Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 II 173



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Urteilskopf

139 II 173

13. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. AG
gegen Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte des Kantons Zug (Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_714/2012 vom 25. Januar 2013

Regeste

Art. 12 lit. d BGFA; Zulässigkeit und Grenzen der Anwaltswerbung.
Auslegung von Art. 12 lit. d BGFA (E. 2-6): Wortlaut (E. 2) und Werbebegriff
(E. 3). Ermittlung der Grenzen der Anwaltswerbung (E. 6) unter Berücksichtigung
der Entstehungsgeschichte der Norm (E. 4) und ihrer Stellung in der
Rechtsordnung (E. 5).
Nicht die Anwaltswerbung, sondern deren Einschränkung ist gemäss
verfassungsrechtlich vorgezeichneter und gesetzlich konkretisierter Wertung
rechtfertigungsbedürftig (E. 6.1). Öffentliches Interesse an einer
ordnungsgemässen und qualitativ hochstehenden Berufsausübung (E. 5 und 6.2.1).
Zurückhaltende und sachlich zutreffende Werbung entspricht dem
Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und ist zulässig; die gebotene
Zurückhaltung bezieht sich sowohl auf den Inhalt wie auf die Form(en) und
Methoden der Anwaltswerbung (E. 6.2.2). Beurteilungsspielraum der kantonalen
Behörden (E. 6.3.2).
Unzulässigkeit der Aussenwerbung (Fassadenanschrift) im vorliegenden Fall
infolge fehlender Zurückhaltung in gestalterischer Hinsicht (E. 7).

Sachverhalt ab Seite 174

BGE 139 II 173 S. 174

A. Die Anwaltskanzlei X. AG beabsichtigt am Bürogebäude, in dem sich ihre
Kanzlei befindet, die Fassadenanschrift "X. Advokatur & Notariat" anzubringen.
Das Bürogebäude liegt an einer stark befahrenen Verkehrskreuzung in A./ZG. Am
Gebäude bestehen ober- wie unterhalb des geplanten Schriftzugs bereits
Fassadenanschriften zweier weiterer Gewerbebetriebe ("V. Treuhand" und "W.").
Die vorgesehene Beschriftung soll eine Gesamtlänge von ca. 9,4 m und eine Höhe
von 70 cm ("X.") bzw. 32 cm ("Advokatur & Notariat") aufweisen und mit weissen
LED-Lichtern ausgeleuchtet werden. Die Fronten sollen blau (blaues Plexiglas)
und die Seitenteile vorne (1/3) weiss opal und hinten (2/3) silbern leuchten.

B. Am 12. März 2012 stellte die Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte des
Kantons Zug fest, die beabsichtigte Firmenbeschriftung verstosse gegen die
Berufsregeln gemäss Art. 12 lit. d
BGE 139 II 173 S. 175
des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und
Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61). Am 14. Juni 2012 wies das Obergericht
des Kantons Zug die gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde ab.

C. Vor Bundesgericht beantragt die X. AG die Aufhebung des Urteils des
Obergerichts des Kantons Zug vom 14. Juni 2012 und die Feststellung, dass die
von ihr geplante Firmenanschrift an der Hauswand des Gebäudes an der B.strasse
in A./ZG keine unzulässige Werbung im Sinne des Art. 12 lit. d BGFA darstelle,
eventualiter die Rückweisung zur Neubeurteilung an die Vorinstanz. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Die Beschwerdeführerin bestreitet die vorinstanzliche Würdigung, wonach die
vorgesehene Beschriftung gegen die Berufsregel gemäss Art. 12 lit. d BGFA
verstosse. Zudem rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung der
Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV), welche die Vorinstanz bei der Anwendung von
Art. 12 lit. d BGFA nicht genügend berücksichtigt habe.

2.1 Auszulegen ist daher Art. 12 lit. d BGFA, gemäss welchem Anwältinnen und
Anwälte "Werbung machen [können], solange diese objektiv bleibt und solange sie
dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit entspricht".
Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem
Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis
einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die Gesetzesauslegung
hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Norm
darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte
Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge,
ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio legis. Dabei befolgt das
Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich
ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Ordnung zu
unterstellen (BGE 137 V 434 E. 3.2 S. 437; BGE 136 II 187 E. 7.3 S. 194; BGE
134 V 170 E. 4.1 S. 174; je mit Hinweisen).

