Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 IV 128



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Urteilskopf

139 IV 128

18. Auszug aus dem Urteil der Strafrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
6B_307/2012 vom 14. Februar 2013

Regeste

Polizeiliche Anhaltung; Durchsuchung von Aufzeichnungen; selbständiges
polizeiliches Handeln, wenn Gefahr in Verzug ist; Verwertbarkeit; Zufallsfund;
Art. 215, 241 Abs. 3, Art. 243 und 141 Abs. 3 StPO.
Begriff und Ziel der polizeilichen Anhaltung (E. 1.2). Die Kontrolle eines
I-Phones geht über den Zweck einer Anhaltung hinaus. Sie stellt eine
Durchsuchung von Aufzeichnungen dar (E. 1.3). Für eine solche bedarf die
Polizei grundsätzlich eines staatsanwaltschaftlichen Durchsuchungsbefehls,
ausser wenn Gefahr in Verzug ist (E. 1.4 und 1.5). Das selbständige Handeln der
Polizei ohne den Durchsuchungsbefehl führt vorliegend unter Berücksichtigung
der konkreten Umstände nicht zu einem Verbot der Verwertung der erlangten
Beweise (E. 1.6 und 1.7). Begriff des Zufallsfunds und Verneinung eines
solchen, weil von Anfang an der Verdacht bestand, die angehaltene Person weile
ohne gültige Papiere in der Schweiz und übe eine nicht bewilligte
Erwerbstätigkeit aus (E. 2.1 und 2.2).

Sachverhalt ab Seite 129

BGE 139 IV 128 S. 129

A. Die stark alkoholisierte X., eine brasilianische Staatsangehörige, wurde am
28. Januar 2011, um 07.15 Uhr, durch die Kantonspolizei Zürich in der "A.-Bar",
einer "Kontaktbar" im Kerngebiet des Stadtzürcher Milieus, angehalten. Da sie
sich nicht ausweisen konnte (und wollte) und die Polizeibeamten in ihrer
Handtasche keine Ausweispapiere fanden, wurde sie auf den Polizeiposten
geführt. Im Zuge der auf dem Posten durchgeführten Durchsuchung wurden ein
"Chip der Swisscom" und ein "I-Phone" gefunden sowie "offensichtliche
Freier-Adressen", die darauf hinwiesen, X. sei ohne Bewilligung als
Prostituierte erwerbstätig. Gestützt auf diese Daten kontaktierten die
Polizeibeamten den späteren Zeugen B. Dieser gab an, mit X. Sexualverkehr gegen
Geld gehabt zu haben.

B. Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X. zweitinstanzlich am 9. März
2012 des rechtswidrigen Aufenthalts und der Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung
gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. b und c des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen
und Ausländer (AuG;
BGE 139 IV 128 S. 130
SR 142.20) schuldig. In Bezug auf den Freispruch vom Vorwurf der Widerhandlung
gegen Art. 115 Abs. 1 lit. a AuG (Verletzung von Einreisevorschriften) stellte
es die Rechtskraft des Urteils des Bezirksgerichts Zürich vom 7. März 2011
fest. Es bestrafte X. mit 45 Tagen Freiheitsstrafe (wovon alle Tage durch
Untersuchungs- und Sicherheitshaft erstanden sind). Den Vollzug der
Freiheitsstrafe schob es nicht auf. Das Obergericht sprach X. keine Genugtuung
zu und auferlegte ihr die Kosten des Berufungsverfahrens. Die erstinstanzliche
Kostenregelung bestätigte es.

C. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X., sie sei vom Vorwurf der
mehrfachen Widerhandlung gegen das Ausländergesetz freizusprechen und die
Kosten des kantonalen Verfahrens seien auf die Gerichtskasse zu nehmen. Für die
erlittene Untersuchungs- und Sicherheitshaft sei ihr eine Genugtuung von
mindestens Fr. 4'500.- zuzusprechen. Eventuell sei das Urteil des Obergerichts
aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. X. ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

D. Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich haben auf
eine Stellungnahme zur Beschwerde verzichtet.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1.

