Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 II 460



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Urteilskopf

139 II 460

32. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S.
Eidgenössische Steuerverwaltung gegen Stiftung X.-Pensionskasse und Y. AG
(Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_153/2013 vom 16. August 2013

Regeste

Art. 164 Abs. 2 und Art. 182 BV; Art. 13 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1 lit. c und Art.
107 Abs. 3 MWSTG 2009; Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009; Art. 11 Abs. 1 BVG; konkrete
Normenkontrolle; Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips dadurch, dass die
Mehrwertsteuerverordnung die Teilhabe von Einrichtungen der beruflichen
Vorsorge an einer Mehrwertsteuergruppe in jedem Fall ausschliesst.
Vorfrageweise Kontrolle bundesrätlicher Rechtsverordnungen. Verordnungsweiser
Ausschluss der Teilhabe einer Personalvorsorgeeinrichtung an einer
Mehrwertsteuergruppe (E. 2). Ein überwiegendes vorsorgerechtliches
Schutzbedürfnis fehlt, wenn die Personalvorsorgeeinrichtung hundertprozentige
oder qualifiziert mehrheitliche Beteiligungen unter ihrer einheitlichen Leitung
vereinigt. Soweit das Halten derartiger Beteiligungen aufsichtsrechtlich
überhaupt zulässig ist, kann der Stiftung - entgegen der angefochtenen
Bestimmung - die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe nicht verwehrt werden (E.
3). Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 sprengt damit den Rahmen einer blossen
Vollzugsverordnung und verletzt dadurch das Gewaltenteilungsprinzip (E. 4.1).

Sachverhalt ab Seite 461

BGE 139 II 460 S. 461

A. Die Stiftung X.-Pensionskasse mit Sitz in A./ZH bezweckt statutengemäss die
berufliche Vorsorge im Rahmen des BVG (...). Die Y. AG mit Sitz am selben Ort
ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Stiftung. Ihr Zweck liegt in
der Verwaltung und gegebenenfalls auch der umfassenden Betreuung von (...)
Immobilien (...), insbesondere auch für institutionelle Anleger. Die Stiftung
und die Aktiengesellschaft bilden zusammen die Mehrwertsteuergruppe
"X.-Pensionskasse", die auf den 1. Januar 1995 ins Register der
Mehrwertsteuerpflichtigen eingetragen wurde. Gruppenträgerin ist die Stiftung.
BGE 139 II 460 S. 462

B. Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) orientierte am 10. Juni 2011 die
beiden Mitglieder über die bevorstehende Löschung der Gruppe aus dem Register
der Mehrwertsteuerpflichtigen. Sie begründete dies damit, dass Einrichtungen
der beruflichen Vorsorge nach Art. 16 Abs. 3 der Anfang 2010 in Kraft
getretenen Mehrwertsteuerverordnung vom 27. November 2009 von der Teilhabe an
einer Mehrwertsteuergruppe ausgeschlossen seien. Mit Verfügung vom 21. November
2011 löschte die ESTV die Gruppe per Ende 2011. Einer möglichen Einsprache
entzog sie die aufschiebende Wirkung. Im Einspracheentscheid vom 25. Mai 2012
bestätigte sie die Anordnung und ordnete den Entzug der aufschiebenden Wirkung
einer möglichen Beschwerde an. Die hierauf von den Gruppenmitgliedern erhobene
Beschwerde hiess das Bundesverwaltungsgericht (...) mit Urteil (...) vom 8.
Januar 2013 gut, soweit es darauf eintrat, hob den angefochtenen
Einspracheentscheid auf und versagte der streitbetroffenen
Verordnungsbestimmung im konkreten Fall die Anwendung.

