Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 II 393



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Urteilskopf

139 II 393

29. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. und
Mitb. gegen Migrationsamt und Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich
(Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_65/2012 vom 22. März 2013

Regeste

Art. 31 ff. VRK; Art. 2, 7 lit. d, Art. 16 Abs. 1 und 2, Art. 17 und 18 FZA;
Art. 3 Abs. 6 und Art. 4 Anhang I FZA; Art. 8 EMRK; Art. 50 AuG;
Aufenthaltsrechte von Kindern aus EU-/EFTA-Staaten zu Ausbildungszwecken
("Ibrahim/Teixeira"-Praxis des EuGH).
Bestätigung der Rechtsprechung, dass die Familiennachzugsregeln des
Freizügigkeitsabkommens nicht dazu dienen, die Anwesenheit von
Drittstaatsangehörigen zu schützen, die sich auf eine inhaltsleere, nur noch
formell fortbestehende Ehe berufen (E. 2). Das Bundesgericht weicht mit Blick
auf die von den Vertragspartnern durch das FZA angestrebte parallele Rechtslage
nur aus triftigen Gründen von der Auslegung abkommensrelevanter
unionsrechtlicher Bestimmungen durch den EuGH ab (E. 4.1). Ein Aufenthalt
gestützt auf Art. 3 Abs. 6 Anhang I FZA setzt voraus, dass die Rückkehr des
Kindes in die Heimat nicht zumutbar erscheint und eine vor dem Dahinfallen der
das abgeleitete Anwesenheitsrecht begründenden Familiengemeinschaft begonnene
Ausbildung (noch) abgeschlossen werden soll (E. 4.2). Keine Verletzung von Art.
8 EMRK oder Art. 50 AuG im konkreten Fall (E. 5 und 6).

Sachverhalt ab Seite 394

BGE 139 II 393 S. 394

A. X. (geb. 1969) stammt aus der Mongolei. Sie reiste am 8. Oktober 2005 in die
Schweiz ein und heiratete am 2. Februar 2006 den im Kanton Zürich
niedergelassenen portugiesischen Staatsangehörigen Y. (geb. 1963). Ihr wurde im
Familiennachzug eine Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA erteilt. Aus der Ehe ging
am 29. Oktober 2006 eine Tochter hervor, die über eine
Niederlassungsbewilligung EG/EFTA verfügt. Am 9. April 2007 zog X. ihren Sohn
aus einer früheren Beziehung in die Schweiz nach; diesem wurde eine bis zum 1.
Februar 2011 gültige Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA ausgestellt.