1.1 Die Vorinstanz ist der Auffassung, dass die "offensichtlichen
Freier-Adressen" im Rahmen der bei der Anhaltung durchgeführten polizeilichen
Effektenkontrolle "ermittelt" wurden, welche ohne vorgängige Bewilligung der
Staatsanwaltschaft in Form eines Durchsuchungsbefehls vorgenommen werden
durfte, und zwar unabhängig davon, ob die fraglichen "Adressdaten" in
Papierform oder aufgrund einer Durchsuchung des Telefons gefunden wurden. Eine
nachträgliche Information der Staatsanwaltschaft sei - soweit eine solche
notwendig sei - spätestens mit der Aktenzustellung an die Staatsanwaltschaft
zur formellen Verfahrenseröffnung erfolgt. Die entdeckten Beweise seien
verwertbar. Die Vorinstanz stützt ihre Ansicht insbesondere auf Art. 215 Abs. 2
lit. c und d i.V.m. Art. 241 Abs. 3 StPO.
Die Beschwerdeführerin rügt eine unrichtige Anwendung von Art. 215 StPO
respektive von Art. 241 Abs. 1 i.V.m. Art. 246 bzw. 250 StPO.
BGE 139 IV 128 S. 131
Die Polizei habe Aufzeichnungen durchsucht, ohne dass die Verfahrensleitung
diese Zwangsmassnahme vorgängig mündlich oder schriftlich angeordnet oder
nachträglich bewilligt hätte. Da sie - die Beschwerdeführerin - in die
polizeiliche Durchsuchung auch nicht eingewilligt habe, habe die Strafbehörde
die "Freierliste" in Verletzung einer Gültigkeitsvorschrift gemäss Art. 141
Abs. 2 StPO erlangt. Die "offensichtlichen Freier-Adressen" und die in der
Folge erhobenen Zeugenaussagen von B. seien nicht verwertbar.

1.2 Die polizeiliche Anhaltung im Sinne von Art. 215 StPO dient der Ermittlung
einer allfälligen Verbindung zwischen der angehaltenen Person und einer
Straftat. Gemäss Art. 215 Abs. 1 StPO kann die Polizei eine Person anhalten, um
ihre Identität festzustellen (lit. a), sie kurz zu befragen (lit. b),
abzuklären, ob sie eine Straftat begangen hat (lit. c) oder ob sich in ihrem
Gewahrsam Gegenstände befinden, nach denen gefahndet wird (lit. d). Die
angehaltene Person ist nach Art. 215 Abs. 2 StPO verpflichtet, ihre Personalien
anzugeben (lit. a), Ausweispapiere vorzulegen (lit. b), mitgeführte Sachen
vorzuzeigen (lit. c) und Behältnisse oder Fahrzeuge zu öffnen (lit. d). Ziel
der Anhaltung ist, die Identität zu überprüfen und festzustellen, ob nach den
Umständen der konkreten Situation ein Zusammenhang der betreffenden Person mit
Delikten als möglich erscheint (NIKLAUS SCHMID, Handbuch des schweizerischen
Strafprozessrechts[nachfolgend: Handbuch], 2009, S. 432 Rz. 1002; ders.,
Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar [nachfolgend:
Praxiskommentar], 2009, N. 6 zu Art. 215 StPO). Ein konkreter Tatverdacht wird
nicht vorausgesetzt (NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3.
Aufl. 2012, S. 323 N. 884). Können die Abklärungen nach Art. 215 StPO nicht vor
Ort erfolgen, ist die Polizei gemäss Abs. 1 der Bestimmung befugt, die
angehaltene Person auf den Polizeiposten zu führen.
Zur Anhaltung benötigt die Polizei keine vorgängige Anordnung oder Bewilligung
der Staatsanwaltschaft im Sinne von Art. 198 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 241 StPO
(vgl. JONAS WEBER, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung,
2011, N. 9 zu Art. 198 StPO). Kommt die angehaltene Person ihrer Pflicht nach
Art. 215 Abs. 2 lit. c und d StPO zur Vorlage von Ausweispapieren und
Gegenständen sowie zum Öffnen von Behältnissen und Fahrzeugen nicht nach, darf
die Polizei Kleider, mitgeführte Gegenstände, Behältnisse oder Fahrzeuge ohne
staatsanwaltschaftlichen Durchsuchungsbefehl unter den
BGE 139 IV 128 S. 132
Voraussetzungen von Art. 241 Abs. 3 i.V.m. Art. 250 StPO durchsuchen (siehe
Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts,
BBl 2006 1085 ff., 1225 zu Art. 214; ALBERTINI/AMBRUSTER, in: Basler Kommentar,
Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 16 zu Art. 215 StPO; vgl.
OBERHOLZER, a.a.O., S. 323 N. 885). Diese Durchsuchungen sind auf die Sicherung
der Ziele der Anhaltung nach Art. 215 Abs. 1 StPO beschränkt (SCHMID,
Praxiskommentar, a.a.O., N. 17 zu Art. 215 StPO). Ebenfalls in eigener
Kompetenz darf die Polizei die angehaltene Person aus Sicherheitsgründen - zum
Zwecke der Gefahrenabwehr - gestützt auf Art. 241 Abs. 4 StPO durchsuchen.