C. Die ESTV erhebt mit Eingabe vom 8. Februar 2013 beim Bundesgericht
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie beantragt, es seien
der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Januar 2013 aufzuheben und
der Einspracheentscheid vom 25. Mai 2012 zu bestätigen. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Ist der Bundesrat unmittelbar durch eine Delegationsnorm im Gesetz (Art.
164 Abs. 2 BV) dazu ermächtigt, erlässt er rechtsetzende Bestimmungen in der
Form der Rechtsverordnung (Art. 182 Abs. 1 BV; sog. unselbständige
Rechtsverordnungen). Auch wenn der Gesetzgeber davon abgesehen hat, der
Exekutive derartige (beschränkte) Legislativfunktionen zu übertragen, obliegt
es dem Bundesrat, die Gesetzgebung zu vollziehen (Art. 182 Abs. 2 BV). Zu
diesem Zweck kann er verfassungsunmittelbar die erforderlichen
rechtsvollziehenden Rechtsverordnungen erlassen. Der Anwendungsbereich von
Ausführungs- und Vollziehungsverordnungen ist indes darauf beschränkt, die
Bestimmungen des betreffenden Bundesgesetzes durch Detailvorschriften näher
auszuführen und mithin zur
BGE 139 II 460 S. 463
verbesserten Anwendbarkeit des Gesetzes beizutragen. Ausgangspunkt sind Sinn
und Zweck des Gesetzes; sie kommen in grundsätzlicher Weise durch die
Bestimmung im formellen Gesetz zum Ausdruck (vgl. BGE 133 II 331 E. 7.2.2 S.
348; BGE 126 II 283 E. 3b S. 291; BGE 124 I 127 E. 3b S. 132 f.; BGE 117 IV 349
E. 3c S. 354 f.; BGE 103 IV 192 E. 2a S. 194; BGE 99 Ib 159 E. 1a S. 165). Auch
im Steuerrecht, das einem strengen Legalitätsprinzip unterliegt (Art. 127 Abs.
1 BV; BGE 138 V 32 E. 3.1.1 S. 35; BGE 136 II 337 E. 5.1 S. 348 f.; BGE 132 I
157 E. 2.2 S. 159; BGE 131 II 562 E. 3.1 S. 565), darf die Exekutive die zum
Vollzug des Gesetzes benötigten Verordnungen erlassen (Urteil 2P.157/1992 vom
21. September 1993 E. 5a).

2.2 Bestimmungen, welche die auszuführende Gesetzesbestimmung abändern oder
aufheben, sind nicht vollziehender Natur und fallen aus dem geschilderten
Kompetenzrahmen. Die Vollziehungsverordnung darf insbesondere weder die Rechte
der Bürgerinnen und Bürger (zusätzlich) beschränken noch ihnen (weitere)
Pflichten auferlegen, und zwar selbst dann nicht, wenn dies durch den
Gesetzeszweck gedeckt wäre (BGE 136 I 29 E. 3.3 S. 33; BGE 130 I 140 E. 5.1 S.
149 mit Hinweisen). Ebenso wenig kann eine gesetzgeberisch gewollte
Unbestimmtheit des Gesetzes mittels einer Vollziehungsverordnung bereinigt
werden. Demgegenüber dürfen praxisgemäss (untergeordnete) Gesetzeslücken im
Rahmen der gesetzlichen Zielsetzung geschlossen werden (BGE 124 I 127 E. 3c S.
133; BGE 112 Ia 107 E. 3c/ee S. 116).

2.3 Vor dem Hintergrund dieser Kompetenzausscheidung kann das Bundesgericht
Rechtsverordnungen des Bundesrates vorfrageweise (inzident, im Einzelfall),
aber inhaltlich eingeschränkt auf ihre Rechtmässigkeit prüfen. Während bei
selbständigen (rechtsetzenden verfassungsunmittelbaren) Rechtsverordnungen nur
eine Überprüfung der Verfassungsmässigkeit in Betracht fällt, sind
unselbständige Rechtsverordnungen und Vollziehungsverordnungen zunächst auf
ihre Gesetzmässigkeit (BGE 137 III 217 E. 2.3 S. 220 f.; BGE 137 V 321 E. 3.3.2
S. 331; BGE 136 II 337 E. 5.1 S. 348 f.) und hernach, soweit das Gesetz den
Bundesrat nicht ermächtigt, von der Bundesverfassung abzuweichen, auf ihre
Verfassungsmässigkeit (BGE 137 V 321 E. 3.3.2 S. 331; BGE 131 II 271 E. 4 S.
276; BGE 128 II 247 E. 3.3 S. 252; BGE 126 II 283 E. 3b S. 290) zu prüfen (so
schon BGE 100 Ib 318 E. 3 S. 319 f.; BGE 99 Ib 165 E. 1a S. 165). Die
Zweckmässigkeit der getroffenen Anordnung entzieht sich der gerichtlichen
Kontrolle
BGE 139 II 460 S. 464
(BGE 137 III 217 E. 2.3 S. 220 f.; BGE 137 V 321 E. 3.3.2 S. 331; BGE 136 II
337 E. 5.1 S. 348 f.). Es ist nicht Sache des Bundesgerichts, sich zur
politischen, wirtschaftlichen oder anderweitigen Sachgerechtigkeit einer
Verordnungsbestimmung zu äussern (BGE 136 II 337 E. 5.1 S. 348 f.; BGE 133 V
569 E. 5.1 S. 571; BGE 131 II 562 E. 3.2 S. 566).

