Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 III 93



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Urteilskopf

139 III 93

13. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. N.V. gegen
Z. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_83/2012 vom 5. Dezember 2012

Regeste

Art. 273 SchKG; Haftung für Arrestschaden.
Prüfung der Widerrechtlichkeit als Voraussetzung zur verschuldensunabhängigen
Haftung (E. 4.1 und 4.2).

Sachverhalt ab Seite 93

BGE 139 III 93 S. 93

A.

A.a Die X. N.V. ist eine in Curaçao/Niederländische Antillen domizilierte
Gesellschaft.

A.b T., U. und V., alle mit Wohnsitz im Ausland, sind die Erben von S. Er
verstarb als niederländischer Staatsangehöriger am 19. August 2003 mit letztem
Wohnsitz in der Schweiz, wo er Eigentümer einer Liegenschaft war. Als
Testamentsvollstrecker und Abwicklungstreuhänder setzte er Z., in Abcoude/
Niederlande, ein.

B.

B.a Auf Begehren der X. N.V. erliess der Gerichtspräsident 1, Gerichtskreis XI
Interlaken-Oberhasli, gestützt auf Art. 271 Abs. 1 Ziff. 4 SchKG am 22. Februar
2006 einen Arrestbefehl gegenüber T., U. und V. für eine Forderung von Fr.
5'707'502.- nebst Zinsen aus einem Darlehensvertrag. Als Arrestgegenstände
wurden die Liegenschaft A. Gbbl. 2158, die Gegenstände (Möbel, etc.) im
Gebäude, sowie der beim Notar W. in Interlaken hinterlegte Kaufpreis
bezeichnet. Der Arrest wurde vom Betreibungs- und Konkursamt Berner Oberland,
Dienststelle Interlaken, gleichentags vollzogen (Arresturkunden vom 21. April
2006).
BGE 139 III 93 S. 94

B.b Der Arrest wurde mit Einspracheentscheid vom 2. Mai 2006 bestätigt. Das
Obergericht des Kantons Bern hob (auf Appellation hin) den Arrest am 18. August
2006 auf. Die staatsrechtliche Beschwerde der X. N.V. wurde abgewiesen, soweit
darauf eingetreten wurde (Urteil 5P.355/2006 des Bundesgerichts vom 8. November
2006). (...)

C.

C.a Am 19. April 2007 erhob Z. als Willensvollstrecker beim Gerichtskreis XI
Interlaken-Oberhasli Klage gegen die X. N.V. und verlangte Schadenersatz aus
Haftung für Arrest gemäss Art. 273 SchKG. Der Schaden wurde im Wesentlichen mit
verschiedenen Aufwendungen im Zusammenhang mit der Übertragung der Liegenschaft
an R. begründet, welche durch die ungerechtfertigte Arrestlegung entstanden
seien.

C.b Am 29. Dezember 2010 wurde die X. N.V. vom Gerichtskreis verpflichtet, Z.
den Betrag von Fr. 79'568.50 nebst (näher bestimmten) Zinsen zu bezahlen. Mit
Appellationsentscheid vom 9. Dezember 2011 verpflichtete das Obergericht des
Kantons Bern (Zivilabteilung, 1. Zivilkammer) die X. N.V., Z. den (reduzierten)
Betrag von Fr. 37'038.50 nebst Zins zu 5 % seit dem 8. November 2006 zu
bezahlen.

D. Die X. N.V. hat am 25. Januar 2012 Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Die
Beschwerdeführerin verlangt, der Entscheid des Obergerichts vom 9. Dezember
2011 sei aufzuheben und die Klage von Z. (Beschwerdegegner) vom 19. April 2007
sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. (...)
Das Bundesgericht weist die Beschwerde in Zivilsachen ab, soweit darauf
eingetreten wird.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4. Gemäss Art. 273 Abs. 1 SchKG haftet der Gläubiger dem Schuldner als auch dem
Dritten für den aus einem ungerechtfertigen Arrest erwachsenen Schaden. Anlass
zur vorliegenden Beschwerde gibt die Frage, ob die Voraussetzungen zur Haftung
für Arrestschaden gegeben sind.