1.3 Die Polizei führte die Beschwerdeführerin nach erfolglos gebliebener
Ausweiskontrolle vor Ort auf den Polizeiposten, weil Anhaltspunkte für
Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz bestanden (Antreffen der stark
alkoholisierten Beschwerdeführerin in einer einschlägigen "Kontakt-Bar" im
Stadtzürcher Rotlichtmilieu; Weigerung, sich auszuweisen; keine
Ausweispapiere). Die auf dem Polizeiposten durchgeführte Kontrolle der
Beschwerdeführerin förderte u.a. "offensichtliche Freier-Adressen" zu Tage. Wie
die Polizeibeamten auf diese Daten stiessen, geht aus den Akten nicht klar
hervor. Auszugehen ist davon, dass die Beamten das mitgeführte I-Phone der
Beschwerdeführerin bzw. - genauer - die darin gespeicherten Adressen
durchsuchten. Darauf deuten verschiedene Hinweise im Polizeirapport vom 28.
Januar 2011 hin. Eine solche Durchsuchung von Unterlagen - seien sie auf einem
Datenträger gespeichert oder physisch im Sinne eines Schriftstücks
("Adressbüchlein") vorhanden - geht über den Zweck der Anhaltung hinaus. Die
Befugnis der Polizei, mitgeführte Sachen sowie Behältnisse und Fahrzeuge ohne
Befehl zu kontrollieren, geht nach Art. 215 Abs. 2 lit. c und d StPO nicht
weiter als die Verpflichtung der angehaltenen Person, diese Sachen vorzuzeigen
sowie Behältnisse und Fahrzeuge zu öffnen. Für eine weitergehende Durchsuchung
der Effekten bietet die Anhaltung keine Rechtsgrundlage. Der Sache nach handelt
es sich bei der zu beurteilenden Durchsuchung des I-Phones entgegen der
Auffassung der Vorinstanz nicht (mehr) um eine zulässige Effektenkontrolle im
Sinne von Art. 215 Abs. 2 lit. c und d i.V.m. Art. 250 StPO (und ebenso wenig
um eine Sicherheitsdurchsuchung der angehaltenen Person zur Gefahrenabwehr
gemäss Art. 215 i.V.m Art. 241 Abs. 4 StPO), sondern um eine Durchsuchung von
Aufzeichnungen im Sinne von Art. 246 StPO.
BGE 139 IV 128 S. 133