2.4 Das Institut der Gruppenbesteuerung ist in der Schweiz mit Art. 17 Abs. 3
der Verordnung vom 22. Juni 1994 über die Mehrwertsteuer (MWSTV 1994; AS 1994
1464) eingeführt worden, welche Bestimmung verfassungsmässig ist (BGE 125 II
326). Mit dem Institut sollen gruppenintern die Auswirkungen der
steuerausgenommenen Umsätze ("taxe occulte") behoben und zugleich
administrative Vereinfachungen herbeigeführt werden (Bericht des
Eidgenössischen Finanzdepartements vom 22. Juni 1994 über das
Vernehmlassungsverfahren zum Verordnungsentwurf über die Mehrwertsteuer vom 28.
Oktober 1993, S. 14). Erreicht wird dies dadurch, dass die eng miteinander
verbundenen Unternehmen gemeinsam als eine einzige steuerpflichtige Person
behandelt werden. Dementsprechend sind die Umsätze zwischen den
Gruppenmitgliedern ("Innenumsätze") nicht zu besteuern, mit der Folge, dass die
Auswirkungen, die steuerausgenommene Umsätze (Art. 13 MWSTV 1994) zwangsläufig
auf den Vorsteuerabzug haben (Art. 29 Abs. 2 MWSTV 1994 e contrario), im
Innenverhältnis ausbleiben. Die "Aussenumsätze" der Gruppenmitglieder werden
unmittelbar der Gruppe zugerechnet und begründen von Gesetzes wegen die
solidarische Haftung der Mitglieder für sämtliche von der Gruppe geschuldeten
Steuern (Art. 25 Abs. 1 lit. f MWSTV 1994). Der ESTV gegenüber wird die Gruppe
unter Verordnungsrecht durch die Gruppenträgerin vertreten (dazu Urteil 2C_642/
2007 vom 3. März 2008 E. 3.2, in: ASA 77 S. 267; BGE 125 II 326 E. 9a/aa S. 339
f.). Das Bundesgesetz vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer (MWSTG
1999; AS 2000 1300) übernahm im Wesentlichen die bisherige Konzeption
(materielle Regelung in Art. 22, Solidarhaftung in Art. 31 Abs. 1 lit. e MWSTG
1999; Urteil 2C_124/2009 vom 10. März 2010 E. 2.2, in: ASA 79 S. 580, RDAF 67/
2011 II S. 168).