2.2 Art. 12 lit. d BGFA geht vom Grundsatz der Zulässigkeit der Anwaltswerbung
aus ("können Werbung machen"), setzt jedoch
BGE 139 II 173 S. 176
voraus, dass die Werbung "objektiv" ("faits objectifs"; "fatti oggettivi")
bleibt und dem "Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit" ("intérêt général";
"bisogni d'informazione del pubblico") entspricht. Der abweichende französische
Wortlaut beim letztgenannten Kriterium ist auf einen Vorschlag der
Redaktionskommission zurückzuführen und gibt den Willen des Gesetzgebers nur
ungenügend wieder, weshalb auf die deutsche bzw. italienische Fassung
abzustellen ist (BOHNET/MARTENET, Droit de la profession d'avocat, 2009, N.
1495).
Die gesetzlichen Begriffe - von "Werbung" über "objektiv" bis zu
"Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit" - sind offengehalten. Da die
Beschwerdeführerin die Frage aufwirft, ob überhaupt Werbung vorliegt, ist
zunächst der Werbebegriff zu klären (E. 3), um anschliessend unter
Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Norm (E. 4) und ihrer Stellung
in der Rechtsordnung (E. 5) die Tragweite und Bedeutung der Kriterien
"objektiv" und "Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit" zu bestimmen (E. 6).

3.

3.1 Unter "Werbung" im Sinne von Art. 12 lit. d BGFA ist insbesondere all jene
Kommunikation zu verstehen, die planvoll darauf angelegt ist, andere dafür zu
gewinnen, die von einem Anwalt bzw. einer Anwaltskanzlei angebotenen
Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen (BOHNET/MARTENET, a.a.O., N. 1485 ff.;
WALTER FELLMANN, in: Kommentar zum Anwaltsgesetz [nachfolgend: Kommentar],
Fellmann/Zindel [Hrsg.], 2. Aufl. 2011, N. 113 zu Art. 12 BGFA; ANDREA SCHÜTZ,
Anwaltswerbung in der Schweiz, 2010, S. 61 ff.). Ob diese Voraussetzungen
vorliegen, bestimmt sich nach der Verkehrsauffassung; massgebend sind objektive
Kriterien.

3.2 Der Begriff der Werbung darf nicht zu eng verstanden werden, um den Gehalt
der Norm nicht zu unterlaufen (SCHÜTZ, a.a.O., S. 69). Das gilt auch für
Aussenwerbung, namentlich bei Kanzleischildern. Beschränken sie sich auf reine
Tür- bzw. Namensschilder, kann man ihnen mit gutem Grund jeglichen
Werbecharakter absprechen (vgl. BOHNET/MARTENET, a.a.O., N. 1526). Dabei sollte
man sich jedoch nicht in begrifflichen Abgrenzungsfragen verlieren, wird man
den Werbecharakter doch gerade mit Verweis auf den blossen Informationsgehalt
(Hinweisfunktion) solcher Türschilder verneinen, womit sie ohne Weiteres den
Anforderungen des Art. 12 lit. d BGFA genügen.

3.3 Zu Recht hat die Vorinstanz die vorliegende Fassadenanschrift als (Aussen-)
Werbung qualifiziert, richtet sie sich doch an eine
BGE 139 II 173 S. 177
unbestimmte Vielzahl von Personen und entfaltet damit eine gewisse
Breitenwirkung (vgl. FELLMANN, Kommentar, a.a.O., N. 114b zu Art. 12 BGFA).
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist nicht nur die
"Spezialisierungsanpreisung" (Hinweis auf besondere Kenntnisse, bevorzugte
Tätigkeitsbereiche etc.) als Werbung einzustufen. Anders als ein einfaches
Türschild beschränkt sich die Fassadenanschrift nicht darauf, auf den Standort
der Beschwerdeführerin hinzuweisen, sondern ist aufgrund ihrer Grösse,
Gestaltung und Anbringung zugleich eine publikumswirksame Bekanntmachung, dass
die Beschwerdeführerin anwaltliche Dienstleistungen und Beurkundungen anbietet.
Es handelt sich damit um Werbung im Sinne von Art. 12 lit. d BGFA.

