Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 139 III 396



Zurück zur Einstiegsseite Drucken

Urteilskopf

139 III 396

56. Auszug aus der Verfügung der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen X.
GmbH (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_105/2013 vom 5. August 2013

Regeste

Art. 64 BGG; teilweise Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Werden in der Beschwerde mehrere selbstständige Rechtsbegehren gestellt, die
unabhängig voneinander beurteilt werden können, kann der bedürftigen Partei die
unentgeltliche Rechtspflege für das Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht auch
nur teilweise in Bezug auf die nicht aussichtslosen Rechtsbegehren gewährt
werden (E. 4).

Erwägungen ab Seite 396

BGE 139 III 396 S. 396
Aus den Erwägungen:

1. Nach Art. 64 Abs. 1 BGG befreit das Bundesgericht eine Partei, die nicht
über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der
Gerichtskosten und von der Sicherstellung der Parteientschädigung, sofern ihr
Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Wenn es zur Wahrung ihrer Rechte
notwendig ist, bestellt das Bundesgericht der Partei überdies einen Anwalt oder
eine Anwältin (Abs. 2).

1.1 Über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege entscheidet die Abteilung in
der Besetzung mit drei Richtern oder Richterinnen,
BGE 139 III 396 S. 397
wobei die Fälle im Verfahren nach Art. 108 BGG und die zweifelsfreie Erfüllung
der Voraussetzungen vorbehalten bleiben (Art. 64 Abs. 3 BGG). Die grundsätzlich
vorgeschriebene Spruchkörpergrösse (vgl. Botschaft vom 28. Februar 2001 zur
Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4202 ff., insb. 4304 Ziff.
4.1.2.10) schliesst jedoch nicht aus, dass fünf Richterinnen oder Richter über
das Gesuch entscheiden; dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn über
das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege erst im Endurteil entschieden wird
(vgl. HANSJÖRG SEILER, in: Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, N. 44 zu Art. 64
BGG; THOMAS GEISER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011,
N. 40 zu Art. 64 BGG; SPÜHLER/DOLGE/VOCK, Kurzkommentar zum
Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2006, N. 11 zu Art. 64 BGG) oder wenn der Entscheid
über das Gesuch eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung zur unentgeltlichen
Rechtspflege aufwirft (Art. 20 Abs. 2 BGG; BERNARD CORBOZ, in: Commentaire de
la LTF, 2009, N. 71 zu Art. 64 BGG).
Der vorliegende Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege wirft die
grundsätzliche Frage auf, ob ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege auch nur
zum Teil gutgeheissen bzw. ob der gesuchstellenden Partei die unentgeltliche
Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren auch nur teilweise gewährt werden
kann. Über diese Frage, ist gemäss Art. 20 Abs. 2 BGG in Fünferbesetzung zu
entscheiden.

1.2 Aufgrund der noch aktuellen Unterlagen, welche die Beschwerdeführerin der
Vorinstanz eingereicht hat, kann ihre Bedürftigkeit bejaht werden. Das Gesuch
ist somit gutzuheissen, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint.
Als aussichtslos gelten nach konstanter Praxis Rechtsbegehren, bei denen die
Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren. Dagegen
gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und
Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als
diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt,
sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde (BGE 138
III 217 E. 2.2.4 S. 218; BGE 133 III 614 E. 5 S. 616; je mit Hinweisen).

1.3 Mit ihrer Beschwerde an das Bundesgericht stellt die Beschwerdeführerin im
Wesentlichen zwei Rechtsbegehren: Sie beantragt einerseits, es sei ihr die
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das kantonale
Berufungsverfahren zu bewilligen
BGE 139 III 396 S. 398
(Rechtsbegehren Ziffern 2 und 3; vgl. nachfolgend E. 2) und andererseits, es
sei der Gegenpartei keine Parteientschädigung für das Gesuchsverfahren vor der
Vorinstanz zuzusprechen (Rechtsbegehren Ziffer 4; vgl. nachfolgend E. 3).