B. Am 30. April 2010 widerrief das Migrationsamt des Kantons Zürich die
Aufenthaltsbewilligungen von X. und ihrem Sohn, da sich das Ehepaar X.-Y.
getrennt habe und die eheliche Beziehung nur noch formell und ohne Aussicht auf
Wiedervereinigung fortdauere. Ein von der Ehe losgelöster nachehelicher
Bewilligungsanspruch bestehe nicht; der hier niederlassungsberechtigten
Tochter, die sich noch in einem anpassungsfähigen Alter befinde und zu welcher
der
BGE 139 II 393 S. 395
Vater keinerlei Beziehung mehr unterhalte, sei es zumutbar, mit der
sorgeberechtigten Mutter und dem Stiefbruder auszureisen. Die kantonalen
Rechtsmittelinstanzen bestätigten die Nichtverlängerung der (inzwischen
abgelaufenen) Aufenthaltsbewilligungen. (...)
Das Bundesgericht weist die gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zürich vom 30. November 2011 gerichtete Beschwerde ab, soweit es darauf
eintritt.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Die Beschwerdeführerin 1 hat als Ehegattin eines EU-Bürgers gestützt auf
das Freizügigkeitsrecht grundsätzlich einen (abgeleiteten) Anspruch auf die
Verlängerung ihrer Bewilligung, solange die Ehe formell fortdauert (Art. 7 lit.
d des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit [FZA; SR 0.142.112.681]
i.V.m. Art. 3 Anhang I; Urteil des EuGH vom 13. Februar 1985 C-267/83 Diatta,
Slg. 1985 S. 567; BGE 130 II 113 E. 8 S. 127 ff.). Dieses Recht steht unter dem
Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs (BGE 130 II 113 E. 9 S. 129 ff.); fehlt der
Wille zur Gemeinschaft und dient das formelle Eheband ausschliesslich (noch)
dazu, die ausländerrechtlichen Zulassungsvorschriften zu umgehen, fällt der
Anspruch dahin (Urteil 2A.557/2002 vom 3. Juni 2004 E. 5; vgl. auch Art. 35 der
Richtlinie 2004/38/EG [Unionsbürgerrichtlinie], ABl. L 229 vom 29. Juni 2004 S.
35 ff.). Die vom originär anwesenheitsberechtigten EU-Bürger abgeleitete
Bewilligung des Drittstaatsangehörigen kann in diesem Fall mangels Fortdauerns
der Bewilligungsvoraussetzungen gestützt auf Art. 23 Abs. 1 der Verordnung vom
22. Mai 2002 über die Einführung des freien Personenverkehrs (VEP; SR 142.203)
i.V.m. Art. 62 lit. d AuG (SR 142.20; Nichteinhalten einer mit der Verfügung
verbundenen Bedingung) widerrufen oder nicht (mehr) verlängert werden, da das
Freizügigkeitsabkommen diesbezüglich keine eigenen abweichenden Bestimmungen
enthält (vgl. Art. 2 Abs. 2 AuG; vgl. die Urteile 2A.569/2004 vom 7. Oktober
2004 E. 2.2; 2C_886/2011 vom 28. Februar 2012 E. 3 und 4 sowie 2C_13/2012 vom
8. Januar 2013 E. 2.1).

2.2 Die Beschwerdeführerin 1 und ihr portugiesischer Ehemann haben sich nach
zwei Jahren und neun Monaten Ehe im Dezember
BGE 139 II 393 S. 396
2008 definitiv getrennt. Auch wenn der Gatte sein Hab und Gut erst im März 2009
aus der gemeinsamen Wohnung abgeholt haben sollte, war die Ehe bereits vorher
ihres Inhalts entleert. Die Beschwerdeführerin 1 hat wiederholt erklärt, dass
sie und die gemeinsame Tochter ihren Gatten bzw. Vater ab Dezember 2008 nicht
mehr gesehen hätten. Auch dieser hat bestätigt, dass die Trennung im Dezember
2008 erfolgt und eine Wiederaufnahme der Beziehung nicht infrage gekommen sei.
Unter diesen Umständen durfte das Migrationsamt am 30. April 2010 davon
ausgehen, dass sich die Beschwerdeführerin 1 auf eine inhaltsleere, nur noch
formell bestehende Ehe berief, um ihr Anwesenheitsrecht zu sichern. Hierzu
dient die freizügigkeitsrechtliche Nachzugsregelung für Drittstaatsangehörige
nicht. Nur wenn die Voraussetzungen eines Verbleiberechts (vgl. Art. 4 des
Anhangs I FZA und die Verordnung [EWG] Nr. 1251/70 vom 29. Juni 1970 [ABl. L
142 vom 30. Juni 1970 S. 24 ff.] sowie die Richtlinie 75/34/EWG vom 17.
Dezember 1974 [ABl. L 014 vom 20. Januar 1975 S. 10 ff.]) oder eines
eigenständigen Anwesenheitsrechts erfüllt sind, gilt freizügigkeitsrechtlich
ein entsprechender Anspruch fort (vgl. das Urteil 2C_13/2012 vom 8. Januar 2013
E. 2.2).

3.

3.1 Die Beschwerdeführer berufen sich in diesem Zusammenhang auf Art. 3 Abs. 6
Anhang I FZA. Danach dürfen die Kinder eines Staatsangehörigen einer
Vertragspartei unabhängig davon, ob dieser im Hoheitsgebiet der anderen
Vertragspartei eine Erwerbstätigkeit ausübt, eine solche ausgeübt hat oder
erwerbslos ist, unter den gleichen Bedingungen am allgemeinen Unterricht sowie
an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen wie die Staatsangehörigen des
Aufnahmestaates. Die Regelung ist Art. 12 der von der Schweiz als "Acquis
communautaire" übernommenen Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15.
Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft
(ABl. L 257 vom 19. Oktober 1968 S. 2 ff.) nachgebildet und stimmt mit dieser
fast wörtlich überein.

