, den
kantonsgerichtlichen Entscheid aufzuheben und ihm für das Verfahren vor dem
Bezirksgericht eine ausseramtliche Entschädigung von Fr. 9'301.30 (inkl. MWSt)
zuzusprechen.
Das Kantonsgericht Graubünden beantragt die Abweisung der Beschwerde und
verzichtet auf Gegenbemerkungen.
Das Bundesgericht hat den Entscheid öffentlich beraten (Art. 58 Abs. 1 BGG) und
weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Der Beschwerdeführer macht geltend, nach der kantonalen Praxis (Urteil 6B_63
/2010 vom 6. Mai 2010 E. 2.4) sei die Entschädigung des obsiegenden
Beschuldigten unabhängig davon festzusetzen, ob eine amtliche oder private
Verteidigung besteht.

2.1 Die Vorinstanz entschädigte den Aufwand des Beschwerdeführers gemäss Art. 5
der Verordnung des Kantons Graubünden vom 17. März 2009 über die Bemessung des
Honorars der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (HV/GR; BR 310.250) mit einem
Stundenansatz von Fr. 200.-. Sie begründete die Praxisänderung mit dem
Inkrafttreten der StPO.

2.2 Gemäss Art. 135 Abs. 1 StPO wird die amtliche Verteidigung nach dem
Anwaltstarif (conformément au tarif; secondo la tariffa) des Bundes oder
desjenigen Kantons entschädigt, in dem das Strafverfahren geführt wurde.
BGE 139 IV 261 S. 263

2.2.1 Rechtsgrundlage für die Entschädigung bildet das öffentlich-rechtliche
Verhältnis zwischen Bund oder Kanton und amtlicher Verteidigung. Für die
Entschädigung haftet allein der Staat. Der Mandant wird aus dem öffentlichen
Prozessrechtsverhältnis insoweit mittelbar berechtigt und verpflichtet, als er
die amtliche Verteidigung grundsätzlich akzeptieren muss und der Staat die
Entschädigung übernimmt (vgl. BGE 131 I 217 E. 2.4; BGE 122 I 1 E. 3a). Die
Verteidigung erhält das tariflich festgelegte Honorar für die Übernahme einer
öffentlichen Aufgabe und trägt nicht das Risiko der Uneinbringlichkeit (vgl.
BGE 131 I 217 E. 2.5). Unter Vorbehalt von Art. 135 Abs. 4 lit. b StPO kann der
Verteidiger von seinem Mandanten keine weitere Vergütung verlangen (Urteil
6B_45/2012 vom 7. Mai 2012 E. 1.2 mit Hinweisen).
Rechtsanwälte sind für amtliche Mandate von Verfassungs wegen angemessen zu
honorieren, wobei eine Kürzung des Honorars im Vergleich zum ordentlichen Tarif
zulässig bleibt (BGE 132 I 201 E. 7.3.4 S. 209). Die Entschädigung muss sich in
der Grössenordnung von Fr. 180.- pro Stunde (zuzüglich MWSt) bewegen (BGE 132 I
201 E. 8.7 S. 217). BGE 137 III 185 E. 5.1 ff. bestätigte diese Rechtsprechung.

2.2.2 Die StPO regelt die Entschädigung der amtlichen Verteidigung bei
Freispruch oder Einstellung des Verfahrens bzw. bei Obsiegen im
Rechtsmittelverfahren nicht explizit. Die allgemeinen Bestimmungen über die
Entschädigung für die angemessene Ausübung der Verfahrensrechte bei Freispruch
oder Einstellung des Verfahrens (Art. 429 Abs. 1 lit. a und Art. 436 Abs. 2
StPO) betreffen die Kosten einer Wahlverteidigung und sind auf die amtliche
Verteidigung nicht anwendbar (BGE 138 IV 205 E. 1; Urteil 6B_77/2013 vom 4.
März 2013 E. 1). Mit dem Freispruch oder der Verfahrenseinstellung wandelt sich
das öffentlich-rechtliche Verhältnis zwischen Staat und amtlicher Verteidigung
nicht in ein Privatrechtsverhältnis zwischen Verteidigung und Mandanten (Urteil
6B_183/2007 vom 5. September 2007 E. 3.2). Die amtliche Verteidigung besitzt
nicht die Rechte einer Verfahrenspartei (Art. 104 Abs. 1 StPO; BGE 139 IV 199
E. 5.2). Ihre Entschädigung richtet sich allein nach Art. 135 StPO. Die
Rechtsprechung zu den kantonalen Strafprozessgesetzen ist insoweit überholt
(beispielsweise die oben in E. 2 und in BGE 137 III 185 E. 5.3 erwähnten
Urteile der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts [anders noch Urteil
5A_199/2012 vom 31. Mai 2012 E. 3.3 in einem obiter dictum zum Minimalanspruch
von 60 % der ordentlichen
BGE 139 IV 261 S. 264
Entschädigung] und BGE BGE 121 I 113 E. 3d; vgl. Urteile 6B_144/2012 vom 16.
August 2012 E. 1.2 und 6B_363/2012 vom 10. September 2012 E. 1.2).