2. Die Vorinstanz erachtete, gestützt auf eine summarische Prüfung, die von der
Beschwerdeführerin gegen den Entscheid des Kreisgerichts
Werdenberg-Sarganserland vom 5. November 2012 erhobene Berufung als
aussichtslos. Sie hielt im Wesentlichen fest, dass insgesamt die
Wahrscheinlichkeit, dass ein Vertragsschluss zwischen den Parteien bezüglich
des Abschlusses eines verzinslichen Darlehens über Fr. 50'000.- nicht
nachgewiesen werden könne, die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Beweis gelingen
werde, deutlich überwiege.
Was die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde gegen diese Würdigung vorbringt,
vermag bei summarischer Prüfung keine Verletzung von Bundesrecht auszuweisen.

2.1 Die Vorinstanz hat zunächst, bei der Prüfung des Gesuchs um unentgeltliche
Rechtspflege, die Erfolgsaussichten der im Berufungsverfahren gestellten
Anträge der Beschwerdeführerin nach zutreffenden Kriterien geprüft. Es kann ihr
daher, entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin, nicht vorgeworfen
werden, in gewisser Weise den Hauptentscheid vorweggenommen zu haben.

2.2 Die Vorinstanz ist sodann zutreffend davon ausgegangen, dass die
Beschwerdeführerin für das Zustandekommen des von ihr behaupteten
Darlehensvertrages die Zustimmung der Beschwerdegegnerin zum Abschluss dieses
Vertrages beweisen muss bzw. dass die Beweislast für das Vorliegen eines
übereinstimmenden Parteiwillens auf Abschluss eines Darlehensvertrages der
Beschwerdeführerin obliegt. Die Vorinstanz durfte dabei ohne Verletzung von
Bundesrecht in antizipierter Beweiswürdigung annehmen, dass der
Beschwerdeführerin dieser Nachweis höchstwahrscheinlich nicht gelingen wird.

2.3 Die Vorinstanz hat schliesslich die von der Beschwerdeführerin im
Berufungsverfahren neu vorgebrachte Eventualbegründung bezüglich eines
Gesellschaftsverhältnisses verworfen, weil keine Tatsachenbehauptungen für den
Nachweis eines gemeinsamen Zweckes vorgebracht worden waren. Die
Beschwerdeführerin behauptet nicht, sie habe solche Tatsachenbehauptungen
aufgestellt, und sie legt nicht dar, weshalb die Vorinstanz ihre neu
vorgebrachte
BGE 139 III 396 S. 399
Argumentation bei der Prüfung der Erfolgschancen des Rechtsmittels hätte
berücksichtigen sollen.

2.4 Daraus ergibt sich, dass die Rügen der Beschwerdeführerin bei summarischer
Betrachtung offensichtlich unbegründet sind; die Vorinstanz hat kein
Bundesrecht verletzt, wenn sie die Gewinnaussichten im kantonalen
Rechtsmittelverfahren als kaum ernsthaft erachtet und der Beschwerdeführerin
deshalb die unentgeltliche Rechtspflege verweigert hat. Die Rechtsbegehren 2
und 3 der Beschwerde erscheinen daher als aussichtslos, womit insoweit die
Voraussetzungen von Art. 64 Abs. 1 BGG für die Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren nicht erfüllt sind.

3. Die Beschwerdeführerin beantragt sodann in ihrem Rechtsbegehren 4, dass auch
im Falle der Abweisung ihrer Rechtsbegehren 2 und 3 der angefochtene Entscheid
insofern aufzuheben sei, als sie zur Bezahlung einer Parteientschädigung an die
Beschwerdegegnerin in der Höhe von Fr. 400.- verpflichtet wurde. Dieses
Begehren kann nicht als aussichtslos qualifiziert werden.
Die Vorinstanz hat in Ziffer IV des angefochtenen Entscheides erwogen, dass der
Beschwerdegegnerin, die sich im Verfahren um Bewilligung der unentgeltlichen
Rechtspflege gemäss Art. 119 Abs. 3 Satz 2 ZPO hat vernehmen lassen, eine
Parteientschädigung zuzusprechen sei. Dabei hat die Vorinstanz richtigerweise
darauf hingewiesen, dass die Frage in der Lehre umstritten ist, ob die
Gegenpartei des Hauptverfahrens, die sich im Gesuchsverfahren hat vernehmen
lassen, bei Obsiegen Anspruch auf Parteikostenersatz hat.
Diese Frage war vom Bundesgericht im Moment der Beschwerdeeinreichung noch
nicht entschieden worden, weshalb das Begehren der Beschwerdeführerin nicht als
von vornherein aussichtslos erscheint. Damit sind die Voraussetzungen für die
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren für
das Rechtsbegehren 4 der Beschwerde erfüllt. Insofern ist auch die Bestellung
eines Anwaltes angezeigt (vgl. Art. 64 Abs. 2 BGG).