3.2 Im Urteil Baumbast gegen das Vereinigte Königreich (C-413/99) vom 17.
September 2002 (Slg. 2002 I-7091) hat der EuGH in Auslegung dieser Bestimmung
entschieden, dass die Kinder eines EU-Bürgers, die in einem Mitgliedstaat seit
einem Zeitpunkt wohnen, zu dem jener ein Aufenthaltsrecht als
Wanderarbeitnehmer hatte, sich dort weiter aufhalten dürfen, um am allgemeinen
Unterricht teilnehmen zu können; dabei sei nicht von Belang, ob die Eltern der
Kinder
BGE 139 II 393 S. 397
inzwischen geschieden wurden, nur einer von ihnen Bürger der Europäischen Union
sei oder der Wanderarbeitnehmer seinerseits das Land verlassen habe bzw. die
Kinder selber nicht über die EU-Bürgerschaft verfügten (Randnr. 63). Könnten
die Kinder ein entsprechendes Aufenthaltsrecht geltend machen, erlaube Art. 12
der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 auch dem die Sorge ausübenden Elternteil -
losgelöst von dessen Staatsangehörigkeit - sich bei diesen aufzuhalten, um
ihnen zu ermöglichen, ihr Recht auf Bildung wahrzunehmen (Randnr. 75).

3.3 In zwei Urteilen vom 23. Februar 2010 hat der EuGH diese Rechtsprechung
bestätigt und präzisiert, dass dem Elternteil, der die elterliche Sorge für die
Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein Anspruch auf Aufenthalt in Anwendung von Art.
12 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 zukommt, ohne dass dieser von ausreichenden
Existenzmitteln abhängig gemacht werden dürfte und der Bezug von
Sozialhilfeleistungen ausgeschlossen wäre (Urteile vom 23. Februar 2010 C-310/
08 Ibrahim und C-480/08 Teixeira gegen Vereinigtes Königreich, Randnr. 25 ff.
bzw. 34 ff.; FERDINAND WOLLENSCHLÄGER, Aktuelle Fragen der
EU-Personenfreizügigkeit, in: Jahrbuch für Migrationsrecht 2009/2010, Achermann
und andere [Hrsg.], S. 3 ff., dort23 ff.). Das abgeleitete Anwesenheitsrecht
des die Sorge tatsächlich wahrnehmenden Elternteils ende mit dem Eintritt der
Volljährigkeit des Kindes, sofern dieses nicht weiterhin der Anwesenheit und
Fürsorge des betreuenden Elternteils bedürfe, um seine Ausbildung fortsetzen
bzw. abschliessen zu können (Urteil Teixeira, Randnr. 76 ff.; vgl. auch das
Urteil 2A.475/2004 vom 25. Mai 2005 E. 4).

4.

