Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 IV 209



Zurück zur Einstiegsseite Drucken

Urteilskopf

139 IV 209

29. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_491/2012 vom 18. April 2013

Regeste

Einziehung (Art. 70 Abs. 1 StGB) und staatliche Ersatzforderung (Art. 71 Abs. 1
StGB) im Falle eines Vergleichs.
Ein Vergleich steht der Einziehung nicht entgegen. Einzuziehen ist der durch
die strafbare Handlung erlangte Vermögenswert unter Abzug der geleisteten
Rückzahlung. Ist der Vermögenswert nicht mehr vorhanden, muss auf eine
staatliche Ersatzforderung erkannt werden (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 210

BGE 139 IV 209 S. 210

A. Die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich sprach X. mit Urteil
vom 21. Mai 2012 zweitinstanzlich in einigen Anklagepunkten der qualifizierten
ungetreuen Geschäftsbesorgung im Sinne von Art. 158 Ziff. 1 Abs. 1 und Abs. 3
StGB schuldig und bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten,
bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von 2 Jahren. In den übrigen
Anklagepunkten sprach sie ihn frei. Sie verpflichtete ihn, dem Staat als Ersatz
für nicht mehr vorhandenen, widerrechtlich erlangten Vermögensvorteil Fr.
391'200.- zu bezahlen.

B. X. führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil der II.
Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich sei aufzuheben, er sei
freizusprechen und der Einziehungsantrag der Staatsanwaltschaft sei abzuweisen.
Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu seiner
Freisprechung und zur Abweisung des Einziehungsantrags der Staatsanwaltschaft
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

5.

5.1 Die Vorinstanz verpflichtete den Beschwerdeführer, dem Staat als Ersatz für
nicht mehr vorhandenen, widerrechtlich erlangten Vermögensvorteil Fr. 391'200.-
zu bezahlen.
Der Beschwerdeführer macht geltend, eine staatliche Ersatzforderung falle auch
bei Bestätigung seiner Verurteilung ausser Betracht, da er und die vier
weiteren Konzernleitungsmitglieder sich in einem mit der A. am 1. Dezember 2005
vor dem Handelsgericht des Kantons Zürich abgeschlossenen Vergleich per Saldo
aller Ansprüche zur Zahlung von insgesamt Fr. 350'000.- verpflichtet und diese
Zahlung auch geleistet haben.

5.2

5.2.1 Der Beschwerdeführer bringt wie im kantonalen Verfahren vor, dass bei
Delikten gegen Individualinteressen der Einziehungsanspruch des Staates
untergehe, wenn der rechtmässige Zustand gegenüber dem Geschädigten
wiederhergestellt worden sei. Wenn der Geschädigte
BGE 139 IV 209 S. 211
im Rahmen eines vor einem Gericht abgeschlossenen Vergleichs auf Schadenersatz
beziehungsweise Restitution verzichte, falle der Einziehungsanspruch des
Staates dahin. Der Vergleich sei ein im Zivilprozess anerkanntes Instrument der
Streiterledigung. Mit dem Vergleich werde der rechtmässige Zustand
wiederhergestellt. Unerheblich sei, in welchem Verhältnis die Vergleichssumme
zum Schaden beziehungsweise zur Schadenersatzforderung stehe. Einem Vergleich
hafte regelmässig an, dass er unter teilweiser Aufgabe einer ursprünglich
eingenommenen Rechtsposition abgeschlossen werde. Vorbehalten sei allein der
Fall, dass der Vergleich zur Umgehung der Einziehung abgeschlossen werde. Dies
treffe vorliegend nicht zu.

5.2.2 Die Vorinstanz erwägt, es lasse sich durchaus die Auffassung vertreten,
dass im Interesse der Einheit der Materie mit den zivilrechtlichen Ansprüchen
des Geschädigten auch die einziehungsrechtlichen Ansprüche des Staates
untergehen, wenn bei Straftaten gegen Individualinteressen der
Anspruchsberechtigte in Kenntnis seiner deliktischen Schädigung ausdrücklich
auf Schadenersatz beziehungsweise Restitution verzichte. Denn der Staat solle
nicht gleichsam stellvertretend auf einen Vermögenswert greifen, auf welchen
der primär Berechtigte willentlich verzichtet habe. Die einziehungsrechtlichen
Ansprüche des Staates seien indessen so lange zu bejahen, als nicht durch
Aushändigung an den Geschädigten der rechtmässige Zustand vollständig
wiederhergestellt worden sei. Nach der Auffassung der Vorinstanz steht der am
1. Dezember 2005 vor dem Handelsgericht des Kantons Zürich abgeschlossene
Vergleich einer Einziehung nicht entgegen, zumal die Vergleichssumme nur rund
10 % der Schadenersatzforderung respektive 17 % des Deliktsbetrags ausmacht und
zudem im Zeitpunkt des Vergleichs das Ausmass des deliktischen Verhaltens und
des dadurch verursachten Schadens noch nicht feststanden.