4.

4.1 Wie die übrigen Berufsregeln nach Art. 12 BGFA ist auch Art. 12 lit. d BGFA
der "gemeinsame Nenner" der bisherigen kantonalen Gesetze (vgl. FELLMANN,
Kommentar, a.a.O., N. 3 zu Art. 12 BGFA). Dabei fällt auf, dass sich der
Gesetzgeber klar gegen ein "generelles Werbeverbot" ausgesprochen hat, das
"weder für Anwältinnen und Anwälte noch für die Klientschaft" zu rechtfertigen
sei (Botschaft vom 28. April 1999 zum Bundesgesetz über die Freizügigkeit der
Anwältinnen und Anwälte [nachfolgend: Botschaft BGFA], BBl 1999 6013, 6056
Ziff. 233.24). Damit setzt sich Art. 12 lit. d BGFA deutlich vom überkommenen
Standesrecht ab, das dem Anwalt jegliche Werbung versagte, wobei auch das
vormals kantonale Berufsrecht entsprechende Verbote kannte (VINCENT MARTENET,
L'indépendance et la publicité des avocats, AJP 2000 S. 667 ff., 675 f.; WALTER
FELLMANN, Recht der Anwaltswerbung im Wandel [nachfolgend: Anwaltswerbung], AJP
1998 S. 175 ff.).

4.2 Diese strikten standes- und berufsrechtlichen Werbeverbote wurden in den
80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts und damit noch vor Inkrafttreten
des BGFA vor allem in der Deutschschweiz zunehmend gelockert (MARTENET, a.a.O.,
S. 676 f.) und durch das Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 1995
über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz, KG; SR 251)
schliesslich grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt (PIERRE TERCIER, Les
avocats et la concurrence, Der Schweizer Anwalt 1/1996 S. 4 ff.; BENOÎT
CHAPPUIS, Droit de la concurrence et droit des avocats: la fin des tabous, in:
Mélanges en l'honneur de Pierre Tercier, 2008, S. 571 ff.; BOHNET/MARTENET,
a.a.O., N. 1015 ff., insb. 1074 ff.).
BGE 139 II 173 S. 178

4.3 Das Bundesgericht sprach sich bereits vor Inkrafttreten des BGFA vorab mit
Blick auf die Handels- und Gewerbefreiheit stets gegen ein absolutes Verbot der
Anwaltswerbung aus, liess es aber zu, die Werbetätigkeit von Anwälten
besonderen Schranken zu unterwerfen (BGE 67 I 80 E. 3 S. 87 ff.; 68 I 11 E. 1
S. 14 f., 65 E. 1 S. 68 f.; BGE 87 I 262 E. 2 S. 265 f.; BGE 96 I 34 E. 5 S. 37
f.; BGE 123 I 12 E. 2c/aa S. 16 f.; BGE 125 I 417 E. 3b S. 421 f.). Die
Rechtsprechung hat dabei folgende Leitlinien formuliert: "Kommerzielle
Werbemethoden dürfen (...) im Interesse des Schutzes von Treu und Glauben im
Geschäftsverkehr und zur Erhaltung der Vertrauenswürdigkeit und der
Unabhängigkeit der Anwaltschaft ausgeschlossen werden, während zurückhaltende
und sachlich zutreffende Werbung dem Bedürfnis des Publikums nach Information
entgegenkommt und dem Anwalt deshalb nicht grundsätzlich verwehrt sein kann" (
BGE 123 I 12 E. 2c/aa S. 17; daran anschliessend BGE 123 I 201 E. 6b S. 210;
BGE 125 I 417 E. 5b S. 426 f.; Urteil 2P.386/1996 vom 7. Juli 1997 E. 4a, in:
SJ 1998 S. 116 ff., 119; MARTENET, a.a.O., S. 676).