2.5 Das geltende Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer (MWSTG
2009; SR 641.20) setzt abermals das vorrevidierte Recht fort. Unter dem Titel
"Gruppenbesteuerung" enthält Art. 13 Abs. 1 folgende Bestimmung:
BGE 139 II 460 S. 465
"Rechtsträger mit Sitz oder Betriebsstätte in der Schweiz, die unter
einheitlicher Leitung eines Rechtsträgers miteinander verbunden sind, können
sich auf Antrag zu einem einzigen Steuersubjekt zusammenschliessen
(Mehrwertsteuergruppe). In die Gruppe können auch Rechtsträger, die kein
Unternehmen betreiben, und natürliche Personen einbezogen werden."
Nach der bundesrätlichen Botschaft vom 25. Juni 2008 zur Vereinfachung der
Mehrwertsteuer (BBl 2008 6885, insb. 6953 f. zu Art. 13) ist zwar bei
natürlichen Personen fraglich, ob sie im Einzelfall durch einen
Beherrschungsvertrag als unter einheitlicher Leitung stehend betrachtet werden
können. Als "vorstellbar" bezeichnet der Bundesrat hingegen den Einbezug zum
Beispiel eines für eine Versicherung tätigen Generalagenten oder einer
Pensionskasse in die Gruppe.
Aufgrund von Art. 15 Abs. 1 lit. c MWSTG 2009 haftet auch neurechtlich mit der
steuerpflichtigen Person solidarisch jede zu einer Mehrwertsteuergruppe (Art.
13) gehörende Person oder Personengesellschaft für sämtliche von der Gruppe
geschuldeten Steuern; tritt eine Person oder Personengesellschaft aus der
Gruppe aus, so haftet sie nur noch für die Steuerforderungen, die sich aus
ihren eigenen unternehmerischen Tätigkeiten ergeben haben. Im Anschluss daran
bestimmt Art. 16 der Mehrwertsteuerverordnung vom 27. November 2009 (MWSTV
2009; SR 641.201):
^1 Nicht rechtsfähige Personengesellschaften sind Rechtsträgern im Sinn von
Art. 13 MWSTG gleichgestellt.
^2 Versicherungsvertreter und Versicherungsvertreterinnen können Mitglieder
einer Gruppe sein.
^3 Einrichtungen der beruflichen Vorsorge können nicht Mitglied einer Gruppe
sein.
In den Erläuterungen vom 27. November 2009 zur Mehrwertsteuerverordnung (nur
online einsehbar) kommentiert der Bundesrat Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 zwar
dahingehend, dass botschaftsgemäss der Einbezug einer Pensionskasse in eine
Gruppe vorstellbar sei. Da die Mitglieder einer Gruppe jedoch nach Art. 15 Abs.
1 lit. c MWSTG für sämtliche Mehrwertsteuerschulden der anderen
Gruppenmitglieder solidarisch hafteten, würde die Aufnahme von
Vorsorgeeinrichtungen in eine Gruppe einen Verstoss gegen die
sozialversicherungsrechtliche Verselbstständigungspflicht darstellen. Das
Bundesamt für Sozialversicherungen habe sich entschieden gegen die Möglichkeit
einer Aufnahme von Vorsorgeeinrichtungen in Mehrwertsteuergruppen
ausgesprochen, was nun in Absatz 3 ausdrücklich festgehalten werde.
BGE 139 II 460 S. 466

2.6 Das Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über die berufliche Alters-,
Hinterlassenen und Invalidenvorsorge (BVG; SR 831.40) findet auf die
registrierten Vorsorgeeinrichtungen Anwendung (Art. 5 Abs. 2 BVG). In der Folge
bestimmt Art. 11 Abs. 1 BVG, der Arbeitgeber, der obligatorisch zu versichernde
Arbeitnehmer beschäftigt, müsse eine in das Register für die berufliche
Vorsorge eingetragene Vorsorgeeinrichtung errichten oder sich einer solchen
anschliessen (vgl. BGE 129 V 387 E. 5.2 S. 391). Das Hauptanliegen von Art. 11
Abs. 1 BVG - dies in Einklang mit Art. 331 Abs. 1 OR in der weitergehenden
(ausserobligatorischen) Vorsorge - besteht darin, die Vorsorgemittel dauerhaft
dem Vorsorgezweck zu widmen und dem Zugriff des Arbeitgebers oder Dritter (z.B.
zur Deckung von Verbindlichkeiten der operativen Gesellschaften) wirksam zu
entziehen ("Verselbständigungspflicht"; BGE 126 V 314 E. 3b S. 316). Dies
schliesst aus, dass der Arbeitgeber das für die Personalvorsorge bestimmte
Vermögen in seinen eigenen Büchern weiterführt und es als besonderen
Passivposten ausweist ("Ausscheidungspflicht"; dazu JÜRG BRÜHWILER,
Berufsvorsorgerechtliche Verselbständigungspflicht, SZS 41/1997 S. 497, insb.
498 f.). Über diesen Schutzgedanken hinaus erlaubt die Aussonderung des
Vorsorgevermögens und dessen Übertragung auf einen unabhängigen Rechtsträger
eine wirkungsvollere Beaufsichtigung und einfachere Prüfung (CARL HELBLING,
Personalvorsorge und BVG, 8. Aufl. 2006, S. 82). Im Rahmen der übrigen
gesetzlichen Vorgaben - zum Beispiel numerus clausus der Rechtsformen gemäss
Art. 48 Abs. 2 BVG - sind die Vorsorgeeinrichtungen befugt, die Gestaltung
ihrer Leistungen, deren Finanzierung und ihre Organisation frei zu bestimmen.
Sie verfügen über einen Selbständigkeitsbereich (Art. 49 Abs. 1 BVG bzw. Art.
80 i.V.m. 89a Abs. 1 ZGB in der weitergehenden beruflichen Vorsorge).