4. Nach dem Gesagten erscheinen die Rechtsbegehren 2 und 3 der
Beschwerdeführerin, womit sie beantragt, im vorinstanzlichen Verfahren die
unentgeltliche Rechtspflege gewährt zu erhalten und von der Leistung eines
Gerichtskostenvorschusses von Fr. 7'000.- befreit zu werden, als aussichtslos.
Nicht als aussichtslos erscheint
BGE 139 III 396 S. 400
hingegen das Rechtsbegehren 4, mit welchem die Beschwerdeführerin beantragt,
von der Verpflichtung zur Leistung einer Parteientschädigung in der Höhe von
Fr. 400.- befreit zu werden.

4.1 Erscheinen die Rechtsbegehren einer Beschwerde nur zum Teil als nicht
aussichtslos, so wird die unentgeltliche Rechtspflege aus Gründen der
Praktikabilität regelmässig vollumfänglich gewährt. Dies bedeutet, dass die
unentgeltliche Rechtspflege bei teilweiser Erfolgsaussicht des Rechtsmittels
grundsätzlich ohne Differenzierung zu gewähren ist. Nur ausnahmsweise kann die
unentgeltliche Rechtspflege auch bloss teilweise gewährt werden (vgl. Urteil
5A_264/2012 vom 6. Dezember 2012 E. 5.2 mit Hinweisen; anderer Meinung: THOMAS
GEISER, a.a.O., N. 29 zu Art. 64 BGG). Ein solcher Ausnahmefall liegt
insbesondere dann vor, wenn mehrere selbstständige Rechtsbegehren gestellt
werden, die unabhängig voneinander beurteilt werden können. Die gestellten
Rechtsbegehren müssen sich somit klar auseinanderhalten lassen und es muss nur
für das eine Aussicht auf Erfolg bestehen.
Unter dieser Voraussetzung kann die unentgeltliche Rechtspflege für die nicht
aussichtslosen Rechtsbegehren gewährt werden; die beschwerdeführende Partei hat
damit die Möglichkeit, auf ihre aussichtslosen Begehren zu verzichten, ohne
dass ihr der Zugang zum Recht für die Begehren verwehrt wird, die nicht als
aussichtslos erscheinen.

4.2 Die von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde gestellten
Rechtsbegehren lassen sich klar auseinanderhalten und können unabhängig
voneinander beurteilt werden. Der Beschwerdeführerin ist daher die
unentgeltliche Rechtspflege teilweise in Bezug auf ihr nicht aussichtsloses
Begehren bzw. in Bezug auf Ziffer 4 ihrer Rechtsbegehren zu gewähren, im
Übrigen aber zu verweigern. Soweit das Gesuch der Beschwerdeführerin um
unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen wird, ist sie zur Bevorschussung der
Gerichtskosten im üblichen Rahmen zu verpflichten.

4.3 In einem Meinungsaustauschverfahren nach Art. 23 Abs. 2 BGG haben alle
Abteilungen des Bundesgerichts die Frage bejaht, ob einer bedürftigen Partei
die unentgeltliche Rechtspflege für das Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht
nur teilweise, d.h. für die nicht aussichtslos erscheinenden Rechtsbegehren zu
gewähren ist, wenn mehrere Begehren gestellt werden, die unabhängig voneinander
beurteilt werden können.