4.4 Art. 12 lit. d BGFA nimmt mit dem Grundsatz der Zulässigkeit der
Anwaltswerbung den grund- und wettbewerbsrechtlichen Ansatz auf, ist aber
zugleich Ausdruck davon, dass der Werbefreiheit bei der anwaltlichen Tätigkeit
nach tradierter Auffassung aus öffentlichen Interessen engere Grenzen gezogen
sind, als sie sich aus der allgemeinen Rechtsordnung ergeben. Besteht darüber
de lege lata weitgehend Einigkeit (vgl. für einen Überblick über die Meinungen
in der Literatur SCHÜTZ, a.a.O., S. 147 ff.; ferner CHRISTOF BERNHART, Die
professionellen Standards des Rechtsanwalts, 2. Aufl. 2011, S. 151; a.M. KASPAR
SCHILLER, Schweizerisches Anwaltsrecht, 2009, N. 1617), so erhellt aus der
Entstehungsgeschichte nicht, wie die Grenzen zulässiger Werbung überzeugend zu
ziehen sind (vgl. BGE 123 I 12 E. 2c/aa S. 17).

5.

5.1 Art. 12 lit. d BGFA ist in die Rechtsordnung einzubetten, wozu namentlich
die Verfassung (BGE 138 I 305 E. 1.4.4 S. 311 f.; MARTENET, a.a.O., S. 679)
gehört. Die Freiheit kommerzieller Werbung, die über die Wirtschaftsfreiheit
des Art. 27 BV und die Meinungsäusserungsfreiheit der Art. 10 EMRK und Art. 19
UNO-Pakt II (SR 0.103.2) gewährleistet wird (BGE 125 I 417 E. 3b S. 421 f.;
vgl. auch BGE 128 I 295 E. 5a S. 308; MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der
Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 364 ff.), ist dabei ebenso zu berücksichtigen wie
der Umstand, dass der Rechtsstaat auf das Vertrauen
BGE 139 II 173 S. 179
des Publikums in die freie Anwaltschaft angewiesen ist. Der Zugang zum Recht
erfolgt über die Anwaltschaft; ohne sie ist es dem Einzelnen regelmässig
verwehrt, seinen Standpunkt in juristischen Angelegenheiten wirksam zur Geltung
zu bringen (SCHILLER, a.a.O., N. 73 ff.; FELLMANN, Kommentar, a.a.O., N. 2b zu
Art. 12 BGFA). Es besteht daher ein besonderes öffentliches Interesse an einer
sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung (vgl. Art. 12 lit. a BGFA).
Entsprechend kann der Staat zum Publikumsschutz sowie zur Wahrung von Treu und
Glauben im Geschäftsverkehr Regeln für eine ordnungsgemässe und qualitativ
hochstehende Ausübung der Anwaltstätigkeit aufstellen (Art. 95 Abs. 1 BV; BGE
125 I 417 E. 5a S. 426; BGE 123 I 12 E. 2c/aa S. 16 f.; JEAN-FRANÇOIS AUBERT,
in: Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse,
Aubert/Mahon [Hrsg.], 2003, N. 5 zu Art. 95 BV; ROBERT BAUMANN, Der Anwalt im
Visier des Staates, AJP 2008 S. 43 ff., 51; RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN,
Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, § 2 N. 4, § 39 N. 9). Unter
Einhaltung dieser Regeln dient Anwaltswerbung auch ideellen Interessen, indem
sie der Klientschaft eine sachgerechte Anwaltswahl erlaubt und damit einen
Beitrag zum guten Funktionieren der Rechtspflege leistet (MÜLLER/SCHEFER,
a.a.O., S. 373).