3.

3.1 Mit der Vorinstanz geht die ESTV davon aus, dass Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009
auf keiner gesetzlichen Delegationsnorm beruhe. In der Tat lässt sich eine
solche weder Art. 13 noch Art. 107 MWSTG 2009 entnehmen. Damit fragt sich, ob
die streitbetroffene Norm als Vollziehungsverordnung betrachtet werden kann,
deren Grundlage sich unmittelbar aus Art. 182 Abs. 2 BV (bzw. dem rein
deklaratorisch gehaltenen Art. 107 Abs. 3 MWSTG 2009) herleiten lässt.

3.2 Während die Botschaft vom 25. Juni 2008 zum Gesetzesentwurf noch davon
spricht, der Einbezug von Pensionskassen in die
BGE 139 II 460 S. 467
Gruppe sei "vorstellbar", schliessen die Erläuterungen vom 27. November 2009
zur Verordnung dies ausdrücklich aus. Die Begründung geht dahin, die Aufnahme
von Vorsorgeeinrichtungen in eine Gruppe würde die vorsorgerechtliche
Verselbständigungspflicht verletzen. Das Berufsvorsorgegesetz ist zwar älteres
Recht als die heutige Mehrwertsteuergesetzgebung, in Bezug auf den Aspekt der
Verselbständigungspflicht aber das speziellere Recht. Die Stossrichtung, die
Art. 11 Abs. 1 BVG verfolgt, ist überdies von unverminderter Aktualität. Die
ESTV geht davon aus, Art. 15 Abs. 1 lit. c MWSTG 2009 stehe insgesamt in
unlösbarem Widerspruch zu Art. 11 Abs. 1 BVG. Sie folgert sinngemäss, Art. 11
Abs. 1 BVG beanspruche deswegen den Vorrang gegenüber Art. 13 Abs. 1 MWSTG,
sodass der Bundesrat Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 mit Recht erlassen habe.

3.3 Dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung kommt gerade im Steuerrecht,
das regelmässig auf fremdrechtliche Sachverhalte anzuwenden ist, erhebliche
Bedeutung zu (vgl. BGE 138 II 300 E. 3.6.2 S. 308 [DBG/ZGB]). Dementsprechend
stellen sich im Steuerrecht häufig Vorfragen aus anderen Rechtsgebieten (Urteil
2C_566/2008 vom 16. Dezember 2008 E. 4.1, in: StE 2009 B 22.3 Nr. 99, StR 64/
2009 S. 561; BGE 131 III 546 E. 2.3 S. 551; vgl. auch BGE 139 II 233 E. 5.4.2
S. 240 f.; je mit Hinweisen), was nach einer einheitlichen Beantwortung ruft.
Auch innerhalb der verschiedenen Steuerarten ist eine Harmonisierung wünschbar
(BGE 138 II 251 E. 2.4 S. 256 ff. [DBG/MWSTG]). Dies alles gilt für die
Rechtsprechung, ebenso aber auch für die Rechtsetzung. So ist es durchaus
sinnvoll, wenn schon der Verordnungsgeber im Abgaberecht auf die
zivilrechtliche Regelung abstellt (BGE 136 V 258 E. 4.7 S. 266 f. [AHVV/OR]).
Die interdisziplinäre Harmonisierung findet ihre Grenzen dort, wo ein
Harmonisierungsbedürfnis fehlt. Wie zu zeigen ist, bestehen unter den
vorliegenden Umständen keine fremdrechtlichen (hier: vorsorgerechtlichen)
Gründe, die gebieten würden, Personalvorsorgeeinrichtungen in jeder möglichen
Konstellation von der Teilnahme an der Mehrwertsteuergruppe auszuschliessen.