1.4 Von einer Durchsuchung von Aufzeichnungen gemäss Art. 246 StPO wird
gesprochen, wenn die Schriftstücke oder Datenträger im Hinblick auf ihren
Inhalt oder ihre Beschaffenheit durchgelesen bzw. besichtigt werden, um ihre
Beweiseignung festzustellen, sie allenfalls zu beschlagnahmen und zu den Akten
zu nehmen (vgl. zu Art. 50 VStrR [SR 313.0] BGE 109 IV 154 E. 1). Solche
Durchsuchungen von Unterlagen und Datenträgern sind nach Art. 198 i.V.m. Art.
241 Abs. 1 StPO grundsätzlich von der Staatsanwaltschaft (allenfalls vom
Sachgericht) anzuordnen bzw. vorzunehmen (vgl. Botschaft, a.a.O., BBl 2006
1238). Es ist der Staatsanwaltschaft aber unbenommen, die Polizei im Rahmen von
Art. 312 StPO damit zu beauftragen, die auf die Amtsstelle verbrachten bzw.
entsiegelten Aufzeichnungen nach bestimmten Kriterien zu durchsuchen bzw.
auszuwerten (ANDREAS J. KELLER, in: Kommentar zur Schweizerischen
Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 4 zu Art. 246 StPO). Sofern im Sinne von
Art. 241 Abs. 3 StPO "Gefahr in Verzug" vorliegt, kann die Polizei Unterlagen
und Aufzeichnungen auch ohne besonderen Befehl der Staatsanwaltschaft
durchsuchen. Das polizeiliche Handeln muss sich dann allerdings - wie bei einer
allfälligen Delegation von der Staatsanwaltschaft an die Polizei nach Art. 312
StPO - angesichts der besonderen Relevanz des Eingriffs in die Privatsphäre der
betroffenen Person (oder Dritter) auf einfache Sachverhalte beschränken
(SCHMID, Handbuch, a.a.O., S. 474 Rz. 1074; ders., Praxiskommentar, a.a.O., N.
3 zu Art. 246 StPO; DIEGO R. GFELLER, in: Basler Kommentar, Schweizerische
Strafprozessordnung, 2011, N. 32 ff. zu Art. 241 StPO; vgl. CATHERINE CHIRAZZI
in: Commentaire romand, Code de procédure pénale, 2010, N. 28 und 33 zu Art.
241 StPO).

1.5 Inwiefern vorliegend "Gefahr in Verzug" war, welche die Polizei zu
selbständigem Handeln im Sinne von Art. 241 Abs. 3 StPO ermächtigte, ist nicht
erkennbar. Der Umstand, dass die Anhaltung nach Art. 215 StPO und die damit
einhergehende Beschränkung der Bewegungsfreiheit der angehaltenen Person nur
kurze Zeit dauern darf (vgl. Botschaft, a.a.O., BBl 2006 1224; SCHMID,
Handbuch, a.a.O., S. 433 Rz. 1003), vermag jedenfalls keine Dringlichkeit im
Sinne von Art. 241 Abs. 3 StPO zu begründen. Andernfalls wäre die Polizei bei
einer Anhaltung unter Hinweis auf die engen zeitlichen Grenzen stets und ohne
weiteres befugt, Durchsuchungen nach Art. 246 StPO selbständig anzuordnen und
durchzuführen. Das entspricht nicht dem Sinn des Gesetzes. Art. 241 Abs. 3 StPO
kommt
BGE 139 IV 128 S. 134
(nur) zum Tragen, wenn ohne sofortige Durchsuchung ein Beweisverlust zu
befürchten ist (GFELLER, a.a.O., N. 33 zu Art. 241 StPO; SCHMID, Handbuch,
a.a.O., S. 468 f. Rz. 1064). Das ist hier nicht der Fall. Die "offensichtlichen
Freier-Adressen" waren auf dem I-Phone gespeichert und konnten ohne
Manipulation des Geräts nicht verloren gehen. Zwar durften die Polizeibeamten
das I-Phone - ohne entsprechende Beschlagnahme - nur so lange (zurück-)
behalten, als es der Beschwerdeführerin selber untersagt war, sich vom Ort der
Massnahme zu entfernen. Das begründet aber für sich allein keine dringliche
Situation im Sinne von Art. 241 Abs. 3 StPO, zumal nicht erstellt und
angesichts des Zeitpunkts der Kontrolle auch nicht wahrscheinlich ist, dass die
Staatsanwaltschaft für eine (mindestens mündliche) Anordnung der Durchsuchung
des I-Phones nicht erreichbar war (KELLER, a.a.O., N. 23 zu Art. 241 und N. 4
zu Art. 246 StPO, welcher Dringlichkeit bei Durchsuchungen von Aufzeichnungen
praktisch für ausgeschlossen hält). Das selbständige Handeln der Polizei ohne
staatsanwaltschaftlichen Befehl war regelwidrig. Es stellt sich die Frage nach
den prozessualen Folgen dieses Verstosses.