4.1

4.1.1 Das Freizügigkeitsabkommen ist gestützt auf die völkerrechtliche Methodik
nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen
Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines
Zieles und Zweckes auszulegen (vgl. Art. 31 ff. des Wiener Übereinkommens vom
23. Mai 1969 über das Recht der Verträge [VRK; SR 0.111]; vgl. ASTRID EPINEY,
Freizügigkeitsabkommen Schweiz-EU: Erfahrungen, Herausforderungen und
Perspektiven, in: Jahrbuch für Migrationsrecht 2011/2012, Achermann und andere
[Hrsg.], S. 81 ff., dort 83 ff. mit weiteren Hinweisen). Gemäss Art. 16 Abs. 2
FZA ist für die Anwendung des Freizügigkeitsabkommens die einschlägige
Rechtsprechung des EuGH vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung (21. Juni 1999)
BGE 139 II 393 S. 398
massgebend. Da es Ziel des Abkommens ist, die Freizügigkeit auf der Grundlage
der in der Europäischen Gemeinschaft geltenden Bestimmungen zu verwirklichen
(Präambel) und die Vertragsstaaten übereingekommen sind, in den vom Abkommen
erfassten Bereichen alle erforderlichen Massnahmen zu treffen, damit in ihren
Beziehungen eine möglichst parallele Rechtslage besteht (Art. 16 Abs. 1 FZA),
weicht das Bundesgericht praxisgemäss von der Auslegung abkommensrelevanter
unionsrechtlicher Bestimmungen durch den EuGH nicht leichthin, sondern nur beim
Vorliegen "triftiger" Gründe ab (BGE 136 II 65 E. 3.1 S. 70 f., BGE 136 II 5 E.
3.4 S. 12 f. mit Hinweisen auf die Doktrin). Bezüglich "neuer" Entwicklungen
besteht gestützt auf Art. 16 Abs. 2 FZA keine Befolgungspflicht, sondern
höchstens ein Beachtungsgebot in dem Sinn, dass diese nicht ohne sachliche
Gründe unbeachtet bleiben sollen, aber aus der Sicht der Vertragspartner auch
nicht zu einer nachträglichen Änderung des Vertragsinhalts führen dürfen. Für
eine solche sind die Verfahren nach Art. 17 (Entwicklung des Rechts) und Art.
18 (Revision) FZA vorgesehen. Der Schweizer Richter muss die Tragweite der
neuen Rechtsprechung des EuGH jeweils auf dem Stand des 1999 übernommenen
"Acquis communautaire" würdigen und auslegungsweise klären, ob deren Gehalt
(noch) dem Regelungsgegenstand des an sich statisch ausgestalteten FZA
entspricht oder ausschliesslich Teil der dynamischen Weiterbildung des
Unionsrechts seit dem 21. Juni 1999 bildet und jenen damit sprengt.

4.1.2 Nicht anwendbar sind in der Regel nach dem Stichdatum ergangene
Entscheide, soweit die Ausführungen des Gerichtshofs sich auf die Bestimmungen
über die Unionsbürgerschaft und deren Kernbereich beziehen
("Kernbereichsdoktrin"; vgl. Art. 20 ff. AEUV [ABl. C 326 vom 26. Oktober 2012
S. 3 ff.]; vgl. die Urteile vom 8. März 2011 C-34/09 Zambrano oder vom 15.
November 2011 C-256/11 Dereci; HAILBRONNER/THYM, Ruiz Zambrano - Die Entdeckung
des Kernbereichs der Unionsbürgerschaft, Neue Juristische Wochenschrift [NJW]
2011 S. 2008 ff.; VÉRONIQUE BOILLET, La détermination du champ d'application de
l'Accord sur la libre circulation des personnes au regard de la jurisprudence
de la Cour européenne de justice: les implications des arrêts Zambrano et
McCarthy, AJP 2012 S. 49 ff., 53 ff.; NATHALIE CHRISTEN, Le développement du
regroupement familial inversé par la jurisprudence suisse et européenne, in:
Migrations et regroupement familial, Amarelle/Christen/Nguyen [Hrsg.], 2012, S.
71 ff., dort 90; FLORENCE AUBRY GIRARDIN, L'interprétation et
BGE 139 II 393 S. 399
l'application de l'Accord sur la libre circulation des personnes du point de
vue de la jurisprudence, in: Das Personenfreizügigkeitsabkommen Schweiz-EU:
Auslegung und Anwendung in der Praxis, Epiney/Metz/Mosters [Hrsg.], 2011, S. 29
ff., dort 41 ff.); dasselbe gilt für mit der Richtlinie 2004/38/EG neu
eingeführte Rechte für die Unionsbürger wie etwa den bedingungslosen Anspruch
auf Daueranwesenheit nach ununterbrochenem fünfjährigem (rechtmässigem)
Aufenthalt (Art. 16 der Richtlinie 2004/38/EG) oder das voraussetzungslose
Aufenthaltsrecht von bis zu drei Monaten (vgl. Art. 6 der Richtlinie 2004/38/
EG; vgl. BGE 136 II 65 E. 4.2 S. 74 mit Hinweisen; Urteil 2C_487/2012 vom 2.
April 2013 E. 4.4).

