Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 III 44



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Urteilskopf

139 III 44

7. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen
Betreibungsamt Hausen am Albis (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_238/2012 vom 12. November 2012

Regeste

Art. 22 und 44 SchKG; GebV SchKG; Kosten im Steigerungsverfahren.
Folgen einer nichtigen Steigerungsanzeige auf die Kostenrechnung im Verfahren
der Verwertung eines Grundstückes; Überprüfungsbefugnis der Aufsichtsbehörde
(E. 3).

Sachverhalt ab Seite 44

BGE 139 III 44 S. 44

A.

A.a Das Betreibungsamt Hausen am Albis zeigte am 28. Mai 2010 in den
Betreibungen auf Grundpfandverwertung Nr. 1 und 2 (Zahlungsbefehle vom 18.
September 2008) den Beteiligten die Versteigerung der Liegenschaft A. an und
setzte das Steigerungsdatum auf den 12. August 2010 fest.

A.b Am 9. August 2010 erliess das Betreibungsamt eine Kostenrechnung
(Zwischenrechnung) im laufenden Grundpfandverwertungsverfahren und setzte
Gebühren und Auslagen (wie Publikationskosten etc.) im Betrag von gesamthaft
Fr. 12'001.95 fest.

B.

B.a Gegen die Steigerungsanzeige vom 28. Mai 2010 (lit. A.a) erhob X. als
Schuldner und Pfandeigentümer am 4. Juni 2010 betreibungsrechtliche Beschwerde.
Er verlangte die Aufhebung bzw. Aufschiebung der Versteigerung bis zum
endgültigen Entscheid über die
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strafrechtliche Beschlagnahme der betreffenden Liegenschaft und verwies auf die
Beschlagnahmeverfügung der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich vom 17.
Oktober 2007. Das Bezirksgericht Affoltern als untere Aufsichtsbehörde in
SchKG-Sachen wies die Beschwerde am 10. August 2010 ab bzw. bestätigte die
Rechtmässigkeit der Versteigerung.

B.b X. zog diesen Entscheid an das Obergericht des Kantons Zürich als obere
kantonale Aufsichtsbehörde in SchKG-Sachen weiter, welches die Beschwerde am
21. Januar 2011 zufolge Gegenstandslosigkeit abschrieb. Grund dafür war der
Beschluss des Bezirksgerichts Zürich (9. Abteilung) vom 18. November 2010, mit
welchem die strafrechtliche Beschlagnahme der Liegenschaft aufgehoben wurde.

C.

C.a Gegen die Kostenrechnung vom 9. August 2010 (lit. A.b) gelangte X. am 19.
August 2010 ebenfalls an die untere Aufsichtsbehörde in SchKG-Sachen, welche
das Beschwerdeverfahren bis zur Erledigung der Beschwerde gegen die
Steigerungsanzeige (lit. B) sistierte. Am 10. März 2011 nahm die untere
Aufsichtsbehörde das Verfahren wieder auf und hiess die Beschwerde am 17.
November 2011 gut. Die Kostenrechnung wurde auf Fr. 502.- für Gebühren und auf
Fr. 1'357.15 für Auslagen reduziert.

C.b Gegen diesen Kostenentscheid erhob das Betreibungsamt Beschwerde. Am 8.
März 2012 hiess die obere kantonale Aufsichtsbehörde in SchKG-Sachen die
Beschwerde gut und bestätigte die Kostenrechnung des Betreibungsamtes vom 9.
August 2010.

D. Mit Eingabe vom 22. März 2012 hat X. Beschwerde in Zivilsachen eingereicht.
Der Beschwerdeführer beantragt, den Entscheid der oberen kantonalen
Aufsichtsbehörde vom 8. März 2012 aufzuheben und den erstinstanzlichen
Kostenentscheid zu bestätigen. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in Zivilsachen gut.
(Auszug)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt die Kostenrechnung
(Zwischenrechnung) im Verfahren der Verwertung eines Grundpfandes. Der
Beschwerdeführer macht geltend, dass die Versteigerung seiner Liegenschaft
nicht rechtens gewesen sei, solange die strafrechtliche Beschlagnahme Bestand
hatte. Er wendet sich gegen die
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Auffassung, dass die Steigerungsanzeige verbindlich beurteilt worden sei. Die
Prüfung im Falle von nichtigen Verfügungen sei jederzeit und von Amtes wegen
möglich, was das Obergericht übergangen habe. Die Zwischenrechnung des
Betreibungsamtes für Kosten im Grundpfandverwertungsverfahren sei ohne Grund,
und der angefochtene Entscheid verletze Art. 22, 44 und 68 SchKG.