1.6 Die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweise ist in Art. 141 StPO
geregelt. Für Beweise, die durch verbotene Beweiserhebungsmethoden erlangt
werden, sieht Art. 141 Abs. 1 Satz 1 StPO ein absolutes Beweisverwertungsverbot
vor. Dasselbe gilt, wenn das Gesetz einen Beweis als unverwertbar bezeichnet (
Art. 141 Abs. 1 Satz 2 StPO). Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise
oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen nach
Art. 141 Abs. 2 StPO grundsätzlich nicht verwertet werden, es sei denn, ihre
Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich. Beweise, bei
deren Erhebung lediglich Ordnungsvorschriften verletzt wurden, sind dagegen
gemäss Art. 141 Abs. 3 StPO verwertbar. Ob im Einzelfall eine Gültigkeits- oder
eine Ordnungsvorschrift vorliegt, bestimmt sich (sofern das Gesetz die Norm
nicht selber als Gültigkeitsvorschrift bezeichnet) primär nach dem Schutzzweck
der Norm: Hat die Verfahrensvorschrift für die Wahrung der zu schützenden
Interessen der betreffenden Person eine derart erhebliche Bedeutung, dass sie
ihr Ziel nur erreichen kann, wenn bei Nichtbeachtung die Verfahrenshandlung
ungültig ist, liegt eine Gültigkeitsvorschrift vor (zum Ganzen vgl. Botschaft,
a.a.O., BBl 2006 1183 f.).

1.7 Dass die Polizeibeamten das I-Phone der Beschwerdeführerin bzw. die darin
gespeicherten Adressen ohne die grundsätzlich
BGE 139 IV 128 S. 135
erforderliche Bewilligung der Staatsanwaltschaft durchsuchten, führt nicht zu
einem Verbot der Verwertung der erwähnten Freier-Adressen. Die Voraussetzungen
für die Durchsuchung des (offenkundig nicht mittels eines Codes verschlossenen)
I-Phones waren an sich erfüllt. Die Durchsuchung als solche war auch nicht
unverhältnismässig. Die Polizeibeamten beschränkten sich offenbar darauf, (nur)
Einsicht in die im Gerät abgelegten Adressen zu nehmen (vgl. hierzu Hinweis im
Polizeirapport vom 28. Januar 2011, wonach "über die Agenda" eventuell noch
weitere Freier ermittelt werden könnten). Anhaltspunkte dafür, dass sich die
Beamten vorsätzlich und rechtsmissbräuchlich über die gesetzliche
Zuständigkeitsordnung im Sinne von Art. 198 StPO hinwegsetzten bzw. den
staatsanwaltschaftlichen Durchsuchungsbefehl bewusst nicht einholten, bestehen
nicht. Das gilt umso mehr, als selbständiges polizeiliches Handeln im Rahmen
von Art. 246 StPO nicht kategorisch ausgeschlossen, sondern bei Dringlichkeit (
Art. 241 Abs. 3 StPO) möglich ist. Die Zuständigkeiten sind hier in einer
gewissen Hinsicht "fliessend". Vor diesem Hintergrund und unter
Berücksichtigung der konkreten Umstände stellt das Erfordernis des
staatsanwaltschaftlichen Durchsuchungsbefehls im vorliegenden Fall eine blosse
Ordnungsvorschrift im Sinne von Art. 141 Abs. 3 StPO dar (vgl. insoweit auch
GFELLER, a.a.O., N. 10 zu Art. 246 StPO mit Hinweisen). Demnach sind die
ermittelten "offensichtlichen Freier-Adressen" und die gestützt darauf
erlangten Aussagen des Zeugen B. verwertbar.

2. Die Beschwerdeführerin rügt einen Verstoss gegen Art. 243 StPO. Die
angebliche Ermittlung von "offensichtlichen Freier-Adressen" habe nicht im
Zusammenhang mit der ursprünglich abzuklärenden Straftat (rechtswidrige
Einreise, allenfalls rechtswidriger Aufenthalt) gestanden, sondern auf eine
"andere Straftat" im Sinne von Art. 243 StPO (Erwerbstätigkeit ohne
Bewilligung) hingewiesen. Die vorinstanzliche Schlussfolgerung, aufgrund des
Kontrollorts und der starken Alkoholisierung der Beschwerdeführerin habe der
Verdacht der Schwarzarbeit nicht von Beginn weg ausgeschlossen werden können,
sei willkürlich. Die "Freierliste" hätte als Zufallsfund behandelt werden
müssen. Sie sei - ebenso wie die in der Folge durchgeführte Befragung des
Zeugen B. - nach Art. 141 StPO nicht verwertbar.