4.2

4.2.1 In der Doktrin wird mehrheitlich die Auffassung vertreten, dass - obwohl
nach dem 21. Juni 1999 ergangen - sowohl das Urteil Baumbast wie die
entsprechenden, die Praxis präzisierenden Entscheide Ibrahim und Teixeira im
Rahmen des FZA zu übernehmen seien (vgl. MARC SPESCHA, in: Migrationsrecht,
Spescha/Thür/Zünd/Bolzli [Hrsg.], 3. Aufl. 2012, N. 20 zu Art. 3 und N. 7 zu
Art. 4 FZA; ASTRID EPINEY, Zur schweizerischen Rechtsprechung zum
Personenfreizügigkeitsabkommen, in: Jahrbuch für Migrationsrecht 2011/2012,
Achermann und andere [Hrsg.], S. 223 ff., dort 246 mit weiteren Hinweisen;
SARAH PROGIN-THEURKAUF, Aufenthaltsrecht für Eltern von Kindern in Ausbildung,
Asyl 4/10 S. 25 f.; CHRISTINA SCHNELL, Arbeitnehmerfreizügigkeit in der
Schweiz, 2010, S. 173 f.). Wie es sich damit verhält, braucht hier nicht
abschliessend entschieden zu werden. Aufgrund der spezifischen Umstände besteht
im vorliegenden Fall - so oder anders - kein entsprechender Anspruch.

4.2.2 Sinn und Zweck des in Art. 3 Abs. 6 des Anhangs I zum FZA übernommenen
selbständigen Anwesenheitsrechts für Kinder von Bürgern aus EU- oder
EFTA-Staaten bzw. deren Partnern ist es, über die Teilnahme am allgemeinen
Unterricht die Integration in der Aufnahmegesellschaft zu fördern (vgl. das
EuGH-Urteil Baumbast, Randnr. 60), was voraussetzt, dass die Kinder tatsächlich
über diesen (bzw. anschliessend während der Lehrlings- und Berufsausbildung)
bei (noch) intakter Familiengemeinschaft bereits in nennenswerter Weise
begonnen haben, sich zu integrieren bzw. massgebliche Beziehungen ausserhalb
der Kernfamilie auszubilden. Das ist bei Kleinkindern, die noch in erster Linie
auf den familiären Bereich bezogen leben, nicht der Fall, auch wenn sie - wie
die Beschwerdeführerin 3 - in eine Tageskrippe oder allenfalls in den
Kindergarten gehen.
BGE 139 II 393 S. 400

4.2.3 Der entsprechende Unterricht (Kindergarten) kann ohne Beeinträchtigung
der freizügigkeitsrechtlichen Ansprüche (vgl. EuGH- Urteil Baumbast, Randnr.
62) im Drittstaat erfolgen, wenn das Sorgerecht über das Kind - wie hier - dem
Drittstaatsangehörigen zugesprochen worden ist (Urteile 2A.130/2005 vom 12.
April 2005 E. 1.2.1; 2A.475/2004 vom 25. Mai 2005 E. 4.7; LAURENT MERZ, Le
droit de séjour selon l'ALCP et la jurisprudence du Tribunal fédéral, RDAF 2009
I S. 293). Mit der Abmeldung ins Ausland bzw. dem Ablauf von sechs Monaten nach
der Ausreise mit dem sorgeberechtigten Elternteil fällt die gestützt auf den
Familiennachzug im Rahmen des FZA an das Kind erteilte
Niederlassungsbewilligung dahin (vgl. die Urteile 2C_656/2011 vom 8. Mai 2012
E. 3 und 2C_830/2010 vom 10. Juni 2011 E. 4). Das unmündige Kind teilt aus
familienrechtlichen Gründen (Art. 25 Abs. 1 und Art. 301 Abs. 3 ZGB; Urteil
2C_31/2007 vom 27. Juli 2007 E. 2.5) das ausländerrechtliche Schicksal des
sorgeberechtigten Elternteils und hat gegebenenfalls mit diesem das Land zu
verlassen, wenn jener seinerseits sein vom freizügigkeitsberechtigten
Arbeitnehmer abgeleitetes (derivatives) Anwesenheitsrecht verloren (vgl. das
Urteil 2C_930/2012 vom 10. Januar 2013 E. 4.4.4) und kein eigenständiges
Aufenthalts- oder Verbleiberecht erworben hat. Dies ist bei der
Beschwerdeführerin 3 trotz ihrer EU-Bürgerschaft nicht der Fall, da sie über
keine ausreichenden finanziellen Mittel verfügt, welche es ihr erlauben würden,
sich als Freizügigkeitsberechtigte ohne Erwerbstätigkeit in der Schweiz
aufzuhalten (vgl. Art. 24 FZA); sie kann auch keine Verbleiberechtssituation
geltend machen (vgl. Art. 4 Anhang I FZA i.V.m. Art. 3 und 2 der Verordnung
[EWG] Nr. 1251/70 [ABl. L 142vom 30. Juni 1970 S. 24 ff.]).