3.1 Es steht fest, dass der Beschwerdeführer gegen die betreibungsamtliche
(Zwischen-)Rechnung vom 9. August 2010 für Kosten im laufenden
Grundpfandverwertungsverfahren betreibungsrechtliche Beschwerde erhoben hat.
Umstritten ist zunächst, ob mit Beschwerde gegen die Kostenrechnung die
Rechtmässigkeit des Verwertungsverfahrens überprüft werden kann.

3.1.1 Nach der Rechtsprechung ist Voraussetzung, um die Rechtmässigkeit der
gebührenpflichtigen Verfügung zu überprüfen, dass die Beschwerde in der
Gebührenfrage in einem Zeitpunkt geführt wird, in welchem die Beschwerde gegen
die beanstandete Verfügung selbst noch nicht verspätet ist (BGE 68 III 72 S.
75). Vorliegend ist zu Recht unbestritten, dass der Beschwerdeführer mit
Eingabe vom 19. August 2010 rechtzeitig Beschwerde gegen die Kostenrechnung vom
9. August 2010 erhoben hat und diese Eingabe keine fristgemässe Beschwerde
(Art. 17 Abs. 2 SchKG) gegen die Steigerungsanzeige vom 28. Mai 2010 darstellt.

3.1.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, die betreffende Steigerungsanzeige
sei noch überprüfbar, obwohl er dagegen am 4. Juni 2010 rechtzeitig Beschwerde
erhoben habe. Nach den kantonalen Sachverhaltsfeststellungen und Akten wurde
dieses Beschwerdeverfahren von der oberen Aufsichtsbehörde am 21. Januar 2011
infolge Gegenstandslosigkeit abgeschrieben. Mit dem Beschwerdeentscheid (Art.
21 SchKG) hat keine Prüfung in der Sache stattgefunden (LORANDI,
Betreibungsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeit, 2000, N. 16 und 17 zu Art. 21
SchKG). Folge davon ist, dass die Steigerungsanzeige vom 28. Mai 2010 bzw. der
bestätigende Entscheid der unteren Aufsichtsbehörde vom 10. August 2010 für das
laufende Vollstreckungsverfahren massgebend, d.h. in beschränkte materielle
Rechtskraft getreten ist (BGE 133 III 580 E. 2.1 S. 582). Vorbehalten bleibt
die Nichtigkeit einer Verfügung gemäss Art. 22 SchKG, welche von der
Aufsichtsbehörde jederzeit festgestellt werden kann und muss, selbst nach
eigenem Entscheid in der Sache (BGE 120 III 117 E. 2c S. 119; BGE 121 III 142
E. 2 S. 144; Urteil 5A_597/2008 vom 27. Januar 2009 E. 3.3.4). Von diesen
Grundsätzen ist die Vorinstanz
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ausgegangen, wenn sie zutreffend festgehalten hat, dass die Steigerungsanzeige
vom 28. Mai 2010 im laufenden Vollstreckungsverfahren - ausser bei Nichtigkeit
- nicht mehr in Frage gestellt werden könne.

3.2 Zu prüfen ist weiter, ob die Vorinstanz - wie der Beschwerdeführer rügt -
die Nichtigkeit der Steigerungsanzeige vom 28. Mai 2010 übergangen habe, wenn
sie die Anordnung der Versteigerung als verbindliche Grundlage für die
Kostenrechnung erachtet hat.

3.2.1 Aus den Sachverhaltsfeststellungen geht hervor, dass die
Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich die betreffende Liegenschaft mit
Verfügung vom 17. Oktober 2007 gestützt auf §§ 83 und 96 Abs. 1 StPO/ZH (unter
Mitteilung an das Grundbuchamt) beschlagnahmt hat. Weiter steht fest, dass die
Beschlagnahme mit Urteil des Bezirksgerichts Zürich (9. Abteilung) vom 18.
November 2010 aufgehoben wurde. Nach der Rechtsprechung können die Kantone
aufgrund von Art. 44 SchKG die Beschlagnahme von Vermögen eines Angeschuldigten
zur Deckung von Untersuchungs-, Prozess- und Strafvollzugskosten vorsehen (BGE
115 III 1 E. 3a und 4c S. 3 ff., betreffend § 83 StPO/ZH; BGE 131 III 652 E.
3.1 S. 656; vgl. Urteil 7B.106/2005 vom 30. September 2005 E. 3.3 und 3.5, in:
ZBGR 2006 S. 339 ff.). Anhaltspunkte, dass die Verfügung der Staatsanwaltschaft
vom 17. Oktober 2007 offensichtlich unzulässig (nichtig) und daher für die
Zwangsvollstreckungsbehörden unwirksam gewesen wäre (BGE 131 III 652 E. 3.1 S.
656), bestehen nicht. Folge davon ist, dass die Regeln der Zwangsverwertung
nach SchKG zurückzutreten haben (RIGOT, in: Commentaire romand, Poursuite et
faillite, 2005, N. 16 f. zu Art. 44 SchKG, mit Hinw. auf BGE 93 III 89 E. 3 S.
93 betreffend Konfliktfall; ACOCELLA, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über
Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, 2. Aufl. 2010, N. 1 und 2 zu Art. 44 SchKG
mit weiteren Hinw.).