5.2 Das Interesse an einer ordnungsgemässen und qualitativ hochstehenden
Ausübung der Anwaltstätigkeit wird auch auf europäischer Ebene anerkannt
(Urteile des EGMR Casado Coca gegen Spanien vom 24. Februar 1994, Serie A Bd.
285 § 46; Schöpfer gegen Schweiz vom 20. Mai 1998, Recueil CourEDH 1998-III S.
1042 § 29; Foglia gegen Schweiz vom 13. Dezember 2007, §§ 86 f.; Art. 24 der
Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.
Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. L 376 vom 27. Dezember
2006 S. 36 ff.; Urteil des EuGH vom 5. April 2011 C-119/09 Société fiduciaire,
Slg. 2011 I-02551 Randnr. 30). Dabei bleibt jedoch jegliche staatliche Regelung
Stückwerk und darauf angewiesen, dass die Anwaltschaft ihren Beitrag leistet,
um das Vertrauen des Publikums sowie das Ansehen in ihren Berufsstand zu
gewährleisten: Der Staat kann die Standeswürde zwar schützen, aber nicht
verordnen.

5.3 Auch bei anderen freien Berufen sind Werbebeschränkungen zulässig (BGE 123
I 201 E. 6b S. 209 f.; Urteil 2P.386/1996 vom 7. Juli 1997 E. 3a und 4a, in: SJ
1998 S. 116 ff.). Neuere
BGE 139 II 173 S. 180
Bundesgesetze nehmen dies auf, so namentlich Art. 40 lit. d des Bundesgesetzes
vom 23. Juni 2006 über die universitären Medizinalberufe
(Medizinalberufegesetz, MedBG; SR 811.11) und Art. 27 lit. d des Bundesgesetzes
vom 18. März 2011 über die Psychologieberufe (Psychologieberufegesetz, PsyG; AS
2012 1929, SR 935.81). Beide Gesetze erlauben Werbung, "die objektiv ist, dem
öffentlichen Bedürfnis entspricht und weder irreführend noch aufdringlich ist"
(vgl. BORIS ETTER, in: Handkommentar zum Medizinalberufegesetz, 2006, N. 16 ff.
zu Art. 40 MedBG; WALTER FELLMANN, Berufspflichten der Psychologinnen und
Psychologen nach Art. 27 PsyG, in: Psychologieberufe im Wandel, 2012, S. 135
ff., 147 ff.).

6.

6.1 Gestützt darauf lässt sich die Bedeutung und Tragweite von Art. 12 lit. d
BGFA konkretisieren. Die grundsätzliche Zulässigkeit der Anwaltswerbung ist ein
Gebot der Werbefreiheit als eines Teilgehalts der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27
Abs. 1 BV; Botschaft BGFA, BBl 1999 6013, 6056 Ziff. 233.24): Nicht die
Werbung, sondern deren Einschränkung ist gemäss verfassungsrechtlich
vorgezeichneter und gesetzlich konkretisierter Wertung rechtfertigungsbedürftig
(Art. 27 i.V.m. 94 BV; Art. 95 BV; Art. 12 lit. d BGFA; vgl. mit Blick auf die
Organisationsfreiheit BGE 138 II 440 E. 16 S. 455 f. und E. 18 S. 457 f.). Dies
entspricht denn auch der konstanten Bundesgerichtspraxis vor Erlass des BGFA
(vgl. E. 4.3) und ist in der Lehre grundsätzlich unstrittig (BERNHART, a.a.O.,
S. 147; BOHNET/MARTENET, a.a.O., N. 1484; FELLMANN, Anwaltswerbung, a.a.O., S.
179 f.; SCHÜTZ, a.a.O., S. 74 ff.; MICHEL VALTICOS, in: Commentaire romand, Loi
sur les avocats, Valticos/Reiser/Chappuis [Hrsg.], 2010, N. 191 f. zu Art. 12
BGFA; ALAIN WURZBURGER, L'avocat et la publicité, in: L'avocat moderne, 1998,
S. 231 ff., 234 f.).