4.2.4 Der Beschwerdeführer 2 verfügt seinerseits nicht über die
Staatsbürgerschaft eines EU-/EFTA-Staats. Er ist zwar im Familiennachzug des
portugiesischen Freizügigkeitsberechtigten gestützt auf Art. 3 Abs. 2 lit. a
FZA in die Schweiz eingereist. Mit seinem hier lebenden und arbeitenden
(Stief-)Vater hat er aber kaum zusammengelebt. Im Zeitpunkt, als er seine
Ausbildung als Elektriker begann, war die eheliche Gemeinschaft längst
aufgelöst und bestand zwischen seiner Mutter und dem Stiefvater nur noch das
formelle Eheband fort, dessen Anrufung ohne jegliche Aussicht auf eine
Wiederannäherung als rechtsmissbräuchlich zu gelten hatte. Er könnte sich für
den weiteren Aufenthalt, um seine Ausbildung abzuschliessen, allenfalls dann
auf Art. 3 Abs. 6 des Anhangs I FZA in der
BGE 139 II 393 S. 401
Auslegung des EuGH zu Art. 12 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 berufen, wenn
ihm die Rückkehr in die Heimat nicht zuzumuten wäre (Urteil des EuGH vom 15.
März 1989 C-389/87 / C-390/87 Echternach und Moritz, Randnr. 23) und es darum
ginge, eine vor dem Dahinfallen der das abgeleitete Anwesenheitsrecht
begründenden Familiengemeinschaft begonnene Ausbildung (noch) abzuschliessen.
Dem ist hier nicht so: Der Beschwerdeführer 2 hat bis zum 9. April 2007 in der
mongolischen Grossfamilie in Ulaanbaatargelebt. Die Eheleute haben sich im
Dezember 2008 getrennt. Seine Ausbildung begann er, nachdem er den Haushalt
seiner (sorgeberechtigten) Mutter im April 2010 verlassen hatte und sich - so
oder anders - nicht mehr als Stiefsohn eines EU-Bürgers auf sein (über die
Mutter zweifach) abgeleitetes freizügigkeitsrechtliches Aufenthaltsrecht
berufen konnte.