2.2.3 Eine volle Entschädigung lässt sich auch nicht mit Art. 135 Abs. 4 lit. b
StPO begründen, wonach die zu den Verfahrenskosten verurteilte beschuldigte
Person bei wirtschaftlicher Besserstellung "der Verteidigung die Differenz
zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar zu erstatten" hat.
Hieraus kann nicht unter Heranziehung des einen anderen Sachverhalt regelnden
Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO auf einen impliziten Grundsatz des ungekürzten
Honoraranspruchs der amtlichen Verteidigung geschlossen werden. Wortlaut und
Systematik des Gesetzes sprechen gegen eine solche Einschränkung der generellen
Verweisung in Art. 135 Abs. 1 StPO durch dessen Abs. 4 lit. b. Mit der
föderalistischen Regelung in Abs. 1 von Art. 135 StPO anerkennt der
Bundesgesetzgeber ausdrücklich unterschiedliche kantonale Anwaltstarife. Wie
die Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des
Strafprozessrechts ausführt, erhält die amtliche Verteidigung damit je nach
Kanton das gleiche Honorar wie eine frei bestellte oder aber ein reduziertes,
amtliches Honorar (BBl 2006 1085, 1180 zu Art. 133).
Art. 135 Abs. 4 lit. b StPO will nach der gesetzgeberischen Konzeption
sicherstellen, dass eine beschuldigte Person mit amtlicher Verteidigung
finanziell nicht besser gestellt wird als eine mit privater Verteidigung
(Botschaft a.a.O., S. 1180 f. zu Art. 133). Es geht um eine Gleichstellung der
zu den Verfahrenskosten verurteilten Personen und nicht um eine Gleichstellung
der amtlichen mit der privaten Verteidigung. Dass die amtliche Verteidigung bei
Verurteilung des Mandanten zu den Verfahrenskosten im Prinzip finanziell besser
gestellt wird (weil sie die "Differenz" einfordern kann) als bei Freispruch
oder Verfahrenseinstellung, wo in der Regel keine Kosten auferlegt werden (und
entsprechend die "Differenz" nicht zu erstatten ist), muss als gesetzliche
Konsequenz hingenommen werden.

2.2.4 Art. 135 Abs. 1 StPO normiert die "Entschädigung der amtlichen
Verteidigung" mit Verweisung auf die anwendbaren Anwaltstarife. Die Honorierung
ist, was die französische Fassung des Gesetzes klarer zum Ausdruck bringt,
"conformément au tarif" des Bundes oder Kantons vorzunehmen. Wie in der ZPO
(vgl. BGE 137 III 185 E. 5.2 und 5.3) verzichtete der Bundesgesetzgeber in der
StPO auf eine Durchsetzung der vollen Entschädigung.
BGE 139 IV 261 S. 265

2.3 Gemäss Art. 3 Abs. 1 HV/GR gilt als Bemessungsgrundlage für das anwaltliche
Honorar ein Stundenansatz zwischen 210 und 270 Franken. Für die unentgeltliche
Vertretung und die amtliche Verteidigung beläuft er sich auf 200 Franken (Art.
5 Abs. 1 HV/GR). Die bündnerische Honorarordnung ist nicht zu beanstanden. Sie
hält sich im verfassungsrechtlichen Rahmen (oben E. 2.2.1).