3.4 Einrichtungen der beruflichen Vorsorge verfügen im Rahmen der gesetzlichen
Vorgaben über einen Selbständigkeitsbereich. In diesem Umfang kommt ihnen die
Organisationshoheit zu (Art. 49 Abs. 1 BVG bzw. Art. 80 i.V.m. Art. 89a Abs. 1
ZGB). Die Ausgliederung von Aufgaben der Personalvorsorgeeinrichtung auf eine
hundertprozentige oder qualifiziert mehrheitlich gehaltene
BGE 139 II 460 S. 468
Tochtergesellschaft muss nicht in zwangsläufigem Widerspruch zum Hauptanliegen
von Art. 11 Abs. 1 BVG (und von Art. 331 Abs. 1 OR) stehen. Mit Blick auf die
regulatorischen Vorgaben von Art. 11 Abs. 1 BVG gilt es zwar zu vermeiden, dass
eine Personalvorsorgeeinrichtung unter Leitung namentlich der
Stifterunternehmung steht. Nichts spricht hingegen von vornherein dagegen, dass
umgekehrt eine oder mehrere operative Gesellschaften unter der "einheitlichen
Leitung" (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 MWSTG 2009) einer solchen
Personalvorsorgeeinrichtung stehen. Unter betriebswirtschaftlichen
Gesichtspunkten kann es gegenteils sinnvoll sein, bestimmte Tätigkeiten (etwa
die Verwaltung und Betreuung von Grundstücken oder anderem Anlagevermögen) von
der Vorsorgeeinrichtung auf eine dafür spezialisierte Beteiligung zu
übertragen. Zumindest solange, als es sich um eine hundertprozentige oder eine
qualifiziert mehrheitlich gehaltene Tochtergesellschaft handelt, ist die
gesellschaftsrechtliche Einflussnahme und Kontrolle (im Verwaltungsrat, an der
Generalversammlung, durch die Revisionsstelle) durch die paritätisch besetzte
Personalvorsorgeeinrichtung (Art. 51 BVG) grundsätzlich gewährleistet. Im
Ergebnis wird das ökonomische Risiko bei Auslagerung (Outsourcing) einer
Aufgabe von der Personalvorsorgeeinrichtung an eine derartige
Tochtergesellschaft mit dem Risiko vergleichbar sein, das bestünde, würde die
Einrichtung der beruflichen Vorsorge diese Aufgabe selber bewältigen.