6.2

6.2.1 Gesetzliche Einschränkungen dieser grundrechtlich geschützten Freiheit
erfolgen aus dem verfassungsrechtlich anerkannten und gesetzlich verankerten
öffentlichen Interesse an einer ordnungsgemässen und qualitativ hochstehenden
Ausübung der Anwaltstätigkeit (Art. 95 Abs. 1 BV; Art. 12 lit. a BGFA). Die
gesetzlichen Kriterien der "Objektivität" und des "Informationsbedürfnisses der
Öffentlichkeit" knüpfen an die Bundesgerichtspraxis vor Erlass des BGFA an,
weshalb diese auch unter Geltung des BGFA von Bedeutung bleibt (vgl. E. 4.3).
BGE 139 II 173 S. 181

6.2.2 Anwaltswerbung soll damit primär Werbung informativer Art sein und - über
die lauterkeitsrechtlichen Grenzen hinaus - auf reisserische, aufdringliche und
marktschreierische Methoden verzichten (offengelassen in Urteil 2A.98/2006 vom
24. Juli 2006 E. 4; vgl. BGE 125 I 417 E. 5b S. 426; BGE 123 I 12 E. 2c/aa S.
16 f.; Urteil 2P.386/ 1996 vom 7. Juli 1997 E. 4a, in: SJ 1998 S. 116 ff., 119;
je mit Hinweisen; vgl. auch das Votum von Ständerätin Françoise Saudan, AB 1999
S 1172: "La publicité doit néanmoins répondre à certaines exigences et éviter
tout aspect tapageur ou exagéré."). Dagegen entspricht zurückhaltende und
sachlich zutreffende Werbung dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und
ist zulässig (BGE 125 I 417 E. 5b S. 426; BGE 123 I 12 E. 2c/aa S. 17). Die
gebotene Zurückhaltung bezieht sich sowohl auf den Inhalt wie auf die Form(en)
und Methoden der Anwaltswerbung (BGE 123 I 201 E. 5b S. 210; BOHNET/MARTENET,
a.a.O., N. 1494, 1496, 1521 ff.). So sind etwa bei Aussenwerbung
(Kanzleischilder, Hinweistafeln usw.) nicht nur der Inhalt, sondern auch
Gestaltung, Grösse und Anbringung zu prüfen (BERNHART, a.a.O., S. 149 f.).

6.3

6.3.1 Im Einzelfall bleibt die Grenze zwischen zulässiger und unzulässiger
Werbung allerdings schwierig zu ziehen. Die Unbestimmtheit der gesetzlichen
Kriterien wird denn auch in der Literatur mitunter ebenso stark kritisiert wie
der Umstand, dass das Gesetz in sich widersprüchlich sei, da sich Werbung weder
durch Zurückhaltung noch durch Objektivität auszeichne (statt vieler SCHÜTZ,
a.a.O., S. 99 ff.). Der eine wie der andere Vorwurf verfängt jedoch nicht. Zum
einen sind pauschalisierende Lösungen mit Blick auf die Vielgestaltigkeit
möglicher Werbemassnahmen nicht unproblematisch, weshalb die gesetzlich
getroffene Lösung zumindest nachvollziehbar ist (vgl. BGE 138 I 378 E. 7.2 S.
391 f.; BGE 138 V 41 E. 4.3 S. 45; BGE 136 I 87 E. 3.1 S. 90 f.; MOOR/FLÜCKIGER
/MARTENET, Droit administratif, Bd. I, 3. Aufl. 2012, S. 674 ff., insb. 682
f.). Zum anderen sind die berufsrechtlichen Einschränkungen zulässiger
Anwaltswerbung gesetzlicher Ausdruck davon, dass bei der Werbung hochrangige
Rechtsgüter - die Wirtschaftsfreiheit der Anwälte wie das Vertrauen in die
Anwaltschaft - gegeneinander abzuwägen und im konkreten Fall einer
sachgerechten Lösung zuzuführen sind.

6.3.2 Die Offenheit der gesetzlichen Kriterien ermöglicht eine
Rechtsverwirklichung, die sich den jeweiligen örtlichen und sachlichen
Gegebenheiten situationsgerecht anpassen lässt und dabei auch die im
BGE 139 II 173 S. 182
Laufe der Zeit gewandelten Anschauungen aufnehmen kann (BGE 123 I 12 E. 2c/aa
S. 17). Entsprechend ist den kantonalen Behörden bei der Auslegung und
Anwendung der in Art. 12 lit. d BGFA enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffen
ein Beurteilungsspielraum einzuräumen, soweit die für den Entscheid
wesentlichen Gesichtspunkte geprüft und die erforderlichen Abklärungen
sorgfältig und umfassend durchgeführt worden sind (vgl. BGE 138 II 77 E. 6.4 S.
89; BGE 131 II 680 E. 2.3.2 S. 683 f.).