4.2.5 Ein aus dem Anwesenheitsrecht des Kindes, welches diesem zum Zwecke des
Abschlusses der Ausbildung eingeräumt wird, abgeleitetes Anwesenheitsrecht
eines Elternteils setzt voraus, dass dieser das Sorgerecht tatsächlich
wahrnimmt. Vorliegend fehlt es - wie dargelegt - bereits am Anwesenheitsrecht
des Kindes; im Übrigen nimmt die Beschwerdeführerin 1 das Sorgerecht über ihren
Sohn nicht mehr wahr. Wegen zahlreicher Spannungen hat dieser den elterlichen
Haushalt Mitte April 2010 verlassen. Er lebt in einem Lehrlingsheim in I., wo
er betreut wird; durch dessen Vermittlung hat er im August 2011 schliesslich
eine Lehrstelle gefunden. Die Beschwerdeführerin 1 kann sich deshalb für ihren
weiteren Verbleib nicht auf einen (allenfalls von ihrem Sohn) abgeleiteten
Anspruch aus Art. 3 Abs. 6 des Anhangs I FZA berufen, da sie sich - entgegen
der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 12 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 - nicht
mehr um diesen kümmert, selbst wenn er über einen Aufenthaltsanspruch verfügen
würde. Die EuGH-Rechtsprechung i.S. Zhu und Chen (C-200/02 vom 19. Oktober
2004) fände auf sie im Rahmen von Art. 24 Anhang I FZA keine Anwendung, da
weder ihre Kinder noch sie selber hinreichende finanzielle Mittel besitzen, um
für die Familie in der Schweiz aufkommen zu können. Auch aus dem
freizügigkeitsrechtlichen Diskriminierungsverbot von Art. 2 FZA ergibt sich
nichts anderes: Verfügt keines der Kinder über ein freizügigkeitsrechtliches
Aufenthaltsrecht in der Schweiz, kann sich die Frage einer Ungleichbehandlung
vom sorgeberechtigten Drittstaatsangehörigen im umgekehrten Familiennachzug (zu
Schweizer Kindern) nicht stellen; im Übrigen bleibt diesbezüglich
BGE 139 II 393 S. 402
regelmässig ebenfalls eine fortgesetzte und erhebliche Sozialhilfeabhängigkeit
vorbehalten (Urteile 2C_234/2010 vom 11. Juli 2011 E. 2.4.3; 2C_54/2011 vom 16.
Juni 2011 E. 2.2; 2C_327/2010 / 2C_328/2010 vom 19. Mai 2011 E. 5.2.5).

5.

5.1 Auch aus Art. 8 Ziff. 1 EMRK ergibt sich für die Beschwerdeführer kein
Aufenthaltsanspruch. Keiner von ihnen verfügt nach dem Gesagten über ein
gefestigtes freizügigkeits- oder nationalrechtliches Anwesenheitsrecht; sie
haben das Land gemeinsam zu verlassen und können ihr Familienleben in der
gemeinsamen Heimat pflegen (vgl. BGE 122 II 289 E. 3b S. 297). Ein
konventionsrechtlicher Anwesenheitsanspruch setzt eine tatsächlich gelebte
familiäre Beziehung voraus: Zwischen Mutter und Sohn, der inzwischen auch
volljährig geworden ist, besteht keine solche mehr, auch ist kein
Abhängigkeitsverhältnis ersichtlich. Die in der Schweiz geborene
Beschwerdeführerin 3 ist erst sechs Jahre alt. Sie befindet sich noch in einem
anpassungsfähigen Alter (vgl. BGE 122 II 289 E. 3c S. 298) und hat noch keine
über die engeren Familienbande reichenden sozialen Kontakte geknüpft, die
eigenständig im Rahmen des Schutzes des Privatlebens von Art. 8 EMRK bzw. Art.
13 BV ins Gewicht fallen würden. Sie teilt ausländerrechtlich das Schicksal
ihrer sorgeberechtigten Mutter.

5.2

5.2.1 Die Beschwerdeführerin 1 lebt erst seit rund sieben Jahren im Land. Sie
ist im Alter von 27 Jahren in die Schweiz eingereist und mit den Verhältnissen
in ihrer Heimat, wo sie aufgewachsen und sozialisiert worden ist, vertraut. Sie
hat dort als Künstlerin, Schauspielerin und Synchronsprecherin gearbeitet und
vor der Ausreise in die Schweiz über eine eigene Wohnung verfügt, die sie
verkauft hat. In Ulaanbaatar halten sich weitere Angehörige (Mutter/
Geschwister) auf, welche ihr beistehen und Halt bieten können. Zwar ist sie
durch das Scheitern der Ehe und wegen ihrer unsicheren Zukunft zurzeit
psychisch beeinträchtigt; wie die Vorinstanz für das Bundesgericht indessen
verbindlich (vgl. Art. 105 Abs. 2 BGG) festgestellt hat, ist ihre medizinische
Behandlung auch in der Mongolei sichergestellt. Es bestehen dort neben 35
ambulanten Kliniken, 7 Tageskliniken, 21 stationäre Einrichtungen und ein
Spital für psychische Krankheiten. Diverse Psychopharmaka und Antidepressiva
sind ebenfalls erhältlich (vgl. das Urteil des BVGer D-4257/2008 vom 5. Oktober
2009 E. 6.3).
BGE 139 II 393 S. 403