3.5 Das Mehrwertsteuerrecht schafft bei Gruppenangehörigkeit eine solidarische
Haftung, wo zivil- und vorsorgerechtlich von Gesetzes wegen keine solche
besteht. Bei einer hundertprozentigen oder qualifiziert mehrheitlich gehaltenen
Tochtergesellschaft, soweit vorsorgerechtlich überhaupt zulässig, vermag die
mehrwertsteuerliche Solidarhaftung im Regelfall freilich kein zusätzliches
ökonomisches Risiko der Personalvorsorgeeinrichtung (Aktionärin) zu begründen.
Die Aktionärin könnte als solidarisch Haftende lediglich dann belangt werden,
wenn die Tochtergesellschaft Aussenumsätze erbringt, ohne über diese
mehrwertsteuerlich abzurechnen. Wie gezeigt, verfügt die Vorsorgeeinrichtung in
Fällen qualifizierter Beteiligungen jedoch über alle gesellschaftsrechtlich
erforderlichen Steuerungs- und Kontrollmittel, um einer solchen Gefahr
rechtzeitig zu begegnen. In ihrer Eigenschaft als Gruppenvertretung (Art. 18
Abs. 3 MWSTV 2009) hat sie überdies die interne Mehrwertsteuerabrechnung der
Tochtergesellschaft zu konsolidieren (Art. 21 Abs. 2 MWSTV 2009), was ihr
jederzeit den Überblick über die
BGE 139 II 460 S. 469
Steuerforderung (Umsatzsteuer minus Vorsteuer, sog. Saldoprinzip; Art. 36 Abs.
2, Art. 86 Abs. 1 MWSTG 2009) verschafft. Dem potentiellen ökonomischen (Rest-)
Risiko steht freilich ein aktueller ökonomischer Vorteil gegenüber. So liegt
der Hauptzweck der Mehrwertsteuergruppe gerade darin, die unerwünschte "taxe
occulte" zu beseitigen, die sich auf Ebene der Vorsorgeeinrichtung infolge der
beschränkten Vorsteuerabzugsberechtigung zwangsläufig einstellt. Die
Schattensteuerbelastung ginge zulasten des Vorsorgevermögens. Bildet die
Personalvorsorgeeinrichtung eine Gruppe, entfällt der Schattensteuereffekt auf
gruppenintern bezogenen Leistungen. Der (restriktiven) Haltung von Bundesrat
und Verwaltung ist denn auch Kritik erwachsen (PETER LANG, Aspekte der
Versicherung im schweizerischen Mehrwertsteuerrecht, ASA 77 S. 121, insb. 146;
zustimmend CLAUDE RUFF, L'imposition de groupe, ASA 74 S. 379, insb. 383).

3.6 In einer Konstellation wie der vorliegenden steht die
Personalvorsorgeeinrichtung nicht unter einer "einheitlichen Leitung". Es ist
damit kein vorsorgerechtliches (Schutz-)Bedürfnis ersichtlich, das einen
Ausschluss der Personalvorsorgeeinrichtung von der Teilhabe an der
Mehrwertsteuergruppe erfordert. Die Ausnahmebestimmung von Art. 16 Abs. 3 MWSTV
2009 lässt keine Gegenausnahme zu. Damit geht sie über eine Konkretisierung des
Gesetzes hinaus. Sie schränkt den Begriff der "einheitlichen Leitung" bzw. der
subjektiven Möglichkeit, an einer Mehrwertsteuergruppe teilzuhaben, in einer
Weise ein, die der vorliegenden Struktur nicht gerecht wird. Wäre der
Normkonflikt dem Gesetzgeber bewusst gewesen, hätte er dessen Lösung im Gesetz
herbeiführen oder zumindest eine Delegationsnorm schaffen müssen. Nachdem dies
unterblieben ist, kann dem Anliegen nicht im Wege einer blossen
Vollzugsverordnung Rechnung getragen werden. Der verordnete Eingriff in die
gesetzlich umschriebenen Voraussetzungen der Gruppenbildung entbehrt damit im
vorliegenden Fall der gesetzlichen Grundlage. Wie es sich mit anderen denkbaren
Strukturen verhält, kann im vorliegenden Verfahren der vorfrageweisen
Normenkontrolle offenbleiben. Im Übrigen ist es Sache der BVG-Aufsicht (Art. 61
ff. BVG), die vorsorgerechtliche Zulässigkeit von Tochtergesellschaften zu
beurteilen.

4.

4.1 Art. 16 Abs. 3 MWSTV 2009 wird damit einer Konstellation wie der
vorliegenden nicht gerecht. Der Norm fehlt für den Fall, dass die
BGE 139 II 460 S. 470
Personalvorsorgeeinrichtung an der Spitze der Mehrwertsteuergruppe steht und
hundertprozentige Tochtergesellschaften oder qualifiziert mehrheitlich
gehaltene Beteiligungen hält, die gesetzliche oder verfassungsrechtliche
Grundlage. Insofern verletzt sie das Gewaltenteilungsprinzip. Die Beschwerde
erweist sich damit als unbegründet und ist abzuweisen.