4.1 Es steht fest und ist unbestritten, dass das Obergericht den Arrest im
Einspracheverfahren mit Entscheid vom 18. August 2006 aufgehoben hat, weil die
Arrestforderung nicht fällig und durch ein Pfand
BGE 139 III 93 S. 95
gedeckt sei, und dass die staatsrechtliche Beschwerde erfolglos blieb. Die
Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Auffassung des Obergerichts, welches
die Widerrechtlichkeit des Arrestes mit der Begründung bejaht hat, dass die
Arresteinsprache gutgeheissen worden ist.

4.1.1 Das Obergericht folgt der Auffassung, die von der Lehre ganz überwiegend
geteilt wird (GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour
dettes et la faillite, Bd. IV, 2003, N. 11 zu Art. 273 SchKG; STOFFEL/CHABLOZ,
in: Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2005, N. 16 zu Art. 273 SchKG;
AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 8. Aufl.
2008, § 51 Rz. 81; MEIER-DIETERLE, in: Kurzkommentar SchKG, 2009, N. 7 zu Art.
273 SchKG; KREN KOSTKIEWICZ, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, 2012, S. 382
Rz. 1507). Die Beschwerdeführerin hält mit Hinweis auf die abweichende Meinung
von ARTHO VON GUNTEN (Die Arresteinsprache, 2001, S. 118) entgegen, dass der
Arresteinspracheentscheid im Schadenersatzprozess nach Art. 273 SchKG nicht
bindend sei, weil die Einsprache im summarischen Verfahren beurteilt werde und
das Prozessthema verschieden sei.

4.1.2 Diese Argumentation überzeugt nicht. Gerade weil das Prozessthema im
Schadenersatzprozess verschieden und der Einspracherichter zuständig ist, über
die Arrestbewilligung zu entscheiden, ist der Richter im Schadenersatzprozess
an die rechtskräftig beurteilte Vorfrage gebunden. Diese Überlegung zur
Vorfrage kommt bereits in einem frühen Urteil des Bundesgerichts zum Ausdruck
(BGE 22 S. 884 E. 3 S. 888). In der Botschaft zum revidierten SchKG werden
sodann das Fehlen eines Arrestgrundes, das Nichtbestehen der Gläubigerforderung
und der Arrest auf Vermögen, das im Eigentum Dritter steht, als Hauptfälle des
ungerechtfertigten Arrestes bezeichnet (Botschaft über die Änderung des SchKG
vom 8. Mai 1991, BBl 1991 III 1, 167 f. Ziff. 208.3). Kommt der
Arresteinspracherichter nach Prüfung dieser Gründe zur Arrestbewilligung (vgl.
Art. 272 Abs. 1 SchKG) zum Ergebnis, dass die Einsprache gutzuheissen ist,
steht fest, dass das Mittel des Arrestes falsch war. Wenn das Obergericht im
Haftungsprozess aus Arrestschaden die auf Arresteinsprache hin rechtskräftig
beurteilte Vorfrage nicht mehr überprüft hat, ist dies nicht zu beanstanden. Es
erübrigt sich, auf die Vorbringen der Beschwerdeführerin gegen die (Eventual-)
Begründung der Vorinstanz einzugehen, wonach der Arresteinspracheentscheid bzw.
die Aufhebung des Arrestes bei erneuter Prüfung rechtens wäre.
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4.2 Ob den Arrestnehmer bei der Wahl des falschen Mittels ein Verschulden traf,
ist nicht zu untersuchen; die (Kausal-) Haftung für Arrestschaden tritt auch
ein, wenn das Vorgehen in unklarer Lage verständlich erscheint (BGE 19 S. 439
E. 2 S. 442; bestätigt in Urteil 5C.177/2002 vom 16. Oktober 2002 E. 1 und 4,
in: Pra 2003 Nr. 72 S. 381, 385 f. mit weiteren Hinw.). Die Beschwerdeführerin
bringt daher vergeblich vor, das Obergericht habe übergangen, dass sie das
Arrestgesuch in guten Treuen gestellt habe.