5.2.2 Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin mittelgradig depressiv ist und
im Zusammenhang mit ihrer Rückkehr zurzeit Selbstmordgedanken hegt, begründet
für sich allein keinen Anspruch auf einen weiteren Verbleib im Land. Die
schweizerischen Behörden sind gehalten, im Rahmen der konkreten
Rückkehrmassnahmen alles ihnen Zumutbare vorzukehren, um medizinisch bzw.
betreuungsweise sicherzustellen, dass das Leben und die Gesundheit der
Beschwerdeführerin und ihrer Kinder nicht beeinträchtigt werden; sie sind
indessen nicht verpflichtet, im Hinblick auf die momentan kritische Situation
in Abweichung von den gesetzlichen Vorgaben dem Ansinnen der Beschwerdeführerin
1 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (und den damit verbundenen
weiteren Fürsorgeleistungen) im Rahmen von Art. 8 EMRK zu entsprechen.

6. Bei dieser Ausgangslage können sich die Beschwerdeführer auch nicht auf
einen nachehelichen Härtefall im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG berufen:
Danach besteht der Bewilligungsanspruch nach einer gescheiterten Ehe bzw.
Familiengemeinschaft fort, falls wichtige persönliche Gründe einen weiteren
Aufenthalt der ausländischen Familienmitglieder in der Schweiz erforderlich
machen (vgl. BGE 137 II 345 E. 3.2 S. 348 ff.). Entscheidend ist, ob die
persönliche, berufliche und familiäre Eingliederung der betroffenen
ausländischen Person bei einer Rückkehr in ihre Heimat als stark gefährdet zu
gelten hätte, und nicht, ob ein Leben in der Schweiz einfacher wäre und - aus
welchen Gründen auch immer - vorgezogen würde (vgl. BGE 137 II 345 E. 3.2.3 S.
350). Ein persönlicher, nachehelicher Härtefall setzt aufgrund der gesamten
Umstände eine erhebliche Intensität der Konsequenzen für das Privat- und
Familienleben voraus, die mit der Lebenssituation nach dem Dahinfallen der
abgeleiteten Anwesenheitsberechtigung verbunden sein muss (vgl. BGE 137 II 345
E. 3.2.3 S. 350). Zwar mag der Beschwerdeführerin 1 aufgrund ihrer derzeitigen
gesundheitlichen Probleme die Pflicht schwerfallen, das Land verlassen zu
müssen. Der blosse Umstand, dass das Gesundheits- oder Sozialversicherungswesen
in einem anderen Staat nicht mit jenem in der Schweiz vergleichbar ist und die
hiesige medizinische Versorgung einem höheren Standard entspricht, hat jedoch
nicht bereits die Unzumutbarkeit einer Rückkehr in die früheren Verhältnisse
zur Folge (vgl. das Urteil 2C_833/2011 vom 6. Juni 2012 E. 3.3.2; BGE 128 II
200 E. 5.3). Es handelt sich hierbei um keinen wichtigen persönlichen Grund,
der einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen würde. Auch
wenn die Beschwerdeführerin
BGE 139 II 393 S. 404
heute etwas Deutsch spricht und punktuell Reinigungsarbeiten nachgeht bzw.
nachgegangen ist, liegen keine persönlichen Umstände vor, welche einen
nachehelichen Härtefall begründen; dies auch dann nicht, wenn die Situation der
Kinder mitberücksichtigt wird.