3.2.2 Im Kanton Zürich ist - worauf die untere Aufsichtsbehörde hingewiesen hat
- das Verfahren nach §§ 83 ff. StPO/ZH massgebend. Danach kann die
Untersuchungsbehörde die Gegenstände oder Vermögenswerte gegebenenfalls
"vorzeitig verwerten" (§ 85 Abs. 2 StPO/ZH) oder "ordnet die Kanzlei des
urteilenden Gerichts die amtliche Versteigerung der beschlagnahmten
Vermögensstücke an" (§ 86 Abs. 1 StPO/ZH). Vorliegend war die Liegenschaft des
Beschwerdeführers seit dem 17. Oktober 2007 von den Strafbehörden
beschlagnahmt, als das Betreibungsamt (in den nachfolgend eingeleiteten
Betreibungen) mit Steigerungsanzeige vom 28. Mai 2008 die betreibungsrechtliche
Versteigerung der Liegenschaft in Gang gesetzt
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hat. Hierzu war das Betreibungsamt nicht befugt (ohne dass die Rechtslage nach
dem Inkrafttreten der eidg. StPO [SR 312.0] am 1. Januar 2011 zu erörtern ist).
Die offensichtlich fehlende sachliche Zuständigkeit der
Zwangsvollstreckungsbehörden zum Erlass der Steigerungsanzeige am 28. Mai 2010
verletzt Vorschriften im Sinne von Art. 22 Abs. 1 SchKG und bedeutet die
Nichtigkeit der betreffenden Verfügung (vgl. BGE 111 III 56 E. 3 S. 61; Urteil
7B.135/2004 vom 17. August 2004 E. 8; LORANDI, a.a.O., N. 23 zu Art. 22 SchKG).
Die Vorinstanz hat die von Amtes wegen vorzunehmende Prüfung eines
Nichtigkeitsgrundes übergangen. Zutreffend hat die untere Aufsichtsbehörde der
Steigerungsanzeige im Ergebnis keine rechtliche Wirkung zugemessen.

3.3 Nach dem Dargelegten ergibt sich, dass die Steigerungsanzeige vom 28. Mai
2010, d.h. die gebührenpflichtige Verfügung nicht rechtswirksam ist. Dies hat
Auswirkungen auf die Kostenrechnung vom 9. August 2010. Wohl trägt der
Schuldner nach Art. 68 SchKG die Kosten. Allerdings begründen nichtige (oder
aufgehobene) Verfügungen keinen Anspruch auf Gebühren und Entschädigungen für
Auslagen. Dieser im Gebührentarif zum SchKG von 1971 ausdrücklich festgehaltene
Grundsatz (Art. 16 GebT SchKG; STRAESSLE/KRAUSKOPF, Erläuterungen zum
Gebührentarif zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vom 7. Juli
1971, 1972, S. 24) ist auch nach Inkrafttreten der GebV SchKG vom 23. September
1996 (SR 281.35) massgebend (GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la
poursuite pour dettes et la faillite, Bd. I, 1999, N. 12 zu Art. 68 SchKG). Mit
Bundesrecht ist daher nicht vereinbar, wenn die Vorinstanz angenommen hat, die
Steigerungsanzeige vom 28. Mai 2010 biete eine verbindliche Grundlage zur
Kostenrechnung vom 9. August 2010. Die Beschwerde ist begründet und
antragsgemäss gutzuheissen, ohne dass auf die weiteren Rügen des
Beschwerdeführers einzugehen ist. Es bleibt demnach beim Entscheid der unteren
Aufsichtsbehörde, welche die im Hinblick bzw. Zusammenhang mit der Steigerung
entstandenen Kosten mangels Grundlage (in unbestrittenem Umfang) reduziert hat.