5.3 Das Gericht verfügt die Einziehung von Vermögenswerten, die durch eine
Straftat erlangt worden sind, sofern sie nicht dem Verletzten zur
Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes ausgehändigt werden (Art. 70 Abs.
1 StGB). Sind die der Einziehung unterliegenden Vermögenswerte nicht mehr
vorhanden, so erkennt das Gericht auf eine Ersatzforderung des Staates in
gleicher Höhe (Art. 71 Abs. 1 StGB).
Die Einziehung und die staatliche Ersatzforderung beruhen auf dem Gedanken,
dass sich strafbares Verhalten nicht lohnen darf (BGE 129
BGE 139 IV 209 S. 212
IV 305 E. 4.2.5; BGE 117 IV 107 E. 2a; je mit Hinweisen). Die Einziehung des
durch die Straftat erlangten Vermögenswerts kommt nur in Betracht, sofern er
nicht dem Verletzten zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes
ausgehändigt wird. Die Aushändigung an den Verletzten gemäss Art. 70 Abs. 1 in
fine StGB hat somit Vorrang vor der Einziehung (BGE 129 IV 322 E. 2.2.4 mit
Hinweisen).
Die Einziehung ist eine strafrechtliche sachliche Massnahme. Sie ist zwingend
anzuordnen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Die Einziehung
steht auch bei Delikten gegen den Einzelnen nicht zur Disposition des durch die
Straftat Geschädigten. Sie knüpft nicht an die rechtswidrige schädigende
Handlung, sondern an die Straftat an. Verzichtet der Geschädigte beispielsweise
im Rahmen eines Vergleichs gänzlich oder teilweise auf Schadenersatz
beziehungsweise Restitution, so bleibt die schädigende Handlung gleichwohl eine
Straftat und ist der dadurch erlangte Vermögenswert einzuziehen. Ein Vergleich
steht der Einziehung nicht entgegen (anderer Auffassung NIKLAUS SCHMID, in:
Kommentar Einziehung, Organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei, Bd. I, 2. Aufl.
2007, N. 67 Fn. 379 und N. 99 zu Art. 70-72 StGB; wohl auch FLORIAN BAUMANN,
in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 35 zu Art. 70/71
StGB). Dabei ist es unerheblich, in welchem Verhältnis die Vergleichssumme zum
Schaden respektive zum Vermögensvorteil steht. Die Ansicht, dass ein Vergleich
der Einziehung nicht entgegensteht, wird auch von der - wohl herrschenden -
Lehre in Deutschland vertreten (SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER, Strafgesetzbuch,
Kommentar, 28. Aufl. 2010, N. 23, 27 zu § 73 D-StGB; THOMAS FISCHER,
Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Kommentar, 60. Aufl. 2013, N. 23 zu § 73
D-StGB; vgl. auch Urteil des BGH vom 11. Mai 2006, in: Neue Zeitschrift für
Strafrecht [NStZ] 2006 S. 621 ff.; Urteil des OLG München vom 19. April 2004,
in: NStZ 2004 S. 443 f.). Die Ausschlussklausel im Sinne von Art. 70 Abs. 1 in
fine StGB kann nicht als ein Privileg des Täters beziehungsweise des
Einziehungsbetroffenen verstanden werden. Der Schutzzweck von Art. 70 Abs. 1 in
fine StGB, wonach der durch die strafbare Handlung erlangte Vermögenswert dem
Geschädigten in einem einfachen Verfahren ausgehändigt wird, der Täter aber
nicht zweimal zahlen soll, kann den Abschöpfungszweck von Art. 70 Abs. 1 StGB,
wonach sich strafbares Verhalten nicht lohnen darf, nicht aushebeln. Der
Geschädigte kann zwar darüber entscheiden, was er vom Täter oder vom Dritten,
der von der Tat profitierte, herausverlangen will. Er kann aber nicht darüber
BGE 139 IV 209 S. 213
entscheiden, was der Täter oder der Dritte durch die Tat erlangt hat und
behalten darf.
Nach der Rechtsprechung ist der durch ein Antragsdelikt erlangte Vermögenswert
auch einzuziehen, wenn ein gültiger Strafantrag fehlt. Denn es ist nicht
ersichtlich, weshalb sich in diesem Fall ein tatbestandsmässiges und
rechtswidriges Verhalten doch lohnen darf (BGE 129 IV 305 E. 4.2). Daraus folgt
a fortiori, dass ein Vergleich der Einziehung nicht entgegensteht. Durch den
Vergleich wird zwar zwischen den Parteien der rechtmässige Zustand
wiederhergestellt. Dies bedeutet aber nur, dass eine Aushändigung des durch die
Straftat erlangten Vermögenswerts an den Verletzten im Sinne von Art. 70 Abs. 1
in fine StGB zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes nicht mehr zu
erfolgen hat. Daraus folgt nicht, dass die Einziehung ausser Betracht fällt.
Vielmehr muss der durch die Straftat erlangte Vermögenswert eingezogen werden,
sofern und soweit er aus irgendwelchen Gründen nicht gemäss Art. 70 Abs. 1 in
fine StGB dem Verletzten zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes
ausgehändigt wird. Bei der Bestimmung der Einziehungssumme respektive der
staatlichen Ersatzforderung ist allerdings zur Vermeidung einer Doppelbelastung
des Einziehungsbetroffenen (siehe dazu BGE 117 IV 107 E. 2a) die Summe
abzuziehen, welche der Einziehungsbetroffene in Erfüllung des Vergleichs
bezahlt hat.