7. Vorliegend ist zu beurteilen, ob die Fassadenanschrift der
Beschwerdeführerin gegen das Gebot zurückhaltender und sachlich zutreffender
Werbung verstösst.

7.1 Die Aufsichtskommission hat das "Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit"
verneint, da sich die Firmenbeschriftung an eine unbestimmte und uneinheitliche
Gruppe von Werbeadressaten richte und bei einer solch willkürlichen
Streuwirkung des Werbeeffekts nicht mehr gesagt werden könne, die Werbung
richte sich an eine einheitliche oder zumindest eingeschränkte Gruppe von
Werbeadressaten. Für die allermeisten Verkehrsteilnehmer decke die geplante
Firmenbeschilderung kein Informationsbedürfnis ab, weshalb sie gegen Art. 12
lit. d BGFA verstosse.
Die Vorinstanz ist dem im Ergebnis gefolgt, verneinte jedoch neben dem
Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit auch die Objektivität der geplanten
Fassadenanschrift: Diese wahre die erforderliche "formale Sachlichkeit" nicht,
da sie in gestalterischer Hinsicht (Grösse, Beleuchtung, Anbringung an stark
befahrener Verkehrskreuzung) intensive Reize einsetze und damit nicht
zurückhaltend sei.

7.2 Die Würdigung der Vorinstanz ist mit Blick auf den ihr zukommenden
Beurteilungsspielraum nicht zu beanstanden: Die geplante Anschrift beschränkt
sich zwar inhaltlich auf objektive Tatsachen, wie sie auch auf dem Briefpapier
verwendet werden (Kanzleiname mit Zusatz "Advokatur & Notariat"). Weitere,
wertende Zusatzinformationen sind nicht vorhanden. Allerdings haben die
Vorinstanzen ihre Prüfung zu Recht nicht auf die inhaltliche Sachlichkeit
beschränkt, sondern Gestaltung, Grösse und Anbringung der Fassadenanschrift
einbezogen. Dabei ist es der Beschwerdeführerin grundsätzlich unbenommen,
Aussenwerbung zu machen und ein Kanzleischild, eine Hinweistafel oder eben eine
Fassadenanschrift anzubringen, die eine gewisse Breitenwirkung entfaltet und an
einer Stelle platziert wird, die für das Publikum gut einsehbar ist. Unzulässig
ist mit Blick
BGE 139 II 173 S. 183
auf Art. 12 lit. d BGFA nicht die Werbewirkung der Fassadenanschrift, sondern
deren Ausgestaltung im vorliegenden Fall: Wie die Vorinstanz nachvollziehbar
ausführt, lassen Gestaltung (helle Beleuchtung), Grösse (Gesamtlänge von ca.
9,4 m und Höhe von 70 cm bzw. 32 cm) und Anbringung (stark befahrene
Verkehrskreuzung) bei einer Gesamtbetrachtung die erforderliche Zurückhaltung
in gestalterischer Hinsicht bzw. die "formale Sachlichkeit" vermissen. Nicht
entscheidend kann sein, dass sich am Gebäude bereits Aussenwerbungen anderer
Gewerbebetriebe befinden. Art. 12 lit. d BGFA würde weitgehend leerlaufen, wenn
man die Zulässigkeit von Anwaltswerbung an der Werbung von Nicht-Anwälten
ausrichten würde.

7.3 Führt vorliegend die Ausgestaltung der Fassadenanschrift und nicht deren
Werbewirkung zur berufsrechtlichen Unzulässigkeit, musste sich die Vorinstanz
nicht näher mit der gesamthaften Wirkung der Fassadenanschrift im Rahmen der
örtlichen Gegebenheiten und der bereits vorhandenen Schriftzüge am Gebäude
auseinandersetzen. Die diesbezüglichen Sachverhaltsrügen der Beschwerdeführerin
sind deshalb nicht entscheidrelevant.