2.1 Unter Zufallsfunden nach Art. 243 StPO versteht man die bei der
Durchführung von Zwangsmassnahmen allgemein und bei Durchsuchungen und
Untersuchungen im Besonderen zufällig entdeckten
BGE 139 IV 128 S. 136
Beweismittel, Spuren, Gegenstände oder Vermögenswerte, die mit der
abzuklärenden Straftat in keinem direkten Zusammenhang stehen und den
ursprünglichen Verdacht weder erhärten noch widerlegen, aber auf eine weitere
Straftat hinweisen (GFELLER/THORMANN, in: Basler Kommentar, Schweizerische
Strafprozessordnung, 2011, N. 6 zu Art. 243 StPO; SCHMID, Praxiskommentar,
a.a.O., N. 1 zu Art. 243 StPO; ders., Handbuch, a.a.O., S. 470 Rz. 1066;
KELLER, a.a.O., N. 1 zu Art. 243 StPO). Kein Zufallsfund liegt dagegen vor,
wenn eine Spur bzw. ein Gegenstand in einem direkten Zusammenhang mit der
abzuklärenden Straftat steht. Abzugrenzen sind Zufallsfunde von unzulässigen
Beweisausforschungen, sogenannten "Fishing-Expeditions". Eine solche besteht,
wenn einer Zwangsmassnahme kein genügender Tatverdacht zugrunde liegt, sondern
aufs Geratewohl Beweisaufnahmen getätigt werden. Aus Beweisausforschungen
resultierende Ergebnisse sind nicht verwertbar (siehe BGE 137 I 218 E. 2.3.2
mit zahlreichen Hinweisen auf Rechtsprechung und Lehre).

2.2 Gemäss Polizeirapport vom 28. Januar 2011 wurde gegen die
Beschwerdeführerin wegen Verletzung von Art. 115 Abs. 1 lit. a und c AuG
ermittelt. Es bestand der Verdacht der illegalen Einreise in die Schweiz zur
Ausübung der Prostitution ohne Bewilligung. Die Polizei führte die
Beschwerdeführerin gemäss Rapport zwar primär deshalb auf den Polizeiposten,
weil sich diese nicht ausweisen konnte und Anhaltspunkte dafür bestanden, sie
sei ohne gültige Ausweispapiere in der Schweiz anwesend. Damit stand für die
Polizei nach Ansicht der Vorinstanz anfänglich zwar ein allfälliger Verstoss
gegen Einreisevorschriften im Sinne von Art. 115 Abs. 1 lit. a AuG im
Vordergrund, ohne dass aber Widerhandlungen gegen Art. 115 Abs. 1 lit. b und c
AuG (rechtswidriger Aufenthalt, Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung)
ausgeschlossen werden konnten. Solche Verstösse schienen vielmehr ebenso
wahrscheinlich. Dieser Schluss der Vorinstanz ist nicht willkürlich. Er folgt
aus der Gesamtsituation anlässlich der Kontrolle der Beschwerdeführerin
(Einsatzörtlichkeit der Polizei in einer einschlägigen "Kontakt-Bar" im
Kerngebiet des Stadtzürcher Milieus; starke Alkoholisierung der
Beschwerdeführerin; Weigerung, sich auszuweisen; keine Ausweispapiere). Deren
Einwand, nicht jede Frau, die sich im "Chreis Cheib" die "Nacht um die Ohren
schlage", sei ein "leichtes Mädchen", ist nicht geeignet, den vorinstanzlichen
Schluss in Frage zu stellen. Mit der Vorinstanz kann ohne Willkür davon
ausgegangen werden, gegenüber der
BGE 139 IV 128 S. 137
Beschwerdeführerin habe von Anbeginn an ein (Anfangs-)Verdacht bestanden, sie
weile ohne gültige Papiere in der Schweiz und übe eine nicht bewilligte
Erwerbstätigkeit aus. Die ermittelten Adressdaten von Freiern stehen demnach in
direktem Zusammenhang mit den abzuklärenden Straftaten und stellen keinen
Zufallsfund dar.