5.4 Die Vorinstanz ordnet in Bestätigung des erstinstanzlichen Entscheids die
Einziehung respektive eine staatliche Ersatzforderung nur in Bezug auf die
Vermögenswerte an, welche der Beschwerdeführer dadurch erlangte, dass er am 25.
April 2000 von der A. 45'000 B.-Aktien zu dem von ihm als Kaufpreis
festgesetzten Nennwert von Fr. 10.- anstatt zum NAV von Fr. 20.76 erwarb. Von
diesem Vermögenswert zieht die Vorinstanz den Betrag von Fr. 93'000.- ab, zu
dessen Zahlung sich der Beschwerdeführer durch den Vergleich vom 1. Dezember
2005 mit der A. anteilsmässig verpflichtet und welchen er tatsächlich bezahlt
hat. Daraus resultiert eine staatliche Ersatzforderung in der Höhe von Fr.
391'200.-.
Es ist unerheblich, ob die Vergleichssumme von Fr. 350'000.- entsprechend den
Feststellungen der Vorinstanz nur rund 17 % des Deliktsbetrags ausmacht oder ob
das Verhältnis zwischen der Vergleichssumme und dem Deliktsbetrag, wie der
Beschwerdeführer behauptet, unter Berücksichtigung von Gegenansprüchen in Tat
und Wahrheit grösser ist. Einzuziehen ist der durch die strafbare Handlung
erlangte
BGE 139 IV 209 S. 214
Vermögenswert unter Abzug bereits erfolgter Rückzahlungen. Die Vorinstanz weist
zwar darauf hin, dass die Vergleichssumme von Fr. 350'000.- lediglich 10 % der
ursprünglichen Schadenersatzforderung der A. respektive 17 % des Deliktsbetrags
ausmacht. Sie begründet die Einziehung beziehungsweise die staatliche
Ersatzforderung aber entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht damit,
dass ein Missverhältnis zwischen der Vergleichssumme und der ursprünglichen
Schadenersatzforderung respektive dem Deliktsbetrag bestehe. Die Vorinstanz
hält unmissverständlich fest, dass einziehungsrechtliche Ansprüche des Staates
so lange zu bejahen sind, "als nicht durch Aushändigung an den Geschädigten der
rechtmässige Zustand wiederhergestellt ist, und zwar vollständig". Daraus
ergibt sich, dass die Vorinstanz eine Einziehung respektive staatliche
Ersatzforderung auch angeordnet hätte, wenn die Vergleichssumme beispielsweise
70 % der ursprünglichen Schadenersatzforderung betragen hätte.